Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 1030 - Al Biruni
Über die Eigenarten und Gebräuche der Hindus

Die Hindus glauben, dass es kein Land gibt wie das ihre, keine Nation wie die ihre, keine Könige wie die ihren, keine Religion wie die ihre, keine Wissenschaft wie die ihre. Sie sind hochmütig, lächerlich eitel, eingebildet und stur. Sie sind von Natur aus geizig im Mitteilen dessen, was sie wissen, und sie geben sich die größte Mühe, es den eigenen Leuten anderer Kaste vorzuenthalten und erst recht natürlich den Ausländern. Nach ihrer Meinung gibt es kein Land auf der Welt außer ihrem, keine andere Menschenrasse als ihre, und kein Geschöpf außer ihnen verfügt über Wissen oder Wissenschaften. Ihr Hochmut geht so weit, dass sie einen für dumm oder einen Lügner halten, wenn man ihnen von Wissenschaften oder Wissenschaftlern in Chorasan [Ost-Iran] oder Persien erzählt. Wenn sie reisen würden und mit anderen Nationen Umgang hätten, würden sie schnell ihre Meinung ändern; ihre Vorfahren waren nicht so engstirnig wie die gegenwärtige Generation.
   Viele Gebräuche der Hindus unterscheiden sich von den unseren so weit, dass sie uns einfach absurd vorkommen. Man könnte fast glauben, dass sie sie mit Absicht in ihr Gegenteil verkehren, denn unsere Gebräuche sind den ihren nicht ähnlich, sondern geradezu ins Gegenteil verkehrt. Und wenn auch mal einer ihrer Gebräuche einem der unseren ähnelt, hat er bestimmt die entgegengesetzte Bedeutung.
   Sie schneiden ihre Körperhaare nicht. Ursprünglich gingen sie nackt wegen der Hitze, und das Nicht-Schneiden der Haare sollte vor Sonnenstich schützen.
   Sie lassen ihre Nägel lang wachsen als Zeichen ihrer Untätigkeit, da sie sie nicht für irgendeine Art Geschäft oder Arbeit nutzen, sondern nur, wenn sie sich dem süßen Nichtstun hingeben, ihren Kopf damit kratzen und im Haar nach Läusen suchen.
   Die Hindus essen allein, jeder für sich, an einem Tischtuch aus Dung. [Fußböden sind auch heute noch teilweise mit einer Mischung von Kuhdung und Lehm verputzt.] Die Reste einer Mahlzeit werden nicht verwendet, und die Teller, von denen sie gegessen haben, werden fortgeworfen, wenn sie aus Ton sind.
   Sie haben rote Zähne als Folge des Genusses von Areka-Nüssen mit Betelblättern und Kalk.
   Sie trinken Wein auf nüchternen Magen und essen dann. Sie trinken die Ausscheidungen von Kühen, essen aber nicht ihr Fleisch.
   Sie schlagen die Becken mit einem Schlegel.
   Sie benutzen Turbane als Hosen. Die, die wenig Bedeckung wollen, tragen einen zwei Finger breiten Streifen, den sie an den Lenden mit zwei Schnüren festbinden; die, die viel Bedeckung wollen, tragen Hosen mit so viel Baumwollstoff, dass man daraus eine Anzahl von Bettdecken und Satteldecken machen könnte. Diese Hosen haben keine sichtbaren Öffnungen und sind so gewaltig, dass man die Füße nicht sieht. Die Schnur, mit denen diese Hosen gebunden werden, sitzt im Rücken.
   Wenn sie sich waschen, fangen sie bei den Füßen an und waschen dann das Gesicht.
   An Festtagen beschmieren sie ihren Körper mit Dung statt mit Parfum.
   Die Männer tragen Kleidungstücke für Frauen; sie benutzen Kosmetik, tragen Ohrringe, Armreifen, goldene Siegelringe am Ringfinger wie auch an den Fußzehen.
   Bei allen Beratungen und in Notfällen hören sie auf die Frauen.
   Wenn ein Kind geboren ist, gilt die besondere Aufmerksamkeit dem Mann, nicht der Frau.
   Von zwei Kindern geben sie dem jüngeren den Vorzug; sie behaupten, dass das ältere seine Geburt vorwiegend der Lust, das jüngere sein Entstehen reifer Überlegung und gelassenem Vorgehen verdankt.
   Sie bitten nicht um Erlaubnis, ein Haus zu betreten, sondern es verlassen zu dürfen, wenn sie gehen.
   Sie spucken aus und reinigen ihre Nase ohne Respekt für ältere Anwesende; auch knacken sie vor ihnen Läuse. Blähungen halten sie für ein gutes Omen, Niesen für ein schlechtes.
   Die Kinder benutzen schwarze Tafeln in der Schule und schreiben auf der Längsseite, nicht auf der breiten Seite, zum Schreiben benutzen sie weißes Material von links nach rechts.
   Wenn jemand etwas übergeben will, so erwartet der Nehmende, dass es ihm zugeworfen wird, wie wir einem Hund etwas vorwerfen.

Sachau, Edward C.
Alberuni’s India
London 1910; Nachruck Frankfurt/Main 1993
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Indien seit 326 v. Chr.
Wien 2007

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