Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1821 · Duncan Darroch
(Fähnrich aus Schottland, 21 Jahre alt )
Napoleon ist tot!
Sankt Helena
6. Mai 1821
Meine geliebte Mutter, bevor dich dieser Brief erreicht, wirst du wissen, wie es hier steht. Du wirst wissen, dass General Napoleon ernsthaft erkrankt ist, denn ein Kriegsschiff ist vor wenigen Tagen mit diesen Nachrichten abgesegelt. Es war unmöglich, einen Brief mitzuschicken, weil es so unerwartet abfuhr.
    Old Nap war schon lange krank gewesen; vor ungefähr einer Woche ist er weggetreten. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Schiff losgeschickt und die anderen Kriegsschiffe wurden angewiesen, Wasser einzunehmen und sich segelfertig zu machen. Am Abend des am Abend des 2. war er bewusstlos, am Morgen des 3. erlangte er das Bewusstsein wieder und erkannte die Leute um sich herum. Dann fiel er in eine Art von starrer Gefühllosigkeit und wurde kalt und kälter, bis gestern Morgen, am 5., gegen 11 Uhr der General an den Admiral signalisierte, dass er im Sterben läge und ein Signal folgen würde, sobald er tot sei. Die Ratsmitglieder waren am 3. angewiesen worden, sich bereit zuhalten, um nach Longwood [Napoleons Residenz] zu gehen und seinen Tod zu bezeugen; und der Gouverneur zog provisorisch im neuen Gebäude von Longwood ein. So war es um zehn Minuten vor sechs, als er starb, gerade bei Sonnenuntergang. Der französische Commissionär, der Admiral und alle Großkopfeten wurden sofort zusammengerufen, um den Leichnam zu begutachten, und Arbeiter wurden einbestellt, um die Räume schwarz zu verhängen. Man sandte nach Gips, um eine Büste abzunehmen; ich glaube aber, auf der ganzen Insel gibt es dafür nicht genug. Jetzt versuchen sie, ob es mit Zement auch geht.
    Im heutigen Tagesbefehl wird sein Tod verkündet und dass er auf Longwood mit militärischen Ehren beigesetzt werden soll. General Graf Montholon hat die Organisation der Trauerfeier übernommen: Der Leichnam wird feierlich aufgebahrt, und heute Abend können wir hingehen und ihm einen Besuch abstatten. Dann werde ich dir mehr über diesen wunderbaren Mann erzählen können, der die Welt so lange in Atem gehalten hat und nun daliegt als ein lebloser Batzen Lehm, ohne einen einzigen Menschen bei sich, der mit ihm verwandt ist.
    Was für eine Veränderung hat das Ende seines Lebensfadens auf dieser Insel verursacht: Leute, die Waren für die Versorgung der Truppen eingelagert haben, haben jetzt nur nutzlose Klötze am Bein, Pferde, die vor einer Woche noch 70 Pfund wert waren, bringen jetzt keine zehn mehr. Unsere Hütten, die wir für je sechs bis zehn Pfund auf eigene Kosten bauen lassen mussten, um unsere Diener unterzubringen, sind jetzt auch nichts mehr wert, denn wenn wir abgezogen sind, wird dieser Teil der Insel unbewohnt sein. Alle sind also mehr oder weniger von seinem Tod betroffen.
    Es heißt hier, dass wir Verstärkung von den 66ern (die nach Hause abrücken) bekommen und nach Bombay und von da den Persischen Golf hinauf verlegt werden.
    Er, Nap, hat sich einen ungewöhnlichen Platz für sein Begräbnis ausgesucht für den Fall, dass er nicht nach Europa gebracht würde, und das ist eine Stelle mit Namen Punch Bowl, etwas unterhalb der öffentlichen Straße.
    Ich habe ihn aufgebahrt gesehen. Es war ja so ein melancholischer Anblick. Wir trafen uns in Longwood um 4 Uhr. Es waren fast alle Offiziere und zivile Gentlemen der Insel gekommen. Bald wurden wir eingelassen. Der erste Raum war leer bis auf einen Diener. Im zweiten war die Gräfin Bertrand. Sie sah zum Gotterbarmen krank und blass aus, ihre Augen waren rot und geschwollen. Ich blieb mit einigen ihr bekannten Offizieren zurück und sprach mit ihr. Sie sagte, sie hätte sechs Tage und sechs Nächte kein Auge zugetan; sie sei froh, dass seine Krankheit so beschaffen war, dass man nichts mehr zu seiner Rettung hätte tun können, und dass das Klima nicht schuld sei: es sei Magenkrebs gewesen. Sein Vater sei auch schon daran gestorben. Sie gab ihrer Hoffnung Ausdruck, nach Hause entlassen zu werden, nun, da „alles vorbei“ sei.
    Nach einer kleinen Weile ging ich weiter, durch diesen Raum hindurch (in dem er auch gestorben war), und durch das Speisezimmer in das Zimmer, wo er aufgebahrt war. Ich wurde von Hauptmann Crokat eingelassen, dem Offizier vom Dienst. Er (Gen. B.) war in volle Uniform gekleidet, grün mit roten Aufschlägen, mit Kniehosen und hohen Stiefeln, mit einer ganzen Menge Orden auf der Brust, Schwert an der Seite, Zweispitz aufgesetzt, auch Sporen angelegt. Er lag auf dem eisernen Feldbett, das er immer dabei hatte; auf dem war sein Militärmantel ausgebreitet, und darauf lag er.
    Graf Bertrand, schwarz gekleidet, stand am Kopfende des Bettes. An seiner Seite kniete der Priester, und ein Diener als Einziger im Raum zeigte Leben, indem er Fliegen verscheuchte.
    Sein Ausdruck war ernst und gelassen; es war natürlich eingefallen. Seine Züge waren gut aussehend und von kühnem Ausdruck, seine Hand sehr zart und klein und von sehr schöner Farbe. Auf seiner Brust lag ein Kruzifix. Seine Nase war besonders fein. Man hatte sie, als man ihn auf dem Bett drehte, ein bisschen angestoßen.
    Einen Mann, der Europa und der ganzen Welt so viel Ärger bereitet hat, liegen zu sehen in einem kleinen Zimmer, auf seinem Militärmantel und einem Feldbett, in voller Uniform, mit nur zweien seiner Generäle in seiner Nähe, war ein fürchterlicher Anblick. Das hat mich tief getroffen. Stundenlang hätte ich ihn anstarren, seine Hand nehmen und küssen können. Aber ich konnte kaum Luft holen. Während ich ihn ansah, stellte ich ihn mir in den verschiedensten Situation vor, in Lodi, in Marengo! Tatsache ist aber, dass ich kaum zwei Minuten in dem Raum war, und trotzdem jagten sich mehr Gedanken in meinem Kopf, so schnell gedacht wie verschwunden, als ich jetzt aufschreiben kann.
    Beim Hinausgehen dachte ich noch lange über die Unsicherheit alles Menschlichen und über den wenigen Nutzen nach, den er nun von seinen Eroberungen hatte. Was würden wohl Tausende von Leuten geben, um das zu sehen, was ich gesehen habe! Er wird in seinen Mantel gehüllt in den Sarg gelegt, so wir, wir ihn gesehen haben. Der erste Sarg ist aus Zinn, der zweite aus Blei, der dritte und der vierte aus Holz. [Richtig ist: Zinn, Holz, Blei, Holz]
    Ich habe morgen Wachdienst und werde versuchen, ihn noch einmal zu sehen. Ich habe das Glück gehabt, mir ein bisschen von seinem Haar zu sichern und auch ein Stück Verbandszeug, mit Blut getränkt. Das sind sicher merkwürdige Andenken, aber alles, was mit so einem großen Mann in Verbindung steht, ist das Bewahren wert.
    Ich schreibe weiter, wenn ich auf Wache bin, und antworte dir dann auch auf deinen letzten Brief.
    Adieu
    
7. Mai, auf Wache in Longwood, 7.30 Uhr abends
Ich hatte den ganzen Tag eine Menge Ärger mit all den Leuten, die Bonaparte sehen wollten. Jetzt bin ich sie alle los und kann dir, liebe Mutter, ein bisschen berichten. Gleich nachdem ich meine Wache angetreten hatte, meldete ich mich ab und ging in das Zimmer. Er lag immer noch genauso da, aber seine Züge waren ein bisschen eingefallener. Nur der Priester, ein Diener und ich waren im Raum. Ich nahm seine Hand und hielt sie eine zeitlang, untersuchte seine Finger und seine Gesichtszüge. Diese Hand hatten Könige geküsst, und Viele hatte diese Hand zum Zittern gebracht. Ich habe noch nie im Leben so einen ruhigen und gelassenen Gesichtsausdruck gesehen. Es schien, als schliefe er tief und ruhig, nur waren Lippen und Wangen von lebhafter Farbe. Auf seiner linken Brust steckten ein Stern und zwei Orden. Das war aller Schmuck, den er trug. Sein Hut war ganz schlicht bis auf ein schwarze Schlaufe und eine kleine dreifarbige Kokarde.
    Später ging ich mit unseren Männern hinein, und da nur zwei Offiziere anwesend waren, Rae und ich selbst, stand ich am Fußende des Bettes, während die Männer vorbeizogen. Ihr Benehmen war vortrefflich; als sie die Leiche betrachteten, war ihr Ausdruck so, dass man ihn nicht beschreiben kann. Der Geruch begann sich nun sehr stark bemerkbar zu machen, und ich war froh, gehen zu können, sobald die Männer den Raum verlassen hatten. Später schickte einer der Ärzte nach mir und zeigte mir sein Herz und seinen Magen, die in einer Urne an seiner Seite standen. Sie waren mit Fett bedeckt. Man zeigte mir das Loch im Magen, das für seinen Tod verantwortlich war – ein Loch, in das ich meinen kleinen Finger hätte stecken können. Und dann hatte ich Gelegenheit, sein Schwert zu betrachten, ziemlich alt, mit einem Griff aus Gold und Perlmutt und einem einfachen weißen Gürtel, von dem ich annehme, dass er ihn üblicherweise trug.
    Nachdem ich wieder hinausgegangen war, begab ich mich in das Zimmer, in dem sich die Gräfin befand. Ich redete ein bisschen mit ihr und sie riet mir, noch einmal hineinzugehen und ihn noch einmal anzusehen, denn es sei das letzte Mal, dass ich diesen großen Mann sehen könne. Ich tat das, nahm ihn bei der Hand und murmelte ein Adieu.
    
Lutyens, Engelbert
Letters
Edited by Knowles, Lee, Sir
London 1915
Übersetzung. U. Keller

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