1443 - Abdul Razzak
Zu Gast in Vijayanagar
Hampi
Abdul Razzak kam nach Vijayanagar. Er bekam einen Ort zu sehen, der sehr groß und dicht bevölkert war, und einen König, der Größe und Herrschaft im höchsten Maße besitzt und dessen Reich sich von der Grenze von Serendib [Ceylon, gemeint ist Kap Cormorin] bis an die Enden des Landes Kalbergah erstreckt [bis an die Grenzen des Bahmanidenreiches, dessen Hauptstadt zunächst Gulbarga und zu Abdul Razzaks Zeiten Bidar war; die Grenze verlief am Krishna River]. Von den Grenzen Bengalens bis in die Gegend von Belinar [Malabar] beträgt die Entfernung mehr als eintausend Parasangen [das sind 6.300 Kilometer; ein Viertel davon wäre richtig]. Das Land ist zum größten Teil gut bebaut, sehr fruchtbar und hat etwa 300 Häfen. Es gibt mehr als tausend Elefanten, die groß sind wie Berge und aussehen wie Teufel. Soldaten gibt es 1,1 Millionen.
In ganz Hindustan würde man vergeblich nach einem mächtigeren Rai, das ist in diesem Land der Titel der Könige, suchen. Nach ihm stehen die Brahmanen im Rang über allen anderen Menschen.
Die Stadt von Vijayanagar ist so beschaffen, dass kein Auge jemals dergleichen erblickt hat, und kein lauschendes Ohr hat jemals Ähnliches vernommen. Sie ist so gebaut, dass sieben Zitadellen und Stadtmauern einander umgeben. Um die erste Zitadelle herum sind die Mauern, so hoch wie ein Mann, zur Hälfte in den Boden eingelassen und zur anderen Hälfte darüber hinausragend. Sie sind eine mit der anderen so verbunden, dass kein Soldat, ob beritten oder zu Fuß, ob in direktem Angriff oder einfachem Heranrücken, sich der Zitadelle nähern kann.
Der Raum, der die erste und die zweite Zitadelle trennt, und der bis zur dritten ist voller bebauter Felder, Häuser und Gärten. In den Zwischenräumen von der dritten bis zur siebten trifft man auf unzählige Menschen, viele Geschäfte, und einen Basar. Am Tor zum Königspalast gibt es vier Basare, die einander gegenüber liegen. Nördlich des Torweges ist der Palast des Rai. Über jedem Basar gibt es eine weitläufige Arkade mit einer wunderschönen Galerie, aber die Audienzhalle des Königs ist höher als alles ringsherum. Die Basare sind sehr lang und breit. Die Rosenhändler haben vor ihren Geschäften hohe Plattformen, auf deren beiden Seiten sie ihre Blumen zum Verkauf ausstellen. Hier sieht man eine unaufhörliche Abfolge von süß duftenden und frisch aussehenden Rosen. Das Volk kann ohne Rosen nicht leben und betrachtet sie als so notwendig zum Leben wie das Essen. Jeder Berufsstand hat Läden, die aneinander anschließen. Die Juweliere verkaufen im Basar öffentlich Perlen, Rubine, Smaragde und Diamanten.
An diesem schönen Ort wie auch im Königspalast sieht man zahlreiche Flüsse und Kanäle mit fließendem Wasser; sie sind aus behauenem Stein gebaut und poliert und glatt. Links von des Königs Torweg erhebt sich der Diwan-khaneh, das Ratsgebäude, das sehr groß ist und wie ein Palast wirkt. Davor steht eine Halle mit einer Höhe von über Mannesgröße und einer Länge von 30 Ellen und einer Breite von 10. Darin befindet sich der Defter-khaneh, die Archive, und hier sitzen die Schreiber. Sie schreiben auf zweierlei Art: Einmal schreiben sie ihre Buchstaben mit einem Kalam (Rohr) aus Eisen auf ein Blatt der indischen Nuss (Kokosnuss), das zwei Ellen lang und zwei Finger breit ist. Die Zeichen haben keine Farbe und die Schrift hält nicht lange. Zum anderen schwärzen sie eine weiße Oberfläche, nehmen dann einen weichen Stein, den sie wie ein Kalam schneiden und womit sie die Buchstaben bilden. Dieser Stein hinterlässt auf der schwarzen Oberfläche weiße Farbe, die sehr haltbar ist, und diese Art des Schreibens wird am höchsten geschätzt.
In der Mitte des Palastes sitzt auf einer hohen Plattform ein Eunuch, Daiang genannt, der allein dem Diwan vorsitzt. Am Ende der Halle stehen Soldaten aufgereiht. Jeder, der ein Anliegen hat, kommt an den Soldaten vorbei, präsentiert ein kleines Geschenk, wirft sich mit dem Gesicht nach unten zu Boden, steht wieder auf und erklärt, was ihn hergeführt hat, und der Daiang spricht seine Entscheidung nach den Regeln des Rechts in diesem Königreich, und danach ist keinerlei Widerspruch mehr möglich.
Wenn der Daiang den Diwan verlässt, werden ihm mehrere Sonnenschirme in verschiedenen Farben vorangetragen, und eine Trompete wird geblasen. Zu seinen beiden Seiten schreiten Lobredner, die zu seinen Ehren schmeichlerische Ausdrücke finden. Bis zum Erreichen der königlichen Gemächer muss man sieben Tore passieren, die alle von einem Wächter besetzt sind. Wenn der Daiang vor einem Tor ankommt, wird ein Sonnenschirm aufgespannt. Durch das siebte Tor geht er allein, berichtet dem König von den Ereignissen und zieht sich nach einigen Minuten zurück. Hinter dem Königspalast sind sein Haus und seine Halle. Zur Linken des Palastes ist die Darab-khaneh, die Münze.
Das Reich umfasst eine so große Bevölkerung, dass es unmöglich ist, einen Eindruck davon zu geben, ohne in viele Einzelheiten zu gehen. Im Königspalast gibt es mehrere Kammern, Bassins ähnlich, die mit ungemünztem Gold gefüllt sind, das eine einzige Masse bildet. Alle Einwohner des Landes, sowohl die von höchstem Rang wie auch die niedrigen Klassen bis hinunter zu den Handwerkern der Basare, tragen Perlen oder Ringe mit kostbaren Steinen in den Ohren, um den Hals, an den Armen, auf dem oberen Teil der Hand und an den Fingern.
Gegenüber dem Diwan-khaneh liegt der Fil-khaneh, das Haus der Elefanten. Der König verfügt in seinem Reich über viele Elefanten; die größten werden in der Nähe des Palastes gehalten, im Innenraum der ersten und der zweiten Zitadelle, zwischen Norden und Westen. Diese Elefanten paaren sich und bringen Junge hervor. Der König besitzt einen weißen Elefanten von extremer Größe, auf dessen Körper sich hier und da graue Flecken wie Sommersprossen zeigen. Jeden Morgen wird dieses Tier vor den König geführt; sein Anblick scheint ein gutes Omen zu sein. Die Palastelefanten werden mit Kitchri (einer Mischung aus Hülsenfürchten, Reis und Butter) gefüttert. Das wird gekocht und vor dem Elefanten aus dem Kessel genommen; es wird Salz darauf gestreut und frisch gemachter Zucker, und dann wird das Ganze gut vermischt. Dann werden Kugeln daraus gemacht, etwa 2 Man [ein Man hat zwischen 0,8 und 3,3 kg] schwer, und dem Elefanten in den Mund gesteckt, nachdem man sie in Butter getaucht hat. Wenn eine der Zutaten vergessen wurde, greift der Elefant seinen Wärter an und der König bestraft diese Nachlässigkeit streng. Zweimal am Tag bekommen die Elefanten dieses Futter. Jeder Elefant hat seinen eigenen Stall, dessen Wände besonders stark sind, und dessen Dach aus kräftigen Holzbohlen besteht. Hals und Rücken der Tiere werden mit Ketten gebunden, deren Enden am Dach festgemacht sind. Würde man es anders machen, würde der Elefant sie leicht lösen; auch die Vorderfüße werden angekettet.
Gegenüber dem Darab-khaneh, der Münze, liegt das Haus des Gouverneurs; dort sind 12.000 Soldaten als Wache stationiert; sie erhalten jeden Tag 12.000 Fanom [kleine Goldstücke], die aus den Einkünften der Häuser der Prostitution bestritten werden. Die Großartigkeit dieser Häuser, die Schönheit der jungen Mädchen, die darin gehalten werden, deren Verführungskünste und Koketterie übersteigen jede Beschreibung. Ich will mich darauf beschränken, wenige Einzelheiten hervorzuheben. Hinter der Münze ist eine Art von Basar, mehr als 300 Ghez lang und mehr als 20 breit. Auf zwei Seiten gibt es Kammern und Plattformen. Davor sind noch einmal Plattformen wie Throne, jeweils mehrere aus Stein gebaut. Auf den beiden Seiten des Weges, der durch die Kammern gebildet wird, gibt es Figuren von Löwen, Panthern, Tigern und anderen Tieren. Alle sind so gekonnt gezeichnet und ihre Bewegungen wirken so natürlich, dass man denkt, sie seien lebendig. Gleich nach dem Mittagsgebet werden vor die großartig geschmückten Türen der Kammern Sitze und Stühle gestellt, auf denen sich die Kurtisanen niederlassen. Jede ist mit Perlen und Steinen von großem Wert bedeckt und in kostspielige Gewänder gehüllt. Sie sind alle sehr jung und von perfekter Schönheit. Jede hat zwei junge Sklaven dabei, die das Zeichen zur Freude geben, und die sich um alles kümmern müssen, was zum Vergnügen beitragen könnte. Jeder Mann kann hierher kommen und jedes Mädchen aussuchen, das ihm gefällt, und sich mit ihm vergnügen. Was er bei sich trägt, kommt in die Obhut der Hausbediensteten; und wenn etwas verloren geht, sind diese dafür verantwortlich.
Jede der sieben Zitadellen enthält eine große Anzahl von Häusern der Prostitution, und ihre Einnahmen belaufen sich auf die 12.000 Fanom, die den Wachen bezahlt werden. Letztere haben die Pflicht, sich um alles zu kümmern, was im Fort vorgeht. Geht etwas verloren oder wird etwas gestohlen, so müssen sie das melden; wenn sie das nicht tun, so müssen sie Schadenersatz leisten. Einige Sklaven, die meinen Reisegefährten gehörten, waren weggelaufen. Das wurde dem Gouverneur gemeldet, der den Wachhabenden unseres Quartiers befahl, die Flüchtlinge zurückzubringen oder den Verlust zu ersetzen. Den Wachen wurde der Wert der Sklaven mitgeteilt und sie haben den Betrag bezahlt.
Das sind die Besonderheiten der Stadt Vijayanagar und ihrer Herrscher.
Major, Richard H. (Hg.)
India in the Fifteenth Century
London 1858
Übersetzung: U: Keller
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Indien seit 326 v. Chr.
Wien 2007