Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1864 - Oscar Flex
Herr auf der Teeplantage
Assam

Wir passierten drei Flüsse, über die leichte Bambusssteige für Fußgänger führten, und standen endlich an der Grenze der zu Tingamonar gehörigen Ländereien. Von meinem hohen Sitz [auf dem Elefanten] aus konnte ich das Terrain, das nun unter meiner speziellen Botmäßigkeit stehen sollte, weithin überblicken. Eine in Ost und West von Wald begrenzte Prärie breitete sich vor uns auf, keine Straße, nur ein durchlöcherter, kaum sichtbarer Pfad schlängelte sich in tausend Wendungen hindurch und brachte uns an den Rand eines zweites Sumpfes. Riesige Aasgeier und Tschils [Gleitaare] umkreisten diesen kreischend und stürzten sich von Zeit zu Zeit herab unter einem Schwarm ihrer Genossen, die von dem Gerippe eines angeschossenen wilden Büffels, der hier verendet war, die letzten Fetzen Fleisch abrissen und gierig verschlangen. Hungrige Schakale lungerten am Rand unter den Bäumen, wagten sich aber nicht in den Sumpf, und verschwanden, als sie uns sahen. Wieder umgab uns Grasland, üppig bewachsen mit dem Schilf ähnlichen 10-12 Fuß [3 - 3,60 m] hohen Ullu, überall durchkreuzt von schmalen Wildsteigen oder breiteren Fährten, die, wie Mr. Oldham [der Vertreter der Teefirma] bemerkte, diese Gegend besonders gern durchstreifen. Wir erreichen den Saum des Waldes, Spuren eines jüngst angelegten Weges sind hier sichtbar, noch stehen die Baumstümpfe fußhoch über der Erde und zu beiden Seiten hängen die dicken Ranken der durchhauenen Schlingpflanzen, die, mit ihren dicken Armen von Ast zu Ast sich wendend, verbunden mit dem dornigen, zähen Unterwuchs den Wald zu einem undurchdringlichen Chaos machen. Buntgefiederte Papageien flattern schreiend bei unserem Anblick auf, und einige Affen, die gemütlich auf einem Hickorybaum hocken, greifen erschrocken nach dem ersten besten Creeper (Schlinggewächs) und schwingen sich hinauf in die dichteren Laubmassen.
   Ein Lichtstrahl durchdringt nach kurzem Ritt die letzteren und eine reizende Landschaft, umrahmt von anmutigen Waldpartien, deren Laub schon angefangen hat, jene unzähligen herbstlichen Färbungen vom dunkelsten Purpur zum goldigsten Gelb anzunehmen, erschließt sich unserem Blick. Sauber gehaltene, neu angepflanzte Teefelder zeigen ihre geraden, parallel laufenden Linien von Teebüschen links und rechts und machen weiterhin den älteren Strecken Platz; ein Bungalow, Teehaus, Kohlenschuppen und die Lines [Wohnquartiere] der Arbeiter bilden den Hintergrund und eine Gruppe gigantischer Baumwollenbäume (Simbal) gibt dem Ganzen den Abschluss. Ein die Luft durchzitterndes Rauschen und Brausen kommt von den Fluten des Kakadanga, der in tief ausgewaschenem Bett an der Plantage vorbeiströmt und zugleich ihre südliche Grenze bildet. Perton [der Manager der Plantage, den Flex ablöste], von unserer Ankunft im Voraus benachrichtigt, empfängt uns auf der Veranda. Es ist ein Uhr, wir setzen uns daher sogleich an den schon vorbereiten Tisch und restaurieren unsere vom Ritt und der Hitze erschöpften Körper.
   Im Laufe des Nachmittags fand die Übernahme der Bücher, Dokumente, Kasse und darauf die Besichtigung der Plantage statt. Die Teesträucher, unter denen in der Tat fast keine Vacancies [leere Stellen, auf denen Teepflanzen abgestorben sind] waren, hatten ein durchweg gesundes Aussehen, dass sich besonders auf den Flächen, die ursprünglich Waldland gewesen waren, besonders bemerkbar machten. Die in Assam gewöhnlich angebauten Teesorten, einheimischer, hybrider und chinesischer Tee, waren auch hier vertreten, und zwar die mittlere Sorte vorherrschend. Der wellenförmige Boden, von zahlreichen tiefen Senken durchschnitten, hatte den Vorteil einer natürlichen Dränage. Da die Faktorei bis jetzt überaus günstige Resultate geliefert hatte, hatte Mr. Oldham auf Wunsch des Board eine Erweiterung der Flächen angeordnet, und das dazu bestimmte Areal war von Perton schon urbar gemacht und die nötigen Pflanzen aus Samen in Saatbeeten gezogen worden. Meine Aufgabe war es nun, während der kalten Zeit diese Verpflanzung zu bewerkstelligen. An den entferntesten Teilen der Plantage angekommen, verließ uns Mr. Oldham und schlug, auf den Elefanten steigend, die Richtung nach Lambating ein. Perton kehrte mit mir nach der Faktorei zurück, er sollte nämlich die nächsten beiden Tage noch bei mir bleiben, um mich mit der geschäftlichen Routine bekannt zu machen. Die Diener setzten Armstühle auf den Grasplatz vor der Veranda, präsentierten Zigarren und Sherry und wir überließen uns dem Genuss der kühl gewordenen Luft, dem ungestörten Austausch der Gedanken und dem Anblick einer Abendlandschaft, wie man sie, glaube ich, nur in Indien sehen kann. Unmittelbar vor uns lag eine etwa zehn Morgen große, ebene Teefläche, mit ihren regelmäßig angelegten, in bester Ordnung gehaltenen, gleich hoch verschnittenen Strauchlinien, in dunklem, saftigen Grün, durchschimmert von den weißen Blüten der Teesträucher, einer blumengeschmückten Wiese vergleichbar. Zu beiden Seiten lagen Bambusgebüsche, deren schlanke Arme ihre zarten Blatthalme wie grüne Fähnchen im Abendwind flattern ließen. Eine Prärie, deren hohes Gras schon zu verdorren angefangen, erinnerte mit dessen gelb gewordenen Spitzen, die, vom Wind bewegt, leise hin und her wogten, an die reifen Saatfelder der Heimat. Dunkler, in feierliche Abendstille gehüllter Wald begrenzte wie ein schwarzes Band den in allen Farben schillernden Horizont, und darüber hinaus leuchteten aus unerreichbaren Höhen die geheimnisvollen Gletscher der Schneeregion im Himalaya. Wir sehen die Sonne nicht mehr, aber ihre Purpurstrahlen küssen noch die ernsten, weißen, nie betretenen Gipfel und einen Augenblick erglühen sie in jungfräulicher Scham. Der letzte Lichtstrahl ist verloschen - ein grauer Nebelflor bedeckt Prärie und Wald - ihn einzuatmen ist ungesund, gehen wir ins Haus.
   »Ich bin nur begierig, die Arbeiter dieser Faktorei kennen zu lernen, haben Sie eine hinreichende Anzahl?« fragte ich Perton, als wir nach Tisch unsere Zigarren in Brand gesteckt und uns behaglich niedergelassen hatten.
   »Morgen früh sollen sie in Parade aufmarschieren«, erwiderte Perton; »was ihre Zahl betrifft, so geht es mir wie allen Pflanzern, ich habe zu wenig, nur 80 Leute, Frauen und Kinder eingerechnet, auf 95 Acres [39 ha] Pflanzung, glücklicherweise habe ich eine Menge assamesischer Teemacher kontraktlich engagiert, so dass ich wenigstens die zur Manufaktur erforderlichen Kräfte besitze.«
   Am folgenden Morgen um sechs Uhr standen die Arbeiter mit den Aufsehern und Schreibern vor dem Bungalow und Perton übergab mir die Listen derselben. Die Bengalen sahen mit wenigen Ausnahmen miserabel aus, nicht so die Catscharies [aus dem benachbarten Fürstentum Koch Bihar]. Diese waren stämmige, behände Burschen und die assamesischen Teemacher durchweg kräftig gebaute, tüchtige Leute, sie unterschieden sich auffallend von den importierten Kulis durch helle Hautfarbe und belebteres Aussehen. Man konnte es den Letzteren ansehen, dass sie hier verkümmerten. Der Oberaufseher war ein greiser Assamese, der mir nichts weniger als arbeitsfähig erschien. Der erste Schreiber, ein Brahmane, sondierte mich mit verschlagenem Blick und wurde auch von mir einer genaueren Prüfung unterzogen - ich stand offenbar einem durchtriebenen, ränkevollen Menschen gegenüber. Am besten gefiel mir der zweite Schreiber, ein heller Hindu, der eine Missionsschule besucht hatte und gut Hindi sprach. Ich machte ihn zu meinem Dolmetscher. Die Tschaprassis und Barkandazes (Privatpolizisten) schienen ebenfalls brauchbar, so dass ich im Ganzen mit dem Arbeitpersonal zufrieden sein konnte. Ich hielt eine kurze Ansprache in Hindi an die Leute, in der ich ihnen versprach, eine gerechter Herr zu sein und die Hoffnung ausdrückte, durch Gehorsam und Fleiß ihrerseits der Handhabung einer strengeren Disziplin enthoben zu werden. Der zweite Schreiber übersetzte meine Worte für die Assamesen, worauf alle mit einem tiefen »Salam« sich entfernten und an ihre Arbeit gingen. Die wenigen Kranken wurden dann von Perton untersucht und mit Medizin versehen.
   »So, nun wäre ich fertig und könnte dem lieben Platz Lebewohl sagen, das Einpacken besorgen die Diener«, meinte Perton, »aber eben denke ich daran, haben Sie keinen Diener, keine Sachen, Möbel, Kochgeschirr u. s. w. mitgebracht? Ich sah sie nur mit einem Portmanteau ankommen.«
   »Sie erwähnen da einen Umstand, der mir, wie es scheint, ziemliche Unbequemlichkeiten verursachen wird. Ich habe mein Gepäck am Kokilah Mukh [dem Fluss, den Flex herauf gefahren war], meine Möbel und mein Geschirr aber in Mittel-Indien gelassen, weil ich sie auf der langen Reise nicht mitnehmen konnte. Unser Agent versicherte mir jedoch, es sei hier alles zu kaufen. Einen Koch wünschte ich allerdings in Kalkutta zu engagieren, aber unter 24 Rupien monatlich wollte keiner mitgehen, dazu sollte ich noch die Passage nach Assam, und wenn es ihm einfiele, mich zu verlassen, auch zurück, für ihn bezahlen. Da ich auf diese unverschämten Forderungen nicht eingehen wollte, musste ich ohne Koch abreisen.«
   »Das ist schlimm, was fangen wir nun an? Ich muss meine Möbel mitnehmen, kann Sie doch aber nicht im leeren Haus zurücklassen.«
   »Aber ist denn hier gar nichts zu bekommen? «
   »Nichts, höchstens in Jorhat könnten Sie die nötigen Koch- und Tischutensilien finden, aber Möbel gibt es nicht, die müssen Sie sich von Kalkutta heraufschicken lassen, und sich unterdessen mit leeren Teekisten zu behelfen suchen. Das Unangenehmste bleibt der Mangel an Dienern, denn ohne Koch können sie ja gar nicht existieren. Halt - da habe ich eine Idee. Sind Sie früher viel mit Mohammedanern zusammen gekommen? «
   »Gewiss, täglich, ich spreche auch ihre Sprache, Urdu, ganz geläufig, doch wozu die Frage?«
   »Sehen Sie, Sie brauchen, auch wenn Sie noch so einfach leben wollten, wenigstens acht Diener, nämlich einen Syce (Reit- und Pferdeknecht), einen Tag- und einen Nachthauswächter, einen Murgiwala (Hühnermann), der Ihnen die Lebensmittel in den Dörfern zusammenkauft, denn hier im Walde haben Sie ja nichts, einen Pankahwala (Fächerzieher), einen Wäscher, denn Sie müssen Ihre Wäsche hier waschen lassen, einen Paniwala, der Ihnen Haus und Hof rein hält, und einen Koch. Die ersten fünf und den Paniwala liefert Ihnen die Company [die East-India Tea Company Ltd.] Sie können also die von mir angestellten Leute beibehalten, ebenso den Wäscher, denn in Lambating finde ich einen anderen, es handelt sich also nur um einen Koch. Nun ist unter den Kulis hier ein alter Mohammedaner, der in der Küche eines Amir (eines mohammedanischen Fürsten) gedient hat, und mit der Zubereitung der Speisen, wie sie die Mohammedaner essen, bekannt ist. Wollen Sie also Ihren Gaumen à la Mohammed kitzeln lassen, so rufe ich ihn.«
   »Warum nicht, wenn er nur kochen kann, über das Was und Wie werde ich mich schon mit ihm verständigen. Übrigens pflegen die Amire keine schlechte Küche führen, also bitte, lassen Sie ihn zitieren.«
   Eine ältliche, kleine, schmächtige Gestalt mit dünnem graumelierten Schnur- und Kinnbart verbeugte sich einige Minuten später vor uns, und mir wurde Hussein, Exküchenjunge Seiner Fürstlichen Durchlaucht Rasul Malah Mangobads, Herrn über zehn oder elf Dörfer in einem der unzähligen Duodezstaaten Nordindiens, vorgestellt.
   »Hussein, ich will Dich von der gemeinen Arbeit der Kulis befreien, du sollst nicht mehr hacken und jäten, sondern als Koch für meinen Tisch sorgen«, redete ich ihn in Urdu an. Ein Strahl der hellsten Freude blitzte über seine verwitterten Züge, als er aus meinem Mund die Laute seiner Muttersprache hörte, die ihm sein Advancement ankündigten. Er fiel auf die Knie vor mir:
   »Khoda segne Sie, Hazur (Eure Herrlichkeit) haben mir das Leben geschenkt, ich will Tag und Nacht auf den Wink Ihrer Augen warten, ich werde Sie besser speisen, als ich meinen Fürsten gespeist habe.«
   »Na, lass nur gut sein«, unterbrach ich seinen Herzenserguss, »ich gebe Dir sieben Rupien Lohn für den Monat, wenn Du Deine Sache gut machst, wenn nicht, so spazierst Du wieder mit der Hacke in der Plantage, verstanden?«
   »Allah steh mir bei, wenn ich Ihnen nicht mit meinem letzten Tropfen Blutes diene, aber -«
   Hussein verstimmte plötzlich und machte ein höchst betrübtes Gesicht: »Herr, das Essen der Angrezilog (Engländer) kann ich nicht zubereiten.«
   »Ich weiß schon, Ihr Musalmanlog (Mohammedaner) esst ja auch nicht schlecht, koche nur vor der Hand so, wie Du es in Deiner Fürstenküche gelernt hast. Nun geh, bade Dich und zieh Dich anständig an, hier hast Du den halben Monatslohn im Voraus.«
   »Das geht ja ganz famos«, rief Perton »nun schicken wir ein paar Kulis nach Jorhat, um zu sehen, was sie dort an Töpfen und Tellern auftreiben können, übermorgen sind sie wieder hier, so lange borge ich Ihnen mein Geschirr.«
   Der Reitelefant, den der Manager zurückgeschickt hatte, kam jetzt an, und Perton nahm mit herzlichem Händedruck Abschied von mir und seiner »ersten Liebe«, wie er Tingamonar nannte. Die Diener packten seine Sachen auf den großen Lastelefanten, den ich geritten hatte, und bald war die Kavalkade im Wald verschwunden.
   So war ich auf der ersten Stufe der Leiter, auf der ich in Assam empor klimmen wollte, angelangt. Ich saß in meinen eigenen vier Wänden, denn Perton hatte mir bis auf weiteres einen Stuhl geborgt, ich konnte also sitzen. Mit den vier Wänden wollte ich aber nur fassliche Grenzen meines Aufenthaltsorts angeben, denn das Haus hatte gar keine Wände, auch war es nicht ein Haus, sondern nur eine auf Pfählen aufgebaute, mit durchlöcherten Schilfdecken eingeschlossene und von zerregnetem, halb verfaulten Grasdach bedeckte, alte, wacklige Hütte ohne Türen und Fenster, die Wind und Wetter nach allen Seiten offen stand. Glücklicherweise hatten wir an dem Tage keins von beiden, ich konnte also, ohne von äußeren windigen und wässrigen Einflüssen gestört zu werden, meine Residenz mustern. Ich fand bald, dass das einzig solide darin der Stuhl war, auf dem ich saß, und da die Solidität des Thrones in einer Monarchie die Hauptsache ist, so gab ich mich einstweilen zufrieden und hoffte auf bessere Zeiten.

Flex, Oscar
Pflanzerleben in Indien, Kulturgeschichtliche Bilder aus Assam
Berlin 1873

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Indien seit 326 v. Chr.
Wien 2007

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