1893 - Leo Hirsch
Nach Shibam
Jemen
Glühend weht der Wind über die sonnige Ebene. Etwas vor 4 Uhr haben wir westlich, etwa in der Mitte der Ebene, das Städtchen Agad, nur aus wenigen Häusern bestehend, mit geringen Anlagen; doch ziehen sich von hier ab durch die ganze Niederung mehr oder weniger dicht Palmenpflanzungen bis hin nach Schibam. Indem wir die nordöstliche Richtung weiter verfolgen, passieren wir um 4 Uhr Chaschamir und 25 Minuten später Chamur, beides kleine Ortschaften, von Kulturen umgeben. Dann tiefer weißer Sand; die Anlagen ziehen sich die rechte Talseite entlang, die geringen Erhöhungen sind mit Häusern und Husun bedeckt. Mein Adjudant trennt sich auf kurze Zeit von mir, um nach Palmen zu sehen, die ihm gehören, und ich galoppiere allein über die heiße Sandebene in der Richtung auf Schibam, von dessen Häusern die getünchten oberen Stockwerke mir aus der Entfernung entgegenleuchten.
Näher an Schibam vermehren sich die Anpflanzungen, ohne aber der Gegend ihren öden Charakter nehmen zu können. Alles redet Verfall: Häuser, die wieder zu Staube wurden, von dem sie genommen waren und die nun als niedrige formlose Hügel daliegen, Ruinen, die dem gleichen Lose entgegengehen, armselige Hütten. Inzwischen hat sich mein Begleiter wieder zu mir gesellt, und wir durchreiten einen wirklichen Palmenwald, in dem wir kurz vor Schibam Halt machen, unsere zurückgebliebene Soldaten-Eskorte zu erwarten. Wir befinden uns nahe der rechten Taleinfassung, gegenüber dem vorgeschobenen, nicht bedeutenden Gebel Chibbe, auf dessen Abhänge das Hüsn es-Saidiye sich erhebt. Bei vielen der uns umgebenden Palmbäume hat das Wasser den Lehm der Wurzeln weggespült, und einige der kostbaren Stämme liegen bereits halb entwurzelt am Boden, weiter grünend, aber doch im Ertrage geschwächt, während die sonst hier übliche Sicherung durch rund herum angehäufte, mit Steinen befestigte Erde sie vor diesem Schicksal bewahrt hätte. Der Preis einer Palmgruppe von vier mittleren und größeren Stämmen wurde mir mit 30 Talern angegeben.
Eine Anzahl Sklaven und Soldaten des Sirkal findet sich bei uns an, auch allerlei Volks, Erwachsene und Kinder, die uns beim Aufbruch ihr geräuschvolles Geleit geben. Es war ein großer Tag für Schibam: Der erste Frengi naht sich seinen Mauern. Umschwärmt von unserm jubelnden Gefolge nähern wir uns der Stadt, indem wir die Palmen rechts lassen, und kommen bald an das erhöht gelegene doppelte Stadttor, das wir durchschreiten, dann über einen mässig großen Platz an den hohen Djemadar-Palast, zu dessen Pforte eine seitliche, durch eine niedrige Vormauer maskierte Außentreppe führt, bei der wir absteigen. Am Eingange werden wir von einem ansehnlichen Manne in gewählter Kleidung empfangen, der später im Laufe der Unterhaltung mit einigem Stolz sogar eine goldene Taschenuhr vorwies. Es war, wie ich nachher erfuhr, ein mit dem Djemadar befreundeter Kaufmann, Audh bin Mohammed Schemah, der uns die bequeme Treppe hinauf zum Medjlis führte, einem hohen Raum mit weißen gegossenen Gipswänden, auf denen erhabene, sehr einfache Ornamente spärlich angebracht sind. Die wenig oberhalb des Fußbodens gelegenen Fensteröffnungen, etwas höher als gewöhnlich, haben hübsch geschnitzte Läden; die mit hölzernen Querbalken unterlegte Zimmerdecke ist glatt geweißt, der Fußboden mit orientalischen Teppichen belegt. Alle Räume zeigen den gleichen schmucklosen Charakter, und das Ganze ist weniger freundlich als in Hota, wo wenigstens eine Andeutung farbiger Dekoration vorhanden war. Schech Abdallah, der Wezir des Djemadar, wie er mir von Schemah etwas hochtrabend vorgestellt wurde, begrüßte mich demnächst und nahm den an ihn gerichteten Brief seines Herrn entgegen. Er ist ein alter .Mann mit langem weißem Bart und hübschen jungen Augen, sanft von Gemüt, wenig energisch und sehr dienstfertig; man nennt ihn allgemein den Muallim. Mein Wohnraum ist ein großes Eckgemach mit zwei und drei Fenstern unten und ebenso viel Luftöffnungen oben. Es ist schändlich heiß hier, selbst nachts auf dem Dache, da dann der Lehmkoloss die Hitze ausatmet, die er Tags über eingesogen hat.
Hirsch, Leo
Reisen in Süd-Arabien, Mahra-Land und Hadramut
Leiden 1897