1912 - Robert Falcon Scott
Die Zweiten am Südpol
Dienstag, 16. Januar 1912; Lager 68, Höhe 9760 [2.975 m ], Temperatur -23,5° [F, entspricht -31°C]. Das Schlimmste oder fast das Schlimmste ist eingetreten. Wir marschierten am Morgen zügig und brachten 7 ½ Meilen [12 km] hinter uns. Die Mittagsbeobachtung ergab 89° 42’ S, und wir brachen am Nachmittag in der freudigen Erwartung auf, uns morgen an unserem Ziel zu finden. Nach etwa zwei Stunden Marsch entdeckten Bowers’ scharfe Augen etwas, was er für einen Steinhügel hielt. Er war sich nicht sicher, aber er meinte, es müsse ein Sastrugus [eine bestimmte Art von Schneewehe] sein. Eine halbe Stunde später entdeckte er weiter vorn einen schwarzen Fleck. Bald war uns klar, dass das kein natürliches Schneephänomen sein konnte. Wir marschierten weiter und fanden eine schwarze Fahne, an einer Schlittenkufe befestigt, in der Nähe die Überreste eines Lagers; Schlitten- und Skispuren in alle Richtungen und deutliche Spuren von Hundetatzen – von vielen Hunden. Das erzählte uns die ganze Geschichte: Die Norweger sind uns zuvorgekommen und die Ersten am Pol. Das ist eine schreckliche Enttäuschung, und es tut mir für meine loyalen Gefährten sehr Leid. Vieles geht uns durch den Kopf, vieles haben wir diskutiert. Morgen müssen wir weiter bis zum Pol und dann nach Hause so schnell wir können. Alle Tagträume sind vorbei; es wird eine mühsame Rückkehr. Die Höhe nimmt ab – bestimmt haben die Norweger einen leichten Weg für den Aufstieg gefunden.
Mittwoch, 17. Januar, Lager 69, Temperatur zu Anfang –22°, bei Nacht -21 °. Der Pol, ja, aber unter ganz anderen Umständen als erwartet. Es war ein fürchterlicher Tag; zu der Enttäuschung kam noch ein Gegenwind von 4 bis 5 bei einer Temperatur von -22 °, und die Gefährten kämpfen sich mit kalten Händen und Füßen voran.
Wir zogen um 7.30 los, keiner von uns hatte nach dem Schock der Enttäuschung viel geschlafen. Wir folgten ein Stück den norwegischen Schlittenspuren, wir können nur die zweier Männer sicher ausmachen. Nach etwas drei Meilen passierten wir zwei kleine Steinhaufen. Dann bedeckte sich der Himmel, und da die Spuren zunehmend verweht waren und offensichtlich zu weit nach Westen führten, entschieden wir uns, direkt nach unseren Berechnungen auf den Pol zuzugehen. Um 12.30 hatte Evans so kalte Hände, dass wir zum Essen anhielten – ein erstklassiges „Wochenendessen“. Wir hatten 7,7 Meilen [12,4 km] geschafft. Die letzte Messung ergab 89° 53’ 37’’. Wir zogen wieder los und schafften 6 ½ Meilen [10,5 km] genau nach Süden. Heute Nacht bereitet sich Bowers für eine Beobachtung unter sehr schwierigen Bedingungen vor. Der Wind bläst stark, die Temperatur liegt bei -21, und die Luft fühlt sich feucht und kalt an sodass man sehr schnell bis auf die Knochen durchgefroren ist. Ich glaube, wir sind wieder abgestiegen, aber vor uns scheint wieder ein Anstieg zu liegen, sonst gibt es kaum etwas, das anders ist als die schreckliche Eintönigkeit der letzten Tage, Lieber Gott! Das hier ist ein schrecklicher Ort, und fürchterlich ist es, sich hierher gekämpft zu haben und nicht die Ersten zu sein. Aber immerhin ist es doch etwas, bis hierher gekommen zu sein, und vielleicht ist uns der Wind morgen freundlicher gesinnt. Trotz der Enttäuschung hatten wir einen fetten Eintopf und fühlen uns innerlich wohl – es gab noch ein Stück Schokolade und den merkwürdigen Geschmack einer Zigarette, die Wilson ausgepackt hatte. Jetzt geht es nach Hause und in einen verzweifelten Kampf. Ich frage mich, ob wir es schaffen können.
[Sie fanden am folgenden Tag Hinterlassenschaften und Nachrichten von Amundsen und seinen Gefährten; Scott und sein Team haben den Rückweg nicht geschafft. Am 26. März schrieb er seinen letzten Tagebucheintrag. Die Leichen wurden im November gefunden.]
Scott, Robert Falcon
Diaries
Veröffentlicht auf der Website des Scott Polat Research Institute:
www.spri.cam.ac/uk/museum/diaries/scottslastexpedition
Übersetzung: U. Keller