1823 - James Weddell
Im Weddellmeer
Am Abend sahen wir viele Walfische und die See war mit blauen Sturmvögeln übersät, aber auch nicht ein Stückchen Eis war zu erblicken. Das Wetter war heiter und mild, der Wind ging während der Nacht schwach östlich und wir fuhren mit allen Segeln. Am Morgen des 19. [März] betrug die Variation der Magnetnadel 15°10’ O. Das gute Wetter erlaubte uns, die Boote, die Segel und das Tauwerk wieder instand zu setzen. Mittags war unsere Breite der Beobachtung nach 73°17’, die Länge 35°54’ 45’’; abends betrug die Abweichung der Magnetnadel nur 5° 35’ O. Um Mitternacht trat Windstille ein, aber später erhob sich der Wind aus SW.
Am Morgen des 20. drehte sich der Wind S bei W, Nach SO sahen wir den Horizont bewölkt und viele Vögel, deshalb richteten wir unsere Fahrt dorthin. Um 10 Uhr wich die Nadel 11°20’ O ab. Die Luft war hell, aber Land sahen wir nirgends. Von Deck aus bemerkten wir drei Eisinseln und vom Mastkorb eine vierte; auf einer sahen wir viele Pinguine sitzen. Unsere Breite war 74°15’, die Länge 34°16’ 45’’; der Wind wehte frisch aus Süden und verhinderte meine Absicht, dorthin zu steuern. Sehr gern hätte ich jene See besucht, aber wenn ich bedachte, wie weit die Jahreszeit vorgerückt war und dass ich eine Heimreise vor mir hatte, die mich wohl 1.000 Meilen durch eine mit Eisinseln bedeckte See führte, dass lange Nächte wahrscheinlich mit viel Nebel eintreten würden, so konnte ich nichts besseres tun, als den günstigen Wind zur Rückkehr zu benutzen. Jetzt bedauerte ich doppelt, dass mich am 27. Januar verschiedene Umstände verhindert hatten, nach Süden zu gehen, denn damals hätte ich Zeit genug gehabt.
Ich suchte alle nur irgend wissenschaftlich interessanten Erscheinungen so genau wie möglich zu beobachten, weil eine genaue Kenntnis jenes noch so wenig erforschten Teils der Erde gewiss wünschenswert ist, doch gingen mir leider mehrere nützliche Instrumente ab. Da eine genaue Längenbestimmung von höchster Wichtigkeit ist, so hatte ich 240 Pfund auf den Ankauf dreier Chronometer verwendet, die alle sehr gut waren …
Das Südlicht, das Forster auf seiner Reise um die Welt mit Cook 1772 sah, bemerkte ich nicht, obgleich ich genau darauf achtete, wenn die Sonne unter dem Horizont war, was länger als sechs Stunden dauerte. Wahrscheinlich bemerkte ich es nicht, weil die Dämmerung sich nie ganz verlor.
Das merkwürdig verdrehte Ansehen, das der Horizont und entfernte Gegenstände durch die Brechung der Lichtstrahlen in den höheren nördlichen Breiten annehmen, bemerkte ich auch, aber nur in geringem Grade. Das Wasser, das die Walfische am 19. eine halbe Stunde nach Sonnaufgang ausspien, zeigte eine vermehrte Refraktion, aber nur auf kurze Zeit. Der Grund, warum man diese Erschienung im hohen Süden weniger als im Norden sieht, liegt wahrscheinlich daran, dass die See dort keine großen Eisfelder enthält.
Cooks Vermutung, dass die Eisfelder sich an Land und nicht in der offenen See bilden, erscheint mir ganz richtig. Er hat zwar später seine Meinung geändert, als er nördlich von der Beringstraße unter dem 70. Breitengrad feste Eisfelder fand, aber meiner Ansicht kommen sie von dem nur 150 Meilen entfernten Land im Norden. Niemand wird wohl an der Wahrscheinlichkeit meiner Behauptung zweifeln, da ich in der Breite von 74°15’ S (was nach Meinung der früheren Seefahrer 84°15’ gleich ist, da die südliche Hemisphäre um 10° Breite kälter ist als die nördliche) die See ganz frei von Eisinseln fand, während ich unter 61°30’, etwa 100 Meilen von Land entfernt, von festem Eisgang umgeben war. Wir sahen in jener Gegend auch kein Land, und wenn ich nicht von der Existenz Südshetlands überzeugt gewesen wäre, so hätte ich ebenfalls geglaubt, des Eis käme direkt vom Südpol. Wenn nun in der Breite, bis zu der ich gelangte, das heißt 74°5’, also 3°5’ oder 214 geographische Meilen weiter als Cook kam, kein Land vorhanden ist, so ist es gewiss leichter, zum Südpol zu gelangen als zum Nordpol, in dessen Nähe so viel Land liegt.
Über die große Kälte in der südlichen Hemisphäre sind sehr verschiedene Meinungen aufgestellt worden. St. Pierre nimmt an, der Südpol sei von einer großen Eismasse umgeben, die sich weit nach Norden ausdehne. Jetzt haben wir bessere Erfahrungen gemacht, denn in den Jahren 1773 und 1774 hat man sich die größte Mühe gegeben, um die südliche Terra incognita zu entdecken, aber vergebens; wir wissen, dass nur bis zum 61. Grad Land liegt. Wir können also mit Grund annehmen, dass das Land unter 61° Breite und 54°30’ Länge, nämlich die östliche Spitze von Südshetland, die sich in WSW erstreckt, die Ursache der großen Kälte in jenen Regionen ist. Die Temperatur der Luft und des Wassers ist unter dem 60. und 61. Breitengrad, wie ich angegeben habe, wenig über dem Gefrierpunkt. Dies kalte erdlose Land und seine ungeheuren Eisinseln, die sich im Sommer davon ablösen und von den vorherrschenden Westwinden fortgetrieben werden, sind ganz gewiss die Ursache der niedrigen Temperatur. Die Inseln, die ich dort fand, waren ohne Erde, mit undurchdringlichen Felsen bedeckt und erzeugten selbst unter 60°45’ beständig Eis.
Ich glaube aus meinen Beobachtungen schließen zu können, da ich unter dem 74. Breitengrad nur drei Eisinseln sah, dass das Land sich höchstens bis zum 75. Grad nach Süden erstreckt. Wenn sich diese Behauptung bestätigt, so enthält die Südsee weit weniger Eis als man bisher geglaubt hat, und dann würden wichtige Entdeckungen nach dem Südpol zu leicht zu machen sein.
Sowie ich den Entschluss zur Rückkehr gefasst hatte, gab ich der Beaufort das Signal und wir steuerten mit allen Segeln nach NW. Unsere Mannschaft war über den schlechten Erfolg der Fahrt [bei der Robbenjagd] sehr verstimmt, besonders, da ihr ein Anteil an der Ladung zugesichert war. Um ihr durch Anerkennung ihres Verdienstes wieder Mut zu machen, erteilte ich ihr mein Lob wegen ihrer Ausdauer und ihres ordentlichen Betragens und sagte, dass wir weiter nach Süden gelangt wären als irgendein Seefahrer vor uns. Die Flaggen wurden aufgezogen, eine Kanone gelöst und die Mannschaft beider Schiffe rief drei Hurras. Dies Vergnügen nebst der gehörigen Quantität Grog vertrieb ihren Unmut und flößte neue Hoffnung für die Zukunft ein.
Zu Ehren unseres Königs gaben wir diesem noch unbesuchten Teil des Ozeans den Namen der See König Georgs IV. [Später zu Ehren Weddells nach ihm benannt.]
Weddell, James
Reise in das südliche Polarmeer in den Jahren 1822 bis 1824
Weimar 1827