1895 - Albert I. von Monaco
Über den Walfang
Azoren
Man begegnet auf den Azoren zwei Arten von Walfischfahrern. Die einen kommen aus den Vereinigten Staaten mit kaum über 100 Tonnen fassenden Schonern. Ihre Mannschaft ähnelt durch die Buntscheckigkeit der darunter vertretenen Typen der Bemannung von Seeräuberschiffen. Neger, Malaien, Chinesen, allerlei unmögliche, kosmopolitischen Sünden entsproßte Gesichter finden sich da vereinigt mit Deserteuren und Spitzbuben, die durch das Leben auf offenem Meere der Justiz der Menschen sich entziehen. Ein ungeheurer Kessel nimmt die Mitte des Schiffes ein. Hier verarbeitet man die Speckstücke, die dem längs des Schiffes auf einem losen Gerüst angebundenen Pottwal abgenommen werden, zu einer von dem Schaukeln und Rollen des Schiffes hin und her bewegten höllischen Brühe, aus der übelriechende Rauchwolken emporsteigen. Die Mannschaften, deren Gesichter über und über mit Schweiß bedeckt sind, drehen auf den Flammen, die ihre Augen erglänzen lassen, die Stücke des ihnen zum Opfer gefallenen Ungeheuers. Und wenn bei dieser Arbeit das Meer unruhig wird, welch gewaltsame Szenen gibt es da! Denn man setzt sich vielen Gefahren aus, ehe man sich entschließt, die Frucht einer unter all dem Ungemach des Ozeans errungenen kostbaren Jagd preiszugeben. Um die Ketten, die das Tier festhalten, zu verstärken, wagen sich die Leute mit Gefahr ihres Lebens auf diese schwere, im Wasser schwimmende Masse, die mit ihren Stößen die Seiten des Schiffes bedroht. Dann wartet man noch immer, wacht und sucht es so lange hinzuziehen, bis die Lage gänzlich unhaltbar wird. Dann schneidet man die Taue ab, und die Mannschaft verfolgt mit all den Flüchen, die rohe Wut einzugeben vermag, den mit den Wellen fortfliehenden Kadaver, der anstelle der auf ihn gesetzten goldigen Hoffnungen einen furchtbaren Gestank zurückläßt.
Diese Schoner sind daran erkennbar, daß sie als Spitze ihrer Masten zwei faßförmige Gehäuse haben, in denen sich den ganzen Tag hindurch zwei Wachposten befinden, von denen jeder eine Hälfte des Horizontes nach dem Erscheinen von Walen absucht,
Die andere Gruppe der Walfischfahrer setzt sich aus Leuten zusammen, die weniger exotisch sind. Es Küstenfischer oder auch abenteuerlustige Ackerbauern, häufig auch Auswanderer, die, durch die Stürme Neuen Welt gefeit, wieder ins Land zurückkehren. Sie bilden zu je zehn die Bemannung von zwei Walfischfahrern, die kleinen Gesellschaften mit Kapital von einigen dreißigtausend Francs gehören. Ein Drittel der Gewinne gehört den Aktionären, die beiden anderen Drittel werden gleichmäßig zwischen den Mannschaften der beiden Schiffe geteilt. Die Ausrüstung dieser Schiffe, die ganz wundervoll für eine schnelle Fahrt konstruiert sind, besteht aus Segeln, Rudern und Krückrudern, einem gewöhnlichen Steuer und einem Steuerruder; mehreren Harpunen, deren Spitzen sorgfältig in ein Futteral gehüllt sind, und mehreren sehr scharfen Lanzen. Dann 500 oder 600 Meter geschmeidiges, in Kufen rund zusammengelegtes Tau, von wo es über eine auf der Vorderseite des Schiffes angebrachte Gabel gleitet, die durch eine ziemlich widerstandsfähige Scheibe geschlossen wird, damit ein einfacher Stoß das Tau nicht abzurollen vermag, und die doch so elastisch ist, um einen Knoten, der sich trotz aller Vorsichtsmaßregeln zu bilden vermag, hindurchzulassen; ferner ein Instrument, mit dem man dieses Tau begießt, um die Reibung abzuschwächen, falls der getroffene Pottwal zu schnell schwimmet sollte; schließlich ein Handbeil, um das Kabel abschneiden zu können, wenn es sich unglücklicherweise verwirren sollte.
Die Walfischfänger, die an die Gestade oder die Felsen der Buchten dieser ungastlichen Inseln verschlagen sind, warten, versehen mit ihrem gewissenhaft bereitgehaltenen Material, den günstigsten Zeitpunkt ab. Von der Höhe irgendeines Bergvorsprunges beobachtet ein Wachtposten das Meer, wie es die Wachtposten der Schoner von der Höhe ihrer Mastkörbe aus tun, und sobald er die Wassersäule eines Pottwales bemerkt, ruft er die Walfischfänger durch ein Signal zusammen. In fünf Minuten gehen die Boote in See. Zuerst fährt man, wenn der Wind es zuläßt, mittels Segel, und sobald man sich dem Tiere nähert, zieht man die Segel ein, um sich mittels Krückruder vorwärts zu bewegen. Die lautlose Handhabung dieser Instrumente täuscht das sonst so feine Gehör der Tiere, die nach F. T. Bullen durch einen falschen Ruderschlag auf Kilometer hin aufmerksam gemacht werden können. Die Krückruder sind auch leichter zu handhaben, wenn es sich darum handelt, ganz nahe an die Tiere heranzukommen, deren Truppe zuweilen 20 oder 30, stets fest aneinandergedrückte weibliche Tiere umfaßt.
Der kritische Augenblick naht nach einer mehrere Stunden dauernden Verfolgung, während welcher man das untertauchende Wild oft 20 bis 30 Minuten aus den Augen verliert. Der steuernde Walfischfänger, den man als den Diensttuenden bezeichnet, führt sein Boot in die Mitte der Walfischgruppe, ganz nahe an das Tier seiner Wahl heran. Gerührt durch das Urteil und den Blick, die ihn zum Meister gestempelt, erfaßt er den Moment, wo der Pottwal gerade Atem schöpft und damit einen verwundbaren Punkt an seiner Seite darbietet, um dem Harpunierer den Befehl zum Zustoßen zu geben. Hat jeder genügend kaltes Blut bewahrt, so wird die an einer Stelle eingedrungene Harpune, wo der Speck nicht zu dicht sitzt, bis zu den edlen Teilen gelangen und durch die Widerhaken darin festgehalten bleiben. Gelangt sie jedoch nur ins Fett, so wird sie beim ersten Abschüttelversuch wieder herausgleiten.
Von dem Augenblick an, wo der Harpunierer Aktion trat, muß der Walfischfänger dem breiten, horizontalen Schwanz des Tieres geschickt um einige Meter aus dem Wege gehen, da das verwundete Tier diesen wie einen Schwingkolben heftig in der Luft herumschwenkt, um dadurch leichter in die Tiefe zu gelangen. Man muß jedoch auch die andern Wale vermeiden, da diese, durch ihren Gefährten beeinflußt, dasselbe tun. Ein Fehler in dieser Beziehung ist sehr schwerwiegend, denn die Leute können durch den Stoß getötet werden, auch durch die Trümmer des Bootes oder dadurch, daß sie sich in die Schlingen der Leine verfangen und mitgeschleppt werden.
Wenn alles gut gegangen ist, hilft jeder, seinen Aufgaben entsprechend, bei der Abwicklung des Kabels. Während der Diensttuende so steuert, um im Kielwasser des Tieres zu bleiben, und sein nächster Nachbar auf das Kabel achtgibt, rudern die beiden andern mit der Pagaje, um damit, wenn es nötig, bei der Geraderichtung des Schiffes behilflich zu sein. Eine solche gefährliche Fahrt hört erst mit den Kräften des Wales auf. Ein harpunierter Pottwal hält sich, nachdem er zuerst untertauchte, fast immer in der Nähe der Oberfläche. Trifft es aber zu, daß er ganz untertaucht, dann ist für die kleinen Walfischfänger der Azoren alles verloren, und sie schneiden das Kabel ab, um Ikarus' Sturz in die Tiefen des Abgrundes zu entgehen.
Sobald das geschwächte Tier anhält, nähert sich ihm der Fangurist, indem er nach und nach das Kabel einzieht, und der Harpunierer stößt dem Opfer, um seinen Todeskampf abzukürzen, eine Lanze ein, die bis zu den Lungen eindringt. Jetzt heißt es aber, mehr denn je auf der Hut sein, denn die letzten Zuckungen können noch viel Überraschungen bringen.
Endlich ist der Pottwal tot, und die schwere Masse seines Körpers schwimmt regungslos. Die Jäger befinden sich mit ihrer Beute auf offener See und sind auf sich selbst angewiesen. Die Frage, wie sie die Frucht so vieler Mühen und Gefahren heimbringen, erhebt sich. Ist das Wetter gut, so wird ihnen das nach einem angestrengten, 12, 15, 20 Stunden dauernden Bugsieren wohl gelingen. Wenn sie aber durch Meer und Wind in die offene See hinausgetrieben werden, müssen sie ihre Beute preisgeben und das Ungeheuer, das ihren Familien etwas Wohlstand gebracht hätte, zum Wrack werden lassen.
Im Nachstehenden gebe ich nun die Erzählung einer sowohl im Hinblick auf die Menge des vergossenen Blutes wie der Aufhäufung zerstückelten Fleisches grandiosen Schlachtung. Empfindsame Seelen werden dabei von jenem Gefühl befallen werden, das beim Anblick großen Leides erwacht.
Es war am 18. Juni 1895. Ich hatte zu früher Stunde den Anlegeplatz von Angra, der Hauptstadt der Insel Terceira, verlassen, um in den großen Tiefen der Hochsee zoologische Untersuchungen anzustellen, als meine Aufmerksamkeit durch zwei kleine Segler in Anspruch genommen wurde, die von der Küste abgingen, sich schnell von ihr entfernten und die enge Zone des Küstenstriches, auf dem die Küstenfischerei allein möglich ist, überschritten. Dann merkte ich ein zweites Paar solcher Segler, das von einem anderen Punkte abging und dieselbe Richtung nahm.
In der Annahme, daß dies Walfischfänger seien, denen die Wachtposten die Anwesenheit von Pottwalen signalisiert hatten und die nun der Gegend zueilten, wo die mächtigen Wasserstrahlen dieser Tiere erschienen, faßte ich den Entschluß, dem beginnenden Drama beizuwohnen. Man brach die begonnenen Arbeiten ab, schürte das Feuer an, und mein Schiff nahm die Richtung der Flottille.
Ich war indessen darauf bedacht, mich nicht den Wesen zu sehr zu nähern, die das Objekt dieser Jagd bildeten, da ich wußte, daß der stumpfe Widerhall einer fernen Schraube die Pottwale aus ihrer schläfrigen Ruhe, die den Booten allein zum Gelingen verhilft, stören würde und daß ich auf diese Weise das Mißlingen eines Unternehmens verschuldet hätte, das für die armen Walfischfänger von so großer Bedeutung ist. Ich hielt mich infolgedessen auf ein und eine halbe Meile entfernt, von wo aus ich die Vorgänge sehr gut beobachten konnte.
Alsbald räumten zwei der Walfischfahrer ihre Segel weg, und durch mein Fernrohr konnte ich erkennen, daß einer von ihnen den Pottwal erreicht hatte, dessen Wasserstrahl von Zeit zu Zeit wie eine weiße Rakete in die Luft spritzte. Auch den zum Stoß bereiten Harpunier konnte ich wahrnehmen. Das Schauspiel war im höchsten Grade aufregend, und sobald ich wähnte, daß die Harpune losgeschleudert sei, fuhr ich vorwärts.
Bevor ich in die Nähe des Opfers gelangte, hatte sich eine zweite Gruppe von Walfischfahrern nach der offenen See zu entfernt, um die fliehende Herde zu verfolgen. Das getroffene Tier verminderte bereits den anfangs eingeschlagenen wilden Lauf, bei dem es das Schiffchen seiner Angreifer nachschleppte, und als ich ankam, erhielt es vom Harpunierer gerade den ersten Lanzenstich. Bald darauf wurde der Strahl seines Spritzloches stärker, und die daraus in die Luft geschleuderte Wasserstaubsäule färbte sich rosa, wurde später rot, und das Meer in der Umgebung des Tieres, das Blut in Strömen verlor, nahm dieselbe Farbe an.
Nun begann neben uns der Todeskampf eines Riesen. Diese anscheinend schlafende, zuweilen im blutigen Meere untergetauchte Masse schwankte schwer hin und her; ein ungeheurer Schwanz schlug mit Gewalt die rote Fläche, die auf den Wogen lag und die sich auf einige Augenblicke öffnete, um einen Wirbel von weißem Schaum zum Vorschein zu bringen.
Die fünfzig Personen meines Schiffes, amphitheatralisch um das Vorderteil des Schiffes gedrängt, zum Teil auf den aufgehißten Booten sitzend, zum Teil bis auf die Masten hinauf gruppiert, waren stumm vor Erregung. Auch ich folgte, von der mir unbekannten Größe dieses Schauspiels ergriffen, eifrigst dessen Gang, wie einer für immer dahinschwindenden Vision, Ich war entsetzt über dieses in so großem Maße geäußerte Leid, das bei dem Umfang seiner Details intensiver erschien als das Leid kleinerer Wesen. Ich bedauerte diese Meeresgröße, die vielleicht durch Jahrhunderte hindurch ihren Körper unter so vielen Horizonten und in den tiefsten Tiefen herumtrieb, ohne einen Feind zu furchten; die in den Wellen von tausend Stürmen gespielt hat und jetzt dem Lanzenstich eines Pygmäen unterliegen mußte.
All dies vergossene Blut, all dies getötete Fleisch erweckte den Gedanken an den Vorgang irgendeines großen Schadens, wie etwa den Sturz eines Baumes oder den Untergang eines Schiffes.
Plötzlich hörte der Pottwal auf, das Meer zu peitschen, und als ob unsere Nähe sein Hirn belebt hätte, schwamm er eiligst auf uns zu.
In einem sekundenlangen Angstgefühl fragte ich mich, was der Anstoß dieses gegen die Flanken des Schiffes gerichteten- Körpers, möge er bewußt oder durch den Zufall der Zuckungen ausgeführt werden, wohl bewirken würde, als das Tier, zwanzig Meter vor uns, verschwand. Wird es den Kiel, das Steuer oder die Schraube mit der Kraft seines Rückens, mit den Schlägen seines Schwanzes abbrechen: das waren bange Fragen, die mich neuerdings ein paar Augenblicke erfüllten, da kam der gelähmte Koloß auf der andern Seite des gestoppten Schiffes wieder zum Vorschein. Die Walflschfänger näherten sich ihm, um ihn zum letztenmal mit der Lanze zu stechen, und der Tod trat ein, während die Zuschauer in einer lautlosen Aufregung erbebten, die ihnen den Atem abschnitt.
Das Schiff und die Mitwirkenden dieses Dramas schwammen auf einer blutigen Fläche von der Ausdehnung eines Hektars, die von wolkigem, röterem Gerinnsel, das aus dem Tiere hervorquoll, durchfurcht war und sich bald mit der Umgebung vermengte, wie die von den Bergen steigenden Wolken allmählich mit dem Nebel der Ebene zusammenfließen.
Der Riesenkopf des Tieres zeigte sich ganz nahe am Hinterteil unseres Schiffes; der durch die Erschlaffung der Muskeln herabhängende Unterkiefer schwankte mit den Wogen hin und her, und ich sah, wie aus seinem Rachen, der so groß war wie eine gähnende Höhle, nach und nach mehrere Kopffüßler, Polypen oder Tintenfische von beträchtlicher Größe herausbrachen.
Der Wal lieferte uns auf diese Weise das Ergebnis seiner letzten Fahrt in den Abgründen; eine ganz frische Mahlzeit, die kaum noch seinen Schlund passiert hatte.
Ich begriff den wissenschaftlichen Wert dieser aus Zwischengegenden des Meeresgrundes hervorgebrachten Objekte, wo Tiere leben, die sich durch ihre Schwimmkunst gegen alle unsere Fangmittel bis jetzt verteidigten und deren in gewissen Abenteuern geoffenbarte Existenz als Fabel betrachtet wird.
Schleunigst wurde ein Boot losgemacht, um sie einzusammeln, aber die Dichtigkeit dieser kostbaren Erbrechungen hielt sie unterhalb der Wasseroberfläche und ließ die Befürchtung aufkommen, daß man sich ihnen nicht schnell genug nähern könne, als mir rechtzeitig ein Gedanke kam. Die Kopffüßler waren noch auf zehn Meter vom Schiffe nicht weit von der Schraube sichtbar. Ich befahl »Maschine rückwärts! « und ließ einige Drehungen machen, um die begehrten Objekte in einen Wirbel zu verwickeln, und diese tauchten tatsächlich ziemlich nahe der Oberfläche immer wieder auf und nieder, so daß sie das Boot mit einem Netze auffangen konnte.
Die fünf Polypen und Tintenfische, durch die mein Laboratorium bei dieser unerwarteten Gelegenheit bereichert ward, wurden nach meiner Rückkehr von Herrn Joubin, Professor an der Universität Reimes, beschrieben. Sie sind sowohl der Art wie der Gattung nach Neuheiten, deren Aussehen im lebenden Zustand ein wahrlich ganz außerordentliches sein mußte. Eines dieser Wesen, das leider im Wirrwarr seinen Kopf verloren hatte, stellt in der Wissenschaft ein Unikum dar, da sein Körper nicht weniger als zwei Meter mißt, die Gestalt eines mit einer ungeheuren runden Flosse besetzten Hornes besitzt und teilweise mit Schuppen besetzt ist. Ein anderes Tier, dessen Körper leider verlorenging, wurde nur noch an seinem Kranz von Fühlhörnern erkannt, daß heißt an einem Kopf mit acht Armen, deren jeder, fast so groß wie ein Mann, mit Hunderten von Saugnäpfen besetzt ist, die mit Krallen versehen sind, so spitz und so groß wie die der großen Raubtiere.
In dem Maße, als die Wechselfälle dieses Fanges meine Seele zwischen Hoffnung und Furcht schwanken ließen, begriff ich um so besser dessen Bedeutung. Und das ist sicher, daß noch niemals ein Erbrechen mit größerem Interesse beobachtet wurde.
Ich bereitete den Walfischfängern als Erkenntlichkeit für die Eindrücke, die ich ihnen verdankte, eine angenehme Überraschung, indem ich ihnen anbot, ihren Pottwal bis zu dem Orte, wohin sie ihn haben wollten, zu bugsieren. Und gar bald verbreitete sich die Freude darüber auf allen Gesichtern, die zur glühendsten Hingerissenheit aufflammte, als eine entgegengesetzte Brise eintrat, die zu der ohnehin großen Ermüdung, die die tapferen Seeleute befallen hatte, noch eine erneute schwere Anstrengung hinzuzufügen drohte.
[Der Wal wird mit der Flut an Land gebracht.]
Inzwischen war die Flut völlig eingetreten; ein Mann ging auf den Walfisch hinauf, den er mit seinen Händen, Knien und nackten Füßen, die von der glänzenden Oberfläche abglitten, erkletterte. Ein anderer, der die Rückkehr des Bootes nicht abwarten wollte und vor Ungeduld brannte, die Arbeit zu beginnen, stieg ins Meer und watete bis zu den Schultern im Wasser, indem er mit seinen Füßen den unebenen Boden abtastete. Die andern ergriffen die Kette, die den Kadaver festhielt, und benützten den Augenblick, wo dieser frei schwamm, um ihn näher ans Ufer heranzubringen.
In dem Maße, als das Meer zurücktrat, zogen die beiden Männer mit scharfen Schaufeln ein Netz von Linien um die im Wasser liegende Partie des Pottwals. Das war der Plan ihrer Arbeit. Man legte die Haken, Winden, Eimer, alle notwendigen Sparren zurecht; Neugierige aus der Umgebung erschienen, und die kleine Bucht belebte sich wie bei einem wichtigen Ereignis. Drei Stunden später war die Ausschachtung im vollen Gange. Speckstücke vom Gewicht einiger 50 Pfund, die mit den Schaufeln auseinandergeschnitten wurden, lösten sich unter Einwirkung eines Werkzeuges ab, das die Leute vom Ufer aus mittels einer Winde anzogen, und die so ans Land gebrachten Stücke wurden sofort an einer Stange, die die andern zu zwei und zwei auf ihre Schultern nahmen, zur Höhe des Vorgebirges hinaufgebracht.
Das in den tieferen Gefäßen des Wals zurückgebliebene Blut floß durch diese neuen Öffnungen heraus und zunächst in die Bucht und bildete gar bald eine große Lache, die sich nach und nach in die See hinaus ausbreitete.
Bald wirbelten die Möwen, die sich Futter versprachen, um die Stelle und fingen unausgesetzt die schwimmenden Trümmer auf, und die weiße Farbe ihrer Federn hob sich von der blutigen Röte des Wassers ab, wenn sie aufhörte, sich vom tiefen Blau des Himmels abzuheben. Schließlich wagten ganze Scharen vom Blut angelockter Fische kühne Angriffe bis nahe an das Ungeheuer, indem sie hier und dort Blutklumpen auffingen, die an ihre Schnauzen stießen.
Zuweilen verließen die Männer, die im Innern des Pottwals herumschnitten, ihre Arbeit, und schritten, ihre öligen Hände am Rücken haltend, ans Ufer, wo ihnen die Frauen in den weit aufgesperrten Mund Milch oder Schnaps hineingossen. Während dieser kurzen Ruhepause tropfte das schmutzige Wasser von ihren Gewändern herab.
Das gerötete Wasser brach sich am Strande in kleinen Wellen mit rosigem Schaum, die der Wind dann auf das Gerölle mitten unter die Zuschauer trieb, zumeist Stadtbewohner, die in leichten Wägelchen dahergekommen waren, Müßiggänger, die nicht wissen, was sie mit ihrer Langeweile anfangen sollten, Gaffer, die ihre alberne Neugierde teils an uns, teils am Pottwal befriedigten; junge Weiber, für die das die Gelegenheit zu einer Vergnügungspartie war, Pfarrer der Nachbarschaft im Barett mit leichenblassen Mienen, fadem Lächeln und fettiger Soutane; Ärzte, die sich auf ihrer Krankentour befanden, und Gassenjungen, die ihre Spaße trieben wie überall. Dann kam ein starker Mann in einem Überrock und mit Ringen aus Talmigold, zweifellos ein ehemaliger Kapitän, den die Sache interessierte. Er wollte den Walfisch zwei verdutzten häßlichen Weibern, seiner Gattin und Tochter, zeigen, und indem er sie mittels eines gebrechlichen Kahnes, der unter ihrem Gewicht umzuschlagen drohte, nahe an das Monstrum heranführte, erklärte er ihnen, indem er seinen Regenschirm schwang, wie man dieses Tier harpuniert.
Die Walfischfänger hatten ihre Arbeit bis tief in den Nachmittag hinein ausgedehnt, als sie die Einflüsse der Gezeiten störten und sie zwangen, ans Land zurückzukehren. Sie sahen einfach barbarisch aus mit ihren bronzierten Köpfen, von denen der Schweiß in Strömen auf die befleckten Hemden floß, sich dort mit dem geschmolzenen Fett vermengte, in Streifen bis zu ihren nackten Füßen hinunterglitt und dabei einen Geruch ausströmte, der kleiner Pottwale würdig gewesen wäre.
Sie umstellten so die Behälter, wo die ersten Ergebnisse ihres Schlächterwerkes lagen, und indem sie sich mit den Händerücken den noch immer von der Stirne perlenden Schweiß abtrockneten, überschlugen sie im Geiste die Menge Öl, die ihnen der Fang wohl einbringen wurde. Die Frauen statteten die Männer dann mit Ersatzkleidungsstücken aus, während sie ihnen ihre ganz schwammig gewordenen Lumpen wuschen.
Unser Pottwal hatte für mich weiter keinen Reiz, da es feststand, daß man an diesem Tage weder sein Hirn noch seinen Magen erreichen würde, und ich begab mich auf meine Pinasse, deren Schraube die blutige Brandung aufwirbelte.
Die gesättigten Möwen, die in länglichen Scharen auf dem Wasser saßen und von den Wogen wie ein Band gehoben wurden, hoben sich in lässigem Fluge nacheinander auf, um uns durchzulassen. Meine festgebannten Blicke betrachteten noch einmal den grünlichen Leichnam, der von dem Zersetzungsgas, das sich rasch anhäufte, angeschwollen war, diesen Kadaver, den jetzt an den Felsen erklirrende Ketten am Ufer festhielten und den die Raubgier der Menschen in Aas verwandelt hatte, ihn, der bis dahin ein Ungeheuer gewesen, das genügend stark gewesen wäre, alle Flotten seiner Verfolger zu zerstören, wenn ein Atom Vernunft seine Handlungen geleitet hätte.
Während wir nun nach Angra zurückkehrten, analysierte ich den seltsamen Gang der Natur, der unter dem menschlichen Schädel diese geheimnisvolle, allen Kräften des tierischen Lebens überlegene Energie entwickelt und die der Mensch, um die durch das moderne Leben ausgebildeten Leidenschaften zu befriedigen, so häufig zur Zerstörung ganzer Gattungen verwendet, die nichts mehr wieder auf die Erde zu bringen vermag. Ich verurteilte die Gleichgültigkeit und Schwäche der Regierenden, die das maßlose Vernichten der Elefanten und Wale zum Zwecke der Gewinnung des Elfenbeins und Öles gestatten, die die Vernichtung der Pelztiere zur Befriedigung einer eitlen und törichten Eleganz zugeben und die Vernichtung von Vögeln mit ansehen, deren wunderbares Gefieder den lächerlichsten Modelaunen schmeichelt und auf leichten Köpfen dahinwelkt, nachdem es den gewissenlosen Händlern ein Vermögen einbrachte; daß sie ferner dem Sporttrieb einzelner alberner Müßiggänger gestatten, zwecklose Tötungen vorzunehmen, deren Barbarei mit den Werken der Kultur und des Fortschrittes in Widerspruch seht.
Albert I, Fürst von Monaco
Ein Seemannsleben
Berlin1903; Nachdruck Berlin 1991