Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1723 - Hans Egede
Die Suche nach der Ostsiedlung der Wikinger
Von Nuuk/Godthåb nach Narsarsuaq/Julianehåb
 
Was mir vom Missionskollegium und den Direktoren der Compagnie befohlen wurde, war unter anderem, dass es Seiner Majestät allergnädigster Wille und Begehr wäre, dass man zur Erkundung der Ostseite alle möglichen Anstalten machen sollte, und dazu von der Kolonie passende Leute und Fahrzeuge aussenden sollte, die das ausrichten könnten. Damit das nun möglichst gut und getreu ausgeführt würde, nahm ich mir diese gefährliche und beschwerliche Reise selbst vor. Und obwohl es schon spät im Jahr war für diese Unternehmung, so musste ich doch die Gelegenheit nutzen, mich der [nach Süden reisenden] Leute und Fahrzeuge zu bedienen. Also reiste ich am 9. August mit zwei Schaluppen von der Kolonie ab in der Hoffnung, durch die sogenannte Frobisher-Straße [die es nicht gibt - dazu weiter unten mehr] zu kommen, die auf der Seekarte eingezeichnet und der nächste Weg zur Ostbucht ist.
   Drei Tage, nachdem wir von zu Hause abgesegelt waren, kamen wir an einen Ort, wo die Zelte einiger Grönländer standen. Da wollten wir an Land gehen, aber die Grönländer kamen mit ihren Pfeilen und Gewehren ans Ufer und wollten uns die Landung verbieten, denn sie befürchteten, wir würden ihnen ein Leid antun, weil sie nicht wussten, was für Leute wir waren. Aber da sie kurz zuvor bei uns in der Kolonie gewesen waren, und nun wieder nach Süden zurückreisen wollten, gaben wir ihnen zu verstehen, dass es der Pastor sei, der sie besuchen wolle. Darauf gaben sie sich gleich zufrieden und ließen uns nicht nur an Land kommen, sondern baten mich auch, zu ihren Zelten zu kommen und mit ihnen zu reden, was ich auch tat und sogar über Nacht bei ihnen blieb.
   Mit einem Grönländer vereinbarte ich, dass er uns nach Süden begleiten sollte, da wir Fremde waren und weder den besten Weg noch die richtige Richtung wüssten. Er wollte anfangs nicht, weil er uns nicht trauen wollte, aber als ich ihn mit kleinen Verehrungen bedacht und gesagt hatte, er solle in Gesellschaft seiner Frauenboote mitreisen, entschloss er sich endlich dazu.
   Also begab ich mich am 12. wieder auf die Reise, in Begleitung von vier Frauenbooten, mit noch anderen kleinen, die in der Süderbucht zu Hause waren. Aber nachdem wir einige Stunden unterwegs waren, legten sie an, wo die Zelte einiger Grönländer standen. Da wir aber die Zeit nicht versäumen, sondern das gute Wetter nutzen wollten, setzte ich mit meinem Lotsen die Reise fort, der mit seinem Kajak neben uns fuhr. An diesem Tag trafen wir überall viele Leute und Behausungen an, an einigen Orten gab es auch schöne Häfen für Schiffe und auch Plätze, wo Handelsleute zu liegen pflegen. Wir sahen an diesem Tag viele große Stücke Eis, und weil der Wind gut war, kamen wir an diesem Tag fünfundvierzig Kilometer vorwärts. Gegen Abend kamen wir zu eines Wilden Wohnung, wo wir übernachteten.
   Des Morgens begaben wir uns bei stiller und nebliger Luft wieder auf die Reise; da fuhren wir an einem sehr schlechten Land vorbei, das drei bis vier Meilen lang war, und an dem man nur bei gutem Wetter vorbeisegeln kann, weil es dort so viele Seeklippen und Untiefen gibt. Nachdem wir dreißig Kilometer zurückgelegt hatten, kamen wie in tiefes Wasser ohne Hindernisse, das sich zwischen schönen, mit Gras bewachsenen Inseln fortsetzte. Am Abend kamen wir zu sechs Zelten; die Wilden dort waren anfangs furchtsam und bange; da wir ihnen aber versicherten, dass wie ihnen kein Leid tun wollten, fassten sie sich ein Herz. Diese Leute erzählten mir, dass es in der Nähe einige alte und verfallene Hütten, aus Erde gemacht, gäbe, in denen die Kablunaken [Europäer] gewohnt hätten. Weil diese aber zum Distrikt der Westsiedlung gehören, wollte ich nicht so viel Zeit aufwenden, um sie zu besehen. Sie fingen sehr viele kleine Dorsche, von denen sie uns eine große Menge zu sehr billigem Preis überließen.
   Als wir uns am 14. August am Morgen wieder auf die Reise begeben wollten, war unser Lotse fortgefahren, um einige Grönländer zu besuchen, die er kannte, und die ein paar Meilen nach Osten zu an einer Bucht wohnten. So mussten wir ihm nachfahren, denn ich befürchtete, er wolle uns verlassen. Als wir ihn trafen, kam er wieder zu uns, sodass wir unsere Reise fortsetzen konnten, kamen aber nur fünfzehn der zwanzig Kilometer weit, weil der Tag schon fast vorbei war. Wir sahen auch an diesem Tag viele Eisberge, die vor und zwischen den Seeklippen lagen. Wir trafen auf eine große Menge Leute, die aber gar nicht bange vor uns waren, denn sie waren kürzlich bei uns im Norden gewesen und kannten mich also schon. Sie verkauften uns einige Fuchsfelle gegen Hemden.
   Am 15. setzten wir unsere Reise fort bei gutem Wetter und Nordwind. Es folgten uns mehr als vierzig Boote mit Singen und Schreien, die sich zu anderen Grönländern in der Nähe begeben wollten; wir trafen auch eine große Menge von ihnen an. Noch bevor wir an Land kamen, fingen die Frauen an zu singen, wodurch sie zu erkennen geben wollten, wie willkommen wir wären. Nachdem wir uns kurz mit ihnen unterhalten hatten, fuhren wir weiter, und die Frauen fingen uns zu ehren wieder mit dem Singen an, dass es in den Felsen schallte.
   Zu dieser Gruppe gehörte der junge Grönländer Kusak, der im vergangenen Winter bei mir gewesen, dann aber mit einer jungen Frau weggezogen war. Am Abend zuvor war ihm von einem, bei dem wir logierten, mitgeteilt worden war, dass wir angekommen seien, da fuhr er in der Nacht weg; denn er hatte Angst und dachte, ich wäre gekommen, ihn zu suchen und mitzunehmen.
   Weil der Nordwind stark an zu blasen fing, segelten wir eine gute Strecke und trafen überall Leute an. Aber als wir 45 Kilometer gereist waren, merkten wir, dass die ganze See, durch die wir zu fahren hatten, mit Treibeis angefüllt war, das aufeinander gepackt war, sodass wir unmöglich durchkommen konnten und anlegen mussten. Auch einige Grönländer lagen hier in der Klemme und warteten, dass das Eis wegtrieb, um ihre Reise fortzusetzen, denn sie wollten nach Süden. Bei ihnen fand ich meinen Kusak wieder. Ich ließ ihm sagen, er solle nur zu mir kommen, ihm wolle ihm nichts Böses tun, und dann kam er auch. Ich redete ihn strafend an, dass er so heimlich ohne mein Wissen und meinen Willen davongegangen war, uns sagte ihm, er hätte ja in der Nähe bleiben können, ich hätte seine Heirat nicht verhindern wollen; nur würde er Gott und alles Gute vergessen, was er bei mir gelernt hätte. Nein, sagte er, er würde es nicht vergessen, sondern vielmehr anderen erzählen, was er über Gott gehört und gelernt hätte. Ich ermahnte ihn zur Beständigkeit im Guten und dass er sich befleißigen müsse, diesem Versprechen nachzukommen, sonst würde Gott ihn gewiss einmal strafen. Die Grönländer, die dieses Gespräch hörten, versammelten sich um mich und wollten auch etwas vom Schöpfer des Himmels hören. So gut ich es konnte und sie es verstehen konnten, gab ich ihnen einigen Unterricht.
   Bis hierher nun waren wir zwei Grad von der Kolonie entfernt und ungefähr an die Straße gekommen, die in den Seekarten Frobisher-Straße heißt und auf 62 Grad liegt. [Damals glaubte man an eine Durchfahrt durch Grönland – die Südspitze wäre dann eine Insel gewesen]. Anfangs machte ich mir Gedanken, ob dies hier die Straße wäre, weil ich so viel Eis vorfand, und es auch eine große Bucht oder Meeresstraße gab, die sich so weit ins Land hinein erstreckte, wie wir sehen konnten. Sie war sehr mit Eis angefüllt und ich glaubte, das Eis käme von Osten durch diese Straße angetrieben. Aber die Grönländer erzählten mir, dass hier eine weit ins Land reichende Bucht wäre, an der sie sich im Sommer aufhielten und Rentiere jagten. Die Menge Eis käme aber aus Süden in die Bucht getrieben von der äußersten Ecke der Ostseite und würde mit viel Süd- oder Westwind gebracht und dann alle Buchten und Winkel ausfüllen.
   Obwohl ich nun nach dem Bericht der Grönländer und aus eigener Anschauung schließen konnte, dass hier keine Straße oder Durchfahrt zur Ostbucht war, so hielt ich es für nötig, diese Reise weiter nach Süden fortzusetzen, weil ich noch zweifelte, ob ich bis zur Durchfahrt gekommen war. Deshalb beschloss ich, hier ein paar Tage zu warten in der Hoffnung, dass das Eis durch Ostwind weggetrieben würde und wir weiter kommen könnten. Am Tag nach unserer Ankunft, die am 16. August stattfand, legte sich der Wind, der das Eis aufeinander getrieben und die ganze Bucht damit ausgefüllt hatte. Der Strom ergoss sich aus der Bucht, und es zeigte sich eine Öffnung des Eises, sodass ich es wagte, mich wieder auf die Reise zu begeben und zu versuchen, über die Bucht hinüber an das andere Ufer zu kommen, das ungefähr fünfzehn Kilometer entfernt war.
   Da es ruhiges Wetter war, wagten wir uns durch das Eis; aber die Grönländer trauten sich nicht, uns zu folgen. Wir kamen, gottlob! glücklich hinüber, wenn auch nicht ohne große Mühe und Gefahr. Denn wir waren kaum hinüber gekommen und vom Eis befreit, als der Wind wieder anfing zu blasen und das Eis so aufeinander trieb, dass wir unmöglich mit dem Leben davon gekommen wären, wenn wir noch unterwegs gewesen wären.
   Am Ufer fand ich wieder viele Grönländer mit ihren Zelten; die wunderten sich über unsere Ankunft und dass wir dem Eis so glücklich entkommen waren. Mein Lotse erzählte ihnen, dass ich ein Angekok [Schamane] wäre, der mit den Seelen oder Geistern im Himmel Umgang hätte, und deshalb viel von einem zu erzählen wüsste, der den Himmel und alle Dinge geschaffen habe. Ich musste ihnen also etwas von diesem Schöpfer erzählen, setzte dann aber bei gutem Wind meine Reise fort.
   Nachdem wir fünf oder sechs Meilen gefahren waren, kamen wir an großen Klippen und Inseln vorbei, und ich meinte, es wäre die Einfahrt in den gesuchten Sund. Wir gingen hier an Land und hielten unser Nachtlager bei Grönländern. Als sie uns ankommen sahen, waren sie voller Furcht, denn wir hörten sie lange rufen und schreien, bevor wir landeten, sie verließen sogar ihre Zelte und liefen auf die Klippen. Da sandte ich einen Grönländer, den wir bei uns hatten, zu ihnen und ließ ihnen sagen, dass wir friedliche Leute wären, die ihnen kein Leid zufügen wollten. Da kamen sie denn zurück und wurden von mir mit Kleinigkeiten wie Perlen, Nähnadeln und dergleichen beschenkt, sodass sie wieder ganz kühn und beherzt wurden und ganz zufrieden waren.
   Am Morgen begaben wir uns wieder auf die Reise. Aber statt unsere Reise zwischen Inseln fortzusetzen, wie wir vermutet hatten, kamen wir nach einigen Meilen in Richtung Südwest in die See. Wir mussten an großen Stücken Eis vorbei, und weil ein starker Nordwind blies, gab es eine hohe See, sodass die Wellen oft ins Fahrzeug hineinschlugen und wir beständig Wasser schöpfen mussten. Unser grönländischer Lotse wurde sehr bange, obwohl er in seiner Art ein ziemlich guter Seemann war, doch kamen wir, gottlob! glücklich und wohl über den Meerbusen, und des Abends führte uns der Grönländer wieder in einen schmalen Sund, wo wir die Zelte von Wilden vorfanden und bei ihnen übernachteten. Diese Leute fürchteten sich gar nicht vor uns, sondern stellten sich sehr lustig und beherzt an. Hier veränderte sich der Akzent und die Aussprache der Leute etwas.
   Am Morgen des 18. setzten wir unseren Kurs zwischen großen und kleinen Inseln Südost zu Süd fort. Nach ungefähr 45 Kilometern trafen wir eine große Menge Leute an. Sie handelten von uns Hemden gegen Fuchsfelle ein. Obwohl es schon spät war, als wir an Land kamen, so musste ich ihnen dennoch von Gott erzählen, was sie mit großer Verwunderung anhörten.
   Am 19. war wieder gutes Wetter mit mäßigem Nordostwind, und so setzten wir unsere Reise nach Südost zwischen einigen Inseln hindurch fort. Denn da wir am 62. Grad vorbei waren, erstreckte sich das Land mehr und mehr nach Osten. Es folgten uns viele Grönländer mit ihren Booten; auch unterwegs sahen wir Leute genug. Hier wurden mir von den Grönländern zwei Meerbusen in Richtung Osten gezeigt, von denen sie berichteten, dass dort Kablunaken gewohnt hätten. Es wären noch viele verfallene Steinhäuser zu sehen, auch schöne Plätze mit Gras und Gebüsch. Wir sahen auch an diesem Tag viele Stücke Eis zwischen Land und Inseln treiben. Gegen Abend gingen wir an Land zu einigen Grönländern mit ihren Zelten und hatten an diesem Tag 30 Kilometer zurückgelegt.
   Als wir am Morgen weggefahren und ein Stück gerudert hatten, kamen mehr als hundert Grönländer mit Booten zu uns. Als sie sahen, dass einer von ihren Landsleuten auf unserem Fahrzeug war, fragten sie ihn, wie er dahin käme, und was wir für Leute wären? Und er antwortete ihnen, dass ich ein Angekok oder weiser Mann sei und die Grönländer besuchen wolle, um ihnen etwas vom Schöpfer des Himmels zu berichten. Da kamen sie rings um die Schaluppe herum und wollten etwas davon hören. Also ließ ich das Fahrzeug stille halten, so lange ich ihnen erzählte. Hier war wiederum ein Meerbusen, wo auch verfallene Häuser mit Gras und Wald sein sollten wie an der anderen Stelle. Sie sagten, dort hätten Kablunaken gewohnt. Weil sie mir den Ort gar so schön ausmalten, fuhr ich hinein, um ihn zu besehen, aber der Wind kam uns entgegen, sodass wir an diesem Tag nur 20 Kilometer zurücklegten. Wir kamen an einen sandigen Platz mit Wiesen und Heide, wo ehemals auch unsere alten Nordischen gewohnt hatten, wie an den wüsten und verfallenen Materialien und anderen Kennzeichen deutlich zu sehen war. Ich traf hier auch einen guten Hafen für Schiffe an, in den sie ganz bequem einlaufen können.
   Hier brachten uns die Grönländer viele kleine Dorsche, sodass wir für eine Nähnadel wohl 20 oder 30 Stück bekommen konnten. Als es Abend wurde, verließen uns die meisten Grönländer, nur einige wenige blieben über Nacht bei uns. Ganz früh am Morgen legte sich der Wind und wir kamen zu guter Zeit in den Meerbusen, wo die erwähnten verfallenen Häuser mit Wald und dergleichen waren. Aber der Wald war nicht so groß, wie die Grönländer behauptet hatten, denn die größten Bäume waren nur 3,70 bis 5,60 Meter hoch, lauter Birken, und nicht dicker als ein Bein, dabei sehr krumm und schief gewachsen, was zweifelsohne an dem Wind liegt, der von Süden daherstürmt, aber es gab viele davon. Ich fand auch Ebereschenbäume, auf denen die Beeren schon reif waren; schönes Gras und verschiedene Blumen gab es dort auch; manches war so hoch, dass es bis unter die Arme reichte. Die verfallenen Häuser waren nur aus Torf und Stein erbaut, aber es war erkennbar, dass hier viele Leute gewohnt hatten. Ein Stück Weges das Tal hinauf beim Birkenwald fand ich zwei große Seen mit frischem Wasser, in die die Lachse von See heraufsteigen. Nach den Berichten der Grönländer war beidem obersten See weiter in den Felsen noch ein größerer Wald. Hier wuchsen auch viele schwarze Birnen, die die Grönländer sammelten und von denen sie uns mehr gaben, als wir essen konnten. Unter den Grönländern, die hier ihre Zelte stehen hatten, befand sich einer, der eine große Geschwulst an seinem rechten Kinnbacken hatte, das sein halbes Gesicht bedeckte und bis auf die Schultern herabhing.
   Am Sonntag dem 22. fuhren wir aus dem Meerbusen weg, nachdem wir unsere Andacht verrichtet hatten. Die Grönländer hatten sie mit Verwunderung angehört und gefragt, was sie bedeute.

Egede, Hans
Ausführliche und wahrhafte Nachricht vom Anfange und Fortgang der grönländischen Mission …
Hamburg 1740

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende im Nordmeer seit dem Jahr 530
Wien 2009

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