Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1874 - Edward Lear
Wie man in Indien reisen kann

Für Reiseaufenthalte in Indien bieten sich drei verschiedene Möglichkeiten: Dak-Bungalows, Hotels, private Unterbringung. Ersteres ziehe ich bei weitem vor. Am Ende einer Tagesetappe erreicht man einen Dak-Bungalow, ein Gebäude, das der Regierung gehört und immer nahe an einer Landstraße liegt. Es besteht aus häufig zwei, manchmal sechs bis zehn Apartments, von denen jedes über ein Vorderzimmer, ein kleines dahinter und ein Badezimmer verfügt. In den Zimmern gibt es Bettstellen, Stühle und einen Tisch, in den Badezimmern Waschgelegenheiten. Nebenan ist ein Küchenhaus, in dem der Khamsamah und ein oder zwei Eingeborene wohnen und kochen. Bei der Ankunft wird dein Gepäck in einen leeres Apartment gebracht, und der gute alte George hat darin immer innerhalb von zehn Minuten die schönste Ordnung hergestellt, die Betten (man bringt immer sein eigenes Bettzeug mit) und das Badezimmer benutzungsbereit gemacht. Das ist so gegen sechs oder sieben Uhr abends, und schon innerhalb einer Stunde bringt der Khamsamah das Essen, das du bestellt hast, fast immer Hühnerkoteletts oder ein Geflügel vom Rost, und nie mußt du auf Bass-Bier verzichten, oft gibt es auch Rotwein oder Sherry. Gegen neun oder zehn Uhr habe ich die Tür hinter mir zugemacht und liege im Bett, George in seinem eigenen Zimmer (obwohl, ab und zu kann man nur ein Zimmer mit zwei Bettstellen bekommen), am nächsten Morgen um fünf Uhr stehe ich auf, wasche mich und ziehe mich an, und gegen sechs hat George alles zusammengepackt und es geht wieder los. In diesen Dak-Bungalows habe ich sehr angenehme Tage verbracht, in Delhi zum Beispiel zehn oder zwölf. Das allerbeste an ihnen ist, daß man dort keine Zeit verschwendet; und da ich die Dienste der Leute nicht brauche, brauche ich mich auch nicht aufzuregen.
    Die zweite Möglichkeit sind Hotelaufenthalte. In 19 von 20 Fällen sind sie abscheulich und irritierend. Von Dutzenden von Hotels, die ich bis jetzt besucht habe, kann ich nur drei oder vier gute nennen; Die Wirte sind meistens anderweitig beschäftig und überlassen die Besucher deren eigenen Dienern – die meisten Leute bringen zwei oder drei oder mehr mit. Die Mahlzeiten sind zeitlich festgelegt, oft zu unpassenden Zeiten, die sich gar nicht gut mit meinen vollen Arbeitstagen vertragen. Die Zeit, die ich an table d’hôtes und mit Herumwarten vertan habe, hat mich ganz schön zurückgeworfen. Oft sind die Zimmer vernachlässigt und schmutzig, und das Essen, prahlerisch abwechslungsreich in Bezeichnung und Präsentation, ist immer von der gleichen miserablen Qualität. Dein Tee kommt als kaltes Abwaschwasser, in der Tasse, schon fertig gemixt, und bei all diesen und noch viel mehr Unbequemlichkeiten muß man noch das Doppelte von dem zahlen, was in einem Dak-Bungalow ganz angenehmen Komfort und ausreichende Unabhängigkeit sichergestellt hätte. Ich habe von Seiten der Wirte Unverschämtheiten erlebt, die in England unglaublich sind. Als ich einen um ein Badutensil bat (es tut mit leid zu sagen, daß es hierzulande pisspot heißt – „Pissport dumpy“ hörst du dauernd vor deiner Tür, was bedeutet: „Soll er geleert werden?“) sah er mich nur starr an und sagte im Weggehen: „Sie sind wohl noch nicht lang im Land?“ Und ein anderer sagte mir, als ich mich auf den Weg machen und meine Rechnung zahlen wollte: „Jetzt nicht, Sir, erst muß ich mich um die Pferde kümmern.“
    Aber drittens hast du vielleicht Empfehlungsbriefe für Leute, und wenn dem so ist, wirst du in den allermeisten Fällen mit der größten Freundlichkeit empfangen. Aber was immer dir auch die guten Leute versichern, in einem privaten Haus kannst du nicht Herr deiner Zeit sein wie in einem Dak-Bungalow. Du könntest natürlich der Hausfrau sagen: „Ma’am, Ich hätte gern Tee um fünf, ein kaltes Picknick und Wein zum Mitnehmen und Abendessen genau um sieben, wonach ich mich zurückziehe und mit ihnen nicht mehr rede“ – aber solch ein Vorgehen widerstrebt meiner Denkungsart, und die Summe meiner Erfahrungen ist, daß du in anderer Leute Haus dich nicht benehmen kannst, wie es dir gefällt. Ich erinnere mich noch, das ich mal gesagt, habe, dass ich immer wüsste, was mir passt. So ist es auch jetzt: Familien und Hotels passen mir nicht. Dak-Bungalows aber schon.

Lear, Edward
Selected Letters
Oxford 1988
Übersetzung: U. Keller

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