Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1812 - Johann Ludwig Burckhardt
Wadi Musa: Die Entdeckung von Petra und die Mär von den Schatzräubern

Wir kamen an mehreren zwischen steilen Felsen liegenden Nebenschluchten vorüber, durch die sich einige kleinere Bäche von der Südseite des Syk [enges Tal] sich in den Fluß ergießen. Ich ging in keine hinein, sah aber, daß sie mit Desie-Bäumen dick überwachsen waren. Mein Führer sagte mir, daß es in diesem Tal keine Altertümer gäbe; aber das Zeugnis dieser Leute über solche Dinge verdient wenig Glauben. Unten auf seinem Grund ist das Syk jetzt mit großen Steinen bedeckt, die der Strom mitgebracht hat, und es scheint wenigstens nach dem westlichen Ende mehrere Fuß höher zu liegen als in älterer Zeit.
   Nachdem wir ungefähr 20 Minuten zwischen den Felsen weitergegangen waren, kamen wir an eine Stelle, wo der Weg sich erweitert und wo das Bett eines anderen, von Süden kommenden Stromes sich mit dem Syk vereinigt. An der Seite des senkrechten, dem Ausgang des Haupttals gerade gegenüber stehenden Felsen erblickten wir ein ausgehöhltes Grabmal, dessen Lage und Schönheit notwendigerweise einen außerordentlichen Eindruck auf einen Reisenden hervorbringen müssen, der fast einen halbe Stunde lang auf einem so dunklen, fast unterirdischen Weg wie der beschriebene war gegangen ist. Es ist einer der geschmackvollsten Überreste des Altertums in Syrien und so gut erhalten, als ob es eben erst fertig geworden wäre. Bei genauerer Untersuchung fand ich, daß es ein Werk von ungeheurer Arbeit war.
   Der Hauptteil ist ein Zimmer von 16 Fuß im Quadrat und von ungefähr 25 Fuß Höhe. An den Mauern, die so wie das Dach ganz platt sind, findet sich nicht der geringste Schmuck, aber die Außenseite der Eingangstür ist reichlich mit architektonischen Verzierungen versehen. Mehrere breite Stufen führen zum Eingang, und vor der Front des Ganzen findet sich eine Kolonnade von vier Säulen, die zwischen zwei Pilastern stehen. Auf jeder der drei Seiten der großen Zimmers ist ein Gemach zur Aufnahme der Toten. Eine ähnliche, aber größere Vertiefung öffnet sich an jeder Seite des Vorhofs, der nicht so lang ist wie die Kolonnade der Front, sondern an jedem Ende zwischen dem Pilaster und der benachbarten Säule schließt. Die Türen der beiden sich in den Vorhof öffnenden Gemächer sind mit eingegrabener Arbeit verziert, die reicher und schöner ist als an der Tür des Hauptzimmers. Die Kolonnade ist ungefähr 35 Fuß hoch, die Säulen haben etwa drei Fuß im Durchmesser und korinthische Kapitelle. Die Pilaster an den beiden Enden der  Kolonnade und die beiden ihnen zunächst stehenden Säulen waren, wie alles übrige, aus dem Ganzen des Felsens gearbeitet, nur die beiden mittleren Säulen, von denen die eine umgefallen ist, waren besonders aufgebaut und jede aus drei Stücken zusammengesetzt. Der Säulengang ist mit einem Gesims versehen, über dem sich noch andere Verzierungen befinden, die, wenn ich recht gesehen habe, aus einem einzelnen Zylinder, oben mit einer Vase, bestanden hat, der zwischen zwei anderen Figuren stand,die wie kleine Tempel aussahen und von Pfeilern getragen wurden. Die ganze Höhe von der Basis der Säulen bis zur Spitze der Verzierungen mag ungefähr 60 bis 65 Fuß betragen. Der Architrav der Kolonnade ist mit Vasen verziert, die durch Festons miteinander verbunden sind. Die äußere Mauer des Zimmers an jedem Ende des Vorhofes, die der Front zwischen dem Pilaster und der benachbarten Säule gegenübersteht, war mit kolossalen Figuren in halb erhabener Arbeit geschmückt. Aber ich konnte nicht herausbringen, was sie vorstellten. Eine von ihnen schien eine weibliche Person zu sein, die auf einem Tier saß, das, dem Schwanz und den Hinterbeinen nach zu urteilen, ein Kamel war. Alle übrigen Verzierungen der Skulptur an diesem Monument sind vollkommen erhalten.
   Die Eingeborenen nennen diesen Denkmal Kasr Faraun oder Kastell des Pharao und behaupten, daß es die Residenz eines Fürsten gewesen sei. Aber es war wohl eher ein fürstliches Grabmal; groß aber muß der Reichtum einer Stadt gewesen sein, die dem Andenken ihrer Herrscher solche Denkmäler widmen konnte.
   Von dieser Stelle aus erweitert sich, wie gesagt, das Syk, und der Weg geht ein hundert Schritte weiter hinab durch einen geräumigen Gang zwischen den beiden Klippen. Auf beiden Seiten sind mehrere, sehr große in die Felsen gehauene Grabmäler. Gewöhnlich bestehen sie aus einem einzelnen hohen Gemach mit einem platten Dach; einige von ihnen sind größer als das Hauptzimmer im Kasr Faraun. Die Wände derer, in die ich ging, waren ganz eben und ohne Zierrate. In einigen sind kleine Seitenzimmer mit Vertiefungen im Felsen zur Aufnahme der Toten; in anderen fand ich zu demselben Zweck auf dem Fußboden unregelmäßige, kleine Vertiefungen von sechs bis acht Fuß und von der Figur eines Sarges. Auf dem Boden eines Grabmals zählte ich zwölf Vertiefungen dieser Art und eine tiefe Nische in der Mauer, wo wahrscheinlich die Hauptglieder der Familie, der das Grabmal gehörte, beigesetzt wurden.
   An der Außenseite dieser Grabmäler ist der Fels oben und auf beiden Seiten der Tür senkrecht weggehauen, so daß die äußere Fassade in der Regel länger ist als das innere Gemach. Ihre gewöhnlichste Form ist die einer abgestumpften Pyramide, und da sie so gemacht sind, daß sie einen oder zwei Fuß aus der Masse des Felsens heraustreten, so haben sie von fern gesehen das Ansehen einzeln stehender Gebäude. Auf jeder Seite der Front ist gewöhnlich ein Pilaster, und die Tür ist selten ohne einige geschmackvolle Verzierungen.
   Diese Fronten gleichen denen von mehreren der Gräber in Palmyra, aber die in Palmyra sind nicht in den Felsen ausgehöhlt, sondern aus gehauenen Steinen gebaut. Ich glaube aber nicht, daß in Wadi Musa zwei Gebäude einander vollkommen gleich sind; im Gegenteil sind sie an Umfang, Gestalt und Verzierungen sehr verschieden. An einigen Stellen sind drei Grabmäler, eins über dem anderen, eingehauen, und die Seite des Berges ist so steil, dass es unmöglich scheint, sich dem obersten zu nähern, da nirgends ein Fußsteig sichtbar ist; einige von den niedrigeren haben ein paar Stufen vor ihrem Eingang.
   Geht man ein wenig weiter längs der Gräber, so erweitert sich das Tal bis ungefähr 150 Ellen Breite. Zur Linken findet sich hier ein ganz aus dem Felsen gehauenes Theater mit allen seinen Sitzen. Es kann ungefähr 3.000 Zuschauer fassen. Die Arena ist jetzt mit Kies ausgefüllt, den der Winterstrom mit herabbringt. Auf dieselbe Weise ist der Eingang zu vielen Gräbern verstopft. Nahe beim Theater finden sich keine Überreste von Säulen. Als ich dem Strom ungefähr 150 Schritte lang folgte, öffneten sich die Felsen noch mehr und ich trat auf eine 200 bis 300 Ellen (Yards) Breite und von allmählich ansteigenden Anhöhen begrenzte Ebene. Hier ist der Boden mit Haufen behauener Steine, mit Fundamenten von Gebäuden Bruchstücken von Säulen und Überresten gepflasterter Straßen bedeckt. Alles zeigt deutlich an, daß einst eine große Stadt hier gestanden hat. Auf der linken Seite des Flusses ist die etwas erhöhte Ebene, die sich beinahe eine Viertelstunde westwärts erstreckt, ganz mit ähnlichen Überbleibseln bedeckt. Auf dem rechten Ufer, wo der Boden höher ist, sieht man eben dergleichen Ruinen. Im Tal dicht am Fluß sind die Gebäude wahrscheinlich durch das Ungestüm des Winterstromes weggeschwemmt; aber selbst hier erblickt man noch die Fundamente eines Tempels und einen Haufen zertrümmerter Steine, in deren unmittelbarer Nähe ein Wasserbehälter ist, der noch jetzt die Einwohner während des Sommers versorgt. Die Schönsten Grabmäler in Wadi Musa sind in der östlichen Klippe, die diesen offenen Raum mit einschließt, wo ich mehr als fünfzig dicht nebeneinander zählte. Hoch oben in der Klippe bemerkte ich ein besonders großes, mit korinthischen Pilastern geschmücktes Grabmal.
   Weiter westlich wird das Tal durch Felsen verschlossen, die sich nordwärts erstrecken. Der Fluß hat sich einen Weg hindurch gebahnt und läuft, wie mir gesagt wurde, etwa eine Viertelstunde unter der Erde. Nahe am westlichen Rand von Wadi Musa befinden sich die Ruinen eines stattlichen Gebäudes, dessen Mauer zum Teil noch steht. Die Einwohner nennen es Kasr Bent Faraun oder Palast der Tochter Pharaos. Auf meinem Wege war zur Verwunderung meines Führers in mehrere Gräber gegangen, aber als ich aus dem Fußsteig ausbog und mich dem Kasr zuwandte, rief er aus: "Jetzt sehe ich deutlich, daß Du ein Ungläubiger bist, der unter den Ruinen der Stadt seiner Vorfahren ein besonderes Geschäft hat; aber verlaß' Dich darauf, daß wir von allen hier verborgenen Schätzen auch nicht einen Para werden wegnehmen lassen, denn sie liegen auf unserem Gebiet und gehören  uns!" Ich erwiderte, es sei bloße Neugier, die mich bestimme, die alten Gebäude zu betrachten, und daß ich in keiner anderen Absicht hierher gekommen war, als um dem Aaron zu opfern. Aber er war nicht leicht zu überzeugen, und ich hielt es nicht für klug, ihn durch eine zu genaue Besichtigung des Palastes zu reizen, denn er hätte bei seiner Rückkehr leicht die Meinung äußern können, daß ich Schätze gefunden hätte, und dies hätte dann vielleicht zu Nachforschungen über meine Person und zur Entdeckung meines Tagebuchs Veranlassung gegeben, das man mir gewiß als ein Zauberbuch weggenommen haben würde. Es ist für europäische Reisende sehr unangenehm, daß die Idee von Schätzen, die in den alten Gebäuden versteckt liegen, in den Seelen der Araber und Türken so fest verwurzelt ist. Sie begnügen sich nicht damit, Tritte und Schritte des Fremden zu bewachen, sondern glauben, daß ein rechter Zauberer nur den Fleck gesehen und sich gemerkt zu haben braucht, wo die Schätze verborgen liegen, von denen er nach ihrer Meinung durch die Bücher der Ungläubigen, die an dem Orte lebten, bereits unterrichtet ist, um dann bequem den Hüter der Schätze zu Auslieferung zu zwingen. Es half mir nicht, wenn ich ihnen sagte, daß sie mir folgen und sehen möchten, ob ich nach Gold suchte. Ihre Antwort war: "Freilich werdet Ihr nicht wagen, es vor unseren Augen fortzunehmen, aber wir wissen, daß, wenn Ihr ein geschickter Zauberer seid, ihr ihm befehlen könnt, Euch an jeden beliebigen Ort zu folgen." Wenn der Reisende die Dimensionen eines Gebäudes oder einer Säule aufnimmt, so sind sie überzeugt, es sei ein magischer Prozeß. Selbst die am liberalsten gesinnten Türken in Syrien haben dieselben Ansichten, und je mehr Reisende sie sehen, desto fester ist ihre Überzeugung, daß diese nach Schätzen suchen. "Mau Delayi, er hat Anzeigen von Schätzen bei sich", ist ein Ausdruck, den ich hundertmal gehört habe.

Burckhardt, Johann Ludwig
Reisen in Syrien, Palästina und der Gegend des Berges Sinai
Band 2, Weimar 1824

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