1812 - Johann Ludwig Burckhardt
Die Mekka-Karawane bricht von Damaskus auf
Mezareib
Die Karawane der Pilgrime, die nach Mekka geht, sammelt sich in Mezareib, wo der Pascha oder Emir el Hadsch zehn Tage gelagert bleibt, um die Herumstreifer zu sammeln und den verschiedenen arabischen Stämmen den hergebrachten Tribut für den Durchzug durch die Wüste zu zahlen. Die Speicher im Kastell werden jährlich reichlich mit Weizen, Gerste, Zwiebeln, Reis und Tabak, mit Zeltgeräten, Pferdegeschirr, Kamelsätteln, Stricken und Munition angefüllt. Für jeden dieser Artikel gibt es einen besonderen Speicher. Diese Vorräte sind ausschließlich für das Gefolge des Pascha und für die Armee bestimmt, die die Pilgrime begleitet, und werden hauptsächlich bei der Rückkehr verbraucht. Bloß wenn großer Überfluß vorhanden ist und aus besonderer Gunst erlaubt es der Pascha bisweilen, daß einige Artikel an die Pilgrime verkauft werden. Auf jeder Station bis nach Medina hin ist ein Kastell, das, wiewohl in der Regel kleiner als dieses, mit ähnlichen Vorräten angefüllt ist. Hauran allein muß jährlich 2.000 Ghararas oder ungefähr 20.000 bis 25.000 englische Zentner Gerste in das Magazin von Mezareib liefern. Die Stadt Damaskus ist in letzten drei Monaten mit dem Zwieback versorgt worden, der in Mezareib für die Karawane aufgehäuft lag.
So weit der Pascha damit zu tun hatte, gings mit den Angelegenheiten der großen Karawane gut, allein es herrschte doch immer ein großer Mangel an Ökonomie und die Kosten der Hadschis wuchsen in jedem Jahr. In den letzten Jahren war der Mietpreis für ein einzelnes Kamel von Damaskus bis Mekka 750 Piaster, ebenso viel und oft mehr mußte bei der Rückkehr gezahlt werden, und die Ausgaben unterwegs und in Mekka beliefen sich wenigstens auf 1.000 Piaster, so daß, im gelindesten Falle, die Reise wenigstens 2.500 Piaster oder 125 Pfund Sterling kostete. Ein Kamel nebst einer Sänfte kostet hinwärts 1.500 und ebenso viel zurück. Von der ganzen Karawane waren nicht über ein Zehntel wirkliche Pilgrime, die übrigen waren Soldaten, Bediente der der Soldaten, Leute, die zum Gefolge des Paschas gehörten, Kaufleute, Krämer, Kameltrieber, Aufwärter, die Kaffee und Pfeifen besorgten, ein Schwarm Beduinen und eine Menge feiler Weibspersonen von Damaskus, die so sehr begünstigt wurden, daß, wenn sie von ihren Liebhabern das tägliche Futter für ihre Pferde oder Maultiere nicht bekommen konnten, sie etwas von den Vorräten des Pascha erhielten.
Die meisten Pilgrime kontrahieren gewöhnlich während der Reise mit einem großen Unternehmer oder Mekuam, wie sie heißen. Doch betrifft dieser Kontrakt nur das Lasttier und das Wasser, denn was den Lebensunterhalt betrifft, so treten gewöhnlich Pilgrime, ihrer etwa sechs, zusammen und essen auf gemeinschaftliche Kosten. Die Mekuam, die sich verbindlich machen, das Lasttier zu liefern, müssen dasselbe, wenn es unterwegs fällt, ersetzen, und sind deshalb genötigt, auf jedes beladene Kamel ein unbeladenes mitzunehmen. Sie legen es allgemein darauf an, von den Pilgrimen, mit denen sie während der Reise kontrahieren, so viel Geld zu ziehen wie möglich, und kommen in der Regel untereinander in der Summe überein, die sie fordern wollen, wie über den Augenblick, wenn sie deren Zahlung verlangen, so daß, wenn die Pilgrime nicht in die Forderung einwilligen, die Karawane nicht selten mehrere Tage auf einem Fleck liegen bleibt, weil sämtliche Mekuam sich weigern, weiter zu gehen, den Pascha aber durch Bestechung dahin bringen, daß er ihnen ihre Ungerechtigkeit nachsieht. Wenn bei der Rückkehr nach Damaskus sich, wie häufig der Fall ist, zeigt, daß sie den Pilgrimen während der Reise mehr als der Kontrakt besagt abgenommen haben, so erklären sie sich für gewöhnlich bankrott, und der Wert von ein paar Kamelen ist alles, was übrig bleibt, um das, was sie den Pilgrimen schuldig sind, zu bezahlen.
Diejenigen Pilgrime, die nicht mit den Mekuam kontrahieren, wie es in der Regel bei denen der Fall ist, die aus Armenien und von den Küsten des Schwarzen Meeres kommen, mache die Reise auf ihren eigenen Tieren etwas wohlfeiler; allein unterwegs werden sie von den Mekuam übel behandelt, müssen die letzten im Zug sein, auf den schlechtesten Flecken lagern, ihre Wasserschläuche zuletzt füllen, und werden selbst vom Pascha hart behandelt. Kaum kann man sich eine Vorstellung machen von dem elenden Zustand der Pilgrime und von der schlechten Aufführung der Truppen und der Araber. Stehlen und Rauben ist etwas ganz gewöhnliches unter ihnen, und viele Pilgrime sterben nicht von den Strapazen der Reise, sondern weil sie aus Furcht, geplündert zu werden, nicht schlafen. Von den Truppen des Pascha, besonders von denen, die Howara heißen und den Zug der Karawane schließen, weiß man, daß sie während der Nacht häufig die Nachzügler töten, um sie zu berauben. Allerdings bestraft der Pascha solche Verbrecher, und kaum vergeht ein Tag, an dem nicht einer lebendig aufgespießt wird. Die Karawane zieht dann ruhig fort, und den Übeltäter überläßt man den Raubvögeln. Besondere Geschicklichkeit in kleinen Räubereien besitzen die Beduinen. Nachts ziehen sie zuweilen die Montur von der Infanterie des Pascha an, schleichen sich so unbemerkt zwischen die Kamele, werfen den schlafenden Eigentümer von seinem Maultier oder Kamel, und benutzen die durch das Geschrei des herabgefallenen Reiters entstandene Verwirrung, um sich mit dem Tier davon zu machen.
Die Karawane marschiert alle Tage von Asser, d.h. von ungefähr drei Uhr nachmittags, an die ganze Nacht durch bis zum folgenden Morgen, wo dann die Zelte aufgeschlagen werden. Sie hält nie inne, außer während der Gebete. Die Araber von Sokhne-Tadmor und Hauran samt den ihre Kamele vermietenden Beduinen sind um einen Tagesmarsch vor oder hinter der Karawane. Sie transportieren für die Truppen des Pascha bestimmte Mundvorräte, von denen sie wenigstens zwei Drittel stehlen und öffentlich verkaufen. Sie marschieren am Tage und schlagen abends ihr Lager auf. Ihre Karawane heißt El Selma. Alle zwei oder drei Tage kommt sie einmal an der großen Karawane vorüber und lagert sich dann, bis letztere sie einholt, wobei sie dann das Gefolge des Pascha mit Lebensmitteln versorgen. Die wohlfeilste Art, die Pilgerreise zu machen, ist, wenn jemand mit einem dieser Araber wegen eines Kamels übereinkommt; doch sind die Strapazen viel größer, wenn man der Karawane Selma folgt.
Das letzte Jahr, in dem die heilige Karawane von Damaskus ausging, erreichten die Pilgrime die Tore von Medina, durften aber weder in die Stadt kommen noch weiter nach Mekka gehen, sondern mußten nach siebentägigen fruchtlosen Unterhandlung nach Damaskus zurückkehren. Nur etwa 200 persischen Muslimen wurden gegen Zahlung einer großen Summe gestattet, weiter zu gehen. Ibn Saud, der Anführer der Wahabis, hatte mit Abdullah Pascha, der von seinem ganzen Gefolge begleitet war, eine Zusammenkunft in Dschebel Arafat, nahe bei Mekka. Sie machten sich gegenseitig Geschenke und schieden als Freunde.
Burckhardt, Johann Ludwig
Reisen in Syrien, Palästina und der Gegend des Berges Sinai
1. Band, Weimar 1823; Nachdruck 2005