Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1483 - Felix Fabri
Ungebührliches Benehmen in der Grabeskirche
Jerusalem

Als es nun Abend geworden war, rief man uns Pilger zum Tempel des Heiligen Grabes, und als wir alle auf den Vorplatz gekommen waren, kamen die heidnischen Herren mit den Schlüsseln des Tempels, wie vorgeschrieben ist, ließen uns ein und schlossen uns ein. Mit uns kamen viele fremde Pilger, Christen des Orients, nicht von unserer Sekte, und viele Kaufleute mit allerlei Hantierung. Als wir nun wie gewohnt die heiligen Stätten im Tempel aufgesucht und uns zur Ruhe gelegt hatten um zu schlafen, da machten die fremden Pilger ein solches Geschrei mit Singen und Lesen nach ihrer Weise, dass keiner Ruhe finden konnte. Auch sangen in dieser Nacht Christen von anderen Sekten viel und wild und hielten abends Messen in ihren Chören. In dem Tempel sind mancherlei Christen vieler Zungen und unterschiedlichen Glaubens und geteilter Sekten, und eine jegliche Sekte hat ihren eigenen Chor in der Kirche. Da sind Griechische, Jakobiten, Georgiten, Indianer, Abessinier, Nubier, Armenier und Römische oder Lateinische wie wir. Die Sekten haben alle ihre besonderen Ampeln im Heiligen Grab und auf dem Kalvarienberg und an den heiligen Stellen im Tempel. Sie haben auch ihre Priester und Messämter mit gar wildem Gesang und seltsamer Weise und haben auch Artikel in ihrem Glauben, einen Teil mehr, einen Teil minder als wir und haben große Irrungen in den Stücken des Glaubens und den Sakramenten und der Gewalt der heiligen Kirchen und des Papstes und der Bischöfe, von denen sie gar nichts halten. Darum halten wir alle Christen des Orients für Ketzer und zertrennen die christliche Vereinigung und achten weder sie noch ihre Sitten. Sie sehen uns auch sauer an und sind uns nicht huld – darin gleichen wir uns. Doch von den bösen Christen sind uns die Griechischen am feindlichsten gesinnt, die immer gegen die lateinisch-römische Kirche gewesen sind und dem Heiligen Stuhl von Rom ungehorsam und in vielen Konzilen treulos und an uns meineidig geworden sind. Viel wäre zu schreiben von dem wunderlichen wilden Glauben dieser Christen, aber ich lasse es bleiben.
    In dieser Nacht waren wir auch im Tempel unruhig wegen des Geschacheres, das die vielen Krämer und Kaufleute; mit denen hatten die Pilger in der Nacht viel Gemärcks, wenn sie von ihnen Edelsteine, Paternoster, Ringlein, Kreuzlein und andere Waren kauften, die sie zu guten Freunden heimtragen wollten und an den heiligen Orten rieben. Die Kaufleute und ihr Geschachere machten viel Unruhe und Verwirrung unter der Pilgerschaft, und so machte uns das die Nacht gar unruhig, dass einige von den Edelleuten unter den Pilgern mit Hammer und Meißel ihre Namen, Wappensprüchen, Schilder oder Zeichen in den Marmor und die Wände zu hauen. Es ist uns auch von Pilgern, die nach uns oder vor uns kamen, im Tempel beim Heiligen Grab und an anderen heiligen Stätten viel Unruhe und Schande begegnet, weil etliche Pilger so curiosi und vorwitzig waren, dass sei von allen Stätten Stücklein und Steinlein heimbringen wollten, weshalb sie vom Heilligen Grab und vom Kalvarienberg und um und um durch das Heilige Land von den heiligen Stätten, die mit poliertem Marmor von den alten Christen geziert waren, Stücklein abhauten, abschlugen, abrissen und abzerrten und so die heiligen Stätten zu Schanden machten, und sie selbst und wir Ziel von Hass und Spott wurden. Was ich in dieser Sache Unrechtes im Tempel des Heiligen Grabes, auf dem Berg Zion, am Ölberg und zu Bethlehem und in Bethanien und auch bei Sankt Katharina am Berg Sinai gesehen habe, will ich nicht schreiben; viel Schande ist über uns gegangen wegen des Abreißens und Abschlagens. Doch will ich es nicht verschweigen, damit sich die Edelleute, die dieses Büchlein lesen, bei den heiligen Stätten zu hüten wissen; ich war dabei, als man allen Pilgern am Heiligen Grabe den Bann des Papstes verkündet hat, der so lange galt, bis sie die Stücke zurückgegeben hatten, die sie von Heiligen Grab und den anderen heiligen Stätten im Tempel abgeschlagen hatten. Und dazu wurde uns gedroht, sollten wir uns an den Bann nicht kehren, so würde man uns den heidnischen Herren von Jerusalem verklagen, die würden uns um Leib und Gut bringen. Das gleiche geschah auch zu Sankt Katharina; da wurden auch Stücke von ihrem Grab abgeschlagen; als das die Mönche merkten, drohten sie uns, sollten wir ihnen die Stücke nicht wiedergeben, so wollten sie uns den Arabern und Madianiten überlassen, die würden uns dazu bringen, Gold und Silber zu geben, und wir müssten Gott danken, wenn sie uns am Leben ließen. Wie sich fromme Pilger da vor fremden Leuten schämen müssen, und welche Schande, Angst und Sorge es da gibt, und was in fernen fremden Landen so zugeht, mag ein vernünftiger  Mensch wohl bedenken. Von allen heiligen Stätten habe ich Steinlein und Stücklein mit mir heimgebracht, aber ohne Schaden und ohne Verminderung der heiligen Stätten, aber dazu gehört eine besondere Praxis.
    Als es nun Mitternacht geworden war, da hoben wir an, im Tempel die Messe zu lesen, und trieben das bis zum hellen Tage; dann sangen wir ein Hochamt, und nach dem Hochamt kamen die Heiden und riefen uns aus dem Tempel.

Fabri, Felix
Eigentlich Beschreibung der Hin unnd Wider Farth zu dem Heyligen Landt gen Jerusalem und furter durch die großen Wüsten zu dem Heyligen Berge Horeb und Sinay …
Frankfurt/M. 1557

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