1842 - Ida Pfeiffer
Damaskus
3. Juli 1842. Diesen Morgen hatten wir durch zwei Stunden einen höchst angenehmen und ziemlich guten Weg, bis wir an eine Felsschlucht gelangten, die uns kaum den Eingang zu gestatten schien. Immer enger und enger traten die Felsenmassen zusammen, und wir zogen auf schmalen Pfaden an einem ausgetrockneten Strombett über Steingerölle fort. Kaum fanden wir oft Raum genug, den uns entgegenkommenden Karawanen auszuweichen. Dachten wir einen solchen Engpaß mit Mühe überstanden zu haben und ins Freie zu gelangen, gleich wurden wir wieder in eine noch traurigere und ödere Schlucht verschlagen. So ging es einige Stunden fort, bis die Felsmassen zu Sandbergen wurden und jede Vegetation gänzlich verschwand. Da erklommen wir die letzte Höhe, und Damaskus, die "vielgepriesene Stadt des Orients", lag vor uns.
Überraschend ist ihr Anblick allerdings, wenn man, heraustretend aus den unwirtlichen Felsen und Sandgebirgen, zu seinen Füßen ein üppig großes Tal ausgebreitet sieht, das durch sein frisches Grün den seltsamsten Gegensatz zu seiner öden Umgebung bildet, und in der Mitte dieses Tales, eingefaßt von Gärten und zahllosen Bäumen, die langgedehnte Stadt mit den freundlichen Moscheen und den schlanken, hoch emporragenden Minaretten; doch so entzückend schön, um mit manchen Reisenden ausrufen zu können: "Dies ist der schönste Punkt auf Erden!", fand ich ihn bei weitem nicht.
Die Ebene, in der Damaskus liegt, zieht sich am Fuße des Antilibanon fort bis zu dem Berg Scheick und ist auf drei Seiten von Gebirgen, aber von den ödesten, die man sich vorstellen kann, von lauter Sandgebirgen, umgeben. Auf der vierten Seite verläuft sich die Ebene in die Sandwüste. So reich dies Tal an Wasser ist, da von allen Bergen Quellen herabströmen, deren man aber von unserem Standpunkte aus keine einzige sah, so hat sie doch keinen Strom. Das Wasser kommt und verschwindet unter dem Sande, nur zunächst der Stadt und in derselben entfaltet es seinen Reichtum.
Noch hatten wir von dem Hügel, wo wir Damaskus zuerst erblickten, eine gute Stunde bis an die Pflanzungen. Diese bestehen aus großen Gärten von Mischmisch-, Nuß-, Granatäpfel-, Orangen- und Zitronenbäumen, mit Lehmwänden eingesäumt, von breiten, langen Straßen durchzogen und von rauschenden Quellen erfrischt. Lange ritten wir in dem Schatten dieser fruchtspendenden Wälder, bis wir durch ein großes Tor die Stadt betraten. Unsere begeisterte Erwartung von der vielbesungenen Götterstadt wurde bei jedem Schritt bedeutend herabgestimmt.
Die Häuser sind durchgängig aus Lehm und Erde, und unzählige garstige Erker von Holz sowie auch dergleichen Gitter vor den Fenstern geben dem Ganzen ein widerliches, beengendes Ansehen. Damaskus ist durch Tore, die bald nach Sonnenuntergang geschlossen werden, in viele Stadtteile geschieden. Durch viele solche Tore sowie auch durch den längsten Teil des Bazars mußten wir wandern, um an das Franziskanerkloster zu gelangen.
Wir hatten an dem heutigen Tag einen Weg von elf Stunden bei einer Hitze von 35 bis 36 Grad Reaumur zurückgelegt und durch den glühendheißen Wind, der noch dazu feinen Sand mit sich führte, unendlich viel gelitten. Unsere Gesichter waren so verbrannt, daß wir uns füglich für Abkömmlinge von Beduinen hätten ausgeben können. Diesen einzigen Tag fühlten wir auch unsere Augen ein bißchen angegriffen.
Obwohl wir sehr ermüdet im Kloster ankamen, so hatten wir doch nichts Eiligeres zu tun, als den Staub abzuschütteln, die brennenden Augen zu waschen und zum französischen und englischen Konsul zu eilen, so begierig waren wir, die vielgerühmten Schönheiten des Inneren dieser Lehmhütten zu sehen.
Durch eine niedere Tür traten wir in einen Gang, aus diesem in einen großen Hof, und da war es, als ob wir wie mit einem Zauberschlag auf den Schauplatz eines jener phantasiereichen Märchen der "Tausendundeinen Nacht" versetzt würden: alle Pracht des Morgenlandes lag vor unseren trunkenen Blicken. In der Mitte des mit großen Steinplatten belegten Hofes war ein großes Wasserbassin mit einem Springbrunnen angebracht, das eine angenehme Kühle verbreitete. Orangen- und Zitronenbäume neigten ihre goldenen Früchte zur kristallreinen Flut, und an den Seiten liefen Blumenbeete mit wohlduftenden Rosetten, Balsaminen, Rosen, Oleander bis zu den Stufen, welche in den Empfangssaal führten. Alles schien aufgeboten, dieses große, hochgewölbte, dem Hofe zu halb offene Gemach glänzend und herrlich auszuschmücken. Schwellende Diwans, mit den reichsten Stoffen überzogen, liefen rings an den Wänden, die, reich und kunstvoll mit Spiegeln, geschnitzten und gemalten Arabesken mit Mosaikarbeiten und Vergoldungen geziert, eine nie geahnte Pracht entfalteten. Im Vordergrund dieses Zaubergemaches sprudelte ein Wasserstrahl in ein Marmorbecken. Der Boden war ebenfalls mit Marmor, der in verschiedenen Farben die schönsten Zeichnungen bildete, belegt, und über das Ganze jener Zauber des Geschmackes hingehaucht, der den Orientalen so eigen ist und der dem Reichen, Prächtigen auch den Reiz des Anmutigen zugesellt. Die Gemächer, wo die Frauen sich aufhalten und ihre vertrauteren Besuche empfangen, sind ähnlicher Art wie das eben beschriebene, doch etwas kleiner, nicht so reich ausgestattet und vorne ganz offen. Die übrigen Zimmer liegen gleichfalls um den Hof, zwar einfach, aber freundlich und bequem eingerichtet.
Wie wir es in diesen Häusern fanden, ebenso sieht es auch in jenen der Orientalen aus, nur laufen die Eingänge der Frauengemächer in einen anderen Hof als jene der Männer.
Nachdem wir alles zur Genüge besehen und bewundert hatten, kehrten wir in unser gastliches Kloster zurück. Diesen Abend bewirteten uns die geistlichen Herren. Eine ziemlich gute Mahlzeit nebst Wein und gutem Brot gab uns zum Teil die verlorenen Kräfte wieder.
In Beirut machte man uns ordentlich bange vor der Unzahl gewisser kriechender Tierchen, die sich gerne in jede Fuge der Bettstellen einnisten, so daß ich mich nur mit Überwindung und Abscheu zur Ruhe begab, aber unbelästigt verging diese und die folgende Nacht.
4. Juli 1842. Damaskus ist eine der ältesten Städte des Orients, und doch sieht man keine Ruinen, ein Beweis, daß nie großartige Gebäude existierten und daß an den Stellen der unbrauchbar gewordenen alten gleich wieder neue erstanden.
Wir besuchten heute den Sitz allen Reichtums, den großen Bazar. Er ist größtenteils gedeckt, aber nur mit Strohmatten oder Balken. Zu beiden Seiten sind hölzerne Buden aneinandergereiht, die alle möglichen Artikel enthalten, vorzüglich aber Eßwaren, deren Wohlfeilheit wirklich beispiellos genannt werden kann. Ganz besonders schmackhaft fanden wir die Mischmisch.
Die kostbaren und wertvollen Waren werden wie in Konstantinopel nicht ausgestellt, diese muß man in den verschlossenen Magazinen suchen. Die Buden gleichen ärmlichen Kramläden, der Kaufmann sitzt in der Mitte seines Warenlagers. Wir durchschritten den Bazar nur flüchtig, um bald zur Großen Moschee zu gelangen, welche im Mittelpunkt desselben liegt. Da wir aber nicht einmal ihren Vorhof, viel weniger sie selbst betreten durften, so mußten wir uns begnügen, die großmächtigen Portale anzustaunen und nur ganz verstohlene Blicke in den Vorhof hineinzuwerfen. Diese Moschee war ursprünglich eine christliche Kirche, in ihr soll der heilige Georg enthauptet worden sein.
Ausgezeichnet schön ist der Chan, ebenfalls in der Mitte des Bazars. Er soll der schönste im ganzen Orient sein. Das hohe, kühn gewölbte Portal ist mit Marmor belegt und mit schönen Skulpturarbeiten verziert. Das Innere bildet eine großartige Rotunde, um welche in den höheren Räumen abgeteilte und mit Schreibtischen für die Kaufleute versehene Galerien laufen, während unten in den Hallen die Waren in Kisten und Ballen aufgeschichtet liegen und an den Seiten die Gemächer für die reisenden Kaufleute angebracht sind. Boden und Wände sind größtenteils mit Marmor belegt.
Überhaupt scheint man in Damaskus den Marmor sehr zu schätzen. Alles, was für schön und kostbar gilt, ist entweder aus reinem Marmor oder doch zum Teil mit dieser Steinart ausgelegt. So ist ein niedlicher Springbrunnen auf einem kleinen Platz am Bazar aus Marmor aufgeführt, und ein Kaffeehaus gegenüber dieser Fontäne, das größte und besuchteste, mit einigen kleinen Marmorsäulen geziert. Doch alle diese Gebäude, selbst das große Badehaus nicht ausgenommen, würden nicht halb so gerühmt und betrachtet werden, wenn sie in einer besseren Umgebung ständen. So aber glänzen sie freilich aus den Lehmhütten und Lehmhäusem von Damaskus hervor.
Nachmittags besuchten wir die Grotte des heiligen Paulus, die gleich außerhalb der Stadt liegt. An der Stadtmauer zeigte man uns die Stelle, wo dieser Heilige zu Pferde über die Stadtmauer sprang, unbeschädigt den Boden erreichte und sich vor seinen Feinden in diese nahe Grotte flüchtete, deren Eingang sich hinter ihm geschlossen und erst als die Verfolgung nachgelassen, wieder geöffnet haben soll. Jetzt ist von dieser Grotte nichts mehr zu sehen als ein unbedeutender steinerner Bogen, gleich einer Brücke gespannt. Grabmäler neuerer Zeit, aus gemauerten, mit großen Steinplatten bedeckten Gewölben, sieht man viele in der Nähe dieser Grotte.
Wir statteten noch mehrere Besuche ab. Überall fanden wir dieselbe innere Pracht und Einteilung, nur in einem Haus mehr, in dem anderen minder. Überall wurde mit Kaffee, Scherbett und Nargileh aufgewertet und in den Wohnungen der Türken ein langweiliges Gespräch durch den Dolmetsch geführt.
Eigentliche Spaziergänge oder Belustigungsorte gibt es hier nicht. Die Zahl der Franken ist zu unbedeutend, als daß sie für sich einen Ort des gemeinsamen Vergnügens schaffen könnten, und der Türke fühlt ein solches Bedürfnis gar nicht. Er schlendert höchstens vom Bad in das Kaffeehaus, tötet da in gedankenlosem Hinstieren seine Zeit, raucht dabei aus der langen Wasserpfeife und schlürft Kaffee dazu. Die Kaffeehäuser, obwohl sie im ganzen Orient die am meisten besuchten öffentlichen Orte sind, gleichen überall wahren Baracken. Sie sind durchgängig klein und meist nur von Holz aufgeführt.
Die Tracht der Bewohner von Damaskus ist die gewöhnliche orientalische, doch in keiner Stadt sah ich die Leute durchgehend so gut gekleidet wie hier. Die Frauen gehen teils verschleiert, teils auch mit unbedecktem Gesicht. Ich sah recht hübsche Physiognomien unter ihnen, aber ganz besonders viele schöne Kindergesichtchen lächeln einem von allen Seiten neugierig entgegen.
In Beziehung auf ihre Religion müssen sie sehr fanatisch und Oberhaupt auch den Fremdlingen nicht gewogen sein. So wollte zum Beispiel der Maler S. den Chan, den Springbrunnen und einige andere interessante Gegenstände oder Ansichten abzeichnen. Er setzte sich zu diesem Zwecke vor das große Kaffeehaus, um den Anfang mit dem Springbrunnen zu machen. Doch kaum hatte er die Mappe aufgerollt und die Zeichnung halb entworfen, als sich eine Schar Neugieriger um ihn gruppierte und, als sie seine Absicht gewahrte, ihn auf alle mögliche Art zu stören suchte. Erst stießen sie die ihm zunächst stehenden Kinder gegen ihn, daß er jeden Augenblick einen Stoß bekam und im Zeichnen gehindert wurde. Als er dessenungeachtet fortarbeitete, stellten sich mehrere Türken knapp vor ihm hin, um ihn der Ansicht des Springbrunnens zu berauben. Als Herr S. noch immer nicht den Platz räumte, hoben sie Steine auf und fingen an, nach ihm zu spucken. Nun war es höchste Zeit, sich zurückzuziehen. Herr S. packte eilig zusammen, um nach Hause zu eilen. Da brach dann die volle Wut des gemeinen Haufens aus. Man verfolgte ihn mit lärmendem Geschrei, ja einige warfen sogar mit Steinen nach ihm. Glücklicherweise erreichte er dennoch unbeschädigt unser Asyl, das Kloster.
Während Herr S. in Konstantinopel, Brussa, Ephesus und in mehreren anderen Städten des Morgenlandes ungehindert zeichnen konnte, mußte er sich hier flüchten. So ist das hiesige, nach den Berichten mancher Reisender gastfreundliche, gefällige Volk beschaffen.
Des folgenden Morgens mit Sonnenaufgang begab sich Herr S. auf die Terrasse des Klosters, um eine Ansicht der Stadt aufzunehmen. Auch hier ward er entdeckt, zum Glück aber erst nach einige Stunden, als er seine Arbeit schon beendet hatte, so daß er gleich beim ersten Steinwurf ganz ruhig das Feld räumen konnte.
5. Juli 1842. Wir trafen hier den Grafen Z., welcher mit seiner Dienerschaft einige Tage vor uns angekommen war und heute die Reise nach Baalbek fortsetzen wollte. Graf Z. hatte eigentlich im Sinne, von hier einen Ausflug nach der weltberühmten Stadt Palmyra zu machen, eine Reise, die hin 95
und zurück zehn Tage erfordert hätte. Er ersuchte den Pascha, ihm zu diesem Endzweck eine sichere Eskorte zu geben. Sie wurde ihm aber versagt mit dem Bemerken, daß er, nämlich der Pascha, schon seit einigen Jahren niemandem mehr die Erlaubnis zu dieser gefahrvollen Reise erteile, da bisher noch alle Reisenden von den herumstreifenden Beduinen ausgeplündert und wohl gar gemordet worden seien; eine so große Eskorte aber, die stark genug wäre, allen Angriffen siegreich zu widerstehen, vermöge er nicht zu geben. Nach dieser abschlägigen Antwort wandte sich Graf Z. an einige Häuptlinge der Beduinen, die ebenfalls keine sichere Reise verbürgen konnten und dennoch sechstausend Piaster für die Begleitung forderten. Nun mußte wohl dieser Reise entsagt und dafür nach Baalbek und über die Höhen des Libanon zu den Zedern gegangen werden.
Wir zogen nun in Gesellschaft des Grafen Z. um die Mittagsstunde, bei einer Hitze von vierzig Grad Reaumur aus den Mauern von Damaskus. Unser Zug bekam diesmal ein gar stattliches Ansehen durch die Ehrengarde, welche der Pascha dem Grafen Z. bis nach Baalbek mitgab, um ihm als Verwandten des Fürsten M. seine Hochachtung zu bezeigen.
Anfangs führte uns der Weg über einen Teil des Bazars, dann gelangten wir auf eine große herrliche Straße, welche die ganze Stadt durchschneiden und über eine deutsche Meile lang sein soll. Sie ist so breit, daß bequem drei Wagen nebeneinander fahren könnten, ohne die Fußgeher zu belästigen. Nur schade, daß diese Straße, gewiß die schönste im ganzen türkischen Reich, so unbenutzt bleibt, denn Wägen gibt es hier ebensowenig wie im übrigen Syrien.
Kaum verläßt man diese Bahn, so reitet man neben Gärten und Wiesen fort, zwischen welchen hin und wieder Sommersitze der Städter liegen. Auch auf dieser Seite strömen Bäche die Wege entlang und bewässern die üppigen Rasenteppiche und Haine. Wir überschritten den größten der Flüsse, den Barada (der aber nicht so breit und wasserreich ist wie der Jordan), auf einer ganz einfach gemauerten Brücke.
Doch auch diese schönen Bilder lagen uns bald im Rücken, und unsere Straße führte in die traurige Wüste.
Pfeiffer, Ida
Reise in das Heilige Land
Wien 1995; Originalausgabe Wien 1844