1908 - Eduard von Hoffmeister
In Palmyra
Von weitem schon sieht man links, durch ein tiefeingeschnittenes Wadi unterbrochen, Mauerreste, angeblich die Trümmer eines Aquaduktes, dann weiter, im sogenannten "Tal der Gräber", am Wege selbst eine ganze Reihe einzeln stehender, teilweise noch gut erhaltener und mit Inschriften versehener Grabtürme. Endlich treten die kahlen Höhen zurück, links (nördlich) erscheint auf einem gesonderten Bergkegel die vorerwähnte Burg Fachreddins, rechts entfernt ein grüner Streifen mit Palmen, und vor uns erheben sich in der von zahllosen Trümmern besäten Wüste leuchtend im Sonnenglanz die Ruinen von Palmyra oder Tudmur, alles überragend der Sonnentempel. Zu ihm führt eine lange Säulenreihe hin, an deren südlicher Seite ich entlang fahre, und hinter dieser liegen in einzelnen abgesetzten Gruppen Tempel- und sonstige Gebäudereste. Man muß sich als Mensch und besonders als Reisender vor Überschwenglichkeiten hüten, was aber hier sich dem Auge bietet, ist wirklich schön und einzig in seiner Art.
Das heutige Beduinendorf Tudmur (400 m) liegt unmittelbar neben und in dem Sonnentempel selbst, den es vollkommen durchsetzt und verbaut. Gerne folgte ich der Einladung des würdevollen Scheichs der Palmyrener Beduinen, Mohammed Abdallah, und nahm bei ihm Quartier. Der mir zugewiesene ziemlich große Raum war mit Teppichen und Polstern belegt, die ich mit nur allzu gerechtfertigtem Mißtrauen besah, während die Bettmatratzen nach dortiger Sitte in einer Wandnische aufgestapelt lagen, um erst abends über den Teppichen ausgebreitet zu werden. Vor zweiundzwanzig Jahren hatte der Scheich von einem Besuch der Ausstellung in Paris eine Engländerin mitgebracht, mit der er sechs Jahre in diesem Gemach zusammenlebte, bis sie, was man ihr kaum verdenken kann, eines Tages auf und davon ging.
Die Ruinen von Palmyra, durchweg von rötlich - gelbem Kalkstein, machen einen großartigen Eindruck, auch wenn man Baalbek gesehen hat. Herrlich ist der Sonnentempel des Gottes Bel; er zeigt ähnliche Anlage und Bauart wie derjenige in Baalbek, ist aber nicht so gut erhalten und leider durch die erwähnten Einbauten, worunter sich auch eine kleine Moschee befindet, im Überblick geschädigt. Vielfach muß man bei der Besichtigung über die Dächer der Fellachenhütten hinwegklettern. Die unter Benutzung antiken Materials in roher Weis aufgeführten Hochbauten stammen aus dem Mittelalter von Arabern, die den auf einer Terrasse errichteten und einst von starken Umfassungsmauern eingeschlossenen Tempel, ähnlich wie den zu Baalbek und wie das Kolosseum von EI Dschem in Tunesien, als Festung benutzten
Neben dem Tempel des Sonnengottes fesselt den Beschauer am meisten die Säulenreihe. Sie beginnt in einiger Entfernung westlich des Tempels mit einem noch gut erhaltenen Triumphbogen, zieht sich in annähernd westlicher Richtung nach der von der Feste Fachreddins gekrönten Bergkuppe mehr als 1.000 m weit über einen großen Teil des alten Stadtgebietes hin und endet vor einem etwas erhöht und quer vorliegenden säulengeschmückten Tempel oder Grabmal. Die Hauptflucht der Säulenstraße zeigt etwa auf halbem Wege eine geringe Brechung, wodurch von der Seite und noch mehr von der Höhe des Sonnentempels aus eine offenbar vom Künstler beabsichtigte, ganz eigenartige perspektivische Wirkung erzielt wird. Von den zahllosen 17 m hohen, vordem die Straßen und öffentlichen Plätze schmückenden Säulen mit korinthischen Kapitälen mögen noch an zweihundert stehen; sie haben vermocht, nicht nur der Zeit und der Zerstörung durch Menschenhand, sondern auch dem heftigen Erdbeben Stand zu halten, das im Anfange des zwölften Jahrhunderts n. Chr. überall in Syrien alles Bestehende zusammenwarf. Auffallend und auf andern Ruinenstätten von mir nicht beobachtet, sind die unter dem oberen Drittel der Säulenhöhe hervorragenden Sockel, auf denen Statuen von Göttern, Königen und auch, wie aus zahlreichen Inschriften hervorgeht, von bedeutenden Bürgern Aufstellung gefunden hatten.
Von der ehemaligen Herrlichkeit zeugen auch Säulen, Kapitäle und Steinblöcke, die zwischen dem Sonnentempel und der Säulenreihe sowie zu beiden Seiten der letzteren umgestürzt und in regellosem Durcheinander umherliegen. Es sind teils fehlende Stücke der Säulenreihe und der von ihr abzweigenden Straßen, teils aber auch, weil ganz anderer Art, Reste von Prachtbauten des Stadtgebietes selbst, welches man sich nördlich und südlich der Säulenreihe in weiter Ausdehnung, im Westen und Süden bis zu den jäh aufsteigenden Bergen, zu denken hat.
Der südliche Teil der einstigen Stadt ist von einem Bache mit warmem schwefligem Wasser durchflossen; er tritt südlich des "Tales der Gräber" aus einem Felsspalt heraus und hat im Verein mit einem andern, gleichfalls schwefliges Wasser führenden Bächlein im Osten und Süden der Ruinenstadt den bereits erwähnten grünen Streifen, die "Gärten Palmyras", geschaffen, um sich nach kurzem Laufe in einem ziemlich langen und schmalen Salzsee zu verlieren. Im nördlichen Teile sind noch einzelne freistellende Säulen und Gebäudegruppen erhalten, darunter besonders ein kleiner zierlicher Tempel, ein reines Schmuckkästchen.
Stundenlang war ich im Sonnenbrand auf dem Ruinenfeld umhergewandert oder eher -geklettert, und ermüdet ruhte ich nahe dem Triumphbogen auf einem Säulenstumpf aus. Es war Abend geworden, eine Flut von Farben spielte über die Wüste hin und in "wabernder Lohe" tauchte der Sonnenball, in einem letzten Aufleuchten noch einmal die Reste einer untergegangenen Welt mit glühendem Rot umhüllend, hinter die scharf gezackten dunklen Felsenhöhen hinunter, die ich am Morgen durchschnitten hatte. In dem sammetblauen Himmelsgewölbe stand gerade über mir nur ein einziger Stern; er zitterte wie schwimmend in dem Dunkel des Äthers. Schwache Windstimmen der Wüste, - sonst kein Laut, keine Bewegung. Ringsum nur die Wunder des Vergangenen. Und die ganze Herrlichkeit gehörte mir, war meine Welt, denn mir schien, als ob ich ganz allein darin sei und alles andere um mich tot. Wieder saß ich, ein einsames Menschenkind, wie vor zwei Jahren in den Ruinen von EI Dschem, so jetzt zwischen den Steinen Palmyras, und wieder war es, wie dort, die Unmittelbarkeit der Natur, die auf mich wirkte, die Vergangenheit, die mir die Stimmung schuf und, - das ist ja für mich immer der Reiz des Wanderns im Orient gewesen -, dem Leblosen ringsum Leben gab und Gestaltung. Man findet solche Stunden nicht oft; sie sind wie ein gütiges Geschenk des Schicksals, ein Zusammenklang von dem, was ist, und dem, was war. Nur wer das Gestern kennt, kann ja das Heute verstehen.
Bis vor wenig Jahrzehnten noch galt der Besuch Palmyras, das sich bald im Besitze des mächtigen Beduinenstammes der Amur, bald in dem der Ennese befand, als ein gefährliches, nur selten unternommenes Beginnen. Das ist jetzt anders geworden; freilich die Mühsal ist geblieben, die Gefahr aber gemindert.
Hoffmeister, Eduard von
Kairo-Bagdad-Konstantinopel
Leipzig und Berlin 1910