1910 - Georg Wegener
Staatsbesuch des deutschen Kronprinzen beim Maharadscha von Jaipur
Im Jahre 1906 hatte ich Jaipur als gewöhnlicher Reisender besucht und dabei natürlich nur das gesehen, was jeder sehen kann. Um die Weihnachtszeit 1910 kam ich wiederum dorthin als Begleiter des deutschen Kronprinzen auf seiner Indienreise im Winter 1910/11. Und das war doch etwas Neues! Das war die unerwartete, großartigste Erfüllung seiner seinerzeit heimlich, aber doch nur als ein müßiges Spiel der Vorstellung gehegten Wunsches, die Herrlichkeit eines indischen Fürstenhofes nicht nur als Außenstehender von fern und in schwachem Abglanz zu betrachten, sondern sie einmal als Zugehöriger in voller altertümlicher Pracht vor mir lebendig werden zu sehen.
Dazu gab die Fahrt des Erben der deutschen Kaiserkrone die beste Veranlassung. Der Kronprinz reiste, als Gast und Verwandter des Königs von England, der ja zugleich Kaiser von Indien ist, und die einheimischen Vasallenfürsten Indiens wetteiferten miteinander, ihn mit den reichsten und festlichsten Formen ihrer alten höfischen Sitte zu empfangen.
Jaipur ist einer der Eingeborenenstaaten der Landschaft Radschputana, dem romantischen Lande Indiens. Hier lebt das kriegerische Volk der Radschputen, reinblütige Arier nach ihrer eigenen Auffassung, die sich von der uralten Kriegerkaste der Kschattriyas herleiten; stolz schreitende hochgewachsene Gestalten mit kühnen Zügen und malerischen Gewändern, den gescheitelten Vollbart so gebürstet, dass er auf beiden Backen nicht nur seitwärts, sondern sogar noch aufwärts strebt. Ihre Fürstengeschlechter rühmen sich, die ältesten Dynastien der Erde zu sein; einige von ihnen verfolgen in zusammenhängenden Genealogien ihre Geschlechterfolge weit in sagenhafte Jahrtausende vor Christi Geburt zurück, und mit anscheinend wirklichem historischem Recht, wie der Maharadscha von Udaipur, wenigstens bis in die ersten Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung. Die Kulturzustände, in denen sie und ihre Völker heute leben, haben überraschende Ähnlichkeiten mit unserm feudalistischen und ritterlichen Mittelalter. Unter den radschputischen Fürsten ist der mächtigste, der mit dem reichsten und lebensvollstem Besitz, der Maharadscha von Jaipur, der sein Geschlecht von einem Sohne Ramas, dem mythischen Helden des Nationalepos Ramayana, herleitet.
Der Luxuszug des Vizekönigs von Indien, das wandernde Heim des Kronprinzen und seines Gefolges auf der Indienreise, rollte von Baroda aus nordnordöstlich über Ratlam und Kotah auf einer vor wenigen Wochen erst eröffneten Bahnlinie mitten durch das ursprünglichste Radschputana. Schon der flüchtige Anblick der Gegend gab das Gefühl seltsamer Entlegenheit in Raum und Zeit. Fremdartig wild erschien die Landschaft; meist endlose Steppe mit Dorngestrüpp oder hohem Büschelgras, durch das nachts der Tiger schleicht. Spärlich verstreut nur waren die von oasenartigen Ackerfluren wie von einzelnen grünen Teppichen umgebenen Stationen. Buntgekleidete, farbig beturbante Radschputen, alle den krummen Säbel zur Seite, erwarteten an ihnen neugierig die Vorüberfahrt des Zuges. Hier und dort erhoben sich schroffe Inselberge über der Ebene und trugen gewaltiges Gemäuer, Zinnenwälle mit schweren Rundtürmen und schimmernden Schlössern: die Burgen der Thakure, der Vasallenbarone, die in Lehnsabhängigkeit zum Fürsten stehen. Auch sie haben ihre uralten Ahnenstammbäume und stolzen Familiengeschichten. In früheren kriegerischen Zeitläuften bildeten sie mit ihren Untervasallen und Bannerleuten ganz wie die Lehnsträger unseres Mittelalters den Heerbann ihres Fürsten und wetteiferten miteinander in der ritterlichen Kampftreue gegen den Lehnsherrn. Jetzt, wo Englands Walten in Indien die nachbarlichen Fehden unmöglich macht, helfen sie bei festlichen Gelegenheiten, wie diese hier, den vornehmen Prunk am Hof zu mehren.
Festlich war der kleine, hübsche Bahnhof der wie das Land heißenden Hauptstadt Jaipur mit Girlanden und Flaggen geschmückt. Blau-weiß-rot musste dabei, wie vorher schon in Haiderabad, die Stelle des augenscheinlich nicht zu beschaffenden Schwarz-weiß-rot vertreten. Ein viel schönerer Schmuck aber waren auf dem sonnenlichtübergossenen, mit kostbaren alten Teppichen bedeckten Bahnsteig die malerischen Gestalten der Thokure in langen, goldstrotzenden, von Juwelen blitzenden Gewändern, leuchtend gefärbte Turbane auf den Häuptern und krumme Schwerter von wunderbarer Arbeit zur Seite. Unter ihnen der Maharadscha selbst, sofort als Fürst und Herr erkennbar. Eine wirklich prachtvolle Erscheinung; groß, etwas stark, von vornehmer Haltung, mit leicht gebogener Nase, mächtigen buschigen Brauen über den feurig-lebensvollen Augen und einem langen, wallenden, lockigen, leicht ergrauten Bart. Er trug einen Turban in Orange mit Gold, ein schwarzsamtnes Gewand mit wundervollen Goldstickereien und Ohrringe, Halsketten und anderen Schmuck, Perlen und Edelsteine von augenscheinlich unermesslichem Wert. Ein ganz anderer Mann war er als der kleine schüchterne, in seiner Wortkargheit fast blöde erscheinende Nizam von Haiderabad, von dessen Residenz wir eben kamen; voll von Leben und Bewegung, eifrig in der Rede, voll Humor und Wohlwollen, die um Augen und Mund spielten, und doch stets von einer prachtvollen natürlichen Würde.
Nachdem die übliche Begrüßung und Vorstellung stattgefunden hatte, fuhren wir zu dem weit vor den Toren Jaipurs gelegenen Sitz des englischen politischen Agenten, der dem Maharadscha wie jedem indischen Fürsten beigegeben ist, und wo wir wohnten. Zu beiden Seiten der Feststraße standen, mit prächtigen Decken behangen, die riesigen Elefanten des Maharadscha; weiterhin seine Kamelartillerie. Die Tiere trugen lange Geschützrohre altertümlicher Form auf ihren Sätteln oder zogen sie auf schwerfälligen Holzlafetten hinter sich her. Die Geschütze waren allen möglichen Kalibers; kaum eins glich dem andern, einige waren klein wie Kinderspielzeug. Dann kamen Reiter mit Lanzen, Eisenhelmen und Kettenpanzern, wie aus alten Ritterbildern herabgestiegen. Endlich Fußvolk in den wunderlichsten Formen und Farben mit Waffen der abenteuerlichsten Art. Ganz sonderbar sahen die Naga-Truppen des Maharadscha aus; berufsmäßige Soldaten aus einer besonderen religiösen Sekte, die fast nackt waren, nur mit enganschließenden Jacken und Hüftschurz bekleidet. Sie führten merkwürdige Schwerter, ganz dünn und lang, die, anstatt in eine Querstange oder einen Griffkorb in eine Art eisernen Handschuh ausliefen. Mit wunderlichsten Tanzsprüngen eilten sie, als wir vorüberkamen, eine Weile vor dem Wagen des Kronprinzen, ihre Schwerter schwingend, einher. An einem der späteren Abende haben uns diese Nagas phantastische, an die Grenze des Grauens streifende Schwertertänze vorgeführt, unter wildem Umherschwingen brennender Fackeln und schauerlichem, aufreizendem Getute auf riesenlangen Bronzeposaunen. Den Nagas folgten in der Einzugsstraße andere Truppen, berittene und unberittene. Ihre Pferde waren meist ziemlich jämmerlich, die Uniformen ganz regellos und für unsere Begriffe vorsintflutlich nachlässig; nur ein prächtig gezäumtes und gesatteltes Pferd von edler Erscheinung, arabischen Schlages, pflegte in jeder Gruppe zu sein. Diese das Spalier schließende Truppen waren die Gefolgschaften der einzelnen Thakure, zu der Einzugsfeier entsandt, und das schöne Pferd dazwischen jedes Mal das Leibroß des betreffenden Barons.
Endlich erreichten wir das Anwesen des englischen Vertreters, einen von sehr hübschen Gärten umgebenen reizenden Wohnsitz orientalischer Bauart, aber europäischer Einrichtung: ursprünglich das Palais einer einheimischen Prinzessin. Unmittelbar nachdem hier die Begrüßung durch die englischen Damen des Hauses stattgefunden hatte, traf der Maharadscha in einer goldüberdachten, wie eine Arche geräumigen Kutsche ein, um den hohen Gast seinen Besuch zu machen. In sehr merkwürdigen Formen vollzog sich diese Zeremonie. Zwei reichvergoldete Thronsessel, die er selbst vorausgesendet, waren vom Hof auf die Terrasse vor dem Hause geschafft worden, auf ihnen nahmen unter einem Baldachin der Kronprinz und der Maharadscha Platz. Zur Seite auf einfachen Sitzen das europäische und jaipurische Gefolge. Während Prinz und Fürst durch einen Dolmetscher Begrüßungsworte miteinander tauschten, kamen etwa zwanzig glänzend bunt gekleidete Nautschmädchen, Tänzerinnen des Maharadscha, die er eigens dazu mitgebracht hatte, die Treppe herauf und begannen im Sonnenschein vor dem Baldachin sich zu drehen und durcheinander zu bewegen und hierbei indische Lieder zu singen, die allerlei Heil- und Glückwunschformeln enthielten. Unter den Klängen dieser Musik hängte der Kronprinz dem Maharadscha eine von den Engländern bereitgehaltene Blumenkette um den Hals: Sir Harold Stuart, unser vom englischen König bestellter Führer durch Indien, tat dasselbe mit den Großen des Maharadscha. Dann verabschiedeten sich diese wieder und fuhren von dannen.
Unmittelbar darauf erfolgt der Gegenbesuch des Kronprinzen und seines Gefolges im Palast des Maharadscha in der Mitte der Stadt.
Es gibt keine eigenartigere Stadt in ganz Indien als diese. Der Maharadscha Jai Singh, einer der merkwürdigsten Monarchen Indiens, der von 1699 bis1743 regierte und gleich ausgezeichnet war als Feldherr, Politiker, Gesetzgeber und Gelehrter, hat sie im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts an Stelle der bisherigen Hauptstadt seines Geschlechts, Amber, erbaut, mit der ganzen sultanischen Macht eines orientalischen Autokraten, der den sämtlichen Bewohnern befehlen konnte, ihre bisherigen Wohnsitze zu verlassen und sich neue nach seinem Geschmack zu bauen, aber mit einem erstaunlich großzügigen, seiner Zeit und den Gewohnheiten des Landes vorauseilenden Geiste. So regelmäßig die Stadt angelegt ist, im Innern durch schnurgerade, gewaltig breite, rechtwinklig sich schneidende Hauptstraßen, ähnlich einer amerikanischen Neugründung, in viereckige Quartiere geteilt, so sieht das doch nicht etwa langweilig aus, sondern im Gegenteil, es gibt das lebendigste, heiterste Bild, das man sich denken kann, weil das strahlende indische Sonnenlicht voll hineindringt und sie ganz mit Leuchten sättigt, weil in den breiten, gesunden, luftigen Gassen sich ein überaus reiches Volksleben frei entfalten kann, vom Auge auf weite Fernen hinaus mit einem Male umfasst, und weil, wie man sich erinnert, diese ganze Stadt auf Befehl des Fürsten rosenrot angestrichen ist. Vollends war heute das Bild märchenbunt, da sich die Bevölkerung längs des Weges in dichten, farbigen Massen staute, um den fremden Kaisersohn vom fernen Westen zu sehen.
Wir betraten durch das prächtige Tripolia-Tor den ersten Hof des Palastes; dann durch ein weites Tor einen folgenden; endlich kamen wir zu einem dritten, noch reicheren innersten Tor, dem mit den herrlichen, silberbeschlagenen Bronzetüren, die sich nur für den Fürsten selbst und seine Gäste öffnen. Hier empfing uns der Maharadscha, und in der alten Empfangshalle im indosarazenischen Stil erfolgte nun eine ganz ähnliche Begrüßungsszene wie in der Residenz, nur daß wir keine Tänzerinnen mitgebracht hatten, jetzt wurden aber umgekehrt uns von dem Maharadscha und den Großen seines Hofes Blumenketten umgehängt, und außerdem erhielten wir jeder mit goldenem Löffel aus silberner Schale ein paar Tropen kostbaren Rosenöls ins Taschentuch geträufelt.
Wunderbare Feste und merkwürdige Schaustellungen haben wir im Lauf der nächsten Tage in diesem Palast mit seiner phantastischen Architektur, mit seinen endlosen Hallen, Höfen und Gärten erlebt! In demselben großen Audienzsaal, wo der Empfang stattgefunden hatte, gab der Maharadscha ein großartiges Festmahl – bei dem er freilich als rechtgläubiger Hindu nicht selbst mitspeiste, er erschien erst, als die Früchte aufgetragen waren. Es war ein ebenso glanzvoller wie überraschender Eindruck, die Fülle der in Rot und Gold schimmernden Uniformen, die modernen Toiletten und weißen Schultern der Damen der britischen Verwaltung, die mit altem Silber und westländischem Porzellan bedeckte europäische Tafel in dieser im Stil der Großmoguln von Agra und Delhi gehaltenen Säulenhalle zu sehen, mit ihrer buntgemalten Decke und den gezackten Hufeisenbogen. Schwere rote Zeltdächer hingen wallend zwischen den Pfeilern herab und schlossen den von rötlichem Licht aus altertümlichen Kristallkronen überfluteten Raum vornehm gegen außen ab.
Selbst jenes Allerheiligste es Palastes, der in der Mitte der inneren Gärten gelegene neunstöckige Bau des Tschandra Mahal, der eigentliche Wohnpalast des Fürsten und Sitz seines Harems, öffnete sich uns. Wir erlebten in seinem Innersten, in dem großen, mit polierten Steinplatten belegten Innenhof, eine Aufführung der gesamten Schar der Tänzerinnen und Sängerinnen des Maharadscha, die in wirklich sinnberauschenden, wundervollen Gewändern und unter Vortrag seltsam erregender Gesänge sich in pantomimischen Szenen und symbolischen Tänzen auf und nieder bewegten, während oben der sternklare indische Nachthimmel über uns hing und hinter dem Gitterfenstern der Palastwände ringsum, unsichtbar für uns, doch gefühlt, die neugierigen Augen der Frauen der fürstlichen Zenana auf uns herniederblickten.
Auch eine prunkvolle nächtliche Erleuchtung der Gärten sahen wir von einer Terrasse des Wohnpalastes mit an, bei der das Sprühen zahlloser Raketen und Sonnenräder sich mit den Garben der Wasserkünste mischte. Mir fiel dabei die außerordentliche Schönheit der Teppiche auf, die den Boden der Terrasse bedeckten und auf die achtlos die Asche unserer Zigaretten fiel. „Kein Wunder, daß Ihnen diese Teppiche gefallen“, sagten mir die Engländer; „sie sind eine Berühmtheit der fürstlichen Schatzkammer. Ein Vorfahr des Maharadscha brachte sie schon vor 2-300 Jahren als Siegesbeute von einem Zuge aus Persien mit,“ der Leser mag daraus entnehmen, welch einen unschätzbaren Wert diese Stücke haben mussten, die nicht nur nachweislich echt und alt, sondern schon damals eine besondere Kostbarkeit gewesen waren. Und dabei schimmerten ihre Farben, insbesondere ein tiefes, wundervolles Blau ihres Grundes, in einer Kraft und Frische, als seien sie von gestern.
Einer der Höfe birgt das astronomische Observatorium des Gründers von Jaipur, jene Sammlung von Instrumenten zur Beobachtung der Gestirne, die der fürstliche Gelehrte, da man Präzisionsinstrumente in heutiger Art noch nicht machen konnte, dafür in Riesenmaßen herstellen ließ. Der gegenwärtige Maharadscha hatte sie vor kurzem unter der Leitung eines europäischen Fachmannes mit großen Mitteln in dem ursprünglichen kostbaren Material von Metall und Stein wieder herstellen lassen. Tafeln gaben jetzt überall ihre verschiedene Bedeutung an. Sie wurden uns überdies an einem bestimmten Tage unter fachmännischer Führung eingehend erklärt, und es wurde dabei bestätigt, daß Jai Singh mit diesen Instrumenten seinerzeit in der Tat Beobachtungen von überraschender Genauigkeit ausgeführt hat.
Ein anderes Mal unterhielt uns der Maharadscha mit Sportspielen auf dem größten der Palasthöfe; einem Platz von riesiger Ausdehnung, der die Marställe enthielt und zugleich als Rennbahn und Arena diente. Ein hübscher Marmorpavillon mit schattigen Sitzen stand an einem Ende, und hier zeigte der Fürst dem Kronprinzen die Schönheit und die Künste seiner edlen Rosse – arabischen Blutes, wie alles bessere Pferdematerial der einheimischen Großen. Köstlich gezäumte und mit Samt und Gold behängte Tiere, die nach der Musik tanzten, die sich malerisch bäumten, Hochsprünge ausführten, sich tot stellten oder unter verwegenen Reitern ihren wildesten Galopp über Flachbahn und Hindernisse vorführten.
Doch nicht nur Reiterspiele sahen wir hier, sondern auch Tierkämpfe völlig altorientalischer Art: Büffel, die mit den Stirnen aufeinander losgingen und mit dumpfem Krach den Schwächeren in den Staub warfen; Widder und Antilopen, die mit den Hörnern, große, gefährliche Wildschweine, die mit den Hauern sich bekämpften, sportlich gezüchtete, hagere Streithähne, die die an Fürstenhöfen des Ostens beliebten Hahnenkämpfe aufführten. Den Schluß der Vorstellungen machten abgerichtete kleine Vögel: grüne Papageien, die auf der marmornen Plattform vor unseren Füßen wie Akrobaten mit Kugelstangen im Schnabel kunstvoll arbeiteten, drollig durch Reifen krochen, die sie selber hielten, u.a.m. Ein ganz kleiner Vogel lud zuletzt regelrecht eine für ihn riesengroße Kanone, richtete sie und schoß sie durch Abzug mit ungeheurem Knall los. Mit einem Wort, wir sahen ganz genau dieselben Dinge, mit denen sich nach den uns überlieferten alten Berichten auch der große Mogul vor dreihundert Jahren am Hofe von Agra und Delhi zu belustigen pflegte. Lächelnd und würdevoll saß der Maharadscha dabei zwischen uns in prachtvollem, dunkelsamtnen Gewande, eine lebende Verkörperung jener alten Zeiten, die man sonst für längst versunken glaubt.
Auch die Jagd, in ihren fürstlichsten Formen, gehörte, wie in Haiderabad, zum Programm. Hier, in den Dschungeln der Radschputana, schoß der Kronprinz seinen ersten Königstiger.
An einem der unvergesslichen Tage fuhren wir auch hinaus nach der Stätte der alten, im achtzehnten Jahrhundert aufgegebenen Hauptstadt Amber, deren Wohnhäuser, Tempel, Paläste und Gärten, menschenleer, langsam zerfallend und überwuchert von tropischem Rankengewächs, einige Meilen von Jaipur zwischen rauhen Bergen liegen wir ein leibhaftiges Dornröschenmärchen. An die große Mauer Chinas erinnernd, ziehen die Wälle der Stadt kühn und seltsam über die steilen Bergflanken dahin, alte mächtige Forts krönen die Höhen, und in der Tiefe zwischen künstlichen Stauseen liegen reizende verwilderte Garteninseln mit schönen Pavillons, durch deren gezackte Bogen die wundersamen Bilder der Landschaft in ausgesucht künstlerischem Reiz eingerahmt erscheinen. Inmitten all dieser Herrlichkeiten ragt der alte, heute unbewohnte Palast von Amber auf halber Bergeshöhe empor, in seinem Aufbau eines der romantischten aller Schlösser Indiens, eine wunderbare Vereinigung von trotzigem Kastell und entzückend graziösem Palast. Auf gewaltigen massiven Unterbauten mit unersteigbaren Wänden erhebt sich ein Doppelschloß reizvollster und kostbarster Gemächer mit üppigem sarazenischen Arabeskenzierrat, mit kühlen Marmorfußböden, wundervoll durchbrochenen Steingitterfenstern, verschwiegenen Bädern, luftigen Erkern hoch über der Tiefe und schimmernden Dachgalerien, wo man wie ein Vogel in der lichten Luft schwebt.
Der Kronprinz konnte sich nicht genug tun in Ausdrücken seines Entzückens über dies wunderbare Ganze, sowie seines Bedauerns, daß dies alles nicht mehr lebendig sei. Und doch brauchte gerade für uns, die wir den Hof des heutigen Jaipur kennen gelernt hatten, die Phantasie nur noch einen kleinen Schritt zu tun, um sich die ehemaligen Tage fürstlichen Glanzes auch hier zurückzurufen.
Stolzblickende berittene Garden in alteinheimischer Tracht hatten unsere Wagen nach Amber geleitet; rotschimmernde Diener, goldbeturbante Vornehme des Hofes, reichgezäumte arabische Rosse erfüllten die Höfe wie ehedem, und als wir endlich auf dem Rücken mächtiger, buntbehangener Elefanten feierlich den Felsenpfad vom Schlosse wieder herabritten, bot unsere Gesellschaft selbst ein Bild, das nicht wesentlich verschieden gewesen sein kann von den Tagen des Glanzes von Amber.
Wegener, Georg
Der Zaubermantel
Leipzig 1919