Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1843 - Adolph von Wrede
Der erste Europäer im Hadramaut
Huraiba, Wadi Dauan

Um 1/2 9 langten wir an dem Ort unserer Bestimmung, der Stadt »EI Choraybe« an. Mein Führer belud sich mit meinem Gepäcke und führte mich durch die engen, krummen und steilen Straßen in das Haus des Schaych »Abd Allah Ba Ssudan«. Die neugierige Stadtjugend lief von allen Seiten herbei, um den Fremden zu sehen, jedoch ohne mich zu belästigen oder gar zu beleidigen; im Gegenteil betrug sie sich sehr anständig und drängte sich heran, um mir die Hand zu küssen.
   Nach wiederholtem Klopfen wurde die Türe von einem hochgewachsenen jungen Manne geöffnet, der sich als »Schaych Abd el Qadir« und Sohn des Hauses gab, weshalb ich ihm, der Sitte des Landes gemäß, die Hand küßte. Er hieß mich willkommen und führte mich eine schmale dunkle Treppe hinauf, in ein Zimmer im oberen Theil des Hauses, von dem aus ich eine herrliche Aussicht in das Thal genoß.
   Hier entrichtete ich den Gruß von dem Schaych Mohammed el Ba Harr und übergab ihm das Empfehlungsschreiben an seinen Vater. Zu gleicher Zeit bat ich, demselben vorgestellt zu werden; man sagte mir aber, daß er ruhe, und gab mir das Versprechen, mich Nachmittag zu ihm zu führen. - Gleich darauf erschienen noch drei andere Söhne des Hauses, die Schaychs Mohammed, Ahmed und Abu Bekr, welche mich bewillkommneten und sich angelegentlich nach meinem Befinden und dem Verlauf meiner Reise erkundigten. - Hierauf kam ein Sklave, wusch mir die Füße und rieb sie mit Butter ein. Es herrscht diese Sitte in allen Gegenden dieses Landes, und der Reisende würde ein Recht haben, sich über einen Mangel an Aufmerksamkeit Seiten seines Wirtes zu beklagen, im Falle sie nicht beachtet würde. Dasselbe gilt vom Räuchern der Stube mit Weihrauch - welches täglich fünf- bis sechsmal geschieht. Nach einiger Zeit brachte ein bereits erwachsenes Mädchen Kaffee und Datteln. Es war die Schwester des jungen Schaych, »Sophie«, ein Name, den ich hier nicht zu finden hoffte. Noch mehr aber wunderte ich mich, sie mit unbedecktem Gesicht vor einem Fremden erscheinen zu sehen, welches hier, wie ich später erfuhr, allen unverheirateten Mädchen gestattet ist.  Nachdem wir den Kaffee getrunken hatten, entfernten sich die Schaychs, damit ich mich ungestört der Ruhe überlassen könne.
   Mir selbst überlassen überdachte ich meine Lage, deren Schwierigkeiten ich mir nicht verhehlen konnte. Ich befand mich auf einem Boden, der, als heilig anerkannt, nur von Mohammedanern betreten werden darf, und überdies in dem Hause eines Mannes, der von dem höchst fanatischen Volke wie ein Heiliger verehrt wurde.
   Bei den Beduinen, welche ihre eigene Religion wenig kennen - und fast keine ihrer Vorschriften befolgen - ist es leicht, als Muselmann zu gelten. Hier aber hatte ich es mit Leuten zu tun, welche als handfeste Theologen auch die kleinsten Fehler bemerken und bei einem schärferen Examen leicht die Entdeckung machen konnten, daß ich kein Mohammedaner sei. Geschah dies aber, so wurde ich ohne Weiteres der Wut eines fanatischen Pöbels Preis gegeben. Bei einer Religion, wie die mohammedanische, welche fast einzig und allein darin besteht, einige Stellen des Korans unter sinnlosen Gestikulationen herzuleiern und bei dem Gebote die vorgeschriebenen Formen zu beobachten, scheint es freilich ein Leichtes zu sein, als Bekenner derselben aufzutreten; aber es gibt eine Unzahl von Kleinigkeiten, welche berücksichtigt werden müssen.
   So unterscheiden sich z. B. die beiden Sekten der Hanefy und Schafi'y unter Anderem dadurch, daß Erstere bei der Abwaschung (Ablution) Arme und Füße »nur bis zum Ellbogen und Knöchel«, Letztere hingegen »vier Finger breit höher waschen«, und andern Unsinn mehr. - Dann darf ein echter Muselmann nicht anders als mit der rechten Hand Speise und Trank zum Munde führen, nichts unternehmen, ohne vorher die Worte auszusprechen- »B' ism illah er rahman errahym«, d. h. »im Namen des allbarmherzigen Gottes!« Er darf keinen Gegenstand auf die Erde werfen oder auf die Erde werfen sehen, ohne »tesdur«, d. h. »erlaube« zu sagen, und dergleichen mehr. - Solcher Kleinigkeiten giebt es, wie gesagt, eine unzählige Menge, die ein echter Muselmann streng befolgen und beachten muß, und man muß wirklich ein geborener Muselmann sein, um alle diese Abgeschmacktheiten genau kennen zu können.
   Man kann hiernach abnehmen, welche Vorsicht ich anwenden mußte, um nicht aus der Rolle zu fallen, und ich folgte daher am Nachmittag mit klopfendem Herzen einem Diener, der mich zu dem alten Schaych führte.
   In einem Zimmer des oberen Stockwerks, welches mit ellenbreiten Streifen eines schwarzen, grobgewebten Wollenzeuges bedeckt war, und keine andern Möbel enthielt, als einen mit Büchern gefüllten Wandschrank, saß in einem Winkel auf persischem Teppiche der Schaych Abd Allah Ba Ssudan, ein etwa 70jähriger, hagerer, vollkommen erblindeter Greis. - Um ihn, mit aufgeschlagenem Koran in der Hand, seine Söhne, nebst einem halben Dutzend junger Scheryf und Ssayydy.
   Bei meinem Eintritte standen Alle, mit Ausnahme des alten Schaych, auf und erwiderten meinen Gruß: »Eß Ssalam alaykom!«, d. h. »Friede sei mit Euch!« mit der üblichen Antwort: »Alaykom eß Ssalam!«, d. h. »Mit Euch sei Friede!« Ich schritt dann auf den ehrwürdigen Alten zu und küßte ihm beide Seiten der Hand, welches er aus Höflichkeit zu verhindern suchte; ich wandte mich hierauf zur Versammlung und sprach der Sitte gemäß, »Haqq esch Scheraf!«, d. h. »das Recht der Scheryfe!«, worauf sogleich alle Scheryfe und Ssayydy, unter welchen auch ein 12jähriger Knabe - mir die Hände entgegenstreckten, welche ich denn auch pflichtschuldigst beroch. Die Art und Weise, mit der sie diese Ehrenbezeigung annehmen, war so anmaßend und impertinent stolz, daß nur der Drang der Umstände mich vermochte, meinen Widerwillen zu überwinden.
   Die Söhne meines Wirts, denen ich als Schaychs die Hände küssen mußte, ließen nach vielem Widerstreben meinen Mund die Finger streifen und wollten den Handkuß erwidern.
   Nachdem diese Zeremonie beendet war, nahm ich im Kreise Platz; ich mußte dem Schaych über mein Vaterland, den Verlauf und die Absicht meiner Reise Rechenschaft geben.
   Dann frug er mich, zu welcher Sekte ich gehöre, worauf ich ihm die Hanefy nannte, zu welcher Sekte sich fast alle Ägypter bekennen. Zu meinem unendlichen Vergnügen war das die einzige Frage, welche die Religion betraf.
   Dagegen mußte ich von Ägypten und Moharmmed Alyy, welchen der alte Schaych früher während seiner Pilgerreise nach Mena in Dschedda gesehen und gesprochen hatte, viel und ausführlich erzählen. Da der Alte wahrscheinlich noch einige Kapitel des Koran mit seinen Zöglingen durchnehmen wollte, so empfahl ich mich und ging in mein Zimmer zurück.
   Am Abend kamen mehrere Scherife und statteten mir ihren Besuch ab, während welchem sich das Gespräch um Ägypten, seinen Beherrscher und den Zustand ihres Landes drehte. Schaych Abd el Qadir machte mich auf einen Schaych aufmerksam, der, wie er mir sagte, alle Gegenden des Hadhramaut kenne. Ich knüpfte daher mit diesem Manne ein Gespräch an, welches ich nach und nach auf die »Hypogäen« lenkte, welche nach Fresnel im Wadiy Doan existiren sollen. Er teilte mir mit, daß sich bei der Stadt Meschhed Alyy an der Mündung des Wadiy Ghaybun in den Wadiy Hadscharyn etwa »40 Grabmäler« befänden, welche er mir aber, nicht als in Felsen gehauen, sondern als kleine Häuser beschrieb, welche aus behauenen Quadern aufgeführt wären. Diese Gebäude, beschrieb er, hätten nur eine Kammer und über dem Eingange eines jeden befände sich eine Inschrift, die Niemand lesen könne. Ähnliche Inschriften, erzählte er mir, fände man auch in Beled e Hadschar, namentlich im Wadiy Obne.
   Außer andern merkwürdigen Mitteilungen, welche ich an Ort und Stelle näher bemerken werde, erfuhr ich von ihm, daß die Gegend, welche ich von Kakalla aus bereist hatte, sowie auch der Wadiy Doan und andere Täler, welche er mir nannte, zu einer Provinz gehören, welch Beled beny Yssa (das Land der Söhne Yssa's) genannt würde, und nicht zum eigentlichen Hadhramaut, welches einige Tagereisen nach Nordosten läge, u.s.w.
   Jede Stadt, ja fast jedes Dorf des Wadiy Doan hat seinen Herrn, der sich die verschiedenen Titel »Sultan«, »Dawlet«, »Naqyb« oder »Dula« beilegt.
   Alle diese kleinen Fürsten oder vielmehr »Feudalherren« sind zwar einer von dem andern unabhängig, stehen aber sämtlich unter dem Schutze oder vielmehr der Herrschaft der hier hausenden Stämme EI Chamiye und Moraschide, denen sie einen jährlichen Tribut entrichten müssen. Bei vorkommenden Streitigkeiten zwischen zweien dieser Sultane werden sie gewöhnlich als Schiedsrichter von denselben anerkannt. Eine Anzahl Beduinen der beschützenden Stämme wohnen mit den Sultanen in ihren Türmen, welche außerhalb der Städte so angelegt sind, daß sie dieselben beherrschen. Durch diese Einrichtung haben die Beduinen nicht nur die Stadt, sondern auch den Sultan in ihrer Gewalt. Die beiden hier herrschenden Stämme sind Unterabteilungen des Stammes Beny Ssayban.  Der Schaych des Stammes Chamiye heißt Hossayn ba Sohra ben Amudy, und der Schaych des Stammes der Moraschide heißt Abd er Rahman ba Qorra ben Amudy, und wohnen beide zu Choraybe. Der Sultan, der zur Zeit meiner Ankunft dort regierte und dem auch das gegenüberliegende Dorf Esch Scharq gehört, hieß: Menacih ibn abd Allah ibn ben Yssa el Amudy, und stammt, wie alle seine Collegen, in gerader Linie von dem heiligen Ssa'yd ibn Yssa el Amud ibn Hodun ibn Hud ab. Er residiert in einigen festen Türmen, die südlich von der Stadt, nur durch eine tiefe Schlucht oder Hohlweg von derselben geschieden, dergestalt liegen, daß sie einen großen Teil der Stadt beherrschen. Die Gruppen von Türmen heißen »EI Arr«.
   EI Choraybe liegt an der westlichen Seite des Wadiy und zählt ungefähr 6.000 Einwohner, welche den Geschlechtern der Amudy und Qorayschy ingehören und sich mit Ackerbau und Handel beschäftigen. Die Straßen sind eng und abschüssig, mit Kiesel gepflastert und überall mit Kehricht bedeckt, den man nur dann und wann hinwegräumt, um ihn als Dünger zu gebrauchen. - Fast neben jedem Hause befindet sich eine kleine Lache, in welche sich Wasser und Unrat sammelt und mehr wie einen Sinn unangenehm berührt. - Dieses macht das Gehen auf den Straßen eben nicht angenehm, besonders, da man immer besorgen muß, von oben herab mit schmutzigem Wasser begossen zu werden. - Die Form der meist vier, auch fünf Stock hohen Häuser erinnert mich an die der Tempel der alten Ägypter, welche, wie sie, oben schmäler als unten sind.
   Die Fenster sind verhältnismäßig sehr klein und werden nur mit starken Läden von hartem Holze verschlossen, da Glasscheiben unbekannt sind. Außer dem Fundament, welches aus unbehauenen Steinen etwa sechs Fuß hoch über den Erdboden reicht, ist der obere Teil der Häuser, welche, obgleich in der Sonne getrocknete aus Lehmziegeln aufgeführt, dennoch sehr dauerhaft sind.
   Die Terrasse steht ungefähr 2 Fuß vor, und ist mit einer ungefähr 4 Fuß hohen Mauer umgeben. In jedem Stocke sind die Zimmer durch einen Gang verbunden, auf welchen die schmale Treppe ausmündet. Die Wände der Zimmer, Treppen, Gänge, sowie auch deren Fußböden und die Stufen der Treppe sind mit einem tonigen Cement belegt, in denen zur Zierrat breite, wellenförmige Streifen eingedrückt sind. Die Hausthür ist sehr niedrig und geschmackvoll mit Schnitzwerk verziert, in der Regel ist auch ein Spruch aus dem Koran darauf angebracht; die Einrichtung der Zimmer ist sehr einfach, denn außer einem Wandschrank, dessen Tür mit eingeschnitzten Arabesken und großen messingenen Nägelknöpfen geschmückt ist, sieht man keine Möbel. Der Fußboden ist entweder ganz oder nur längs den Wänden mit dem oben erwähnten schwarzen Wollenzeuge bedeckt, und an den Wänden hängen Luntenflinten, Säbel, kurze Lanzen und Schilde. - An der Wand, welche der Ka'ba (Mekka) zugewandt ist, hängen mehrere kleine Matten, auf denen man das Gebet verrichtet. In allen nach Augen gehenden Wänden und im vorspringenden Theile der Terrasse sind runde Schießlöcher angebracht. - Die Wohnungen der Sultane und großen Schaychs erkennt man an den »Hörnern des Steinbocks«, welche auf der Terrasse und allen oder einigen Ecken eingemauert sind.
   Die Stadt besitzt drei Moscheen und einen kleinen »Basar«, in welchem sich höchstens einige zwanzig spärlich ausgerüstete Kaufläden befinden. Die Häuser sind von außen so dicht aneinander gebaut, daß sie die Stelle der Stadtmauern vertreten; roh gearbeitete starke, hölzerne Gitter verschließen die Ausgänge der Straßen. Brunnen befinden sich sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Stadt mehrere, welche ein vortreffliches Trinkwasser in gehöriger Menge liefern.
   Mit Sonnenuntergang stand der Thermometer bei heiteren Himmel und Windstille 20°.
   5. Juli. Am folgenden Morgen machte ich in Begleitung Schaych Abu Bekr's, des jüngsten Sohnes meines Wirths, einen Spaziergang in die Umgebung der Stadt. Während wir über den Basar gingen, bemerkte ich dem Schaych: »daß ich den Basar für eine solche Stadt schlecht versorgt fände«. Darauf entgegnete er mir, daß die Städte Ribat, Raschyd, Awra und Qarrayn keinen Basar besäßen, und daß die Kaufleute ihren größeren Warenvorrat in ihren Häusern hätten. Da aber die beiden Beduinenstämme des Wadiy mit denen der Umgegend fortwährend im Streite lägen, und daher jeden Augenblick ein Überfall möglich sei, so wagten sie es nicht, die in solchen Fällen unbeschützten Kaufläden mit ihren Waren zu füllen. Selbst die beiden sonst befreundeten Stämme gerieten oft innerhalb der Stadt in Streit, wobei die Einwohner für die Einen oder die Andern Partei nähmen, und die den Besiegten zugehörigen KaufIäden gewöhnlich geplündert würden. Aus diesem Grunde verläßt Niemand sein Haus, ohne mit Gewehr und Dolch bewaffnet zu sein, und jeder Kaufmann hat in seinem Laden seine geladene Flinte neben sich stehen.«
   Welch ein Zustand! Keine seelenläuternde Moral legt hier der rohen Gewalt Fesseln an, und in seiner ursprünglichen Roheit herrscht hier noch das Faustrecht. - Die Religion kann keinen mildernden Einfluß ausüben, denn die, welche hier herrscht, ist nicht die Religion der Liebe und Versöhnung, sondern die des Schwertes.
   Die beiden Beduinen-Schaychs, ein Neffe des Sultans und der Qadhy saßen auf einer Erhöhung neben einem Kaufladen, und waren, wie mir mein Begleiter sagte, beschäftigt, Streitigkeiten zu schlichten; eine Menge Beduinen umgaben sie. Es schien mir aber, daß die Furcht des Herrn nicht groß bei ihnen war; denn sie machten einen Lärm, daß man sein eigenes Wort nicht hören konnte. Schaych Abu Bekr machte mich mit dem Schaych bekannt, und nach den landesüblichen Begrüßungen setzten wir uns auf eine Matte nieder; setzten aber, nachdem wir die Neugierde dieser »Gewaltigen« befriedigt hatten, unsern Spaziergang fort. Durch ein enges Gäßchen gelangten wir ins Freie und stiegen in die Schlucht hinab, welche EI Arr von der Stadt trennt und mit Dattelpalmen dicht besetzt ist. Am Abhange der gegenüberliegenden Anhöhe fielen mir die oben erwähnten ansehnlichen Substructionen auf. Sie sind aus roh behauenen Quadern gemauert, welche mit einem steinharten Mörtel verbunden sind und hier und da noch 3-4 Fug über den Schutt hervorragen. - EI Arr besteht aus »12 Türmen«, die dergestalt angelegt sind, daß sie sich gegenseitig bestreichen. Von EI Arr stiegen wir ins Thal hinab, wo ich die Wasserleitungen besah, deren zweckmäßige Anlagen in einem »solchen« Lande wirklich überraschen.
   Das 20 Fuß breite Flußbett, welches, wie die meisten Wadiys, nur nach jedesmaligem Regen Wasser führt, hat auf beiden Ufern 10 Fuß hohe Dämme, deren Breite an der Basis 8 Fuß, im obern Theile aber nur 4 Fuß mißt. Sie sind aus dem festen, mergligen Tone des Wadiy aufgeführt, und mit großen Steinen, sowohl nach außen, als nach innen bekleidet. Hier und da sind in diesen Dämmen kleine runde Öffnungen angebracht, durch welche das Wasser in kleine Kanäle fließt, welche je nach der Höhe des danebenliegenden Terrains höher oder tiefer angelegt sind.
   Die obere Fläche der Dämme ist mit kleinen Steinen gepflastert und dient als Weg für die Fußgänger. - Steinerne Brücken existieren nicht, und nur hier und da sieht man, von einem Damm zum andern, drei bis vier Dattelpalmstämme nebeneinandergelegt. - Da das Thal einen ziemlich starken Fall hat, so sind im Flußbette an verschiedenen Stellen 4-5 Fuß hohe Querdämme oder Wehre gezogen, oberhalb welcher sich das Wasser staucht und dadurch in 4 Fuß breite, ebenfalls eingedämmte Nebenkanäle gedrängt wird, die das Terrain bewässern, welches talabwärts, längs den Abhängen, folglich höher liegt, als die Ländereien neben dem Flußbette.
   Alle diese Anlagen fand ich aufs Beste unterhalten. Der Boden des Tals besteht aus einem fetten, mergligen Thon, welcher mit etwas Sand vermischt ist und sehr fruchtbar sein soll. Längs den Kanälen zieht sich eine üppige Vegetation von Aráa, Tamarisken, Mimosen, Ricinus, Platanen und Sykomoren hin. Die Felder sind auf eben die Art eingeteilt, wie die von Harr Schiwats.
   Choraybe gegenüber mündet der Wadiy Qolle, welcher mit Gärten bedeckt ist, die teils dem Sultan, teils einigen Scheryfen gehören und Bananen, Aprikosen, Citronen, Weintrauben, Gemüse mancherlei Art liefern; unter diesen bemerkte ich Badingan (Solanum melongena), Zwiebeln, Linsen, Rettige (weiße), Petersilie, Bohnen, Lupinen, Gurken, Kürbis, Lattich u. dergl. m.
   An der Südseite des Wadiy Qolle liegt das Dorf Esch Scharq, welches Eigenthum des Sultans von Choraybe ist. Schaych Abu Bekr schlug mir vor, daselbst einen Scheryf seiner Bekanntschaft zu besuchen, worein ich gern willigte, da ich keine Gelegenheit vorübergehen lassen wollte, die mir Belehrung versprach.
   Wir trafen bei dem Scheryf mehrere andere Personen, welche alle sehr erfreut waren, mich zu sehen. Nachdem wir Ehre gegeben, dem Ehre gebührte, ließen wir uns nieder und zogen unsern Kaffeebeutel, aus dem ich 5-6 rohe Kaffeebohnen, nebst einem kleinen Stückchen Ingwer nahm und auf einen aus Palmblättern geflochtenen Präsentierteller legte, den ein Negersklave herumreichte. - Diese sonderbare Sitte herrscht im ganzen Hadhramaut, weshalb auch ein jeder einen kleinen Beutel mit rohen Kaffeebohnen bei sich führt. Es würde als eine Beleidigung gelten, wenn jemand dem, der ihm Besuch macht, mit Kaffee bewirten wollte, bevor nicht derselbe durch das Öffnen seines Kaffeebeutels das Verlangen darnach geäußert hat; eine Ausnahme von dieser Regel ist, wenn der Fremde im Hause wohnt. Das Gespräch war für mich von wenigem Interesse, da ich nur die Neugierde der Gesellschaft zu befriedigen hatte, während sie meine Fragen nur oberflächlich beantworteten. Ich verabschiedete mich daher, sobald der Kaffee getrunken war, und kehrte nach Choraybe zurück.
   Des Nachmittags besuchte mich des Sultans Bruder, ein schöner Mann, von etwa 50 Jahren, dunkler, fast schwarzer Gesichtsfarbe und mit der einfachen Tracht der Beduinen angetan. Er sagte mir, daß sein Bruder, der Sultan, mich zu sehen wünsche und ihn daher geschickt habe, mich zum Abendessen einzuladen; an Schaych Abd el Qadir erging dieselbe Einladung. Natürlich war ich erfreut, den Beherrscher von Choraybe kennen zu lernen, und folgte also in Begleitung Abd el Qadir's dem hohen Führer nach der Residenz.
   Bei unserer Ankunft im Hause des Sultans schritt einer der dort Wache haltenden Beduinen voran und führte uns in die obere Etage, wo er die Türe des Zimmers öffnete, in welchem sich der Sultan befand. An einem Fensterchen des mehr breiten als langen Gemachs saß Menacih, ein hagerer, etwa 70jähriger Greis, auf einem persischen Teppiche, den der Zahn der Zeit bedeutend mitgenommen hatte.
   Wie sein Bruder, war auch er bis zur Hälfte nackt und von dunkler Farbe, von der das blanke silberne Heft der Dschembiye und der mit kleinen silbernen Platten besetzte Riemen seines kleinen Pulverhorns nicht weniger auffallend abstach, als das schneeweiße Haar seines Hauptes und Bartes. Sein Gesicht hatte einen freundlichen edlen Ausdruck und deutete keineswegs sein hohes Alter an.
   Nach beendigtem Begrüßungszeremoniell mußte ich mich neben ihn auf den Teppich setzen, die Kaffeebeutel wurden gezogen und die Bohnen von einem Sklaven gesammelt, welcher bald nachher Kaffee und eine Schüssel mit Datteln brachte.
   Das Zimmer, in welchem wir uns befanden, schien das Prunkgemach zu sein; denn ob es gleich mit dem oben beschriebenen, schwarzen Wollenzeuge bedeckt war, so hingen doch gegen 30 lange Gewehre und eine Anzahl Säbel, Lanzen, Dschembiye (Dolche), Schilde und Patrontaschen an den Wänden umher.
   Der Sultan, welcher mich keinen Augenblick unbeachtet ließ, bemerkte, daß meine Blicke an den Waffen hingen, und rief daher seine Sklaven, die ein Stück nach dem andern herbeibringen mußten. Die Gewehre waren sämtlich mit persischen Läufen versehen, die übrigen Waffen hatten aber nicht viel mehr Wert, als den des daran verschwendeten Silbers. Während ich mit der Besichtigung der Waffen beschäftigt war, kamen die beiden Beduinen-Schaychs Ba Qorra und Ba Sohra, welche ebenfalls eingeladen waren.
   Die Unterhaltung drehte sich nun um Waffen und Krieg, wobei Mohammed Alyy's, des türkischen Sultans, Fadhl'Allyy und der Engländer in reichlichem Maße Erwähnung geschah. Sie erstaunten nicht wenig über Alles, was ich ihnen von der Macht und dem Reichtume Mohammed Alyy's, den sie (nebenbei gesagt) nicht anders nannten, als »den Sultan von Ägypten«, und was ich ihnen von der Macht der Engländer und andern europäischen Mächte erzählte.
   Auch hier fand ich die Meinung eingewurzelt, daß der Sultan der Beny Ottoman König der Könige und seine Macht unwiderstehlich sei. Als ich die wahre Sachlage berichtet hatte, stellte der Sultan die Frage, »warum denn die Macht des türkischen Kaisers heruntergekommen sei?«
   Diese Gelegenheit, mich als eifrigen Moslim zu zeigen, ließ ich nicht unbenutzt vorübergehen und antwortete daher: »Wie willst Du, daß Gott und der Prophet, den Gott für immer verherrlichen möge, ihm Kraft verleihe, wenn er nicht die Gesetze hält, wie es eines Muselmannes Pflicht ist? Das Oberhaupt des Islams schwelgt, wie ein Ungläubiger, im Weine und verdirbt so, durch sein böses Beispiel, die alte Zucht und Sitte seiner Untertanen! Kann es nach diesem anders sein, als daß Gott ihn in die Hände seiner Feinde gibt!« - Ich hätte in diesem Augenblicke Maler sein mögen, um den Ausdruck des Erstaunens und des Abscheus zu kopieren, welcher sich in den Zügen meiner Zuhörer aussprach. - Nach kurzer Pause machten sie ihren Gefühlen durch ein kräftiges »Eschhed Allahl« Luft und verdammten den Sünder mit frommem Eifer in den Abgrund der Hölle. Der Sultan bemerkte dann mit Stolz, »daß der wahre Islam nur noch in ihren Tälern wohnhaft sei und hoffentlich mit der Hülfe Gottes, bis zum Tage des jüngsten Gerichts darin verbleiben werde.« Die Versammlung sprach zu diesem frommen Wunsche ihr »Amen!« und strich mit beiden Händen über Gesicht und Bart.
   Auf meine Frage, ob in ihrem Lande nicht hier und da »Juden« wohnten, antwortete mir der Sultan entrüstet, wie ich so etwas von ihrer Heimat denken könne, ihr Land sei ein Beled ed Dyn (ein Land des Glaubens), in welchem mehr Heilige begraben worden wären, als in allen andern Ländern des Islams und in das weder Christ, noch Jude, noch Baniane (Brahmaverehrer) kommen dürfe.
   Unter solchen Gesprächen war die Stunde der Abendmahlzeit herangekommen, und nachdem wir das Abendgebet verrichtet hatten, wurde eine große runde, aus Palmblättern geflochtene Matte vor uns ausgebreitet, auf der man Weizenbrote in Form großer, flacher Kuchen herumlegte. Eine große hölzerne Schüssel mit Reis, der ohne Salz und Butter bereitet war und auf dem ein halbes gekochtes Schaf lag, wurde nun aufgetragen. Dem Gebrauche gemäß servierte man die Fleischbrühe in einem besondern Gefäß; bei dieser Gelegenheit aber war sie in einem Geschirr enthalten, welches in Europa zu einem ganz andern Zwecke bestimmt ist, nämlich: »in einem ansehnlichen, mit blauen Blumen gezierten - Nachttopfe!« Beim Anblick dieses Geschirres auf der Tafel eines arabischen Fürsten, konnte ich nicht umhin, zu lachen. - Der Sultan, welcher nebst den andern mitlachte, ohne zu wissen, warum, fragte mich nach der Ursache. Ich entschuldigte mich, so gut ich konnte, mit dem Vorwand, an etwas Anderes gedacht zu haben, das in keiner Beziehung mit irgend einem hier vorhandenen Gegenstand stehe. - Gegen das Ende der Mahlzeit ging diese neue Art Suppenschüssel von Mund zu Mund, bis sie geleert war. Ich war neugierig zu erfahren, durch welche Schicksale dieses Geschirr bis hierher verschlagen worden sei, und man sagte mir, daß es ein Kaufmann von Makalla von einem englischen Schiffscapitain erhalten und es dem Sultan zum Geschenk gemacht habe. Bald nachdem es dunkel geworden war, mahnte Schaych Abd el Qadir zum Aufbruch, worauf uns der Sultan durch einen Beduinen bis an unser Haus eskortieren ließ.
   Am Morgen, mit Sonnenaufgang, bei wolkenlosem Himmel und Windstille stand der Thermometer auf 15°, um Mittags 25°, des Abends 20° R.
   6. Juli. Den 6. Juli besuchte ich unter dem Schutze eines Beduinen, den mir auf mein Verlangen Schaych Ba Qorra geschickt hatte, die etwas über 1/4 Stunde von Choraybe entfernte Stadt Ribat. - Sie ist mit jener von gleicher Größe, und liegt zwischen dem Wadiy Minua und En Nebyy (des Propheten) an dem Unionspunkte beider Wadiy, der zugleich der Entstehungspunkt des Wadiy Doan ist. Die Richtung des Wadiy Doan von Choraybe nach Ribat ist Süd, 20° West. Der Wadiy Minua zieht sich in der Richtung Süd, 16° West hinauf.
   Ribat gegenüber an der rechten Seite des Wadiy Minua liegt das Dorf Chorbe, und an der linken Seite des Wadiy En Nebyy das Dorf Qarn el Manasil. 1/4 Stunde oberhalb dieses Ortes liegt an der rechten Seite des Wadiy En Nebyy, da, wo er sich mit dem Wadiy Chamuda vereinigt, das Dorf Hassussa. Fast diesem Dorfe gegenüber, um ein Weniges mehr talaufwärts, mündet der Wadiy Tann Ssiybe.  Alle diese Ortschaften sind das Eigenthum des Sultans von Ribat.
   Auf dem Rückwege sah ich in der Schlucht oder dem Hohlwege von Choraybe, nicht weit von der Stadt, mehrere junge Mädchen, welche, der allgemeinen Sitte islamitischer Völker zuwider, unverschleiert gingen, sich auch nicht im Geringsten genierten, bei unserer Annäherung uns weidlich mit Fragen zu plagen. Ihr Anzug und die Mittel, welche sie angewandt hatten, um recht schön zu sein, waren im höchsten Grade originell, würden aber wenig nach dem Geschmacke unserer Damen sein.
   Der Schnitt ihrer Kleidungsstücke ist ganz der, wie bei den Beduinenfrauen oben beschriebene, und der einzige Unterschied besteht darin, daß sie aus feineren Stoffen verfertigt sind. Die Oberhemden waren bei Allen hellblau, der Rand an den Ärmeln, der Halsöffnung und den Einschnitten auf den Schultern grün und mit Stickereien verziert, welche bei den Reichern mit Silber, bei den Ärmern aber bloß mit weißen Baumwollenfaden ausgeführt sind. Ebenso eine herzförmige Verzierung, welche vom Halse bis zur halben Brust niedergeht. Der Gürtel ist aus dunklerm Zeuge ebenfalls gestickt und mit einem silbernen oder messingenen Schlosse versehen.
   Die Beinkleider sind meist aus rot und weiß gestreiftem Baumwollenzeuge verfertigt. Je nachdem sie reich oder weniger reich sind, tragen sie fingerdicke silberne oder messingene Ringe um Bein und Arm, auch in jedem Ohre bis zu zwölf ziemlich starke Ringe, welche längs dem Rande des ganzen Ohres angebracht sind und dasselbe stark hinunterziehen, was ihnen eben kein graziöses Ansehen gibt. Einige dieser jungen Schönen hatten noch zum Überfluß in jedem Nasenflügel einen Ring angebracht. - Auf jeder Seite des Kopfes ordnen sie sich ihr Haar in Kugeln, welche sie traubenförmig zusammenbinden. Um so viel als möglich solche Kugeln aufweisen zu können, welche gewöhnlich die Größe einer halben Mannesfaust haben, nehmen sie ihre Zuflucht zu alten Stücken verschiedener Stoffe, über welche die Haare gewickelt werden. Die ganze Frisur wird dann mit einer Gummiauflösung überstrichen, um ihr den gehörigen Halt zu geben. Von einer Schläfe zur andern binden sie ein farbiges Band, an welchem mehr oder weniger kleine metallene Kästchen (Etuis) von der Form kleiner Schnupftabaksdöschen angebracht sind, in welchen »geschriebene Amulette« stecken. Das Haar ist an beiden Seiten und in der Mitte, von vorn nach hinten, mit fingerbreiten roten Streifen bemalt.
   Gesicht, Hals, Arme und Füße sind mit einem Extract der Curcumawurzel gelb gemalt und ersteres (das Gesicht) mit roten und indigoblauen Blümchen bemalt. Die Augenlider sind mit dem oben beschriebenen Kohl stark gefärbt.
   Die Kinder der »Doany« gehen, mit Ausnahme der Reichen, bis zu ihrem vierten Jahre vollkommen nackt.
   Ihr Haupthaar haben sie auf eine ganz eigentümliche Art geschoren. So sah ich Einige, welche nur oberhalb der Stirn einen runden Büschel Haare trugen; Andere, bei denen man nur oberhalb der beiden Schläfe einen Büschel und über den Scheitel von vorn nach hinten einen zwei fingerbreiten Kamm hatte stehen lassen; noch Andere endlich, bei denen zwei dergleichen Kämme den Kopf in drei Felder teilten. Diese Art, das Haupt zu scheren, ist jedoch nur bei den Knaben gebräuchlich.
   Die Frauen tragen die Kinder nicht, wie die Ägypterinnen, auf der Achsel, sondern sie setzen sie rittlings auf die Hüfte. Die Kinder der Reichen tragen, wie die Erwachsenen, weiter keine Kleidungsstücke, als einen Schurz um die Hüfte und ein kleines vorn offenes Hemd mit langen engen Ärmeln. Kopfbekleidung sah ich nur bei den größern Knaben und verheirateten Frauen.
   Um die Kinder vor Unglücksfällen und dem Einflusse des bösen Auges zu schützen, hängt man ihnen eine Menge Amulette um, welche bei reichen Leuten in silberne Kapseln eingeschlossen, bei den Armen aber in Leder eingenäht sind. Bei mehreren dieser Kinder zählte ich bis zu 50 solcher »Talismane«.
   Nachdem ich die Neugierde dieser Schönen wenigstens zum Teil befriedigt hatte, begab ich mich, so schnell es sich tun ließ, nach meiner Wohnung, da Einige der Mädchen Miene machten, meine Geduld noch ferner auf die Probe zu stellen.
   Nach meiner Zurückkunft besuchte ich meinen greisen Wirt und zeigte ihm meinen Entschluß an, noch vor der Ssyara (Wallfahrt) nach Ghadun, »die Ruinen im Wadiy Obne und dem Wadiy Mayfa'a« zu besuchen, zugleich bat ich ihn, mich mit Empfehlungsschreiben nach jenen Gegenden zu versehen. Erstaunt frug er mich: »warum ich mich den Beschwerden und Gefahren einer solchen Reise aussetzen wolle, da ich doch ruhig das Fest in seinem Hause abwarten könne, wo es mir an Nichts mangeln würde«. Ich dankte ihm für die Güte, die er mir bis jetzt erwiesen und erklärte: »daß ich neben dem eigentlichen, religiösen Zwecke meiner Reise, auch noch den verbände, mich soviel als möglich zu unterrichten und durch Anschauung zu belehren, und daß besonders die altertümlichen Inschriften aus der Zeit der himyarischen Könige meine Aufmerksamkeit in die höchste Spannung gesetzt hätten, und ich sehnlichst wünsche, meiner erregten Wißbegierde zu genügen«. Diese Erklärung befriedigte den ehrwürdigen Alten vollkommen und er versprach, mir Briefe nach Hicn ben Dighal und Dschul esch Schaych mitzugeben. Auch sollte mir sein Sohn einen »Führer« verschaffen.
   Doch ermahnte er mich, nicht zu lange bei den Ruinen zu bleiben, da die Beduinen leicht die Meinung fassen könnten, daß ich der Schätze halber dahin gekommen sei. Vor zehn Jahren sei auch ein Mann durch Choraybe gekommen, der einen »roten Bart« getragen, weshalb ihn die Beduinen für einen »Kafir« (d. i. »Ungläubigen«) gehalten hätten. Dieser Fremde habe auch die Ruinen besucht und deren Inschriften kopiert, sei aber auf dem Wege nach Marib von den Beduinen des Stammes Hawalyy erschlagen worden, hauptsächlich deswegen, weil sie der Meinung gewesen, er habe dort Schätze gehoben.
   Der Abscheu, welchen die Beduinen des Hadhramaut für alle diejenigen hegen, welche »rotes Haar« tragen, schreibt sich auf Grund folgender Legende aus den Zeiten des Propheten Calih her. »Als Gott nämlich den Propheten Calih sandte, um den in greuliche Laster versunkenen Stamm Thamud zu bekehren, leugneten sie die Göttlichkeit seiner Sendung und verlangten von ihm ein Zeichen. Hierauf führte sie der Prophet an einen Felsen, öffnete denselben und ließ daraus ein Kamel mit seinem jungen hervorgehen. Zugleich warnte er sie, diesen Tieren etwas zu Leide zu tun, widrigenfalls es dem ganzen Stamme zum Verderben gereichen würde. Trotz dem Wunder schenkten sie dem Propheten keinen Glauben, und einer unter ihnen, Namens Qodar el Ahmar (Qodar der Rote), tödtete durch einen Pfeilschuß die Kamelkuh. Das junge Kamel verschwand in dem Felsen. - Gott aber vernichtete den Stamm.« - Noch jetzt sagen die Araber: »rothwie Qodar« - oder auch: »Unheilbringend wie Qodar der Rote«, - und sehen unter andern einen jeden, der rotes Haar trägt, wie einen Menschen an, der Böses gegen sie im Schilde führt.
   Nächst diesem unterhielten wir uns über die vorislamitische Geschichte der Araber, worüber indeß der alte Schaych wenig zu sagen wußte.
   »Sein Sohn Ahmed dagegen«, versicherte er mir, »wisse mehr als er von solchen Sachen, denn der besitze ein altes Manuscript, welches die Geschichte der himyarischen Könige von Qahtan bis Mohammed enthalte. «
   Nachmittag besuchte ich den Schaych Ahmed und bat ihn, mir das Manuscript zu zeigen. Es war durch vier verschiedene Hände und mit vielem Fleiß geschrieben. Das Papier war gelblich und glatt und im Quartformate. Zur Schreibung der Namen der Könige, Provinzen und Stämme hatte man rote Tinte verwandt, der Titel jedoch fehlte. - Ich hätte es sehr gern an mich gebracht. Jedoch da die Summe, die Schaych Ahmed dafür verlangte, meine Reisekasse zu stark angegriffen haben würde, so mußte ich zu meinem Leidwesen auf den Besitz desselben verzichten. Der Schaych war so zuvorkommend, mir zu versprechen, mir bis zu meiner Rückkehr ein Verzeichnis der darin genannten Könige anzufertigen, welches Anerbieten ich mit Dank annahm. Er hielt auch in der Folge Wort, - wodurch er mich in den Stand setzte, eine bedeutende Lücke auszufallen, welche sich bei Abu el Fida und andern arabischen Schriftstellern findet.
   Kaum war ich auf meine Stube zurückgekehrt, so brach ein heftiges Gewitter los. Blitz auf Blitz durchzuckte das schwarze Gewölke, welches dicht über dem Tale lag. Mit furchtbarem Getöse hallten aus allen Schluchten des Tales die krachenden Schläge des Donners wieder und ein Regen, wie man ihn nur unter den Tropen kennt, prasselte gleich einem Wolkenbruche nieder. Hunderte von Cascaden stürzten von der Hochebene in die Tiefe hinab, und in dem kurz vorher noch trockenen Flußbette des Wadiy tobte jetzt ein reißender Bergstrom. Dabei brauste ein heftiger Nordwest und bog die schlanken Stämme der Palmen.
   Der Ruf »Ec Cal!« (»die Ueberschwemmung!«) erscholl aus allen Häusern, und die Frauen trillerten den auch hier gebräuchlichen »Sugharit«.
   Endlich nach zwei Stunden ruhten die empörten Elemente und die letzten Strahlen der untergehenden Sonne erhellten wieder das während des Sturmes in nächtliches Dunkel gehüllte Tal.
   Der Thermometer zeigte am Morgen bei heiterm Himmel und Windstille 15°, am Mittag bei Nordwind 25°, am Abend nach dem Gewitter bei Nordostwind 20°.
   7. Juli. Am 7. Juli übergab mich Schaych Abd el Qadir dem Schutze eines Beduinen vom Stamme Ba Omm Ssaduss, welcher sich verpflichtete, mich sicher nach dem Dorfe Hicn ben Dighal zu bringen, welches fünf Tagereisen von Choraybe im Wadiy el Hadschar liegt.
   Da ich noch nicht mit dem nötigen Proviant versehen war, der Beduine aber einer Qafila angehörte, welche sogleich aufbrechen wollte, und ohnehin am folgenden Tage mehrere Beduinen und Städtebewohner nach Hicn ben Dighal reisen wollten, so beschloß ich, in Gesellschaft dieser Leute zu gehen, und übergab meine Effecten dem Beduinen, welcher versprach, im Dorfe el Ebna auf mich zu warten.
   Gegen Abend wiederholte sich der Gewittersturm, der an Heftigkeit dem des vorigen Tages Nichts nachgab. Später hatte ich eine Unterredung mit dem schon oben erwähnten »länderkundigen Scheryf«, der mir sehr interessante Mitteilungen machte.
   So sagte er mir unter anderm: »daß es im ganzen Lande keine Stadt oder Dorf gäbe, welches den Namen Doan führe, ebenso wenig existire eine Ortschaft Hadhramaut«. Unsere neuern Geographen haben mit diesem Namen ohne Weiteres »zwei Städte« benannt, welche nirgend vorhanden sind und die sie ganz willkürlich in »Hadhramaut« existieren lassen. Wie viele andere Irrtümer haben sich noch auf unsere Karten eingeschlichen, welche durch falsche oder falsch verstandene Berichte entstanden sind, und die bei näherer Untersuchung beseitigt werden können.
   Der Thermometerstand war am Morgen bei Windstille und heiterm Himmel 15°, zu Mittag bei Nordwestwind im Schatten 25°, am Abend nach dem Gewitter und bei Nordostwind 20°.
   
Wrede, Adolph
In: Dokumente zur Entdeckungsgeschichte I
hg. von Otto Baumhauer
Stuttgart 1965

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