Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1877 - Charles Doughty
Vom Leben der Beduinen
Nördliches Saudi-Arabien

Als wir nach den Nomaden Ausschau hielten, sahen wir plötzlich sich langsam bewegende Umrisse von Kamelen, die verstreut am Horizont weideten. Da der Sonnenuntergang nah war, wurden sie in das Beduinenlager (Menzil) getrieben, das eine Stunde entfernt war. Als wir die Hirten erreichten, saßen wir ab und setzten uns nieder, und einer der jungen Männer nahm unsere Trinkschale und molk für uns seine Nagas (Kamelstuten). Dies ist »Kheyr Ullah«, Gottes Wohltat, die keinem Reisenden vorenthalten werden darf, auch wenn die armen Besitzer selbst leer ausgehen müßten. Bald darauf fragten meine Begleiter, ob ich mich schlecht fühlte, denn, so sagten sie, Fremde bekämen normalerweise Schmerzen, wenn sie das erste Mal Kamelmilch getrunken hätten. Diese etwas herbe, dünne Milch gerinnt im Magen schnell zu festen Klumpen.
   Als wir uns den Beduinenzelten näherten, blieben wir etwas zurück, wie es die Höflichkeit der Wüste verlangt, während unser Gastgeber Zeyd voranritt. Sein Zelt war ein kleines Sommer- oder Wanderzelt, das sie Hejra nennen, gebaut - so nennen sie es - auf dem Sand. Armselig und niedrig sah es aus, eines großen Scheichs nicht würdig, und drinnen war kein fröhlich bunter Teppich ausgebreitet: Hier gab es nicht das Wohlleben, das ich bisher von den Beduinen des Nordens kannte. Zeyd führte mich mit ernsthaftem Lächeln hinein, und zu meiner gelinden Überraschung mußte ich hinter ihm das Frauenquartier betreten. Diese vor einiger Zeit eingewanderten Beduinen hegen den Nasranis (Christen) gegenüber, die sie aus dem Norden kennen, kein Mißtrauen und haben von ihnen als ehrlichen Leuten gehört, ehrlicher als die Muslime. Zeva stellte mich seiner jungen Frau vor: »Khalil«, sagte er, »dies ist Eure neue Tante (Ammatak - Gastgeberin), und hier, Hirfa, ist Khalil; und sieh zu. daß Du Dich gut um ihn kümmerst.« Am Morgen waren Männer des Stammes vom Markt zurückgekommen; die Nomaden blieben dann noch einen Tag im Borj Selman, und am dritten Morgen wurde das Lager abgebrochen. Die Gegend liegt auf einer Höhe von fast 1.500 m.
   Die Verlegung eines Nomadenlagers, der Zug der Tiere von einem zum anderen Weidegrund wird »Rahla« genannt. In der gestrigen Mejlis [Versammlung] haben sie beschlossen, wohin und wie früh; oder es ist dem Scheich überlassen; dann beobachten die Nachbarn bei Tagesanbruch das Zelt des Scheichs, um festzustellen, ob seine Frauen es abbrechen. Wenn sie das sehen, beginnt die Rahla. Dann beeilen sich die Beduinenfrauen, die Zeltpflöcke herauszuziehen, und die Zelte fallen zusammen. Das Zelttuch wird aufgerollt, die Zeltstangen werden eingesammelt und gebündelt. Sie tragen die Haushaltsutensilien zusammen, die in wollenen, selbstgewebten Säcken stecken, und laden sie den Lastkamelen auf. Wie das die Nachbarn und wiederum deren Nachbarn sehen, werden bald alle Zelte im weit verteilten Lager abgebrochen. Die Hirten ziehen los. Die Frauen steigen mit ihrem Gepäck auf die Kamele, die Männer reiten auf ihren Theluls [Reitkamelen] los; sie haben nur Schwert oder Flinte hinter sich am Sattel hängen, tragen lange Lanzen in der Hand und folgen dem Scheich: Und so wandert das Nomadendorf. Wenn aber das Zelt des Scheichs stehen bleibt und es schon eine Stunde nach Sonnenaufgang ist, wenn das Vieh auf die Weide getrieben gehört, sagen die Leute: »Laßt die Tiere auf die Weide, heute gibt es keine Rahla.« Der Morgen - es war um den 16. Februar - war hier im Hochland windig und kalt. »Shil! Aufladen!« rief Zeyd. Und Hirfa, zitternd und seufzend, machte sich an das Einpacken des Haushalts. Scheichehemänner helfen ihren zarten Frauen beim Herrichten des Gepäcks nicht. Selbst in den Augen ihrer Frauen ist das ihrer nicht würdig. Die Männer bleiben sitzen und wärmen sich bis zum letzten Moment an brennenden Zweigen, die sie zusammengetragen haben, und üblicherweise bereitet Zeyd Kaffee. Die Lastkamele werden hergeführt und zwischen den Lasten zum Niederknien gebracht. Nur der Hirte hilft Hirfa, die Bündel auf den groben Packsätteln (Hadaj, einem hölzernen Rahmen aus Akazienholz, den ein Schmied oder ein Angehöriger des Stammes der Solubby gemacht hat) zu befestigen. Das Unterfutter aus altem Zelttuch, Wittr, ist mit trockenem Kraut gefüllt, und das Ganze wird mit einem einfachen Strick unter dem Bauch des Kamels hindurch zusammengehalten. Zeyd, zu Hilfe gerufen, um die überschweren Lasten mit zu tragen, tat es unwillig und brummte: »Ist ein Scheich etwa ein Lastenträger?« Ich half auch, die schweren Säcke hochzuhalten, bis sie auf beiden Seiten gleich verteilt und festgebunden waren. Zeyd war Herr über keinen kleinen Stamm. So ein Herr sollte sich nicht vor den Augen anderer Männer abplagen. Dafür hat er seine Leute. Ein großer Scheich kümmert sich vielleicht im Menzil ein bißchen um seine eigene Stute, wenn alle Hirten den ganzen Tag unterwegs sind. Aber wenn er sie zum Brunnen gebracht hat, falls es denn einen gibt, wird er jemanden von den einfachen Stammesleuten rufen, damit der das Wasser heraufzieht. Die Söhne von Scheichs aber sind, solange sie klein sind, und auch noch als junge Männer, die schon Waffen tragen, viel mit dem Vieh des Stammes und mit den Hirten als Gefährten unterwegs. Ich habe Zeyd mit einer Sichel ausziehen sehen, um für seine Stute Futter zu schneiden und einen Mantelvoll auf dem eigenen Rücken heimzutragen. Mit Wehleidigkeit in seinem dunklen Gesicht grummelte er dabei, daß das eigentlich Selims, seines Sohnes, Pflicht sei. Er machte seinem Sohn, der oft ungezogen war, Vorwürfe und nannte ihn die Qual seines Lebens, Sheytan [Satan], drohte ihm aber nie, denn das kommt einem Beduinenvater nicht in den Sinn.
   Wir wanderten kaum 15 Kilometer weit und schlugen das Lager vier Stunden östlich von Dar el-Hamra auf. Die Frauen »bauten« geschäftig die Zelte auf, die Männer aber, sobald sie abgesessen sind, tun gar nichts. Wenn sie sich nicht um die Herden kümmern oder auf einem Raubzug sind, sitzen sie den ganzen Tag herum, faulenzen und spielen den Herren. Die Jowwar (Hausfrauen), sagen sie, seien für die Hausarbeit da und müßten gehorchen. Zeyd hatte in einem Loch am Hang der Düne, wo wir vor dem scharfen Wind Schutz gesucht hatten, bis die Beit [Zelte] standen, ein kleines Feuer gemacht. Davor kniete er hin, um mit der Heiterkeit der Beduinen unser Zigeunerfeuer anzufachen. Selim sammelte Holz, und wir setzten uns nieder, um uns zu wärmen und Heuschrecken zu rösten.
   Wir blieben zwei Tage an dieser Stelle, zogen dann bei mildem Wetter durch das gleiche sandige Gelände fünf Stunden weiter nach Osten und schlugen unser Lager bei El-Antarieh auf. Sanft und leicht ist die reine Luft in den Wüsten des Hochlandes, aber Wasser ist knapp und mit Kamelurin versetzt. Auf Zeyds Befehl teilte mir Hirfa jeden Morgen ein paar Tropfen des kostbaren Wassers zu, damit ich mich waschen könne »wie die Leute in der Stadt«. Sie hielt es für Verschwendung, wo doch die Stammesangehörigen tagaus, tagein nicht einmal genug zu trinken haben. Oft genug gibt es zwischen den Wasserstellen auch in den Zelten der größten Scheichs weniger als einen halben Liter Wasser. Und wenn der Hausherr seine Hausfrau anweist, die Schale zu füllen, um den Gästen Kaffee zu kochen, kommt von ihrer Seite die Antwort: »Wir haben kein Wasser!« Zu viel vom Wasservorrat eines großen Scheichs wird von seiner Stute verbraucht. Pferde sind von allen Haustieren der Wüste die, die Durst am wenigsten ertragen können. Zeyd brachte häufig diese einleuchtende Entschuldigung vor, denn sogar das Austeilen von winzigsten Mengen von Kaffee war ihm zuwider: »Es gibt kein Wasser!« Motlog, der große Scheich, kam eines Morgens zu mir und fragte gleich: »Habt Ihr schon Kaffee getrunken?« »Heute noch nicht, es heißt, es gäbe kein Wasser.« »Nanu,« fragte er, »Zeyd hat Euch heute noch keinen Kaffee gekocht?« Selbst die ärmeren Scheichs unterlassen es nicht, ihrer Gefolgschaft den Morgenkaffee anzubieten. Motlog kannte seinen Vetter Zeyd, lächelte und sagte: »Wie kann das sein, daß Zeyd kein Wasser hat. Aber, Khalil, kommt zu mir, und ich werde Euch Kaffee bereiten!« Er nahm mich mit zu seinem Zelt, das nicht weit entfernt war; dort setzte er sich ans Feuer, und als Scheich seines Stammes röstete und zerstampfte er die Bohnen, kochte Wasser und bereitete so den Trank der Gastfreundschaft für den christlichen Fremden.
   An diesem Lagerplatz passierte es Zeyd, daß eins seiner Kamele von Wölfen in Angst und Schrecken versetzt wurde und weglief. Beim Morgengrauen bestieg er sein Pferd und ritt davon mit der langen blitzenden Lanze über der Schulter, um seinen Spuren zu folgen. Am Tag darauf kam er mit dem Kamel zurück: Er hatte es bei Birket Moaddam gefunden.
    Drei Tage später verlegten die Nomaden ihr Lager etwa 20 Kilometer nach Südosten in eine Gegend mit Namen Khussherkish. Es war jetzt der 22. Februar, und hier gab es Rabia, frische, blühende Frühlingskräuter. Es gab eine Art von wildem Raps, Pimpernelle und Ampfer, genannt Humsis. Rabia ist das jährliche Frischfutter und sogar lebenswichtig für die Tiere der Nomaden. Wunderschön anzusehen war dieser Feengarten voller Blüten in der Wüstenei. Als mich die Beduinen über die göttliche Architektur dieser lebendigen Juwele nachsinnen sahen, hielten sie es nur für die kindische Freude eines Fremden. Wenn ich nach den Namen von Pflanzen fragte, bekam ich nur zur Antwort: »Das heißt alles El-Ussub, Frühlingsfutter, sehr gut für unser Kleinvieh und die Kamele.«
   Dieser hochgelegene, dürre Landstrich ist auf einige Tagesreisen weit eben. Er besteht zum größten Teil aus Sand und Sandsteinkies, ohne Rinnen oder Wadis; es ist Hochland, in dem die schwachen arabischen Regen keinen Abfluß erzeugen.
   Zeyd wußte, daß ich bei El-Hejr Inschriften kopiert hatte. Es gibt viele, verteilt über die Felsen der Wüste, und er sagte: »Morgen kommen wir hinunter nach Makuttaba«, und dort würde er mir viele zeigen. Makuttaba ist eine natürliche Zisterne im Sandstein und benannt wie das Tal der Inschriften auf dem Sinai, weil die Felswände über und über mit ungeordneten himyarischen Schriftzügen bedeckt sind: Alle nur eine Zeile lang oder zwei, vielleicht nur bedeutungslose Namen von Besuchern der Wasserstelle in alter Zeit, mit vielen uralten Abbildungen von Kamelen. Der weiche Fels ist stark erodiert, es gibt nur selten eine lesbare Inschrift; man findet sie an allen Wasserstellen, die immer schon Rastplätze waren. Die Nomaden der Antike - die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß sie es waren, die so grobe Inschriften hinterlassen haben - hätten dann (im Gegensatz zu den Beduinen von heute) die Schrift gekannt. Oder ist das alles ein Werk von Reisenden der Antike? Die alten Umrißzeichnungen sind alle rund und lebendig, wenn auch etwas in die Länge gezogen. Die Beduinen von heute, Hirten, die Muße haben, verfertigen nur noch ungeschlachte Bilder auf den Wüstenfelsen, wie wir sie von Kinderzeichnungen kennen. Zeyd nannte die Inschriften »Temathil el-Helalat«, Bilder der Beni Helal.
   Die Kamele, die nun die saftige Rabia fraßen, waren »jezzin«, ungetränkt. In einem guten Frühling sind sie auf der »Dira«, der jährlichen Rundreise der Nomaden, fast zweieinhalb Monate »jezzin« und werden nicht zu den Wasserstellen gebracht. Dann ist die Kraft der Gräser verbraucht, die eben noch so frisch die Erde bedeckten, und sie welken dahin und trocknen in der Sonne ein. Ich habe gesehen, wie nach einem Schauer die ungetränkten Kamele Regenwasser in einem Felsenloch fanden; sie beugen langsam ihre schweren langen Hälse hinunter; dann schnüffeln sie am Wasser, benetzen nur die Ränder ihrer schlaffen Lippen, blasen das Wasser aus und schütteln den Kopf wie in Widerwillen. Die Kamele der Nomaden sind kräftig und übermütig in diesen fetten Wochen der Frühlingsweide. Jetzt setzen sie Fleisch und Fett im Höcker an für die Härten des Wüstensommers und für ein langes Jahr. Vollgefressen werden sie bei Sonnenuntergang heimgetrieben und kommen in großen Sätzen vor ihren Hirten zurück. Die Männer, die daheimgeblieben sind, kommen aus ihren Zelten und locken die vorbeitrabenden Tiere mit lautem »Wollo-wollo-wollo« und bringen sie zum Halten mit »Woh-ho, woh-ho, woh-ho!« Wenn eins die Zeltseile berührt, wird es mit »Hutch« getadelt. Die Kamelgruppen werden neben und vor allen Dingen vor dem Zelt der Besitzer zum Niederknien gebracht. Da liegen sie die Nacht über, richten sich manchmal auf und käuen bis zum Morgengrauen große Mengen wieder. Die Nomaden sagen, daß ihre Kamele niemals schlafen. Ein müdes Tier mag seinen langen Hals auf dem Boden ausstrecken und dabei seine feuchten Augen schließen; aber schon nach einer kurzen Weile wird es seinen schlaffen Körper wieder spannen und weiterkauen. In dieser Jahreszeit des frischen Futters stehen sie auch in der Nacht auf, um zu grasen, und entfernen sich dabei von den Zelten der schlummernden Nomaden. Aber von Natur aus ängstlich, streifen sie nicht sehr weit umher. Wenn ich manchmal nach Mitternacht aufwachte und merkte, daß unsere Kamele unterwegs waren, ging ich los, um sie zurückzuholen. Aber die Beduinen sagten: »Schlaft weiter, Khalil, es ist nicht nötig. Laßt sie fressen, wo sie wollen.« Sie wollten, daß die Tiere weideten, so viel sie nur konnten; aber nicht selten gehen sie ihrer Tiere durch nächtliche Räuber verlustig.
    Kamele, das einzige, was die Nomaden zum Lebensunterhalt haben, begründen alles Wohlergehen. Sie sagen: »Neshil: Wir laden ihnen Lasten auf, und wir bekommen Halib, Milch, von ihnen.« Die Kamelstuten sind zwölf Monate lang trächtig. Jetzt, zum Anfang der Rabia, kam die Zeit der Geburten. Das Nomadenjahr wird folgendermaßen unterteilt: Er-Rabia, der dreimonatige Frühling; El-Gayth, der dreimonatige Hochsommer; Es-Sferry, der dreimonatige Herbst, und Es-Shita, der Winter. Wer sich damit auskennt und auch damit, wie man sich nach den Sternen orientiert, gilt bei den Beduinen als ein gelehrter Mann.
   Die Beduinen lagerten, wenn es gute Weide gab, und wir blieben meistens bis zum dritten oder vierten Morgen an derselben Stelle. Ihre Heimstatt, wo immer sie steht, nennen sie »El-Aarab umjemmin«, das heißt, das Lager steht. Die Hirten bringen Nachrichten über die umliegenden Weiden, und nach der Entscheidung der Scheichs in der Mejlis ziehen die Leute weiter, normalerweise über eine Entfernung um die zwanzig Kilometer. Und nun ging es in Richtung Teima.
   Wenn die Entfernung zwischen zwei Lagern nur kurz ist, wandern die Beduinen geruhsam, und die Tiere grasen während des Rittes. Die Scheichs reiten zusammen voraus, und die Frauen reiten mit ihrer Gruppe von Lastkamelen; wenn es nötig sein sollte, kommen die nächsten Hirten zu Hilfe. Nachbarn steigen ab, um ihren Nachbarn und sogar Fremden zu helfen. Die großen und die kleinen Tiere werden im Zug eines Haushalts mitgetrieben. Man sieht Hausfrauen absteigen und ein Schwätzchen haltend und barfuß (niemand trägt etwas an den Füßen) neben ihren langsamen Kamelen marschieren, und dabei spinnen sie. Die Beduinenmänner aber sagen, die Frauen sollten immer reiten und sich schonen, denn viel Arbeit warte auf sie im Lager. Die Frauen der Fukara sitzen eine Stunde vor Mittag ab, um ihre paar Schafe und Ziegen zu melken. Familien und Verwandte bilden jeweils mit ihrem Vieh eine eigene Gruppe. So sind die Nomaden auf der Wanderung weit verstreut, und in dem weiten und ebenen Land (meistens ganz eben, aber voller Klippen) sahen wir meistens nur die, die uns am nächsten marschierten, auch wenn wir zu mehreren Hunderten unterwegs waren. Zeyd kam zu uns zurück, wenn er den neuen Lagerplatz erreicht hatte. Und wo es ihm gut erschien, bohrte er das Ende seiner langen Reiterlanze (Shelfa oder Romhh genannt) in einen sandigen Wüstenbusch. Das ist das Zeichen für seine Gefolgschaft, die mit ihm lagert und die man seine Leute nennt.
   Hirfa läßt ihr Kamel niederknien; hier wird sie das Zelt »bauen«. Der Rest von Zeyds Gefolgschaft kommt heran, sitzt ab, und jede Familie entfernt sich ein Stückchen, um ihr Zelt in der Nähe aufzuschlagen. Dies ist »Zeyds Menzil«, und seine Bewohner sind »Zeyds Araber«. Sie bringen mit gutturaler Stimme - »ikh-kh-kh« - die Lastkamele mit ihrer Bürde zum Niederknien. Der steife Hals eines etwas widerspenstigen Tieres wird sanft mit dem Treiberstab heruntergebogen, oder eine Hand drückt auf den schweren Hals; ein dann immer noch unwilliges Tier wird am Bart gezogen; dann läßt es sich ohne weiteres stöhnend auf die Knie fallen. Wenn die Lasten und die Packsättel abgenommen sind, stehen die Kamele nach einem Fußtritt ihres Herrn schwerfällig wieder auf und können weiden. Die Frauen breiten die Zeltbahnen aus und ziehen die Ecken und Seitenleinen aus, suchen sich einen herumliegenden Stein als Hammer und treiben ihre Pflöcke in den Grund, ziehen die Zeltstangen oder »Säulen« (Amdan) darunter, heben das Tuch und straffen die Bahnen: Und schon steht ihr Haus.
   Die Frau tritt hinein, und wenn sie ihre Sachen untergebracht hat, macht sie sich an das Frühstück des Mannes. Das ist eine Schüssel Leban [Buttermilch] aus dem Schlauch mit der sauren Milch, oder es ist ein Klumpen Datteln mit einer Schale Wüstenwasser; an Tagen mit Gästen besteht es aus Datteln und Buttermilch mit einem Stück süßer Butter. Danach sitzt sie im Zelt und schaukelt auf ihren Knien die Semila, den Schlauch für die saure Milch, um die Butter für den Tag zu bereiten.
    Wie Zeyd ist jeder Mann von Rang bei den Beduinen das Oberhaupt eines kleinen Menzil für sich. Das Lager insgesamt ist nicht, wie bei den Beduinen des Nordens, nach irgendwelchen Regeln angelegt. Die Nomaden dieses Landstrichs bauen ihre Zelte nach Gutdünken um den »Punkt des Absitzens«. Die Fejir oder Fukara zogen niemals nach Sippen getrennt (fajan), wie es sonst überall der Brauch ist, um die Weidegründe am besten auszunutzen. Sie marschieren und kampieren immer zusammen. Das liegt daran, daß es an den Grenzen ihres Gebietes nur halb befreundete, oft mit ihnen im Streit liegende Stämme oder richtige Feinde gibt, mit denen sie rechnen müssen; und ihr Land liegt offen.
   Zeyds Gefolgschaft lebte in sechs Zelten. Das seiner geschiedenen Frau, der Mutter seines kleinen und einzigen Sohnes, stand dem seinen am nächsten. Dann kam das einer anderen verstoßenen Ehefrau, der Mutter seines Schützlings Settam; und dann noch, da Zeyd keine engen Verwandten hatte, ein alter Kamelhüter, der schon unter Zeyds Vater Knecht gewesen war, und ein Schäfer mit seiner Familie. Alleinstehende Personen schließen sich dem Menzil eines Scheichs an, und so war bei uns eine ältere verelendete Witwe, die für die vaterlosen Kinder ihrer toten Tochter die Mutter vertrat: für einen Sohn, der so verkrüppelt war, daß er wie ein Tier über den Sand kroch (»ya latif«, welch glücklicher Anblick, sagte diese höchst bedauernswerte und einsame alte Frau in frommem Spott und mit einem geduldigen Seufzer), und ein elfenhaariges Mädchen, das so schmutzig war, daß es einen wunderte. Ohne Dach über dem Kopf lebten sie ihr Leben unter Gottes Himmel; der Junge war nackt, wie er auf die Wüstenwelt gekommen war. Ihr Reitkamel war eine mildtätige Gabe des Stammes. Woraus aber ihre tägliche Nahrung bestand, weiß nur Gott allein, der alle Geschöpfe am Leben erhält.
   Kein Beduine wäre so gottlos, Angehörige des eigenen Stammes, die Gott schon genug geschlagen hat, zu tadeln, zu beschimpfen oder sich über sie lustig zu machen; und wo immer sie auf dem allen gehörenden Wüstenland auftauchen, wird sie niemand vertreiben. Manchmal stand auch ein fremdes Zelt bei den unseren, das reisenden Nomaden oder einer Nachbarsfamilie im Exil gehörte: Diese Leute suchen einen Platz bei einem ihnen bekannten Scheich, um ihr Zelt aufzuschlagen.
    Hirfa wollte immer von ihrem Mann wissen, wie »das Haus« ausgerichtet werden sollte. »Lege den Eingang in diese Richtung«, würde ihr Mann sagen und mit der Hand nach Süden zeigen, denn wenn der Eingang den ganzen Tag der heißen Sonne ausgesetzt ist, kommen weniger junge Faulenzer und Nassauer, die seinen Kaffee wegtrinken. Da nur die Scheichs als Oberhäupter Zuwendungen in Geld erhalten, ist es nicht zuviel verlangt, daß sie den Kaffeewirt für die waffenfähigen Männer abgeben. Ich habe selbst gesehen, wie Zeyd Besuche abwenden wollte und sogar unhöflicherweise aufstand, wenn Männer in sein Zelt kamen (die Hälfte jedes Zeltes, der Männerteil, ist immer offen, und in der freien Wüste kann jeder eintreten), und auf ihre Bemerkungen antwortete, wellah, er habe Geschäfte zu erledigen, adieu, er müsse in die Versammlung, sie sollten gehen und Kaffee anderswo trinken. Aber wenn ein Scheich dabei war, ein Kaffeeherr, konnte Zeyd sich nur fügen und Kaffee zubereiten. Auch in seiner Abwesenheit mußte Kaffee zubereitet werden, wenn ein Scheich zu ihm als Scheich zu Besuch kam; nur dann nicht, wenn der Scheich freundlich ablehnte und sagte, billah, er würde nicht trinken. Hirfa war als Tochter und Verwandte eines Scheichs ein getreues Abbild von Zeyd und seiner Sparpolitik.
   Nun steht unser Lager, und die Männer kommen jetzt zum Kaffeefeuer, wenn der Scheich nicht in die Versammlung geht, um seine mittäglichen Schälchen dort zu trinken. Ein bißchen zusammengesuchtes Reisig wird neben die Feuerstelle geworfen; mit Feuerstein und Stahl beugt man sich hinunter, schlägt Funken, bläst die Flämmchen in trockenem Kameldung zum Leben, setzt dieses kleine Feuer unter dünne Strohhalme und streut mehr Kamelmist darauf. Während das Feuer größer wird, langt der Scheich nach den Dellal, den Kaffeetöpfen, die in der Futya, dem Korb für das Kaffeegeschirr, aufbewahrt werden. Dies Nomadenvolk verstaut jedes Besitzstück in einem besonderen Beyt, Behälter, da es sonst beim dauernden Umherziehen verlorenginge. Man steht auf, um die Töpfe aus den Wasserschläuchen aufzufüllen, oder eine Schüssel mit Wasser wird über den Vorhang vom Frauenteil herübergereicht. Wenn der Topf auf dem Feuer ist, reicht Hirfa ihre kleine Hand voll grüner Kaffeebohnen herüber. Wir sitzen im Halbkreis um das Feuer; vielleicht kommt ein Bekannter oder ein Stammesbruder vorbei, der von Menzil zu Menzil zieht.
   Zeyd bereitete Kaffee zu den üblichen Zeiten zu; später, als er gemerkt hatte, daß mir an seinem Kaffeewasser wenig lag, trank er seinen Kaffee anderswo. Wenn er nicht zur Versammlung ging, versteckte er sich zwei oder drei Stunden lang wie eine Eule oder wie ein Hund, wie die Beduinen sagten, in meinem kleinen geschlossenen Zelt, obwohl es dort drin unter der dünnen Leinwand in der Mittagssonne unerträglich heiß war. Es war lustig, Zeyd dort liegen und schwitzen zu sehen, und er bat uns kummervoll, allen Besuchern zu sagen, daß er nicht zu Hause sei; und seinen koboldhaften Stammesbrüdern machte es einen Heidenspaß, ihn dort aufzuspüren. »Mukarrin el Beduw! Listig sind die Beduinen!« sagen die Stadtaraber.
   Die Scheichs und vornehmen Männer versammeln sich im Zelt des größten oder eines anderen wichtigen Scheichs, wenn sie an einem neuen Lagerplatz angekommen sind. Dort trinken sie Kaffee; die meisten halten einen Kamelstock, Mishaab, Mehjan oder Bakhorra genannt, wie ein Zepter in der Hand, wie es schon in uralten Zeiten üblich war.
   Einige wenige Fragen beziehen sich auf die neue Lage der einzelnen Menzils, denn jeder Marsch ändert ihre Position zueinander, und nur wenige Zelte sind innerhalb des engen Wüstenhorizonts zu sehen. Während der Kaffee zubereitet wird, findet man die Beduinen schweigend, denn all ihre Gespräche hat es schon hundert Mal gegeben; manche sitzen einfach die Zeit ab und malen zum Zeitvertreib mit ihren Stöcken im Sand. Diese Stöcke tragen sie tagsüber. Wenn aber die Menzils weit auseinander liegen, haben sie ein Schwert in der Hand, ebenso bei Nacht; es hängt an einem Strick über der Schulter. Die besten sind die Ajamy, leicht gebogen mit einem einfachen gekreuzten Griff von wunderbarer Form, der mit Metalldraht umwickelt ist. Die zweitbesten nach diesen persischen Klingen sind die indischen, El-Hindy.
   Bei den Nomaden bedeutet das Wort »Arab« einfach »Volk«. Wenn reisende Beduinen in der Wüste auf Hirten treffen, fragen sie: »Wen El-Arab? Wo ist Dein Volk?« Die Vielzahl der Nomadenstämme in Ost und West nennen sie in der Mehrzahl El-Arban. Das andere Wort, das in alle unsere Sprachen übernommen worden ist, »Beduine«, ist im Arabischen »Beduwy«, das heißt Bewohner des öden Landes, der »Badia«; in der Mehrzahl heißt es »Bedauwy«, aber meistens wird »El-Beduw« benutzt.
   Wie wir so dasitzen, wird die kleine Schale mit ein paar schwarzen Tropfen zweimal gefüllt. Wenn alle ihre kochendheißen Schlucke an Kaffeewasser genommen haben und vielleicht einige Neuigkeiten erzählt sind, stehen die Männer nacheinander auf, um über den heißen Sand heimzugehen. Alle sind barfuß, man sieht kaum jemals einen Nomaden Sandalen tragen. Wenn alle daheim sind, sagen sie das Mittagsgebet, und wenn sie gegessen haben, verdösen sie meistens die drückenden Mittagsstunden im geschlossenen Frauenteil des Zeltes. Ich habe eine ehrenwerte Ehefrau gefragt, wie denn die faulenzenden Lümmel die langen Tage bis zum Abend hinbrächten, und bekam mit einem schüchternen Lächeln die Antwort: »Wie wohl, mein Herr, wenn nicht mit den Tröstungen des Harems!«
   Auf der Frauenseite, dem Harem des Zeltes, sind alle häuslichen Gerätschaften versammelt. Beim Trennvorhang stehen die paar ärmlichen Säcke aus dem gleichen Stoff wie das Zelt, El-Gush, in denen Korn und Reis aufgehoben werden, wenn sie denn etwas davon haben; ein paar Brocken Steinsalz, denn sie essen nichts Ungewürztes; auch der Vorrat der Hausfrau an Wolle und gesponnenem Garn - gut mit Wolle umgehen zu können gereicht den arabischen Frauen zur Ehre - und vielleicht ein paar Stücke neuer Baumwollstoff. Vielleicht gibt es auch noch ein Stück Färbewurzel, Ern, dessen leuchtendrote Späne in Wasser eingeweicht werden; zwischen Wandertagen behandeln sie damit zwei oder drei Tage lang Ziegenschläuche für das Aufbewahren von Wasser (Girbies) oder als Milchsäcke (Semilies), auch Leder für Wassereimer, Wassertröge und andere Nomadendinge. Selbst die ärmste Frau hat eine Schachtel (in der Regel aus der Stadt mitgebracht), in der ein bißchen Medizin, ihr Kamm und ihr Spiegel aufbewahrt werden, ihre einfachen ererbten Schmuckstücke, die Ohrringe und die Nasenringe aus Silber oder sogar Gold (überkommen von vorherigen Generationen); und in der Kiste sind vielleicht auch Kleinigkeiten, die ihrem Mann gehören (Männerkleidung hat keine Taschen) und die sie aufbewahrt. Aber wenn sie einen Mann von Bedeutung hat, einen Scheich, der Geldzuwendungen bekommt, dann hat sie eine verschließbare Kiste für sein Bündel Geld und ihre wenigen Besitztümer. Diese Kiste ist mit Zinnober aus Medina bemalt; sie ist während der Wanderung auf ihrem Lastkamel festgezurrt und dient damit auch als Zeichen für den Scheich-Status. So etwa, denke ich mir, könnte die heilige Lade der Kinder Israel ausgesehen haben, in denen sie die Heiligtümer ihrer Religion mit sich führten.
   Meistens hängt der Schlüssel zu dieser Schachtel oder Kiste als glitzernder Anhänger auf dem Schleier am Hinterkopf; er hängt zusammen mit Fingerhut und Pinzette (um sich die Dornen aus den nackten Fußsohlen zu ziehen) an einem leuchtend scharlachroten Band an der Binde um den Kopf.
   Gepreßte Datteln, wenn sie denn welche haben, werden in schwere Kamelhäute verpackt, deren lange Lederbänder man während des Wanderzuges an den Lastkamelen flattern sieht. Fransen und Quasten gefallen den Semiten; davon lesen wir schon bei Moses, und wir finden sie in antiken jüdischen Bildhauereien. Aus altem Kamelsackleder, getränkt mit dem Saft der Datteln, machen sie die besten Sandalen. Die vollbäuchigen, porösen Wasserschläuche legen sie auf Reisig oder anderes Wüstengrünzeug, damit es nicht den Boden berührt. Unter diesen Dingen befindet sich auch der große Messingtopf, Jidda, innen von einem Nomadenschmied oder einem Handwerker in einem Marktflecken verzinnt. Darin kochen sie ihre Butter zu Butterschmalz, wenn sie denn welche haben, und ihre wenigen Mahlzeiten. Darin bereiten sie auch Mahlzeiten für Gäste zu, wenn Besucher kommen.
    Die arabischen »Beit shaar« sind also Zelte aus selbst hergestelltem Haartuch. Diese »Häuser aus Haar« passen zu der trostlosen Landschaft! Das Zelt ist das semitische Haus; Lehmbauten werden ähnlich gebaut mit einem öffentlichen Teil für die Männer und die Gäste und einem inneren Frauen- und Haushaltsteil. Diese wandernden Häuser in der Wildnis, bewohnt von Räubern, sind auch Zufluchtsorte der »Gäste Gottes«, der Theuf Ullah, der Vorbeiziehenden, wer immer sie auch sein mögen. Gefährliche Herumstreifer im offenen Land, sind die Hirten der Wüste Könige im eigenen Zelt, Väter der Gastfreundschaft für alle, die bei ihnen für die Nacht Zuflucht suchen. Die armen Nomaden sagen, sind wir nicht alle Gäste Allahs? Was Gott gegeben hat, teilen sie mit Gottes Gästen. Wenn sie nicht Gott das Seine geben, wird es ihnen nicht gut ergehen. Wenn der Gast eingetreten ist und unter ihnen Platz genommen hat, wird ein ehrbares Schweigen gewahrt, es werden keine unzeitigen Fragen gestellt (so will es Brauch und Sitte der Wüste), bis der Gast zumindest etwas gegessen oder getrunken hat; und durch »Brot und Salz« herrscht Friede unter ihnen für eine gewisse Zeit (das sind zwei Nächte und der Tag dazwischen, solange der Besucher das Gastessen in sich trägt). So sind die goldene Welt und der »Schutz Allahs« mitten in der Wildnis beschaffen: Weitgereiste Beduinen sind bestürzt über die schäbige Ungastlichkeit der Städte - aber dort ist es unmöglich, die Nomadenbräuche aufrechtzuerhalten.

Dougthy, Charles
Travels in Arabia Deserta
Band 1, Cambridge 1888
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Arabien, 25 v. Chr. bis 2000 n. Chr.
Wien 2002

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