1706 - Bartholomäus Ziegenbalg
Missionarsarbeit in Tranquebar
Tarangambadi
Wir waren anfänglich sehr niedergeschlagenen Gemütes und fanden, dass alles schon durch das ärgerliche Leben der Christen unter diesen Heiden verderbt worden sei; überdies konnten wir auch hinreichend spüren, dass unsere Ankunft den meisten unter den Christen wegen unseres Vorhabens teils ganz lächerlich vorkam, teils ihnen ganz zuwider war. Aber dessen ungeachtet hielten wir doch beständig an im Bitten und Flehen bei Gott, dass er uns eine Tür öffnen möchte und sich desto inniger mit seiner Gnade zu uns halten, je weniger Beistand wir von Menschen zu hoffen hätten. Hierauf ließ uns Gott durch ein Exempel kräftig getröstet und zugleich versichert werden, dass er sich durch uns hier unter den Heiden nicht unbezeugt lassen wolle.
Als wir hier anlangten, kam ein junger malabarischer Mensch auf unser Schiff und fragte uns, ob wir ihn zu unserem Diener nehmen wollten. Wir erkannten das als eine Schickung Gottes und nahmen ihn als unseren Diener an. Nachdem er acht Tage um uns gewesen war und unsern Wandel gesehen hatte, fragte er, ob er nicht beständig bei uns bleiben und später auch mit nach Europa gehen könne. Wir sagten, dass wir das wohl tun wollten, wenn er sich entschlösse, ein Christ zu werden und die deutsche Sprache zu lernen. Hierzu war er ganz willig, verlangte aber vorher im Christentum gut unterrichtet zu werden.
Wir haben alle Tage starken Zuspruch von den Heiden, konnten aber noch sehr wenig mit ihnen reden, weil wir uns auf dem Schiffe keiner anderen als nur der dänischen Sprache befleißigen konnten. Weswegen wir gleich anfänglich unsere meiste Zeit mit der Erlernung der portugiesischen Sprache zubrachten, bis wir endlich nunmehr darinnen schon so weit gekommen sind, dass wir alles darin reden und schriftlich aufsetzen können, was zur Beförderung unseres Amtes gereichen möchte. Danach haben wir auch die malabarische Sprache angefangen, wozu wir einen eigenen Schulmeister mit einer kleinen Schule in unserm Hause halten, und hoffen, durch die Gnade Gottes gleichfalls darin guten Fortschritt zu tun; haben auch schon eine kleine Instruktion von dem Christentum nebst dem Vaterunser und einem Gebet um die wahre Bekehrung zuerst in portugiesisch aufgesetzt und dann übersetzen lassen, welches ich hiermit für die Naturalien-Kammer übersende. Hierbei haben wir fast täglich Gelegenheit gehabt, diesen Heiden auch mündlich das Evangelium zu verkündigen, wenn nicht zu ihrer Bekehrung, so doch zum Zeugnis, dass ihnen Gott seine Gnade angeboten hat. So ist in dieser kurzen Zeit darüber unter den Christen als auch Heiden eine starke Bewegung der Gemüter entstanden, sodass unsere Absicht auch dem Könige Tranjou [von Tanjore] nicht mehr verborgen sein kann, da uns ein ehemaliger Bedienter von ihm zusprach, mit welchem wir bisher Briefe gewechselt haben, und zu welchem ich auch heute meinen Diener Modaliapen wegen einer gewissen Sache abgesendet habe. Der Kommandant kann uns nichts anders als entsprechend unserer Instruktion mit dem Sekret-Rat hilfreiche Hand leisten; aber gleichwohl wird besorgt, dass ein Aufruhr verursacht werden möchte. Wir gaben vor wenigen Tagen ein Memorial ein, dass uns alle evangelischen Einwohner allhier ihre Sklaven am Tag zwei Stunden zukommen lassen möchten, damit sie im Christentum zunächst wohl unterrichtet und dann durch die Taufe der Gemeinschaft Jesu Christi gewürdigt würden; worauf denn der Kommandant uns selbst besuchte und in Kurzem selbige uns zu überschicken versprach. Sintemal er weiß, dass wir einen schriftlichen Befehl haben, bei jeder Gelegenheit an den König nach Dänemark zu schreiben und ihm alles nach unserem Gewissen zu berichten, was dieses Werk teils verhindern, teils auch befördern könnte. Es sind sehr viele Deutsche hier, die uns oftmals ersucht haben, dass wir jede Woche einmal predigen möchten, was uns zunächst der Kommandant auch selbst auftrug. Aber die dänischen Prediger widersetzen sich heftig, weswegen wir sie nicht einmal darum aufsuchen wollen, sondern sind gesonnen, mit der Hilfe Gottes eine eigene kleine Kirche für die Heiden in unserm Hause anzurichten, darinnen in der portugiesischen Sprache, wo nicht gepredigt, doch fleißig katechisiert werden möchte. Später können wir dann gleichfalls nach Verlangen für die Deutschen wöchentlich ein- oder zweimal eine Versammlung anstellen, auf dass man so Gelegenheit habe, als Christ wie auch Heide rechtschaffener Zeuge der Wahrheit zu sein. Und obwohl wir dabei sehr viel Verfolgung auszustehen haben werden, so wird diese doch viel mehr eine erwünschte Förderung als eine Hinderung bei diesem Werke des Herrn sein. Überdies haben wir uns auch gänzlich mit Leib und Seele dem Herrn aufgeopfert und würden daher in der Kraft des Herrn bereit sein, die Verkündigung des Evangeliums mit unserm Blute zu versiegeln, so uns Gott dergleichen würdigen wollte. Ich denke oftmals an die Worte, die man zu mir redete, als ich mich dazumal schon resolvierte, in ferne Lande mich schicken zu lassen; aber nachmals wegen meiner Unpässlichkeit verhindert wurde, da man sagte: Wenn man eine Seele unter dergleichen Völkern rechtschaffen zu Gott führte, so wäre solches eben so viel, als wenn man in Europa hundert gewönne: indem diese täglich genugsam Mittel und Gelegenheit zu ihrer Bekehrung hätten; jene aber dergleichen mangelten. Dabei muntert mich auch sehr auf, was mir der Herr D. Breithaupt bei meinem Abschiede von Merseburg in mein Stammbuch geschrieben hat, welches also lautet: Ideo nos facti sumus Christiani, ut plus de futura quam de hac vita laboremus. [Wir sind deshalb als Christen geschaffen, damit wir mehr für das zukünftige als das diesseitige Leben arbeiten.] Dieses lasse ich mir meine tägliche Erinnerung sein, damit ich nicht müde werden möchte, mein Tun und Lassen beständig auf die unsichtbare Ewigkeit zu richten und dabei die Welt sowohl in ihrer Herrlichkeit als auch in ihrer Bitterkeit wenig zu achten. Hierinnen ist denn mit mir gleiches Sinnes mein lieber und getreuer Mitbruder Herr Heinrich Plütschau, und wir suchen einander uns dessen stets zu erinnern und in vereinigtem Gemüt an der Aufrichtung des Reiches Jesu Christi sowohl in uns als auch unter den Heiden zu arbeiten; wir sind auch sicher, dass Gott unser Amt hier nicht ungesegnet sein, noch uns in unserm Vertrauen zuschanden werden lässt. Hierbei trösten wir uns der gnädigen Verheißungen Gottes und des Gebets vieler gläubigen Seelen in Deutschland, die gewiss bisher an uns und den Heiden mehr ausgerichtet haben als wir selbst.
Es sind aber diese malabarischen Heiden ein sehr kluges und verständiges Volk, das mit großer Weisheit gewonnen werden will. Sie haben eben eine so akkurate Analogie in ihren Glaubenssachen wie wir Christen wohl haben mögen. Sie sind von dem zukünftigen Leben weit kräftiger überzeugt als die atheistischen Christen. Sie haben sehr viele Bücher, von welchen sie sagen, dass sie selbige gleichfalls von ihren Göttern empfangen haben wie wir die heilige Schrift. In ihnen sind lauter lustige Historien von ihren Göttern und sehr annehmliche Dinge von der zukünftigen Welt enthalten, sodass ihnen unser Wort Gottes dagegen lauter verdrießliche Sachen vorzutragen scheint. Sie führen dabei ein sehr stilles, ehrbares und tugendsames Leben, worin sie es aus ihren bloß natürlichen Kräften den Christen zehnfältig zuvortun. Sie haben für ihre Götter eine große Ehrerbietigkeit, sodass, da kürzlich in der Übersetzung vorkam, wie man Gottes Freunde und Kinder werden könnte, unser Schulmeister solches verneinte und anstatt dessen setzen wollte, wie Gott uns vergönnen möge, seine Füße zu küssen. Sie erkennen nur ein einziges göttliches Wesen an, aber solchergestalt, dass es sich vervielfältigt habe und teils im Himmel, teils auch auf Erden zu deren beständigen Unterhaltung und glücklicher Regierung viele Götter eingesetzt habe. Wir gingen gestern ein wenig ins Land hinein spazieren und kamen zu einer Pagode, darinnen ihres großen Gottes Isparae [Shiva] Weib als eine Göttin verehrt wird; um selbige standen sehr viel aus Porzellan gemachte Götter; wir voll göttlichen Eifers stießen einige um, einigen schlugen wir die Köpfe ab, dabei den armen Leuten zeigend, dass es machtlose und nichtige Götzen wären, die weder sich selbst, viel weniger noch ihren Dienern einige Hilfe angedeihen lassen könnten. Hierauf antwortete uns ein Lehrer, dass dieses keine Götter, sondern nur Gottes Soldaten wären. Wir brachten ihn endlich so weit, dass er es als eine Torheit bekennen musste, dabei sagend, dass das einfältige Volk beim Anschauen solcher Bilder stets auf das Zukünftige gerichtet bleiben müsste. Dergleichen Götzenbilder haben wir oft zu Tausenden beisammen auf einem Platze gesehen. Ob man sie aber gleich darin überzeugt, dass solches samt ihrem ganzen Götzendienste falsch sei,so wissen sie doch hinwiederum sehr vieles, uns Christen zu zeigen, dass mit ihrer Meinung von Gott nicht bestehen kann; sonderlich haben sie wegen des so gar ärgerlichen Lebens der Christen einen ungemeinen Abscheu vor dem Christentum, sodass sie meinen, es sei kein ärgeres und böseres Volk in der Welt anzutreffen als die Christen. Daher haben sie auch oftmals gefragt, ob sie denn in Europa eben ein so böses Leben führten wie hier in Ostindien: Worauf, wenn wir die eigentliche Wahrheit hätten bekennen sollen, sie sich noch schwerlicher zum Christentum bringen lassen würden. Sie essen und trinken mit keinem Christen, lassen sie auch nicht in ihre Häuser kommen, und wenn einer von ihnen ein Christ werden will, muss er hiermit zugleich alle seine Güter und seine ganze Freundschaft verlassen und der allerverachtetste Mensch in ihren Augen sein. Dieses sind lauter solche Dinge, die für ihre Bekehrung ein großes Hindernis sind: Gott aber kann durch seine Kraft überschwänglich tun und dasjenige möglich machen, was unseren Augen unmöglich zu sein scheint. Indessen wünschen wir, dass uns zulängliche Mittel zugeschickt werden möchten, dass man die nötigen Anstalten machen und das Werk mit allem Ernst anfangen könnte. Als förderlichstes dienlich zu sein scheint uns, dass für die malabarischen, für diesen Zweck mit Geld gekauften Kindern eine Schule eingerichtet werde, in der solche Subjecta zubereitet werden könnten, die später wenn nicht uns, doch unsern Nachkommen für dieses Werk dienlich sein könnte: wie wir denn schon damit einen kleinen Anfang gemacht haben. Dazu haben wir den Willen, durch göttlichen Beistand die ganze christliche Lehre einfach und deutlich zuerst in portugiesischer Sprache aufzusetzen und dann in die malabarische übersetzen zu lassen; damit sie durch Abschreiben und Verteilung sehr vieler Exemplare den Heiden bekannt wird und sie dadurch alle eine genugsame Überzeugung bekommen möchten, dass Gott ihre Bekehrung mit allem Ernst gesucht und nicht gewollt hat, dass sie in ihrem Unglauben verderben sollen. Dann ist auch höchst nötig, dass Anstalten wegen der bekehrten Heiden gemacht würden, denn, da sie um des Namens Christi willen ihre Güter verlassen müssen, müssten wir sie notdürftig unterhalten, was aber insgesamt sehr viele Kosten erfordern wird, sowohl damit einen rechten Anfang zu machen wie es auch dann beständig in göttlichem Segen fortzusetzen. Weswegen wir an Gott liebende Freunde [in Europa] einen Brief geschrieben und darin gebeten haben, dass sie aus erbarmender Liebe den armen Heiden mit einer Steuer zu Hilfe kommen möchten.
Lehmann, Arno (Hg.)
Alte Briefe aus Indien. Unveröffentlichte Briefe von Batholomäus Ziegenbalg, 1706 – 1719
Berlin 1958
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Indien seit 326 v. Chr.
Wien 2007