Um 1585 - Jan Huyghens van Linschoten
In Goa
Die Stadt Goa ist die Metropole oder Hauptstadt Indiens und der orientalischen Länder, wo die Portugiesen Handel treiben und wo der Vizekönig, der Erzbischof, der königliche Rat und die Kanzlei ihren Sitz haben, und von wo das orientalische Indien regiert wird. Es ist auch der Platz für alle indischen Güter, zu dem alle möglichen Kaufleute kommen um zu kaufen und zu verkaufen: Aus Arabien, Armenien, Persien, Cambaia, Bengalen, Pegu [beim heutigen Rangoon], Siam, Malakka, Java, den Molukken, China, und so weiter. Die Stadt und Insel Goa liegt unter 15 Grad Nord und ist von Moçambique, von wo die portugiesischen Schiffe kommen, 400 Meilen entfernt. Es ist eine Insel, ganz von einem Fluss umgeben und etwa drei Meilen groß, es liegt an einer Bucht des Festlandes, so dass das Festland und die Insel gleich weit in das Meer reichen. Es ist vom Festland nur durch einen Meeresarm oder Fluss getrennt, der vom Norden rund um die Insel nach Süden ins Meer fließt und fast die Form eines Halbmondes hat. Der Fluss reicht bis an die Stadt und ist unterschiedlich breit. Zwischen dem Festland und der Insel Goa gibt es kleine Inseln, die von Einheimischen bewohnt werden, und auf der anderen Seite der Stadt ist der Fluss so seicht, dass man im Sommer, bis zu den Knien im Wasser, hindurchwaten kann. Auf dieser Seite hat die Stadt eine Mauer mit Bollwerken, die die Portugiesen vor einigen Jahren haben bauen lassen, um sich in Kriegszeiten gegen das Festland zu verteidigen; denn sie wurden verschiedene Male von Dialcan oder Hidalcam [einem Herrscher, dessen Hauptstadt sich einige Tagesreisen weit im Inland befand] an der Mündung des Flusses belagert. Im Norden liegt das Land der Barden; es liegt hoch und unter diesem Land ankern die Portugiesen sicher und ohne alle Gefahr, und sie haben Platz, um ihre Waren aus- und einzuladen. Das Land der Barden ist unter portugiesischer Herrschaft und voll mit Dörfern, deren Bewohner vom Land darüber stammen. Sie werden Konanis genannt, die zum größten Teil Christen sind, aber auf ihre eigene Weise gekleidet sind, das heißt, sie sind nackt bis auf die Schamteile. Die Gegend und die Inseln im Fluss sind voll mit indischen Palmen, auf denen die indischen Nüsse, die man Kokos nennt, wachsen.
Das Land der Barden ist vom Festland durch einen schmalen Fluss getrennt; er ist so schmal, dass man ihn kaum erkennen kann. Im Süden der Insel Goa, wo der Fluss sich in das Meer ergießt, liegt die Gegend, die Salsette genannt wird und ebenfalls unter portugiesischer Herrschaft steht. Sie ist bewohnt und bewachsen wie das Land der Barden, und ebenso durch einen kleinen Fluss vom Land getrennt. Zwischen dem Land von Salsette und der Insel Goa liegen einige kleine Inseln, alle voller indischer Palmen, und an der Mündung des Flusses liegt eine Insel mit Namen Goa Velha oder Alt-Goa. Da gibt es aber nichts Besonderes und es ist kaum bewohnt. Die Ländereien von Bardes und Salsette sind von den Königen von Portugal als Lehen für die Bearbeitung vergeben, und die Zahlungen gehen an den Erzbischof, Klöster, Priester, den Vizekönig und andere königliche Beamte als jährliche Renten aufgrund spezieller Privilegien und Patente vom König.
Die Insel ist sehr hügelig und an manchen Stellen so wüst, dass man kaum über Land in die Stadt Goa kommen kann; sie ist voll mit Dörfern, in den die Konkanis wohnen, die die natürlichen Einwohner des Landes sind, und die von der Landwirtschaft und den Palmen leben. Die Dörfer und Wohnungen gibt es rund um die Insel und am Wasser und an kleinen Seen, von denen es einige wenige auf der Insel gibt, und der Grund dafür ist, dass die Palmen nur in tiefen Gegenden am Wasser wachsen, insbesondere auf sandigem Boden. Deshalb gibt es auf dem hohen Land keine Palmen, nur an Sandstränden am Meer oder an Flüssen.
Im Osten der Stadt Goa, ungefähr drei Meilen von der Stadt Bardes, liegt der Ankerplatz der Portugiesen; der Fluss hat einige Buchten, und ein Schiff von 200 Tonnen kann dort leicht entladen, aber die großen Schiffe der Portugiesen müssen vor Bardes entladen. Die Stadt ist gut gebaut mit schönen Häusern und Straßen nach portugiesischer Manier, aber wegen der Hitze sind die Häuser niedriger. Die haben meistens Gärten und Obstbäume auf der Rückseite, voll mit allen Arten indischer Früchte. Auf der ganzen Insel gibt es Obstgärten mit Häusern, um darin zu spielen, dorthin gehen sie, um sich die Zeit zu vertreiben, was den indischen Frauen besonders gefällt.
In der Stadt gibt es alle Arten von Klöstern und Kirchen, wie es sie in Lissabon gibt; es fehlen nur Nonnen. Die Männer können die Frauen nicht dazu bringen, sich einsperren zu lassen und Venus zu vergessen, für die sie, um ihre Lust zu genießen und zu befriedigen, ruhig ihr Leben aufs Spiel setzen; das macht ihnen wenig aus.
Die Insel ist im Winter und im Sommer gleich grün, und es gibt immer Früchte, die gerade reif sind, was sehr angenehm ist. Die Stadt erstreckt sich über Berg und Tal wie Lissabon; früher war sie sehr klein und umwallt, mit einem Graben rundum, in dem es nur Wasser gibt, wenn es regnet. Die Wälle stehen noch, aber Tore gibt es nicht mehr, und rings herum sind Häuser gebaut, sodass sie mindestens doppelt so groß außerhalb wie innerhalb der Wälle ist. Die Stadt liegt offen ohne Wälle oder Einzäunungen mit Ausnahme des Walles an der Ostseite, der gegen das Land Salsette zu liegt und sich bis Bardes erstreckt; er ist Verteidigung gegen das Festland, das die Portugiesen nicht beherrschen. Die Insel hat keine Verteidigungsanlagen außer der Ruine eines alten Forts gegen das Land Bardes an der Mündung des Flusses. Darin stehen zwei oder drei eiserne Kanonen, und bei Nacht geht ein Soldat Wache.
Die Insel Goa ist zur Seeseite sehr hoch und voller steiniger Klippen, aber das Land Bardes hat einen feinen weißen Sandstrand, ungefähr eine halbe Meile lang oder mehr. Die Verteidigung der Insel besteht darin, dass an der Ostseite drei oder vier Passagen oder Tore am Ufer stehen, Salsette und Bardes auf dem Festland direkt gegenüber; jede Passage hat einen Kapitän und einen Schreiber, die Wache halten, so dass ohne ihre Genehmigung niemand auf die andere Seite kommt. Und wenn die Inder und andere Mauren und Heiden, die in Goa wohnen und leben, auf das Festland wollen, um Lebensmittel zu besorgen, an eine Passage kommen (die Passos genannt wird), dann müssen sie ein Zeichen hinnehmen, das auf den nackten Arm gedrückt wird, und so wechseln sie auf die andere Seite. Bei ihrer Rückkehr müssen sie dieses Zeichen vorzeigen, dann können sie wieder hinein; sie müssen dafür bezahlen; das ist der Verdienst für den Soldaten und den Schreiber am Passos.
In der Nacht geht ein Junge an den Passos Wache. Eine kleine Glocke hängt über dem Tor; der Junge legt sich nieder und bindet die Schnur der Glocke um einen Fuß und läutet sie oft, um zu zeigen, dass er wachsam ist. Mehr Wachen gibt es auf der ganzen Insel nicht.
Es gibt fünf dieser Passos: einen auf der Südseite gegen Salsette mit Namen Benestertijn, gewöhnlich Passo de Iago genannt, weil hier der Sprengel von St. Jacob ist. Der Tebe de Passo ist auf der Ostseite der Insel, wo die meisten Leute hereinkommen; er wird auch Passo secco genannt, die trockene Passage, denn hier ist der Fluss am schmalsten und seichtesten. Die dritte, auf der Südseite und ganz nah an der Stadt, heißt Madre de Dios, und bis dahin geht der Wall, der bei St. Iago anfängt, und von da ist die Insel ohne Wall und nicht eingeschlossen. Von dieser Passage kommt man auf eine Insel ganz nah am Festland, wo es den Passo de Norwa gibt. Der fünfte und letzte Passo liegt in der Mitte der Strecke flussabwärts nach Bardes; dieser ist der stärkste von allen, und der bestgesicherte, aber sonst genau so wie die anderen, und heißt Passo de Pangijn; von dort kommt man nach Barde: Alle Boote und Schiffe, die den Fluss hinauf oder hinunter fahren, werden dort durchsucht, und das ist alles an Bewachung oder Streitkräften auf der Insel.
Was Recht und Ordnung angeht, in weltlichen wie geistigen Dingen, ist alles wie in Portugal. Die Portugiesen leben in der Stadt unter Indern, Heiden, Mauren, Juden, Armeniern, Gujaratis, Banianen, Brahmanen; und von allen indischen Nationen und Völkern, die hier leben und handeln, hat jeder sein eigenes Recht und die eigene Religion; kein Mensch wird gegen sein Gewissen zu etwas gezwungen; es ist jedoch vom Bischof verboten, die Toten zu verbrennen, und Heiraten und andere abergläubische und teuflische Erfindungen dürfen auf der Insel nicht öffentlich vorgenommen werden, können aber frei auf dem Festland oder verborgen in Häusern stattfinden, damit es keine Gelegenheit gibt, die gerade erst getauften Christen zu verunsichern. Was aber die weltliche Politik oder Regierung des Landes und auch die Ausübung des Rechts betrifft und die Regulierung der Leute in der Stadt, so gilt gleiches für alle. Sie stehen alle unter portugiesischem Recht, und wer einmal getauft ist und dann ertappt wird, dass er heidnischem Aberglauben anhängt, verfällt der Inquisition, wer er auch sei, und um welchen Glauben es auch geht.
Die Insel erzeugt keine eigenen Lebensmittel, nur wenig Vieh, Hühner, Ziegen, Tauben etc. wegen der Unfruchtbarkeit und schlechten Lage, denn sie ist sehr hügelig, unfruchtbar, wild und voll ungenutzten Landes. Alles, was nötig ist, wie Vieh, Hühner, Schweine, Eier, Milch etc., kommt aus Salsette und Bardes, aber das meiste vom Festland, wie Korn, Reis und anderes Getreide. Öl und anderes kommen aus anderen Ländern und werden auf dem Fluss hereingebracht, wie aus Cambaia im Norden und von der malabarischen Küste und anderen Orten. Wein aus Palmen gibt es genug, so viel, dass man an andere Orte davon abgeben kann. Es gibt nur wenig Trinkwasser, nur einen Brunnen mit Namen Banganiin, der sich ungefähr eine Viertelmeile vor der Stadt befindet und die ganze Stadt versorgt. Sklaven bringen Wasser in Töpfen und verkaufen es in der Stadt, und es ist sehr gut zu trinken. Wasser, um Fleisch abzuspülen, zum Waschen und für andere Zwecke kommt aus Brunnen, die in den Häusern sind. Das Land ist steinig und trocken und hat eine Art roter Erde; einige italienische Alchemisten haben versprochen, Kupfer und Gold daraus zu gewinnen. König und Vizekönig würden dem aber nie zustimmen, weil sie Angst haben, dass die Nachricht von einem solchen Schatz ihnen großen Ärger durch ihre Feinde machen würde, die auf Reichtümer aus sind; deshalb wird nicht danach gestrebt.
Burnell, Arthur C.; Peter, A. (Hg.)
The Voyage of John Guyghens van Linschoten to the East Indies
London 1885
Übersetzung: U. Keller
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Indien seit 326 v. Chr.
Wien 2007