Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1763 - Carsten Niebuhr
In den Kaffeegärten
Jemen

Meine Reisegefährten, die ich zu Hadie anzutreffen glaubte, waren in den Kaffeegärten auf dem Berge. Ich folgte ihnen ungefähr nach Ostnordost von Hadie auf dem Weg nach Kusma und erreichte sie nach zwei Stunden bei Bulgose, einem der Dörfer, die sich vornehmlich vom Kaffeebau ernähren. Maulesel und Esel können auf diesem Gebirge gar nicht gebraucht werden. Man muß es sich gefallen lassen, den steilen Berg zu Fuß hinauf zu klettern, und der Weg ist sehr schlecht, weil er nur selten ausgebessert wird. Trotzdem war er mir sehr angenehm, denn aus den dürren und sandigen Ebenen, die ich in der Tihama gewohnt war, sah ich mich hier zwischen lauter Gärten, und meistenteils zwischen Kaffeeplantagen versetzt.
   Bei Kahhame hatte ich nur einen kleinen Hügel von langen fünfeckigen Steinen gesehen. Hier schien ein großer Teil des Gebirges aus dieser Steinart zu bestehen. Es gibt den abgerissenen Felsen, vornehmlich da, wo das Wasser herunterstürzt, ein schönes Ansehen; denn ein solcher Wasserfall scheint von lauter aufrecht stehenden kleinen Säulen unterstützt zu sein. Diese Steine lassen sich bequem vom Felsen trennen; man benutzt sie daher für die Treppen auf dem Weg, auch für die Mauern, mit denen die Kaffeegärten an der unteren Seite unterstützt werden müssen. Sie kommen also den Einwohnern dieser Gegend trefflich zustatten.
   Der Kaffeebaum ist in Europa hinlänglich bekannt. Er stand bei Bulgose eben in voller Blüte und machte einen angenehmen Geruch. Die Gärten liegen alle stufenweise übereinander. Einige werden bloß durch Regen gewässert. Andere Gärten haben in ihrem obersten Teil große Birkets (Wasserbehälter), in die Quellwasser geleitet wird und nach und nach auf alle Bänke, worauf die Bäume im allgemeinen so dicht stehen, daß die Sonne kaum durchscheinen kann, verteilt wird. Man sagte, daß die Bäume, die künstlich gewässert werden, jährlich zweimal Früchte tragen, aber die Kaffeebohnen sollen dann einmal nicht völlig zur Reife kommen und deswegen nicht so gut sein wie die von der Haupternte.
   Da es hier nicht, wie in der Tihama, an Steinen fehlt, so sind alle Häuser, die in Dörfern wie diejenigen, die zerstreut auf den Bergen liegen, von Stein gebaut. Und obgleich alle im Vergleich zu guten europäischen Häusern nur schlecht sind, so geben sie doch aus der Ferne ein hübsches Ansehen, besonders diejenigen, die auf der obersten Spitze eines Hügels oder Berges liegen und schöne Baumgärten stufenweise um sich herum haben. Wir waren schon hoch über der Tihama, aber noch kaum auf der Hälfte des Weges nach Kusma, dem Wohnort des Dola [Verwaltungsbeamter und Steuereinnehmer] dieses Distriktes, oben auf dem Gebirge. Die Aussichten sind hier gar schön. Wir kamen an eine Stelle, wo man ein Haus hinter einen schräg stehenden Felsen gebaut hatte, und wo die Aussicht überhaupt so malerisch war, daß Herr Baurenfeind [ein Expeditionsmitglied] sie zeichnete.
   Wir blieben die Nacht über in Bulgose. Wir hatten Besuch von verschiedenen Arabern aus diesem Dorf, und als die weggegangen waren, kam unsere Wirtin und einige Weiber und Mägde, die alle begierig waren, Europäer zu sehen. Sie schienen nicht so eingeschränkt gehalten zu werden wie die Mohammedanerinnen in den Städten, denn sie hatten ihr Gesicht gar nicht bedeckt und redeten auch ganz frei mit uns. Herr Baurenfeind zeichnete hier die Kleidung eines Bauernmädchens, das Wasser holte. Ihr Hemd und ihre Beinkleider waren von blau und weiß gestreifter Leinwand. Das Hemd hatte um den Hals und vor den Knien und die Beinkleider unten um die Beine einige mit verschiedenen Farben ausgenähte Zierrate nach der allgemeinen Mode in diesem Land. Weil das Klima auf den Bergen nicht so heiß ist wie in der Tihama, so sind die Frauenzimmer dort auch viel weißer als an der Küste.
   Am 22. März stiegen wir das Gebirge wieder herunter bis Hadie. Dieser Ort ist den europäischen Kaufleuten, die nach Beit el-Fakih kommen, um Kaffee zu kaufen, nicht unbekannt; denn sie kommen im allgemeinen auf einige Zeit hierher, weil die Gegend viel angenehmer ist, besonders weil es hier nicht so heiß und das Wasser besser ist als in der dürren Tihama. Hadie ist eher ein großes Dorf als eine kleine Stadt zu nennen, und seine Häuser sind auch nur schlecht. Der Ort ist bloß wegen des Kaffeehandels bemerkenswert. Es werden hier an gewissen Tagen in der Woche viel Kaffeebohnen von den benachbarten steilen Bergen zu Markte gebracht und, nachdem ein gewisser Teil davon an den Dola zu Kusma bezahlt worden ist, eingepackt und auf Kamelen nach Beit el-Fakih oder gleich nach Hodeida gebracht.
   Wir hatten auch vom Haus des Unter-Dola zu Hadie eine vortreffliche Aussicht. Vor uns war ein tiefes Tal mit verschiedenen Absätzen, die mit Korn und Gartenfrüchten besät waren, und hinter ihnen lagen verschiedene steile Berge, was alles zusammen einen so außerordentlichen Prospekt machte, daß Herr Baurenfeind ihn für wert hielt, gezeichnet zu werden.
Von Hadie nach Bei el-Fakih gingen wir denselben Weg zurück, den wir gekommen waren.
   Nirgends im Jemen machten uns die Einwohner unsere Beobachtungen weniger beschwerlich als zu Beit el-Fakih. Da sie gewohnt waren, Europäer zu sehen, nämlich einige wenige Kaufleute, die wegen des Kaffeehandels hierher kommen, und da sie schon wußten, daß diese nicht den ganzen Tag so ruhig auf einer Stelle sitzen können wie die Morgenländer, so achteten sie nicht auf unsere Spazierreisen; und wenn sie uns auch deswegen befragten, so unterließen wir nicht zu sagen, daß dieses notwendig zur Erhaltung unserer Gesundheit wäre, und damit waren sie zufrieden. Unseren Freunden, mit denen wir immer überlegten, ob wir mit Sicherheit nach diesem oder jenem Ort gehen könnten, war es unbegreiflich, wie Herr Forskål und ich Vergnügen finden konnten, beständig in der großen Hitze herumzureisen, da sie als geborene Araber in der heißen Jahreszeit am Tag nicht ohne Not aus ihren Häusern gingen. Da wir vorgaben, daß wir nach Tranquebar in Ostindien zu gehen gedächten, und schon so weit von Europa entfernt waren, so glaubten sie, daß wir Grund hätten, alle Nebenreisen zu vermeiden und besser für unsere Gesundheit Sorge zu tragen. Es befremdete die Araber, daß wir einen so weiten Weg gekommen waren, ohne Handel zu treiben. Man konnte nicht begreifen, wie wir so viel Geld verzehren könnten, ohne etwas zu verdienen, man mutmaßte, wir könnten Gold machen, und der Botanicus sei deswegen immer auf den Bergen, um ein gewisses Kraut zu suchen, das ihrer Meinung nach hierzu notwendig ist. auch meinten sie, daß ich heimliche Künste verstehen müßte, weil ich die Sterne oft beobachtete.
   In der Tihama reist man mit der größten Sicherheit sowohl des Nachts als auch bei Tage; in den bergigen Gegenden aber begibt man sich nicht gerne bei Nacht auf den Weg, und selbst bei Tage könnte auf solchen Nebenwegen, wie ich sie nehmen wollte, für einen einzelnen Reisenden etwas zu fürchten sein. Überdies war mir der Dialekt der Araber in den bergigen Gegenden noch unbekannt. Ich suchte daher meinen Freund Forskål zu überreden, die Reise mit mir zu machen; denn von ihm hatte ich nicht nur Gesellschaft, sondern auch Hilfe in der Sprache, da er auf den Kaffeebergen schon viele Wörter gelernt hatte, die in der Tihama gar nicht gebräuchlich sind und mir daher unbekannt waren. Forskål war nicht lange im Zweifel, eine solche Reise anzutreten, von der er ebenso viel Vorteil haben konnte als ich. Wir brauchten dazu nicht mehr Vorbereitung als zu unseren vorhergehenden kleinen Reisen. Wir mieteten zwei Esel, und deren Eigentümer, der uns zu Fuß folgen mußte, war unser Wegweiser und Bedienter, und bisweilen auch unser Dolmetscher. Wir beide hatten schon einen ehrwürdigen arabischen Bart, und auch in der langen Kleidung ein ziemlich morgenländisches Aussehen. Damit wir aber noch weniger für Europäer gehalten werden möchten, so nahm jeder von uns einen arabischen Namen an, und diese unsere Anstalten überredeten selbst unseren Eseltreiber, daß wir keine Europäer waren, sondern etwa morgenländische Christen sein müßten.

Niebuhr, Carsten
Reisebeschreibung nach Arabien und den umliegenden Ländern
Kopenhagen 1774

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Arabien, 25 v. Chr. bis 2000 n. Chr.
Wien 2002

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