Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 1927 - Hedwig Weiss-Sonnenburg
In Sanaa
Jemen

Ich liege in einem großen bunten, türkischen Bett und träume. Durch die Fenster blitzt der kalte Morgen, klar ist der Himmel, hoch ragt ein Zypresse über die Mauer hinweg in seine reine Bläue. Die vielen kleinen Fenster sind bunt, blaues, rotes, auch gelbes Glas, die ganze Wand des Zimmers ist bedeckt mit Fenstern und durch das vielfarbige Glas blicken Teile einer unwirklichen Landschaft. Deutlich heben sich die Zweige eines kahlen Obstbaumes, in dessen Zweigen ein Adler hockt, vor einem Fenster ab. Ein paar Blüten hat der Baum aber doch, pfirsichweiche, rosa Blütchen, ob der Nachtfrost ihnen nicht geschadet hat? In ein paar Monaten tragen die Rosensträucher hier im Garten die berühmten arabischen Rosen, deren Duft berauschender sein soll als der aller Blumen der Erde. Die Bäume rings aber hängen dann voll herrlichen Obstes, Birnen, Pfirsiche, Nüsse, und das Holzspalier ist schwer von schwarzen Trauben. Aber jetzt ist hier Winter und im Gegensatz zu Abessinien, besonders Addis Abeba, das doch fast dieselbe Höhenlage hat wie Sanaa, 2.400 m, sind die Bäume hier alle winterlich kahl, obgleich die Sonne brennend heiß am Tage scheint. Die Nächte haben aber mehr Fröste, und auch die völlige Trockenheit mag der Grund zum Winterschlaf der Natur hier sein.
   Es ist so märchenhaft in dieser fernen, fremden Stadt aufzuwachen, von der man nichts kennt, und von der man alles kennen lernen möchte, deren eigenartigen Zauber ich schon von meinem Zimmer aus zu spüren meine. Sanaa, geheimnisvoller Name der heiligen Stadt, bin ich wirklich hinter deinen Mauern? Wie lange spukte dieser Name in unsern Gedanken, verbunden mit unvollkommenen Vorstellungen, bis wir unsere Wanderung, getrieben von Abenteuer- und Forscherlust, hierhin unternahmen und auf halbem Weg noch nicht wußten, ob wir wirklich je hingelangen würden.
   Es war ein unvergeßlicher Anblick, als die alte heilige Stadt, von deren Schönheit nur sagenhafte, kärgliche Erzählungen ins Abendland gelangen, plötzlich bei einer Wegbiegung tief unter unsern Füßen lag. In einem flachen Gebirgstal, rings von Bergen umschlossen, schimmerte sie im Licht der untergehenden Sonne, wie eine rosige Marmorstadt, und rings die steinigen Hänge schimmerten mit in den zartesten Tönen, mit denen das Abendlicht auch die grauesten Geröllhalden verzauberte. An der Küste hatte man uns zwar erzählt, wie Sanaa inmitten einer Gartenlandschaft läge, wie klare Gebirgsbäche sie durcheilten und große Bäume rings Schatten spendeten. Davon war nun allerdings nichts zu sehen, und doch war sie in ihrer herben Schönheit inmitten der kühnen Berglandschaft bewundernswert.
   Es war beinahe Nacht, als wir durch das Tor in die Stadt einzogen, nur wenige altertümliche, eckige Laternen erhellten die Strassenecken. Ich hatte wieder das türkische Kleid mit dem dichten schwarzen Schleier angelegt, denn keine Frau darf unverschleiert die heilige Stadt des Imam betreten. So trug der dichte Schleier noch dazu bei, das ich nur ein stark verschwommenes Bild von hochragenden Häusern und weiten Plätzen, laufenden neugierigen Bewohnern hatte und heute erwachend, mich in einem türkischen Palast befand, inmitten einer arabischen Stadt, als hätte mich das Zauberpferd des Chinesen aus Tausend und einer Nacht durch die Lüfte hierher gebracht.
   Warum nur kreischt dieser eigentümliche Ton draußen vor dem Hause und wird von überall erwidert? Ich trete ans Fenster, es ist zwar ein dichtes Holzgitter davor, denn hier war einst der Harem des früheren türkischen Hausherrn, und es ist unschicklich für mohammedanische Frauen, sich offen am Fenster zu zeigen, aber ich kann doch von hier aus den Grund der kreischenden Töne ausfindig machen. Von diesem merkwürdigen Steinbau dort hinter der Gartenmauer kommt es herüber. Ich sehe eine schiefe, gemauerte Ebene, ein Kamel, einen langen Strick, den das Kamel herauf und herunter zieht, und einen Fellsack, der am Ende dieses Strickes befestigt ist. Er sinkt langsam in die kühle Tiefe des Brunnenloches hinab, kommt langsam und voll kalten, klaren Wassers wieder herauf und gießt seinen Inhalt aus, der in versteckten Röhren bis zu dem Wasserbassin vorm Hause geht und dort den Springbrunnen speist. So konnten die Frauen, die einst hier wohnten, von ihrem vergitterten, teppichbelegten Gefängnis zusehen, wie das Wasser aus feinen Röhren lustig blitzend in die Höhe sprang und niedersprudelnd auf stillem Wasserspiegel verschwand. Und solange das Kamel mit störrischer Miene, Schilf kauend, herauf und herunter wandelt und der kleine Araberjunge lustig mit seiner großen Peitsche nebenher läuft, solange spielt die Wasserkunst vor dem Haus des türkischen Großen. Jetzt, seit der türkischen Räumung, gehört das Palais dem Imam, und er hält es für seine seltenen Gäste bereit, aber langsam verfällt unter lässigen arabischen Händen die Schönheit der Steineinfassungen und des einst wunderbaren Gartens.
   Und überall kreischen die Ziehbrunnen über Sanaa, um Ströme kalten Wassers an die Oberfläche zu leiten, und das Kreischen ist wie ein Herzschlag dieser stillen Stadt, und die Ströme eiskalten Wassers, die heraufgeholt werden aus dunkler Tiefe, sind wie ihr rauschendes, lebenspendendes Herzblut.
   Das Haus, in dem wir wohnen, ist in einem prächtigen, halb türkischen, halb arabischen Stil erbaut. Zu ebener Erde liegt das Empfangszimmer, das sich in seiner ganzen Breite gegenüber dem Wasserbassin öffnet. Dieses selbst ist von einem geschweiften Steinmäuerchen umfaßt, durch dessen Rundbögen man die lieblichste Aussicht in den Garten hat. Eine hochstufige Steintreppe führt durch allerlei Gänge in die oberen Stockwerke des Hauses, offene und mit Türen versehene Räume findet man überall in loser Anordnung. Die Treppen führen weiter in die Türmchen und von jedem gelangt man auf kleine flache Dächer, von niedrigen Steingalerien umgeben wie bei den arabischen Häusern. Wir klettern bald auf das allerhöchste dieser kleinen Dächer, und nun liegt Sanaa vor uns wie ein schön gewebter Teppich, und wir grüßen still die heilige Stadt.
   Wenn man im Abendland von einem Turm herab auf eine Stadt schaut, so sieht man klar, wie in einem Riesennetz, die Straßen nach allen Richtungen gleichmäßig verlaufen und die Häuser daran schön in Reih und Glied. Aber in Sanaa sieht man Gruppen von Häusern willkürlich gebaut, hier höher, hier niedriger, die Zwischenräume sind die Plätze, die Durchgänge die Straßen. Ein jedes Haus wendet seine Front nach welcher Seite es ihm gerade passt, eines umgibt sich mit einem Garten, ein paar andere scheinen sich zusammenzutun, um gemeinsam ein Stück freies Land in ihrer Mitte zu bebauen, dort dräut der wuchtige Turm einer Mauerbefestigung und überall weisen schlanke, weiße Minaretts wie fromme Finger zum Himmel. Alle Häuser sind aus braunem Backstein im selben Stil erbaut, über Fenstern und Türen weiße Arabesken in leuchtend sich abhebendem Kalkbewurf. Man erblickt flache, mit kunstvollen Balustraden eingefaßte Dächer, einmal viele Fenster dicht aneinander, unter Bögen ruhend, ein andermal kleine viereckige Fenster in großen, unregelmäßigen Abständen. Und wie schon einmal in Hodeida, erinnert uns diese Bauart wieder an die Häuserfronten Venedigs, dieses Stück Morgenland in Europa, nur daß statt der kühlen Kanäle hier staubige und sonnige breite Straßen die Stadt durchziehen.
   Rings um Sanaa läuft die breite, erdfarbene Mauer, die im Süden das Judenviertel, daran anstoßend das einstige Türkenviertel und im Osten das Araberviertel umschließt. Behäbige Wachttürme und imposante Tore geben der Stadt von Außen ein machtvolles Aussehen, und manche Stürme hat sie auch schon über sich ergehen lassen. Oftmals wurde sie von erbitterten Gegnern fast dem Erdboden gleichgemacht, aber immer wieder wuchs sie von neuem trutzig empor.
   Auch während die Türken von hier aus bemüht waren, den Jemen zu beherrschen, hatte die Stadt in zwei Belagerungen durch den Imam viel zu leiden, aber nach dem Abzug der Türken legte sich große Stille über sie, ja es liegt noch heute wie ein Druck ungelösten und noch nicht wieder auferstandenen Lebens über Sanaa. Nur wenige Leute gehen über die weiten, sandigen Plätze, Frauen mit bunten, alles bedeckenden Schleiern, so daß sie aussehen wie wandelnde Gespenster, einige Reiter zu Esel, langsam dahinwandelnde vornehme Araber, aus den Lehrgebäuden strömende junge Schüler, ein paar geschäftige Juden und der uns nun schon gewohnte Anblick blauer, schwarzlockiger Soldaten des Imam.
   Das einstige Türkenviertel ist der Stadtteil der Vornehmen. Hier stehen noch die Paläste und Villen der türkischen Beamten, die in der Verbannung, wie sie den Posten in Sanaa nannten, sich wenigstens mit Schönheit umgeben wollten. Sie bauten für sich und ihre Frauen die reizendsten Paläste mit Wasserkünsten inmitten herrlich angelegter Gärten. Heute sind ihre Häuser in den Händen vornehmer Araber aus der Umgebung des Imam. Wohl stehen noch die Zypressen und andere edle Bäume, im Sommer sollen noch die Rosen blühen, aber in den meisten Gärten sieht man große Felder von Lauch alle andern Anlagen verdrängen.
   Das Araberviertel mit seinen enggedrängten, durch Steinerker und Wasserspeier belebten Häuserfronten, mit seinen entzückenden Durchblicken, erinnert, wie ich schon sagte, immer wieder an Venedig, das Judenviertel zeichnet sich durch Reinlichkeit aus, und hier sieht man am häufigsten die berühmten Fenster aus Alabaster, die wohl Licht ins Zimmer lassen, aber den Ausblick auf die Straße verwehren.
   Imam Jahja selbst, seine zwölf Söhne und sein ganzer Harem bewohnen den einstigen Regierungspalast des türkischen Generalgouverneurs und kommen sich dort gewiß nach der Steinburg ihrer heimatlichen Berge wie im Paradiese vor. Alles, was die Türken an Artillerie zurücklassen mußten, ist in seinem Besitz, und er ist klug genug, die moderne Waffe zu achten, ein großes Arsenal ist sein Traum. Auch Aeroplane hat er schon kennen gelernt, doch so gerne er sein Land unangreifbar stark haben will, er ahnt als kluger Herrscher die Gefahr, die in der unbeschränkten, unvermittelten Zulassung westlicher Zivilisation schlummert.

Weiss-Sonnenburg, Hewig
Zur verbotenen Stadt Sanaa – eine Reise von Abessinien nach Arabien
Berlin 1928

Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hg.)
Reisende in Arabien 25 v. Chr. – 2000 n. Chr,
Wien 2002

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