1835 - Pauline Helfer/Nostitz
Ein Tag in Muscat
Oman
Zu unserem großen Bedauern warf der Kapitän einige englische Meilen außerhalb des Hafens von Muscat Anker; er teilte uns mit, daß er sein Schiff der Küste nicht näher bringen, uns aber ein Boot zur Verfügung stellen werde; an Land zu gehen gestattete er jedoch nur unter der feierlichen Zusicherung, daß wir am Abend wieder zum Schiff zurückkehren würden, denn eine Nacht am Ufer zuzubringen sei in dieser Jahreszeit für Europäer lebensgefährlich. So übertrieben uns diese ängstliche Besorgnis schien, mußten wir uns dennoch fügen und uns glücklich schätzen, das interessante Land überhaupt berühren zu können. Im Laufe des anderen Tages führte uns denn ein Boot mit kräftigen Ruderschlägen der wildromantischen Bai von Muscat zu, die eine halbkreisförmige Bucht in das Küstengebirge einschneidet und von nackten, dunklen, drohend emporsteigenden Felsmassen von 300 - 400 Fuß Höhe auf allen Seiten umgeben wird, auf deren zackigen Gipfeln feste Verschanzungen liegen, nur noch Ruinen von Forts oder isolierte Türme aus der alten Zeit der Portugiesenherrschaft, längst unbrauchbar, aber auch unzugänglich geworden und nur von Turmfalken und Seeschwalben umschwärmt. Unzählige Zerklüftungen und tiefe Einschnitte, in die das Tageslicht nicht eindringen kann, zerreißen das Gebirge. Große, vielgestaltige, von den Meereswogen ausgehöhlte Grotten laden den von der brennenden Sonnenhitze durchglühten Ankömmling ein, in ihrem kühlen Schatten Labung zu suchen. Doch ist der Fremdling, der sich ihrer Verlockung hingibt und länger in ihrem Schutz gegen die Sonnenglut verweilt, sicher, eine schwere Krankheit, wenn nicht den Tod mit hinwegzutragen, weshalb unsere Bootsleute gemessenen Befehl hatten, uns an keinem dieser Orte landen zu lassen, so gern wir in das Innere der Grotten eingedrungen wären. Sie führten uns zum Haus des britischen Konsuls, eines reichen Kaufherrn mosaischen Glaubens. Die englische Regierung hatte, nachdem in kurzen Zwischenräumen drei ihrer Landsleute als Konsuln dem Einfluß des Klimas erlegen waren, einen Eingeborenen mit diesem wichtigen Posten betraut.
Ein Mann von ansehnlicher Statur, würdevoller Haltung, mit schönem, lockigem Vollbart und Haupthaar, in einen langen, schwarzen Talar gekleidet, empfing uns auf das zuvorkommendste. Er war der englischen Sprache hinlänglich gewachsen, um sich verständlich zu machen. Nach den ersten Begrüßungen bot er uns sogleich aus seiner zahlreichen Dienerschaft eine Eskorte an zur Besichtigung der Stadt, die wir ohne Zeitverlust unternahmen.
So malerisch die am Fuß dunkler Klippen terrassenförmig emporgebaute Stadt sich aus der Ferne ausnimmt, so sehr zeigt ihr Inneres die Physiognomie fast aller größeren orientalischen Städte und weist nur ein Labyrinth enger, schmutziger Gassen auf. Über die Dächer der niedrigen Hütten ragen nur wenige ansehnliche Gebäude empor, wie der Imamspalast, aus einer ehemaligen portugiesischen Kirche umgeformt, und die noch aufrecht stehende, aber verfallene portugiesische Kathedrale, die jetzt als Lagerhaus dient. Außer diesen ziehen nur noch ein paar luftige Minaretts, die Residenz des Konsuls und noch einige andere Gebäude die Blicke auf sich. Diese Gebäude werden wieder von vereinzelten Palmengruppen überragt, die mit noch einigen bewässerten und angebauten Flecken außerhalb der Stadtmauer das einzige um Muscat vorhandene Grün sind. Im übrigen erquickte kein Baum, kein Strauch, ja kein Grashalm das geblendete Auge.
Imposant aber ist die Seemacht, die der Hafen von Muscat entfaltet, er ist der Schlüssel zum Persischen Golf, den er beherrscht, und würde in europäischen Händen ein zweites Gibraltar sein.
Mit Erstaunen erfüllte uns der unerwartete Anblick des Mastenwaldes der in der Bucht versammelten Schiffe. Flaggen aller Nationen und viele einheimische wehten in der leichtbewegten Luft. Sie füllen den Basar der nackten Felsenküste mit dem größten Überfluß aller Bedürfnisse des täglichen Lebens, wie Korn, Fleisch, Gemüse, Früchte, Fische, geröstete Heuschrecken, eine hier allgemein beliebte Speise, und liefern allen Luxus des europäischen, indischen und chinesischen Weltmarktes, die auserlesensten Stoffe, Gewürze, Düfte, Perlen, Edelsteine und viele andere kostbare Waren, die in grellem Kontrast zu den dunklen, schmutzigen, engen Gassen des Basars stehen. Die mit leicht ineinandergeflochtenen Palmblättern bedeckten Buden bieten wohl Schutz gegen die Sonnenstrahlen, lassen aber den Regen hindurch, so daß sich der ungepflasterte Boden in tiefen Kot verwandelt.
Die weit ausgedehnten Vorstädte bestehen nur aus Mattenhütten und bilden während der Regenzeit ein wahres Sumpfgebiet mit einer starken Einwohnerschaft nomadischer Araber und abessinischer Sklaven. Die Städter sind dagegen ein Gemisch von Arabern, Persern, Indern, Syrern, selbst Kurden und Afghanen, die entweder der heimatliche Despotismus oder das liberale Handelsemporium hierher geführt hat. Hierzu kommt die Mischung mit den Negerinnen aus Sansibar und Habesch (Eritrea), woraus eine außerordentliche Verschiedenheit der Gesichtsbildung entsteht, die aber dem europäischen, an die feinen Unterschiede des nationalen Typus nicht gewöhnten Auge einen gemeinsamen Charakter zu tragen scheint.
Alle ohne Ausnahme bewahrten bei unserem fremdartigen Aussehen, an dem ihnen besonders der helle Teint und die blonden Haare auffallen mußten, das rücksichtsvolle Dekorum und belästigten uns weder mit ihrer Neugier noch mit muselmännischem Fanatismus wie die auf ihre feine Sitte so eingebildeten Perser, deren rohe Verfolgung mich ohne rechtzeitige Hilfe ins Meer getrieben hätte.
Die merkwürdigsten und wohl auch ältesten Fremden, die hier aber ganz einheimisch geworden sind, sind die der Kaste der Banianen angehörenden Inder, die meist aus Sind, Kutch und Gujarat [Gebiete zwischen Bombay und der Indus-Mündung] einwandern und hier nach ihren eigenen Gesetzen leben dürfen. Sie schwingen sich häufig durch glückliche Handelsspekulationen zu großem Reichtum und Ansehen empor, werden vom Imam als Agenten und Zollpächter benutzt, wissen sich ihm oft unentbehrlich zu machen und wurden schon mehrmals mit der Würde des englischen Konsulates belehnt.
Der Imam von Muscat wird als einer der merkwürdigsten Regenten des Ostens, als wahres Ideal eines orientalischen Fürsten gerühmt, der mit Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mut patriarchalische Einfachheit verbindet und gegen Europäer die größte Liberalität und Generosität übt.
Obwohl er als das geheiligte Oberhaupt seiner Sekte dem Volk mit strenger Heilighaltung der Gebräuche vorangehen und pünktlich die täglichen Ablutionen und Gebote halten muß, sich nur auf das einfachste kleiden, keine Juwelen tragen, keinen Tabak rauchen, keinen Kaffee, Likör oder andere berauschende Getränke genießen darf und der Kaaba in Mekka reiche Geschenke auf einer Pilgerfahrt selbst darzubringen hat, ist er höchst tolerant gegen Andersgläubige, und niemand wird in seinen ausgedehnten Staaten des Glaubens wegen verfolgt. Einfach in seinen Sitten, gestattet er jedermann freien Zutritt. Selbst der Bettler darf sich ihm nahen und sich in seiner Gegenwart niedersetzen.
Die glühende Hitze und meine große Ermüdung ließen mich bald im Haus unseres Kaufherrn Schutz und Ruhe suchen, während Helfer seine Wanderungen im Vertrauen auf die erlangte Fertigkeit, sich in arabischer Sprache genügend verständlich zu machen, allein fortsetzte.
Mit vielen zeremoniösen Verbeugungen wurde ich von der Frau des Hauses bewillkommnet, einer stattlichen, in schwere seidene Stoffe gekleideten und mit den üblichen Goldketten, Spangen und Perlenschnüren geschmückten Dame, die in einen weiten, weißen, goldgestickten Schleier gehüllt war. Bei meinem Eintritt schlug sie denselben zurück und zeigte Spuren großer Schönheit, die jetzt bei zunehmendem Embonpoint [Körperfülle] schon stark verschwunden war. Sie reichte mir freundlich zunickend die Hand und führte mich zum Diwan. Leider war ihr das Englische ebenso fremd wir mir das Arabische, und unsere Unterhaltung auf Augen- und Zeichensprache beschränkt. Diesem Übelstand konnte abgeholfen werden. Auf unserem Boot war ein englischer Schiffsjunge, der hinlänglich arabisch sprach, um eine Unterhaltung zwischen uns zu ermöglichen. Er wurde herbeigeholt, um mit seiner Hilfe die Neugierde der Dame, welche durch meine so fremdartige Erscheinung rege geworden war, zu befriedigen. Nachdem sie sich augenscheinlich gut unterhalten hatte und die üblichen Erfrischungen an Sorbet und Glico [Süßigkeiten] durch zwei Mohrenknaben in reicher Tracht kredenzt worden waren, fragte sie mich, ob es mir wohl Vergnügen machen würde, den Damen des Imam einen Besuch abzustatten, die eine besondere Vorliebe für Europäer hegten und große Freude haben würden, eine europäische Dame, hierzulande die größte Seltenheit, zu sehen. Sie schilderte mir die Prinzessin als allen anderen Frauen des Landes, vielleicht allen muselmännischen Damen an Kenntnis und feiner Sitte überlegen. Ich war daher hoch erfreut über diesen Vorschlag, drückte aber mein Bedauern aus, mich mit ihnen nicht verständigen zu können. Sie sann einige Augenblicke nach, wobei ihre Augen auf den kleinen Engländer fielen, der sich seiner Aufgabe als Dolmetsch zur Verwunderung gut entledigt hatte.
»Wie alt bist Du?« fragte sie ihn. »Zwölf Jahre.« »Das kann nicht sein, dazu bist Du zu klein! Du bist erst zehn Jahre alt, hörst Du? Vergiß das nicht, wenn du gefragt wirst!«
»Wir nehmen ihn mit in den Palast«, ließ sie mir sagen, »er ist nicht älter als zehn Jahre und hat in diesem Alter freien Zutritt zu den Frauengemächern.«
Sein mehr als einfacher Anzug schien ihr einige Besorgnis zu machen. Doch wußte sie auch dafür Rat und befahl einem ihrer Pagen von ziemlich gleicher Größe, seine eigene Kleidung unserem Matrosen anzulegen. Dieser Befehl erweckte des Mohren höchsten Unwillen. Mit weit geöffneten Augen und verächtlicher Miene maß er zähneknirschend seinen künftigen Nebenbuhler, für welchen er unseren Kleinen halten mochte, vom Kopf bis zum Fuß und blieb, unschlüssig, was er ihm tun sollte, unbeweglich auf seinem Platz, bis ein strenger, gebieterischer Blick seiner Herrin ihn belehrte, daß hier keine Widerrede geduldet würde, worauf er, demütig sich beugend, die Arme kreuzend, langsam zur Tür schritt, gefolgt vom Schiffsjungen, den der ohnmächtige Zorn des Mohren höchlichst zu belustigen schien. Kaum aber war die Tür hinter den beiden geschlossen, als ein durchdringender Schrei hörbar wurde. Der Mohr hatte den Buben bei den Ohren und dem langen, struppigen Haar gepackt, ihn so mit sich fortziehend, wobei derselbe trotz tapferer Gegenwehr noch arg mit Nadelstichen verletzt wurde.
Aber das Erscheinen der Herrin mit zorniger Miene und der Androhung gebührender Züchtigung des widerspenstigen Dieners stellte die Ruhe augenblicklich wieder her. Unterwürfig wie zuvor sich zur Erde beugend, vollzog nun der Renitente die Metamorphose seines verhaßten Feindes, der bald darauf, fast bis zur Unkenntlichkeit verändert, wieder erschien. Weite, rote, an den Knöcheln zusammengebundene Hosen bekleideten seine Beine, darüber war ein weißer, lockerer Rock aus Musselin mit einem roten Gürtel um die Hüften befestigt, während den Kopf ein großes, rotes, turbanartig um die Schläfen gewundenes Tuch bedeckte, aus dem die struppigen Flachshaare des Nordländers an allen Seiten hervorquollen. Er hatte standhaft sein Haupthaar gegen die Schere verteidigt, sei es, weil er es für eine Schönheit hielt, oder weil er das scharfe Instrument in der Nähe seines Gesichts fürchtete. Mit gesenkten Blicken, sich seines komischen Aussehens bewußt, stand er verlegen an der Tür, mit Hohn von dem Rivalen betrachtet, dessen triumphierende Miene seiner Herrin zu sagen schien: Ich bin doch ein anderer Kerl!
Wir bestiegen die inzwischen vorgeführten Esel. Die Frau Konsulin saß, in dichte Schleier gehüllt, nach Männerart auf dem Rücken des Tieres, ich desgleichen ritt ihr in Mameluckentracht unverschleiert zur Seite, und unser kleiner Dolmetsch folgte mit der übrigen Dienerschaft. Nach einem kurzen Ritt erreichten wir den Palast des Imam, wo unsere Ankunft schon gemeldet worden war. Eine lichtarme hölzerne, nicht sehr saubere Treppe führte uns zu den oberen Gemächern des altertümlichen Gebäudes, dessen untere Hallen weit geöffnet waren. Wir durchschritten mehrere leere Räumlichkeiten, bis wir in ein umfangreiches Gemach traten, das eine große Anzahl Frauen in sich schloß. Sie waren, sehr verschieden von Aussehen, Alter und Tracht, von einer Schar ebenso verschiedenartiger Kinder umgeben; ich schätzte sie zusammen auf über 100 Personen. Es waren die Kebsweiber des Imam und zu gleicher Zeit die Dienerinnen seiner rechtmäßigen Gemahlin und der Prinzessinnen. Bei unserem Eintritt erhoben sich alle aus ihren verschiedenen Stellungen und traten zur Seite, um uns eine freie Passage zu gestatten.
Unser flüchtiges Durchschreiten ließ mich keine Beobachtungen anstellen. Am anderen Ende dieser Halle wurde von einer der Frauen eine große Tür geöffnet, durch die wir in das Innerste des Harems, in das Gemach der rechtmäßigen Frauen des Imams eintraten. Wir fanden hier vier Damen versammelt, die Mutter und die Gemahlin des Beherrschers von Muscat, seine Tochter und eine seiner Schwestern. Erstere, in der ihr als Witwe gebührenden schmucklosen Tracht von dunkler Farbe, ohne jegliche Verzierung, hatte ihren Schleier zurückgeschlagen und saß etwas seitwärts von den anderen auf erhöhten Polstern, in aufrechter Haltung, und beherrschte, wie es schien, die übrigen Frauen trotz ihrer prunklosen Erscheinung. Die Frau des Imams dagegen strahlte in aller orientalischen Pracht.
In die kostbarsten Seidenstoffe gekleidet, mit Gold und Silberstickerei reich geschmückt, mit Geschmeide von Smaragden, Perlen und Rubinen umhängt, saß sie auf hell glänzenden, mit Silber durchwebten Polstern, die auf einem prachtvollen Teppich ausgebreitet waren. Ihr zur Seite lag ihre Tochter, eine jugendliche Gestalt zwischen 12 und 15 Jahren, auf weichen Kissen ausgestreckt, die zarten Glieder von purpurrotem, kreppartig durchsichtigem Stoff als einziger Bekleidung umhüllt, der die schönen Formen ihres schlanken Körpers nicht so sehr verdeckte, daß man nicht das Ebenmaß derselben hätte bewundern können. Dagegen war ihr Gesicht sowie das der übrigen Damen durch eine Maske von schwarzem Drahtgewebe, ähnlich den Schutzbrillen unserer Steinklopfer, bedeckt, welche über Stirn, Nase und Wangen bis zum Mund herabreichte und nur die Augen durch einen ovalen Einschnitt frei ließ, dessen schwarzer Rand ihre dunkle Farbe nur noch mehr hervorhob. Diese Masken, prächtig mit Edelsteinen aller Farben verziert, schienen nicht nur dem gänzlichen Verbergen der Gesichtszüge zu dienen, sondern auch ein Toilettenstück zur Hebung der Schönheit der asiatischen Damen zu sein, da das glänzende Geschmeide zu dem schwarzen Haar und dem braunen Teint eine höchst wirksame Folie bildet.
In dem Gemach stand ein großes Himmelbett aus Bronze, dessen Säulen einen Baldachin von rotem Samt trugen, die ein Kunstwerk von schöner Arbeit waren. Auf dieses Ruhelager zeigend, sagte die Frau des Imam mit sichtlichem Selbstbewußtsein: »Es ist dies ein Geschenk der Königin Victoria, der Beherrscherin von England, meiner teuren Schwester.« Also auch in diesen entfernten Winkel der Erde erstreckte sich die unter den Souveränen eingeführte Bruder- und Schwesternschaft. Die Dame erzählte ferner, in welch freundschaftlichem Verhältnis ihr Gemahl, der Imam, mit der britischen Majestät stehe, und daß er von dieser ein schönes Schiff erhalten habe.
Die Königin-Mutter arbeitete an dem Saum eines Taschentuches, und als sie meine Blicke darauf gerichtet sah, zeigte sie mir den Saum mit der Frage, ob sie es auch recht mache. Sie habe von europäischen Damen nähen gelernt, und es mache ihr großes Vergnügen. Dies war das erste und einzige Mal, daß ich eine asiatische Dame mit Handarbeit beschäftigt sah. Bald erschien ein Eunuche und legte ehrerbietig der Königin-Mutter einen Brief zu Füßen, den sie hastig erbrach, indem sie mir erklären ließ, er sei vom Imam, der, im Krieg abwesend, ihr Nachricht von seinen Erfolgen gebe. Es schien sie sehr zu freuen, einen Beweis seiner hervorragenden Talente geben zu können. Später wurden uns köstliche Früchte und Konfitüren auf Kristalltellern serviert. In dem Augenblick, als dies geschah, erhoben sich die Damen und entfernten sich in ein Nebengemach. Mich befremdete es, daß sie uns gerade in diesem Augenblick verließen. Auf mein Befragen wurde mir geantwortet, es sei üblich, damit der Gast nach Herzenslust esse. Darin liegt wirklich ein zarter Zug der Gastfreundschaft in Ländern, wo der Fremde tagelang hungernd und dürstend brennende Wüsten durchwandert und sich für kommende Tage im voraus sättigen muß. Mir fiel unser Ritt nach Bagdad ein und die Abfütterung der Annasi-Häuptlinge bei ihrem Besuch des Euphratbootes, ehe sie sich für fähig hielten, mit Anstand, ohne ihre würdevolle Haltung zu kompromittieren, Gäste an einer europäischen Tafel zu sein. Der Heißhunger ist ein schlechter Zeremonienmeister!
Als die Damen wieder ins Zimmer traten, blickte unser metamorphisierter Schiffsjunge die vor ihm aufgetischten Herrlichkeiten mit trauriger Miene an. Von der Prinzessin aufgefordert zuzulangen, erwiderte er, auf seinen roten Gürtel blickend, der nicht so lose wie die abgelegte Schiffsjacke seinen Leib umschloß, mit feuchten Augen: »My belly is so full!«, welche Äußerung, von ihm ins Arabische übersetzt, den feinen Lippen der Damen ein heiteres Lächeln abnötigte. Sie luden ihn ein, so viel von den Konfitüren und Früchten einzustecken, wie die weiten Pumphosen fassen könnten. Nicht zweimal ließ er sich das sagen. Rasch hatte er seine Kleider so vollgestopft, daß sein kleiner Kopf mit den dünnen Armen unmittelbar an zwei ausgespreizte Elefantenfüße angesetzt schien und er eine höchst komische Figur machte.
Ich hatte bemerkt, daß die Damen mich häufig mit einer gewissen Verlegenheit fixierten und, nachdem sie mir ins Gesicht geblickt, die Augen verschämt niederschlugen. Auf mein Befragen erfuhr ich, daß mein unbedecktes Gesicht ihnen anstößig sei, so wie es uns die Erscheinung einer nackten Person sein würde. Sie baten, mir eine Maske anlegen zu dürfen, und nachdem eine Dienerin mir eine vorzüglich schön verzierte umgebunden hatte, riefen sie einstimmig aus: »Tahip, tahip, schön, schön!«
Zum zweiten Mal mußte ich die beschämende Erfahrung machen, daß die Bewunderung meiner Schönheit nicht meinen persönlichen Reizen, sondern lediglich den angelegten Toilettengegenständen galt. Ist es wohl in Europa, in dem Land, wo Künste, feiner Geschmack und Ästhetik par excellence kultiviert werden, viel anders? Wird nicht auch dort manche Schönheit erst recht bewundert, nachdem sie durch eine oft absurde Mode halb entstellt ist? Das Auffallendste hier war das Verbergen des Gesichts im Gegensatz zu der unzulänglichen Umhüllung der Gestalt mit durchsichtigem Krepp, der die Körperformen völlig durchscheinen läßt.
Man sagte mir, das Bedecken des Gesichts werde sehr streng beobachtet, und der Anblick eines entblößten Frauengesichts sei den Frauen selbst höchst peinlich. Nicht einmal die Mutter sieht das Gesicht ihrer Tochter nach dem zwölften Jahr unbedeckt, nur dem Eheherren steht das Recht zu, die Maske zu lüften.
Nach manchen Fragen und gegenseitigen Mitteilungen, die viel Intelligenz und fortgeschrittene Geistesbildung der Prinzessinnen bewiesen, wie ich sie noch bei keinen muselmännischen Frauen, selbst nicht bei den asiatischen Christinnen, gefunden hatte, schied ich von ihnen, die schöne Maske, die ich als Andenken gern behalten hätte, mit Bedauern wieder in ihre Hände zurückgebend.
Wir mußten unserem Versprechen gemäß gegen Abend zum Schiff zurückkehren.
Nostiz, Pauline Gräfin
Johann Wilhelms Helfers Reisen in Vorderasien und Indien
Leipzig 1873
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Arabien, 25 v. Chr. bis 2000 n. Chr.
Wien 2002