ept. 1763 - März 1764 - Carsten Niebuhr
Die Insel Bombay
Die Insel Bombay liegt an der westlichen Küste Indiens und gehört schon seit 100 Jahren der englischen Ostindischen Handelskompanie, welche hier eine Regierung eingesetzt hat, der alle Faktoreien unterstehen, die sie an dieser Küste von Ceylon an nach Norden bis Basra besitzt. Der Hafen ist groß und vor allen Winden sicher, und deswegen der Nation sehr wertvoll. Die Insel selbst dagegen ist nicht erheblich. Sie ist an einigen Stellen kaum eine halbe deutsche Meile breit und überhaupt nur zwei Meilen lang, wenn man nicht eine kleine unbedeutende Insel dazurechnet, welche die Engländer Old Women's Island (Altweiber-Insel) genannt wird. Der Boden der See zwischen diesen beiden Inseln ist ein Fels und so hoch, daß man zur Zeit der Ebbe trockenen Fußes von einer zur anderen gehen kann. Wenn also das Wasser auch an der Malabarküste wie im arabischen Meerbusen und in vielen anderen Gegenden der Welt abnimmt, so wird man hier einen Beweise davon sehen können, weil dann künftig Bombay mit Old Women's Island nur eine Insel ausmachen wird.
Kokosnussbäume und Reis sind das häufigste, was auf der Insel Bombay gebaut wird, und an der Küste wird auch viel Salz gesammelt. Fast alle übrigen Lebensmittel müssen die Einwohner vom festen Lande und von Salset beziehen, einer großen und sehr fruchtbaren Insel, die nur durch einen schmalen Kanal von Bombay getrennt ist, ehemals portugiesisch war und jetzt den Marathen gehört. Die Engländer haben nach meiner Abreise aus diesen Gegenden einen Versuch gemacht, diese Insel an sich zu bringen, und nach den Zeitungen haben sie diese Insel auch wirklich erobert. Ich weiß aber nicht, ob sie Salset gegen die große Landmacht der Marathen werden verteidigen können.
Die Stadt Bombay liegt im Süden der Insel unter der Polhöhe 18°55'43". Sie ist ungefähr eine Viertelmeile lang, aber nur schmal. An der Seeseite und in der Stadt liegt ein altes Kastell ohne von keiner großen Bedeutung. Die Stadt selbst ist nach der Landseite mit einem guten Wall und einem breiten Graben umgeben, und hat Ravelins vor ihren drei Toren. Diese Werke sind größtenteils erst während des letzten Krieges mit den Franzosen errichtet, in welchem die Engländer, wie man mir versicherte, jährlich 300.000 Rupees (ungefähr 200.000 Reichstaler) auf die Befestigung dieser Insel wandten. Weil zu keiner Zeit der Friede längst geschlossen war, so arbeitete man nicht mehr so eifrig daran, aber die Engländer waren noch entschlossen, die geplanten Werke nach und nach völlig zustande zu bringen, und Bombay muss daher bald eine der wichtigsten Festungen in ganz Indien werden. Der Stein, den man zur Verkleidung der Festungswerke braucht, und der auf der Insel selbst gebrochen wird, hat die gute Eigenschaft, daß er in der Grube weich und daher leicht zu bearbeiten ist, an der freien Luft aber nach und nach sehr hart wird.
Außer dieser Hauptfestung findet man auf der Insel Bombay noch verschiedene kleinere, wie ein kleines Kastell bei dem Flecken Mahim auf dem nördlichen Ende der Insel, und Batterien bei Riwale, Sion, Sure, Mazagon, Worle und so fort. Die meisten sind zwar von geringer Bedeutung, sie können aber doch einem Feinde, besonders einem indischen, bei einer Landung sehr hinderlich sein.
Alle Einwohner von Bombay genießen unter der englischen Regierung völlige Gewissensfreiheit. Daher hat sich ihre Anzahl, besonders in den letzten Jahren, seit die Portugiesen aus der Nachbarschaft vertrieben worden sind, sehr vermehrt. Ein Engländer, der noch keine 20 Jahre auf der Insel lebte, versicherte mir, daß bei seiner Ankunft die Einwohnerzahl nur auf 70.000 gerechnet wurde, und daß man jetzt (1764) ganz gewiß 140.000 anträfe. Darunter ist die Anzahl der Europäer, wie leicht zu vermuten, nur klein. Die übrigen sind indische Katholiken oder so genannte Portugiesen, Hindu oder so genannte Heiden von allerhand Kasten, Anhänger verschiedener Sekten Mohammedaner, besonders Sunniten und Schiiten, und überdies findet man hier Parsen oder so genannte Feueranbeter. Alle diese verschiedenen Religionsverwandten vertragen sich untereinander so wohl, daß jede Partei ihren Gottesdienst nicht nur ruhig in ihren Tempeln anwartet, sondern auch ihre Prozessionen öffentlich hält, ohne daß die anderen ein Ärgernis zu nehmen scheinen. Auch habe ich einige Armenier und Griechen in Bombay angetroffen. Ich weiß nicht, ob man in dieser Gegend Thomaschristen antrifft, es soll aber noch viele in Indien geben, die noch jetzt einen Bischof aus Haleb in Syrien erhalten.
Das Klima in Bombay ist wegen der kühlenden Seewinde und weil es hier in den Monaten, in denen dem Scheitelpunkt am nächsten ist, sehr gemäßigt. [Niebuhr war vorher in Arabien.]. Seitdem man einige Teiche in und um die Stadt ausgetrocknet hat, ist die Luft auch nicht mehr so ungesund wie früher. Hier sterben freilich noch viele Engländer ganz unerwartet. Aber nach meiner Meinung vornehmlich durch eigene Schuld. Sie essen viele allzu nahrhafte Fleischspeisen, besonders Rind- und Schweinefleisch, das die alten Gesetzgeber der Inder aus guten Gründen gänzlich verboten haben. Sie trinken heiße portugiesische Weine, und dies in den heißesten Stunden des Tages. Sie tragen hier auch die enge europäische Kleidung, welche für diesen Himmelsstrich gar nicht bequem ist. Denn weil verschiedene Teile des Körpers dadurch gleichsam zusammengeschnürt werden, so hindern sie den Umlauf des Blutes und macht uns die Hitze viel empfindlicher als den Indern in ihren lagen und weiten Kleidern. Wir sind auch gar zu sehr geneigt, uns des Abends zu sehr zu entblößen und uns dadurch gefährliche Erkältungen zuzuziehen. Die Morgenländer, die am Vormittag ein Frühstück essen und erst bei Sonnenuntergang ihre Hauptmahlzeit halten, die Fleischspeisen und starke Getränke meiden, die, wenn sie auch des Abends in freier Luft sitzen, immer ihren Kopf und die Brust wohl bedeckt halten: Diese sind in den heißen Ländern viel weniger Krankheiten unterworfen und erreichen oft auch ein hohes Alter.
Die Europäer und diejenigen, die von Europäern abstammen, wohnen meistens im Südteil der Stadt. Hier ist auch die Wohnung des Statthalters, ein großes schönes Gebäude, und nicht weit davon eine große und schöne Kirche. Die platten Dächer sind hier nicht in Mode, sondern alle Häuser haben schräge Dächer, die mit Dachsteinen Steinen belegt sind. Die Engländer haben Glasscheiben in ihren Fenstern. Sonst braucht man statt dessen auch dünne Muschelschalen, viereckig geschnitten und reihenweise in Holz eingefaßt, was die Zimmer sehr dunkel macht. Indes sind diese Fenster in der Regenzeit doch besser als die eisernen oder hölzernen Gitter oder Fenstertüren; denn erstere schützen gar nicht gegen den Regen, und letztere lassen gar kein Licht in das Zimmer kommen. Die Morgenländer sitzen in der trockenen Jahreszeit, der freien Luft wegen, gern in Zimmern, die nach einer Seite ganz offen sind. Sonst muß man in ihren Häusern weder viel Bequemlichkeit noch Pracht suchen.
Unter den vielen und guten Anstalten, die die Engländer wegen des Handels und der Schiffahrt haben, ist das Dock wohl eine der vornehmsten. Das war zu meiner Zeit so weit fertig, daß darin zwei Schiffe gleichzeitig ausgebessert werden können, und man arbeitete daran, noch ein Becken für ein drittes Schiff zu bauen. Dieses Werk, das zum Teil aus dem Felsen gehauen und sonst aus gehauenen Steinen gebaut ist, muss die Handelsgesellschaft sehr viel Geld gekostet haben. Es ist aber auch sehr einträglich; denn es erlaubt nicht nur Kaufleuten der eigenen Nation, Privatschiffe darin auszubessern, sondern auch Fremde können sich dessen bedienen …
Die alten Einwohner dieser Gegend, wovon man in Bombay noch sehr viele antrifft, sind Hindu oder Inder. Wir Europäer pflegen sie Heiden und Götzendiener zu nennen und mit so verächtlichen Namen nicht viel Gutes von ihnen zu denken. Aber diejenigen, die Gelegenheit haben, sie etwas genauer zu kennen, werden finden, daß sie sanftmütige, tugendhafte und fleißige Leute sind, die vielleicht unter allen Nationen in der Welt am wenigsten suche, ihren Mitmenschen zu schaden. Dagegen ist auch wohl keine Nation in der Welt weniger gesellschaftlich als die Hindu, denn sie werden von ihren Geistlichen so geschoren, daß sie von allen anderen Nationen, ja unter sich selbst gleichsam abgesondert leben müssen. Die Juden und die Schiiten halten zwar alle Menschen, die nicht ihre Religionsverwandten sind, für unrein und essen nicht mit ihnen. Aber die Juden essen mit Juden und die Schiiten mit Schiiten, aus welcher Gegend, wie vornehm oder gering sie auch sein mögen. Bei den Hindu aber darf einer von vornehmer Abkunft, zum Exempel ein armer Brahman, der einem reichen Banianen dient, nicht einmal mit seinem Herrn essen. Dagegen hat ein reicher Banian die Erlaubnis, sich bei seinem armen, aber adeligeren brahmanischen Bedienten zu Gast zu bitten.
Niebuhr, Carsten
Reisebeschreibung nach Arabien und umliegenden Ländern
Band 2, Kopenhagen 1778