Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

909 - Frederick Cook
Der Erste am Nordpol?
Zurück in Upernavik

Upernavik ist eine der größten dänischen Ansiedlungen in Grönland und einer der wichtigsten Handelsplätze. Es ist eine kleine Stadt mit einer Bevölkerung von etwa 300 Eskimos, die in kistenartigen Hütten aus Grassoden hausen. Das Städtchen ist außerdem der Wohnort von sechs dänischen Beamten, die mit ihren Familien in bequemen Häusern leben.
   Ich traf hier am 20. Mai 1909 früh morgens ein und ging sofort zu dem Hause des Gouverneur Kraul. Der Gouverneur selbst - ein großer, kahlköpfiger, würdig aussehender Mann von etwa 50 Jahren, mit freundlichen Manieren und bedeutenden literarischen und wissenschaftlichen Kenntnissen - öffnete mir auf mein Klopfen an der Haustür. Er ließ mich gastfreundlich eintreten, dann aber musterte er mich vom Kopf bis zu den Füßen.
   Ich war ein rauh aussehender Besucher. Ich trug einen alten Seehundsrock, abgetragene Bärenfellhosen, Strümpfe aus Hasenfell und, über diesen, abgenutzte Seehundsfellstiefel. Ich war außerordentlich schmutzig, mein Gesicht hager und bronzefarben, mein Haar ungeschoren, lang und verwildert. Immerhin fühlte ich mich nach einem Bade und in reiner Unterkleidung, die ich mir eine Woche vorher in Tassuasak besorgt hatte, recht behaglich. Später wurde diese Kleidung durch andere, die mir Gouverneur Kraul gab, ersetzt und einiges davon trug ich auf meiner Reise nach Kopenhagen. Meine Erscheinung war eine derartige, daß mich die Frage des Gouverneurs: "Haben Sie Läuse an sich?" durchaus nicht überraschte.
   Einige Jahre vorher hatte er mehrere arktische Reisende unterstützt und eine Brut dieser Parasiten war für lange Zeit als Plage der Ansiedlung zurückgeblieben. Ich überzeugte ihn aber, daß er mich trotz meines nicht gerade einnehmenden Äußeren,
ohne Gefahr aufnehmen könne.
   In seinem Hause genoß ich alle Annehmlichkeiten eines vornehmen Heims und eine große Bücherei stand zu meiner Verfügung. Auch hatte ich ein großes, prächtiges Federbett mit reinen Bezügen. Ich schlief jeden Tag vier Stunden und widmete vier bis fünf der Ausarbeitung meiner Notizen.
   Beim Frühstück erzählte ich Gouverneur Kraul kurz von meiner Reise und, obgleich er höflich und freundlich war, merkte
ich, daß er bezüglich meiner Erreichung des Pols skeptisch war. Ich blieb einen Monat bei ihm, benutzte seine Federn und sein Papier und legte die letzte Hand an meinen Reisebericht, an dem ich so viel bei Kap Sparbo gearbeitet hatte. Meine Notizen und Papiere lagen verstreut umher und Gouverneur Kraul las sie und, als er sie gelesen hatte, waren seine Zweifel verschwunden und seine Begeisterung groß.

Cook, Frederick A.
Meine Eroberung des Nordpols
Hamburg/Berlin 1912

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!