Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1883 - Julius Euting
Beim Emir von Hail und seinen Pferden

Gegen Abend schickte der Emir nach uns, um uns das Schloß zu zeigen und um seine Pferde vorzuführen. Ich verstehe nicht viel von Pferden und will deshalb auch nichts fabeln von den berühmten arabischen Pferden, aber die schon so viel von Berufenen und Unberufenen geschrieben worden ist. Nur möchte ich verschiedenen weitverbreiteten Irrtümern entgegentreten. Vor allem bitte ich mir zu glauben: Die Anzahl der Pferde in Inner-Arabien ist eine überraschend geringe. Im ganzen können allerhöchstens 500 Stück in der Nedjd gezählt werden, die sich mit Ausnahme von 30 bis 40 samt und sonders im Besitz des Emirs und seiner Familie befinden. Wohl mögen noch vor 40 Jahren etwa 100 Stück mehr in der Nedjd vorhanden gewesen sein; Abbas Pascha von Ägypten, ein großer Liebhaber von edlen Pferden, hat aber dazumal was er irgend an guten Tieren erreichen konnte durch seine dorthin gesandten Händler zu unglaublich hohen Preisen aufkaufen lassen. Leider sind die etlichen 80 nach Ägypten verbrachten Tiere unter den veränderten Daseinsbedingungen gänzlich aus der Art geschlagen, haben auch, in Folge des reichlichen Grünfutters im Nildelta, durchweg dicke Hälse bekommen und zuletzt überhaupt ihre gepriesenen Tugenden so ziemlich eingebüßt.
   Von einer eigentlichen Pferdezucht ist in der Nedjd nicht die Rede; da wird alles der Natur selbst überlassen, wenn nur die Rasse, das heißt der Stammbaum, rein ist. Den Ruhm der arabischen Pferde haben im Grunde die Dichter besorgt und zu verantworten; besungen wird, was selten, kostbar, hervorragend ist. Und da ist zu bedenken, daß die Vorzüge des arabischen Pferdes in erster Linie relative sind gegenüber den nach vielen Tausenden zählenden Kamelen. Im Kriege, beim Angriff und bei der Verfolgung oder als Retter auf der Flucht ist das Pferd nicht an Ausdauer, aber an augenblicklicher Kraftleistung, Schnelligkeit und Lenkbarkeit dem feinsten Delul [Reitkamel] weit überlegen; seine Leistungen werden darum von der dichterischen Phantasie gern aufgegriffen, zumeist aber übertrieben. Die paar hundert Pferde des Fürsten stehen das ganze Jahr in den besten und wasserreichsten Weidegründen 5 bis 10 Tage im Norden und Nordosten von der Residenz Hail und haben sich da mit dem gewöhnlichen Wüstenfutter zu begnügen, wie es die Kamele und Schafe auch haben. Sobald aber auch nur an den entferntesten Grenzen des Reiches ein Raubzug vermutet oder gemeldet wird, werden die kostbaren Tiere sofort ein paar Tage näher an die Residenz herangezogen. Führt der Emir selber einen Raubzug im Schilde, dann werden die Pferde wochenlang vorher täglich mit ein paar Handvoll Gerste gefüttert; und setzt sich der Raubzug (Razu) mit 3.000 bis 4.000 Teilnehmern zu Delul in Bewegung, so werden in den 8 bis 10 Tagen seiner Dauer, bei täglich 20- bis 22stündigem Marsch, die Pferde lose neben den Kamelen, die für sie noch Wasservorrat und Gerste tragen müssen, hergeführt und erst im Moment des Angriffs und zur Verfolgung bestiegen. Ganz anders freilich sieht es mit den Pferden aus bei den Beduinen außerhalb der Nedjd, also z. B. bei den Anezeh, Rualah, Wuld Ali, die, in der Syrischen Wüste gegen den Euphrat zu wohnend, günstigere Futter- und Wasserverhältnisse haben; bei diesen kann von einem gewissen Reichtum an Pferden die Rede sein, aber dafür wohl um so weniger von Reinheit der Rasse. Über diesen letzteren Punkt steht mir indes kein Urteil zu.
    Und nun zu den Pferden des Fürsten. In dem großen, einen ganzen Stadtteil mit fortlaufenden Mauern bildenden Baugefüge des Schlosses befindet sich auf der Nordseite eine Anzahl Höfe mit den Ställen. Dorthin begaben wir uns unter Führung des Emirs in großer Begleitung der Prinzen. Da standen im Freien die Pferde, nach Alter und Geschlecht getrennt, an den Füßen angebunden und mit schweren Teppichstücken zugedeckt. Auf einen Wink des Fürsten wurden die Teppiche abgenommen, und wir sollten nun unser Urteil abgeben. Der erste Eindruck war nichts weniger als günstig: Die Tiere waren erbärmlich mager, unansehnlich, wenig gepflegt. Etwas ungeduldig über unsre Zurückhaltung drängte der Emir zu einer Äußerung. Ich erklärte ihm vor allem, ich verstünde nicht genug von der Sache, doch schienen mir die Tiere durchweg von der edelsten Rasse. Bestätigend erklärte er mir einige Hauptkennzeichen der nedjdäischen Rasse. Zu einem Vergleich mit europäischen Tieren aufgefordert, erlaubte ich mir zu bemerken, die Pferde im Christenland seien jedenfalls an Größe überlegen. »Ja, das ist leicht möglich, dafür wollen sie mehr fressen und können keinen Durst ertragen; weiche Pferde aber können wir in unserem Lande nicht brauchen.« Damit mochte er nicht so unrecht haben; an Härte und Ausdauer werden die Pferde in der Nedjd, ebenso wie ihre beduinischen Herren, kaum zu übertreffen sein. – In einem anderen Hofe wurde, reich gesattelt und geschirrt, ein großer schwarzer Hengst vorgeführt, den ich unverhohlen bewunderte. Der sei aber ein Saklawi, aus Mesopotamien stammend. Abgetrennt von da befanden sich in einem großen Raum ein Dutzend Fohlen. Nach landläufiger Sitte waren ihnen, wie allen Pferden unter drei Jahren, die Schwanzhaare vollständig abgeschnitten, so daß nur die kahle Rübe übrig war. Was das für einen Zweck hat, weiß ich nicht; jedenfalls ist der Anblick für den Ungewohnten geradezu lächerlich. Zuletzt wurde uns noch in einem kleinen Hofe das Lieblingsdelul des Fürsten, eine Stute von der Rasse Nomanijjeh, gezeigt. Das Tier, erst seit heute einen neuen Schmuck tragend, nämlich im rechten Nasenflügel eingeschraubt einen stattlichen, in Silber gefaßten Türkis, mochte allmählich zu der Überzeugung gekommen sein, daß das sehr schön sei, war aber doch noch nicht ganz mit der Neuheit befreundet und drehte deshalb von Zeit zu Zeit den Kopf auf die Seite, um besser auf den Türkis schielen zu können.
   Von den Pferden ging's weiter in den verwahrlosten Schloßgarten; zwischen Palmen wuchsen, zur bloßen Zierde, zerstreut noch einige andere Bäume, Feigen-, Zitronen-, Orangen-, Granatapfel-, Pfirsichbäume. Zur Bewässerung wurde das nötige Wasser aus einem 17 Klafter [knapp 34 m] tiefen Brunnen durch drei Kamele emporgezogen. Zu anderen Zeiten hielt der Emir in einem eingehegten Teile des Gartens einige Tiere wie Gazellen, Steinböcke oder auch Bakar al-Wahsch (große weiße Antilopenart), hat sie aber, zum Teil wegen Bösartigkeit, wieder abgehen lassen.
   Nicht ohne Stolz wurde uns dann die Schloßküche gezeigt, in der sich sieben Kupferkessel befanden, geräumig genug, um in jedem das Fleisch von einem ganzen Kamel sieden zu können. Für gewöhnlich werden täglich im Durchschnitt 150 bis 200 Menschen im Kasr [Schloß] gespeist mit Schaffleisch und Reis aus dem Irak. Es gibt aber Zeiten - zum Beispiel kurz vor dem Aufbruch zu einem Raubzug oder wenn die persische Pilgerkarawane durchkommt -, wo an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen 800 bis 1.000 gespeist werden.
    Am Gefängnis vorüber, einem gewöhnlichen Lehmziegelbau, der hinter der offenstehenden Tür nur ein paar gekerbte Balken aufwies (um Verbrecher in den Block spannen zu können), verließen wir das Schloß durch ein Tor auf der Südwestecke.
   
Euting, Julius
Tagebuch einer Reise nach Inner-Arabien
1. Teil, Leiden 1896

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Arabien, 25 v. Chr. bis 2000 n. Chr.
Wien 2002

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