1894 - Robert E. Peary
Die Meteoriten von Kap York
Grönland
Um 4.15 Uhr morgens erreichten wir das Ende der Bucht, die Hunde wurden an der Eisbank angebunden, und Tallakoteah und ich kletterten darüber auf der Suche nach dem »eisernen Berg«.
Nachdem wir ungefähr einen halben Kilometer weit einem engen Tal gefolgt waren, begann Tallakoteah sich umzusehen, bis er ein Stück blauen Trapps ausmachte, das aus dem Schnee herausragte. Er räumte den Schnee beiseite und brachte weitere Stücke zum Vorschein, und er meinte, dies wäre ein Haufen der Steine, die man benutze, um Teile vom »eisernen Berg« abzuschlagen. Dann zeigte er auf eine Stelle, gut einen Meter entfernt, als Standort dieses lang gesuchten Stückes. Er holte das Sägemesser vom Schlitten und begann den Schnee auszuheben. Und schließlich, nachdem er ein Loch von etwa einem Meter Tiefe und anderthalb Meter Durchmesser ausgeschnitten hatte, um 5.30 Uhr am Sonntagmorgen, dem 27. Mai 1894, fand der braune Klotz, rau aus dem Winterschlaf gerissen, zum ersten Mal in den Zyklen seines Daseins die Augen eines weißen Mannes auf sich gerichtet.
Ich ließ Tallakoteah das Loch vergrößern und um den Meteoriten abgraben, bis Lee und Kessuah ankamen; letzterer löste ihn ab. Der Meteorit war nicht nur ganz von einer dicken Schneedecke, sondern auch von einer einen Zentimeter dicken Schicht Eis bedeckt. Nachdem er weit genug ausgegraben war, verbrachte ich den Rest dieses wunderbaren wolkenlosen Tages bis vier Uhr nachmittags mit dem Messen, Zeichnen und Fotografieren dieses himmlischen Besuchers, nahm Peilungen für eine grobe Karte der Umgebung und ging dann zum Schlitten hinunter für ein kleines willkommenes Nickerchen.
Tallakoteah erzählte mir, dass die Innuit den Meteoriten als sitzende Frau bezeichneten und meinte, früher wäre er viel größer und höher gewesen, dass aber sein Volk ihn nach und nach verkleinert hätte, und dass vor Jahren Leute von Peternahwik den Kopf abgebrochen und mitgenommen hätten. Er erklärte mir auch von sich aus, wie sein Volk die alten Messer hergestellt hätte, nämlich durch das Einsetzen von kleinen, abgeflachten Stückchen Metall in ein Gestell aus Knochen oder Elfenbein; und dann zeigt er mir noch mit einem Stück Trapp, wie Eisenstücke abgelöst wurden. Nicht konnte interessanter sein als diese Wiederbelebung eines alten Verfahrens.
Ich ritzte ein grobes »P« in das Metall als unzweifelhaften Beweis, dass ich den Meteoriten gefunden hatte, für den Fall, dass ich nicht in der Lage wäre, ihn später mit dem Schiff wieder aufzusuchen. Und ich baute einen kleinen Steinmann auf der Spitze eines Felsens aus Gneiss 100 Meter entfernt, in dem ich eine kurze Nachricht hinterließ:
«Sonntag, 27. Mai 1894
Diese Nachricht ist hinterlegt als Beweis, dass an obigem Datum R. E. Peary von der US-Marine und High J. Lee von der Nordgrönland-Expedition 1893-94 mit dem Eskimoführer Tallakoteah den berühmten eisernen Berg entdeckt haben, von dem Kapitän Ross als Erster berichtet hat. Wir haben ihn eingehend untersucht.
R. E. Peary, US-Marine, Leiter der Expedition«
Nach einem letzten Blick auf den himmlischen Herumtreiber ging ich hinunter zum Schlitten, wo Lee schon war, und schlief ein, sobald ich mich hingelegt hatte. Zwei Stunden später wachte ich auf; der Himmel war ganz bedeckt und ein kalter Wind blies über die Bucht. Der Wettergott hatte uns einen vollkommenen Tag geschenkt, um das Geheimnis des »eisernen Berges« zu lüften, und nahm nun sein Unheil bringendes Regiment wieder auf.
Nach Beendigung des Mittagessens, Frühstücks, Abendessens oder wie immer man es nennen will, wurden die Hunde angeschirrt und wir fuhren los, um den zweiten und größeren Brocken zu finden; mein Führer sagte mir, er befände sich auf einer Insel am Eingang der Bucht. Wir kamen gut vorwärts und erreichten bald die Stelle mit dem zweiten Meteoriten, gut sieben Kilometer entfernt am östlichen Ende der Insel. Seine genaue Lage wurde mir gezeigt, aber der Schnee lag auf der ganzen Insel so hoch, dass ich keine Anstalten machte, ihn auszugraben; mir genügte, zu wissen, wo er lag. Um Mitternacht kehrten wir um und waren zehn Tage später zurück im Expeditionshaus.
Peary, Robert E.
Northward over the great ice
New York 1899, Band 2
Übersetzung: U. Keller
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende im Nordmeer seit dem Jahr 530
Wien 2009