1907 - Otto Julius Bierbaum
In Jaffa [Tel Aviv]
Nach Jaffa ging die Fahrt, dem Pilgerhafen, wo schon die Kreuzfahrer erfuhren, daß man viele hundert Meilen lang ungefährdet übers Meer fahren und ein paar hundert Schritte von der Küste entfernt ersaufen kann. Denn die klippenreiche Reede von Jaffa ist voller Tücken. Auf der hohen See mag sich kein Wellchen regen, aber das Wasser zwischen den sicht- und unsichtbaren Klippen hier geht immer stürzend hoch. Die Sache ist so lebensgefährlich, daß die Hafenpolizei zuweilen das Ausbooten verbietet.
Wir hatten Glück und durften nach genossenem Lunch etwa um 1 Uhr hinüber. Da wir warteten, kamen wir ins letzte und größte Boot, einen breiten, flachen Kahn mit sechs Ruderern. Ein Neger hob meine Frau wie eine Hutschachtel hoch, setzte sie aber nicht sanft wie eine Hutschachtel, sondern fest wie einen Ballen Baumwolle auf die Bank. Sie wollte »Danke« sagen, es kam aber nur ein »Au!« zustande. Mit mir gedachte er gleiches zu tun, doch umschlang ich ihn so innig, daß es in meinem Belieben stand, mich niederzusetzen, wie ich wollte. Wie gern hätte sich meine Frau des Anblicks dieser Verbrüderung erfreut, aber ihre Abneigung gegen heftig bewegtes Wasser ließ es zu keiner ungemischten Freude kommen. Der Seekrankheit allein ist schon kein Humor gewachsen; tritt aber Todesangst hinzu, so vergeht das Lachen auch der souveränsten Frivolität. Selbst ich, den Wellen gegenüber von heroischer Gleichmütigkeit, fand diese Kahnpartie etwas bänglich, obwohl unsere sechs Ruderer mit großem Geschick Wellenwoge und Wellental berechneten und herzhaft dazu sangen. Und als wir uns gar den Klippen näherten, die wie Raffzähne auf uns zu lauern schienen, da dachte ich in meinem lieben Herzen: Absolut ausgeschlossen ist es nicht, daß du hier ersäufst. Und just jetzt legte der Neger seine Ruder bei, erhob sich und fing an, in dem unangenehm schunkelnden Kahn umherzuspazieren und jeden einzelnen Passagier um Bakschisch zu ersuchen. Welch ein Psychologe! Seine Seelenkenntnis machte sich gut bezahlt, und er hatte alle Ursache zu dem befriedigten Grinsen, mit dem er sich wieder an die Ruder setzte.
Unnötig zu sagen, daß wir hinüber kamen; sonst könnte niemand das hier Geschriebene lesen. Daraufhin Wanderung zu den Wagen durch ein paar Straßen Jaffas. Es mußte hier geregnet haben, denn wir schritten durch Moräste. Aber der Schlamm war belebt von viel Volk. Kramladen an Kramladen; Handwerkerbuden; Schreibertische. Auf einem erhöhten Stein lag ein halbnackter, schöner junger Kerl und schlief. Die entblößte Brust hob und senkte sich ruhig. Ich hatte die Empfindung, dieser junge Mensch müsse den Schlaf mit einem bewußten Genuß genießen, der uns leider versagt ist.
Unnötigerweise mußten Wagen bestiegen werden, um den nahen Bahnhof in wahnwitziger Galoppade zu erreichen. Dort wurden die riesigen, kernlosen Jaffaorangen zu äußerst niedrigen Preisen feilgeboten. Diese Früchte scheinen hier so viel wie gar nichts zu kosten, wenn man sie schon den Fremden halb verschenkt. Wir begriffen das, als wir an den Orangengärten vorbeifuhren, die in unglaublicher Üppigkeit mit den gelben Bällen behangen waren. Zuweilen lagen die Früchte haufenweise am Boden. Auch gab es riesige alte Ölbäume zu sehen und überhaupt eine Fruchtbarkeit von äußerster Fülle. Dazu viele Blumen von intensivster Färbung.
Bierbaum, Otto Julius
Die Yankeedoodle-Fahrt
Leipzig 1984; Originalausgabe München 1910; 2. Auflage