Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1183 - Ibn Dschubair
Die Kreuzritter im Roten Meer und vor Medina

Als wir im Monat Muharram (26. April - 26. Mai) in Alexandria waren, sahen wir eine große Volksmenge hinausströmen, um die Gefangenen aus dem Lande Rum [eigentlich Byzanz, hier sind die Kreuzfahrerstaaten gemeint] anzusehen.
   Auf Kamele gebunden, das Antlitz gegen den Schweif gewandt, wurden sie in der Mitte von Pauken- und Trommelschlägern in die Stadt gebracht. Die Aufschlüsse, die wir über sie auf Fragen erhielten, waren derartig, daß die Leber beinahe vor Bedauern und Entrüstung geplatzt wäre. Die Christen in Sam [Palästina] hatten nämlich an den Orten, die dem Meer von Kulzum [dem Golf von Suez und dem nördlichen Roten Meer] am nächsten lagen, Schiffe gebaut, die zerlegbaren Teile dann auf Kamelen der umwohnenden Beduinen, mit denen sie sich über den Preis verständigt hatten, an Ort und Stelle hinbringen, sie dunkel anstreichen und die einzelnen Stücke zusammenfügen und ineinanderpassen lassen.
   Vom Stapel gelaufen, suchten sie den Hadsch-Pilgern den Seeweg zu verlegen. Sie kamen ins Meer von Jemen und verbrannten dort 16 Schiffe. Bis Aidab [an der ägyptischen Küste, etwa auf der Höhe von Jeddah] segelnd, nahmen sie ein mit Pilgern beladenes, von Jeddah her kommendes Schiff; zu Lande bemächtigten sie sich ebenfalls einer starken, von Kus [nördlich von Luxor am Nil] gegen Aidab ziehenden Karawane, deren Reisende sie alle töteten, ohne auch nur einen am Leben zu lassen. Außerdem fielen zwei Kauffahrteischiffe Jemens in ihre Gewalt. Eine große Menge von Lebensmitteln, die zum Unterhalt von Mekka und Medina bestimmt war, verbrannten sie an dieser Küste.
   Solch schreckliche Nachrichten vernahm man niemals im Islam, noch getraute sich fürwahr ein Römer, in diese Gegend zu kommen. Ja, das Schrecklichste, was man hören konnte, war, daß sie die Absicht hegten, in die Stadt des Propheten einzudringen und ihn aus seinem heiligen Grabe zu entführen.
   Diese Nachrichten liefen von Mund zu Mund; doch Allah züchtigte sie und ließ die Strafe zur Tat werden. Sie waren keine Tagesreise mehr von Medina entfernt, als er ihre Bosheit rächte; mit den in Kairo und Alexandria gebauten Schiffen, die mit Matrosen aus dem Maghreb bemannt waren, lief der Flottenführer Lulu gegen den Feind aus, der ihm beinahe entwischt wäre, und er bemächtigte sich seiner, nachdem er ihm über eineinhalb Monate nachgespürt hatte. Nach einem Gemetzel wurden die übrigen als Gefangene abgeführt und einige von ihm nach Mekka und Medina gebracht, um dort hingerichtet zu werden. Allah hatte durch sein Eingreifen den Islam beschützt und durch diese Großtat die Gemüter der Muslime beruhigt; Lob ihm, dem Herrn der Welten!

Goergens, E.P. (Hg.)
Arabische Quellenbeiträge zur Geschichte der Kreuzzüge
Band 1, Berlin 1879; Nachdruck 1975

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Arabien, 25 v. Chr. bis 2000 n. Chr.
Wien 2002

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!