Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1554 - Ali Ibn Hussein
Durch Gujarat nach Ahmedabad

Wir traten am ersten Tag es heiligen Muharram im Jahr 962 (Ende November 1554) die Reise nach Ahmedabad an. Unterwegs sahen wir seltsame Bäume, deren Wipfel bis an die Höhen des Himmels reichten und worauf sich wunderbare Fledermäuse fanden, die von einem Flügel bis zum anderen 14 Spannen breit waren. Es gab aber nicht auf allen Bäumen so große Fledermäuse. Die Wurzeln der erwähnten Bäume stiegen in die Höhe und wenn sie die Erde wieder erreichten, so wuchsen auch diese auf und wurden alle zu Bäumen, sodass zum Beispiel auf solche Art aus einem Baum zehn oder zwanzig, ja wohl mehr große Bäume entstanden. Der Name dieses Baums ist in jenem Land Tubabaum. Sein Schatten überschattet einige tausend Menschen. An den Straßen gibt es nichts anderes als Zakkum (eine Art bitterer Mandeln). Im Lande Gujarat finden sich auch Papageien ohne Maß und Zahl, und diese Gegenden sind das Klima der Affen. An Orten, an denen wir lagerten, kamen viele tausend Affen und schlossen uns von allen Seiten ein, die meisten hatten ihre Jungen dabei. Zur Abendzeit gingen sie wieder zu ihren Wohnsitzen. Kurz, unter Not und Mühe langten wir eines Tages in Machmudabad [Mahemdavad] an, und als 15 Tage vergangen waren, kamen wir nach der Hauptstadt von Gujarat, nämlich Ahmedabad. Dem Sultan Achmed wurden unsere ärmlichen Geschenke überreicht, wir erfuhren von ihm vielerlei Gnadenbezeugungen. Er gab für Seine Majestät den Kaiser, Beschützer des Reiches (Suleiman I.) aufrichtige Gesinnung und die vollkommenste Unterwürfigkeit zu erkennen und schenkte mir ein Pferd, einen Zug Kamele (20 bis 30 Stück) und Reisegeld. Wir wallfahrteten zum Scheich Achmed Maghribi in der Nähe von Ahmedabad.
   Einige Tage später bot mir Sultan Achmed das Land Berdedsch an und bestimmte mir auch eine sehr große Besoldung. Ich nahm das aber nicht an und erwiderte, wenn er mir auch das ganze Land Gujarat geben wollte, so wäre es mir doch unmöglich zu bleiben. Nun fügte es sich, dass ich in einer Nacht im Traum den Kalifen Mürteza Ali, dem Gott gnädig sei, sah. Vor mir lag ein Stück beschriebenes Papier, wovon er sagte: »Dies ist Gottes Siegel, es wird mit Dir sein, fürchte Dich nicht. Wenn Gottes Siegel nicht mit uns wäre, so wären selbst die Gewässer der unbekannten Länder vor uns geflohen.« Am anderen Morgen erzählte ich den Traum den Gefährten, die alle Gott dafür dankten. Wir gingen sogleich und baten beurlaubt zu werden. Zu Ehren unseres durchlauchtigsten Kaisers erteilte man uns die Erlaubnis.
   Unter den in jenem Lande befindlichen ungläubigen Banijan [Hindus] gibt es eine Klasse von Gelehrten, die unter dem Namen »Bat« bekannt sind. Diese übernehmen es, Kaufleute und andere Reisende von einem Land zum anderen wohlbehalten zu führen; als Entgelt bestimmt man ihnen einen gewissen Lohn. Wenn also auf der Reise ungläubige Rajputen, das sind indische Reiter, kommen in der Absicht, die Karawanen zu berauben und zu plündern, so ziehen die Bats ihre Dolche, setzen sie sich auf die Brust und sprechen: »Wir sind Bürgen geworden. Wenn Ihr daher der Karawane Schaden zufügt, so müssen wir uns umbringen.« Auf diese Worte werden die Rajputen ihnen zu Ehren niemanden beunruhigen oder schädigen, sodass man in der Gegend gesund und wohlbehalten reist. Wenn sie aber den geringsten Schaden zugefügt haben, so haben sich die erwähnten Bats wirklich umgebracht. Wenn sie es nicht getan hätten, so würde man diesen Leuten nicht den geringsten Glauben mehr beimessen und dieser Brauch würde nicht mehr beobachtet werden. Wenn es sich aber ereignet, dass eine Karawane beschädigt wird und die Bats sich umbringen, so wird das nach den Grundsätzen der Bats den Rajputen als große Sünde angerechnet und sie werden des Todes wert geachtet. Die im Lande befindlichen Befehlshaber der Rajputen haben dann der Rajputen Söhne, Töchter und Angehörige hingerichtet. Da dem so ist, so hatten die Muslime zu Ahmedabad uns ebenfalls zwei Bats geschickt; sie erhielten eine gewisse Bezahlung, und so wandten wir uns in der Mitte des glücklichen Monats Saffar des erwähnten Jahres [Anfang Januar 1555] auf dem Landweg nach dem Lande Rum [der Türkei].

Diez, Heinrich Friedrich von
Denkwürdigkeiten von Asien in den Künsten und Wissenschaften …
Band 2, Berlin/Halle 1815

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