Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1665 - Jean Baptiste Tavernier
Am Hofe Aurangzebs

Nachdem ich alle meine Geschäfte mit dem König verrichtet und den 1. November 1665 von Seiner Majestät Abschied nehmen wollte, ließ er mir anzeigen, dass ich vor dem nahenden Fest nicht verreisen sollte, und dass er mir alle seine Kleinodien zeigen lassen wollte. Ich nahm die Ehre pflichtschuldig mit Dank an und war also Zuschauer dieses großen Festes, das am 4. November anfing und fünf Tage lang währte. Es ist der Geburtstag des Königs; zu diesem Anlass pflegt man ihn abzuwiegen, und es herrscht große Freude, wenn er seit dem letzten Jahr zugenommen hat. Nachdem er gewogen worden ist, setzt er sich auf den prächtigsten seiner Thronsessel, von dem ich gleich berichte, und es kommen alle Vornehmen des Reiches, ihm Glück zu wünschen und Geschenke zu bringen. Die Hofdamen schicken ihm in gleicher Verehrung wie die Provinzgouverneure und andere Herren des Landes Diamanten, Rubine, Smaragde, Perlen, Gold und Silber, schöne Teppiche, Geld und Silberbrokat, Elefanten, Kamele und Pferde als Geschenk. Diese Geschenke machten an diesem Tag über 30 Millionen Franken aus.
   Am 7. September begannen die Vorbereitungen für das Fest. Zwei Höfe des Palastes wurden von der Mitte aus bis an den Saal, der nach drei Seiten offen ist, abgedeckt; die Teppiche dafür sind von rotem Samt und mit Gold bestickt. Die Bäume, von denen sie getragen werden, gleichen den Masten von Schiffen und sind fast 35 bis 40 Schuh hoch. Im ersten Hof gibt es für das Dach 38 Bäume oder Stangen; die dem Saal am nächsten sind, sind dick mit Goldblech überzogen, die anderen mit Silberblech, und die Stricke, die diese Bäume halten, sind aus Baumwolle unterschiedlicher Farben gemacht und dick wie ein gutes Schiffsseil.
   Der große Mogul hat sieben köstliche Thronsessel, die einen ganz mit Diamanten, andere mit Rubinen, Smaragden und Perlen bedeckt.
   Der große Thron, der im ersten Hof aufgerichtet wird, hat ungefähr die Form und Größe eines unserer Feldbetten, nämlich ungefähr sechs Schuh lang und vier breit; auf die vier Füße, welche sehr groß und 20 bis 24 Zoll hoch sind, sind die vier Stangen gesetzt, die den Boden des Throns halten, und auf diesen vier Stangen stehen 12 Säulen, die den Himmel auf drei Seiten tragen; die Seite vorne gegen den Hof steht offen. Füße wie Stangen, die über 18 Zoll breit sind, sind ganz mit goldener Schmelzarbeit überzogen und mit vielen Diamanten, Rubinen und Smaragden verziert. Inmitten jeder Stange befindet sich ein großer bleicher Rubin, der von vier Smaragden kreuzförmig umgeben ist. An anderen Stellen ist ein Smaragd von vier bleichen Rubinen umgeben. Die Smaragde sind viereckig geschnitten, und zwischen Rubinen und Smaragden befinden sich Diamanten, die nicht größer als zehn bis zwölf Karat sind. Alle Steine scheinen sehr flach zu sein. An einigen Stellen sind auch Perlen in Gold eingefasst und auf einer Längsseite des Thrones stehen vier Stufen zum Hinaufsteigen; von den drei Kissen auf dem Thron ist dasjenige, das hinter den Rücken des Königs gelegt, wird, groß und rund wie eines unserer Kopfkissen, und die anderen zwei zu den Seiten sind flach. An dem Thron hängen ein Säbel, ein Streithammer, ein Schild, ein Bogen und ein Köcher mit Pfeilen. Alle diese Stücke sind wie auch die Stufen und Kissen an den sechs anderen Thronen alle mit Edelsteinen besetzt, jedes nach seiner Art und wie es gefällt.
   Ich habe die großen bleichen Rubine, die sich an dem großen Thron befinden, gezählt: Es sind 108 Rubine, alle ungeschnitten, der kleinste davon wiegt 100 Karat, aber anscheinend gibt es etliche mit 200 Karat und darüber. Die Smaragde sind von ziemlich guter Farbe, aber sehr trübe. Der größte wird ungefähr 60 und der kleinste 30 Karat an Gewicht haben. Ich habe bis 160 gezählt, demnach ist ihre Zahl größer als die der Rubine.
   Das Innere des Thronhimmels ist vollständig mit Diamanten und Perlen bedeckt, und es gibt auch Fransen ringsherum, die aus Perlen bestehen. Unter dem gewölbten Himmel sieht man Pfauen mit aufgestelltem Schwanz aus blauen Saphiren und Steinen anderer Farben; ihr Körper ist aus Gold-Schmelzarbeit und Perlen. Vorne an der Brust hängt jeweils ein großer Rubin und eine große birnenförmige Perle, ungefähr 50 Karat schwer und von gelblicher Farbe. Auf beiden Seiten der Pfauen befinden sich Sträuße mit vielen goldenen Blumen und mit etlichen Edelsteinen. An der Seite zum Hof hin steht ein durchsichtiges Kleinod mit einem Diamanten, der 80 bis 90 Karat schwer ist, Rubinen und Smaragden, und wenn der König auf seinem Thron sitzt, hat der dieses Kleinod gerade vor dem Gesicht. Das Köstlichste an diesem Thron jedoch sind, meine ich, die Perlen auf den zwölf Säulen, die den Himmel tragen. Sie sind rund und weiß und zwischen sechs und acht Karat schwer. Vier Schritt beiderseits des Throns stehen auch zwei Sonnenschirme, deren Stangen, sieben bis acht Schuh lang, mit Diamanten, Rubinen und Perlen verziert sind. Die Schirme bestehen aus besticktem rotem Samt mit einem Perlenkranz auf der Innenseite.
   Und das ist, was ich an diesem berühmten Thron, von Tamerlan [Timur] angefangen und von Schah Jehan fertig gestellt, habe beobachten können. Diejenigen, die über des Königs Kleinodien Buch führen, und denen bewusst ist, was dieses besondere Werk gekostet hat, haben mir versichert, dass sie sich auf 107.000 Lakh [10.7 Milliarden] Rupien belaufen, was 165 Millionen Franken unserer französischen Währung entspricht.
   Hinter diesem prächtigen Thron ist ein weiterer, aber kleinerer in Form eines Badezubers in eirunder Form errichtet, ungefähr sieben Schuh lang und fünf Schuh breit und außen mit Diamanten und Perlen besetzt, der aber keinen Himmel hat.
   Im ersten Hof sieht man zur Rechten einen merkwürdig überdachten Ort, an dem sich während des königlichen Festes die Komödianten der Stadt einfinden müssen, um zu singen und zu tanzen, solange der König auf seinem Thron sitzt. Zur Linken ist ein anderer überdachter Ort, an dem sich die vornehmsten Kriegsherren und Hauptleute der königlichen Leibwache und des Hofes befinden.
   Solange sich der König auf seinem Thron befindet, stehen zu beiden Seiten je 15 gezäumte Pferde, jedes von zwei Männern gehalten. Die meisten Zaumzeuge sind sehr dicht mit Diamanten, Rubinen, Smaragden, Perlen und Gold verziert, einige nur mit etlichen Stückchen Gold. Auf dem Kopf trägt jedes Pferd einen Strauß aus schönen Federn und auf dem Rücken ein kleines Kissen. Der Gurt ist ganz mit Gold bestickt, und unter dem Hals hängt ein Kleinod aus Diamant, Rubin oder Smaragd. Das billigste dieser Pferde kostet 3.000 bis 5.000 Kronen. Es sind aber auch einige darunter, die 20.000 Rupien, das sind 10.000 Kronen, wert sind. Der junge Fürst, der damals sieben bis acht Jahre alt war, saß auf einem kleinen Pferd von der Größe eines Jagdhundes, das aber sehr gut gebaut und sehr zierlich war.
   Eine halbe Stunde oder höchstens eine Stunde, nachdem sich der König auf dem Thron niedergelassen hatte, wurden sieben für den Krieg abgerichtete Elefanten vor ihn hingeführt. Einer davon trägt einen sehr breiten Sitz, für den Fall, dass der König aufsitzen will. Die anderen sind mit bestickten Teppichen bedeckt, um den Hals tragen sie goldene oder silberne Ketten. Vier tragen die von einem Reiter gehaltene Standarte des Königs auf dem Rücken. Man führt sie einen nach dem anderen bis auf 40 oder 50 Schritt vor den König, und wenn ein Elefant gerade vor dem Thron steht, macht er Seiner Majestät Reverenz, indem er den Rüssel auf die Erde legt und dann den Kopf aufhebt. Das geschieht dreimal nacheinander. Jedes Mal lässt er einen großen Schrei los. Dann dreht der Elefant dem König das Hinterteil zu, und dann hebt der Mann, der darauf sitzt, die Decke an, damit der König sehen kann, dass der Elefant fett und wohl genährt ist. Jeder hat eine Seidenschnur um den Leib gebunden, damit man erkennen kann, um wie viel er seit dem vorigen Jahr zugenommen hat. Der Lieblingselefant des Königs ist ein sehr großes Tier, dessen Verpflegung monatlich 500 Rupien kostet. Er wird mit guten Speisen und viel Zucker ernährt und mit Branntwein getränkt.
   Nachdem der König seine Elefanten begutachtet hat, begibt er sich mit drei oder vier seiner Verschnittenen durch eine kleine Tür hinter dem eiförmigen Thron in seinen Harem.
   Die übrigen fünf Throne befinden sich in einem anderen Hof. Sie sind ohne Farbsteine, aber ganz mit Diamanten bedeckt. Deren Beschreibung unterlasse ich, um dem großmütigen Leser nicht verdrießlich zu werden, weil es mir nicht unbewusst ist, dass auch die schönsten Dinge, wenn sie einem allzu oft vor die Augen kommen, Unwillen verursachen. Diese fünf Throne sind so angeordnet, dass sie ein Viereck bilden mit dem fünften in der Mitte, der aber etwas tiefer steht als die, die das Volk vor sich sieht.
   Wenn der König nach ungefähr einer halbe Stunde aus seinem Harem kommt, setzt er sich auf den mittleren Thron. Solange das Fest dauert, werden ihm Elefanten und Kamele vorgeführt und alle Hofherren bringen ihm die üblichen Geschenke. All dies geschieht mit großer Herzlichkeit und mit einem Aufwand, der des größten Monarchen im Orient würdig ist. Denn der große Mogul ist an Macht und Reichtum in Asien, was der König von Frankreich in Europa. Was jedoch die Macht anbelangt, wider tapfere und erfahrene Völker wie uns Europäer Krieg zu führen, ist er mit dem König von Frankreich keineswegs zu vergleichen.

Tavernier, Jean Baptiste
Beschreibung der sechs Reisen, welche Jean Baptiste Tavernier … in Türckey, Persien und Indien innerhalb 40 Jahren … verrichtet …
Genf 1681

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hrsg.)
Reisende in Indien seit 326 v. Chr.
Wien 2007

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