Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 1528 - Großmogul Babur
Über Indien

Die meisten Gegenden in Hindustan sind eben. Obgleich Hindustan so viele Provinzen umfasst, trifft man doch in keiner einen künstlichen Bewässerungskanal. Es wird nur durch Flüsse bewässert, doch gibt es auch an einigen Orten stehende Wasser. Sogar in den Städten, deren Lage den Bau einer Wasserleitung erlaubt, hatte man keine angelegt. Es mögen verschiedene Gründe dafür vorhanden sein. Einer davon ist, dass man zu den Ernten und Gärten das Wasser nicht unumgänglich nötig hat. Die Herbsternte erhält ihre Nahrung in der Regenzeit. Merkwürdig ist die Ernte im Frühling, wo kein Regen fällt. Die jungen Bäume bewässern sie nur, bis sie ein oder zwei Jahre alt sind, worauf es nicht mehr nötig ist. Einige Feldfrüchte werden bewässert. In Lahore, Debalpur [südwestlich von Lahore am Ravi], Sehrend [Sirhind in der Nähe von Chandigarh] und den benachbarten Bezirken geschieht dies mittels eines Rades. Sie ziehen zwei Seile, an denen Eimer befestigt sind, über ein am Rande des Wassers aufgestelltes Rad, dessen Achse mit einem zweiten, gezahnten, versehen ist, das mit einem dritten in Verbindung steht, das eine aufrecht stehende Achse hat. Das letztere wird von Ochsen in Gang gesetzt, bewegt die anderen, und die Wasser schöpfenden Eimer gießen dieses in eine Grube, aus der es dahin geleitet wird, wo man es braucht. Einer anderen, mühsamen und schmutzigen Art, Wasser zu schöpfen bedient man sich in Agra, Biana [in Rajastan], Chandawar [Nachbarstadt von Agra] und der umliegenden Gegend; man befestigt nämlich eine Welle am Rande des Brunnens, um die ein langes Seil läuft, an dessen Ende der Eimer befestigt ist. An das andere spannt man einen Ochsen, der das Wasser heraufzieht, und ein dabei stehender Mensch gießt dies jedes Mal aus. Das Seil wird auf dem Rückweg, wo es auf dem Weg des Ochsen hinschleift, voller Schmutz und kommt so in den Brunnen. An anderen Orten tragen Männer und Frauen das nötige Wasser herbei.
   Das Land und die Städte von Hindustan sind sehr gleichförmig, es herrscht überall die größte Ähnlichkeit, die Gärten sind ohne Mauern; der größte Teil des Landes ist eben. Die Flüsse und Gewässer haben sich alle sehr tiefe Betten gewühlt, was von der in der Regenzeit herabströmenden Flut herrührt, wodurch der Übergang sehr erschwert wird. An vielen Orten ist die Ebene mit dornigem Buschwerk so bedeckt, dass die Bewohner sich in diesen Gehölzen verbergen und, auf deren Unzugänglichkeit vertrauend, häufig in fortwährender Empörung verharren und keine Steuern zahlen. In Hindustan trifft man, die Flüsse ausgenommen, wenig fließendes Wasser an. Hier und da ist ein stehendes Wasser. Alle Städte und Gegenden nehmen ihr Wasser aus Flüssen oder Teichen, in denen es während der Regenzeit gesammelt wird. Die Verödung und der Verfall von Dörfern und Städten ist in Hindustan oft das Werk eines Augenblicks. Große, seit vielen Jahren bewohnte Städte (die Einwohner ergreifen bei Überfällen sogleich die Flucht) sind in der Zeit von zwei Tagen so verlassen, dass keine Spur von Menschen zu entdecken ist. Lassen sie sich nun an einem anderen Ort nieder, so bedürfen sie keiner Wasserleitungen und keiner Dämme, ihre Ernte gedeiht auch ohne Bewässerung, und daher ziehen sie ungehindert in allen Richtungen umher. Sie graben ein Bassin oder einen Brunnen; eines festen Gebäudes oder einer Mauer bedürfen sie nicht, an Schilf und Holz, aus denen sie ihre Hütten bauen, haben sie Überfluss, und in kurzer Zeit ist ein Dorf oder eine Stadt fertig.
   Zu den in Hindustan einheimischen Tieren gehört der Elefant; die Eingeborenen nennen ihn Hathi und man findet ihn in der Landschaft Kalpi [am Yamuna südwestlich von Kanpur]; je weiter man nach Osten kommt, desto häufiger werden die wilden Elefanten. In dieser Gegend werden sie hauptsächlich gefangen. In Kara und Manikpur [etwa 100 km südwestlich von Allahabad] gibt es gegen vierzig Dörfer, die sich nur mit der Elefantenjagd beschäftigen. Sie müssen der Regierung über die gefangenen Tiere Rechenschaft ablegen. Der Elefant ist ein ungeheures und sehr kluges Tier. Er versteht, was man ihm befiehlt. Sein Wert richtet sich nach seiner Größe. Wenn sie das gehörige Alter erreicht haben, werden sie verkauft; und die größten sind die teuersten. Auf einigen Inseln sollen diese Tiere 10 Ellen hoch werden. Ich habe in hiesiger Gegend keinen über vier oder fünf Ellen hohen gesehen. Der Elefant nimmt Speise und Trank durch seinen Rüssel zu sich, ohne den er nicht leben kann. Zu dessen beiden Seiten und in der oberen Kinnlade hat er zwei Zähne, mit denen er Mauern umstoßen und Bäume ausreißen kann; er benutzt sie im Kampf und bei jeder schwierigen Arbeit, sie werden Aaj genannt. Diese Zähne stehen bei den Hindus in hohem Werte. Der Elefant hat keine Haare oder Wolle wie andere Tiere. Die Inder setzen großes Vertrauen in ihre Elefanten und jeder Teil ihres Heeres führt eine gewisse Anzahl mit sich. Der Elefant besitzt eine sehr wichtige Eigenschaft: er kann eine große Masse Gepäck über tiefe und reißende Ströme transportieren, die er mit Leichtigkeit passiert; Geschütz, wofür 400 oder 500 Menschen erfordert würden, ziehen zwei oder drei Elefanten ohne Schwierigkeit; er hat aber einen großen Magen, und einer braucht so viel Futter wie sieben bis vierzehn Kamele.
   Viele Eingeborene von Hindustan sind Heiden und heißen Hindus. Viele von ihnen glauben an Seelenwanderung. Die Steuerbeamten, Kaufleute und Arbeitsleute sind sämtlich Hindus. In unserem Vaterland führen die in den Ebenen und Wüsten wohnenden Horden die Namen ihrer angesehenen Stämme; hier führt aber jedermann in Stadt und Land den Namen seines Standes. Jeder Handwerker hat sein Gewerbe von seinen Vorfahren geerbt, die seit mehreren Generationen alle dasselbe betrieben.
   Hindustan bietet nur wenig Annehmlichkeiten. Seine Bewohner sind nicht wohlgestaltet. Sie kennen weder die Freuden des geselligen noch des Familienlebens. Sie sind ohne Verstand und Urteilskraft, ohne seine Sitten, ohne Mitgefühl, und besitzen weder mechanische Geschicklichkeit zu Handarbeiten noch Geschicklichkeit oder Kenntnisse in der Zeichenkunst, und es gibt keine guten Pferde, kein gutes Fleisch, keine Trauben und Bisammelonen [Moschusmelonen], keine guten Früchte, kein Eis und kein kaltes Wasser, keine schmackhaften Speisen und Brot in ihren Basaren, keine Bäder und Kollegien, keine Lichter, Fackeln und nicht einmal Leuchter. Statt Lichter und Fackeln halten sie eine Bande von schmutzigen Kerls, die Deutis genannt werden. Diese führen in der linken Hand eine Art kleinen hölzernen Dreifuß; an eines seiner Beine stecken sie eine eiserne Spitze wie die eines Lichts und befestigen einen biegsamen Docht von der Größe des Mittelfingers mit einer Nadel an ein anderes Bein. In der rechten Hand halten sie einen ausgehöhlten Kürbis, aus dem sie den Docht mit Öl begießen, so oft es nötig ist. Die Vornehmen halten 100 oder 200 solcher Deutis. Brauchen ihre Herrscher oder Vornehmen des Nachts Licht, so kommen diese schmutzigen Deutis mit ihren Lampen und stellen sich dicht an ihre Seite.
   Außer den Flüssen besitzen sie noch fließendes Wasser in ihren Schluchten und Höhlen, Wasserleitungen sind aber weder in den Gärten noch Palästen. Ihre Gebäude berechnen sie weder nach der Witterung noch nach Bequemlichkeit, Eleganz oder Regelmäßigkeit. Die Landleute und niederen Volksklassen gehen ganz nackt. Sie umgürten sich mit einem Stück Zeug, das zwei Spannen weit unter den Nabel heruntergeht und Langoti heißt. Ein anderes Stück befestigen sie mit einem Band an dem Langoti, ziehen es dann zwischen den Beinen durch und machen es hinten an einem Gurt fest. Die Frauen tragen ebenfalls ein Langoti und schlingen ein Ende davon um den Leib, das andere werfen sie über den Kopf.
   Der größte Vorzug von Indien ist sein großer Umfang und sein Überfluss an Gold und Silber. Während der Regenzeit ist sein Klima sehr angenehm. An manchen Tagen regnet es fünfzehn bis zwanzig Mal. Es entstehen dann Überschwemmungen, die Flüsse bilden, wo vorher kein Wasser war. Die Luft ist dabei außerordentlich angenehm und nichts übertrifft ihre Milde. Ein Mangel ist die starke Feuchtigkeit. Während der Regenzeit kann man nicht einmal mit unseren Bogen schießen, die ganz unbrauchbar werden. Außerdem leidet alles, die Waffen, Bücher, Kleider und Gerätschaften von der Feuchtigkeit, sogar die leicht gebauten Häuser. Im Winter und Sommer ist ebenso gutes, angenehmes Wetter wie in der Regenzeit; aber dann weht der Nordwind beständig und erregt einen gewaltigen Staub. Kurz vor der Regenzeit weht dieser Wind fünf- oder sechsmal mit ungemeiner Heftigkeit und führt eine solche Menge Staub mit sich, dass ein Mensch den anderen nicht zu sehen vermag. Sie nennen dies Andhi. Während [der Monate] des Stiers und der Zwillinge wird es warm, aber nicht übermäßig und die Hitze ist nicht halb so stark wie in Balkh und Kandahar. Eine andere Bequemlichkeit von Hindustan ist sein Überfluss an Arbeitsleuten. Jedes Gewerbe wird dort von alters her vererbt vom Vater auf den Sohn. Es wird als etwas seltenes erzählt, dass, als Timur Beg die steinerne Moschee bauen ließ, täglich gegen 200 Steinhauer aus Aserbaidschan, Fars [Persien], Hindustan und anderen Ländern daran arbeiteten. Allein in Agra verwendete ich täglich 680 dort einheimische Personen bei meinen Palästen und in Agra, Sikri [das Baburs Enkel Akbar zu Fatehpur Sikri ausbaute], Biana, Dholpur, Gwalior und Koil [Aligarh] arbeiteten täglich 1.491 Steinhauer für mich. Im gleichen Verhältnis stehen die übrigen Gewerbe.

Denkwürdigkeiten des Zehir-Eddin Muhammed Babar, Kaisers von Hindustan
Übersetzt von A. Kaiser
Leipzig 1828

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Indien seit 326 v. Chr.
Wien 2007

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