1907 - Frederick Cook
Auf dem Weg zum Nordpol
Insel Disko und Godhaven
Qeqertarsuaq
Nach einiger Zeit hob sich nordwärts die Insel Disko leuchtend aus dem Blau heraus, der Polarkreis war passiert und eine Art himmlischen Leuchtfeuers breitete sich über den Kurs unseres Schoners. Als wir bis nach Mitternacht auf Deck blieben, wurden wir durch den Anblick der über ihr natürliches Maß vielmals vergrößerten Sonne belohnt, die glühend über der Kimmung der eisigen See emporstieg. Ein leichter Wind wehte sanft von der Küste her, die See lief in goldigen Wogen und der Himmel war gestreift von Topasgelb und Karmesin.
Alles war in unbeschreiblichem Glanze gebadet und auf den Seitenflächen der hochgetürmten Eisberge spielten die fortwährend wechselnden Farben des Regenbogens; die überragenden Gipfel anderer wiederum erschienen wie die Minarets des Orients, alabasterartig, goldverziert. Hier und da zogen sich, wie von unsichtbarer Hand im Zenit festgehalten, schmale, lange Wolkenstreifen von Karmesin und Silber über den Himmel. Langsam und majestätisch stieg die Sonne höher und höher und übergoß Himmel und Wasser mit tiefem Orange und glühendern Rot, so daß die schwimmenden Eisberge rubinartig leuchteten, wie Mauern von Chalzedon und Chrysopras. Das plötzlich wechselnde, kaleidoskopartige Farbenspiel wurde noch erhöht durch die Klippen von Disko, die drohend emporstiegen und mit ihren düsteren Schatten einen wunderbaren Kontrast hervorriefen. Jetzt begann sich ein perlender Dunst über den Horizont zu breiten, der sich nach und nach auch über das Wasser legte und ihm eine freundliche blaue Färbung verlieh. Dann verdunkelten wirre Schatten die glänzende Farbensymphonie, daß sie erlosch. Endlich gingen wir zur Koje mit dem Gefühl, daß es ein wahrhaft köstlicher Genuß sei, auf dieser wunderbaren, zauberischen See dem Pol entgegen zu steuern. Dieses erste herrliche Schauspiel der Mitternachtssonne glühte in meinen Träumen - ein Augurenspruch des Erfolges, den mein Herz so heiß ersehnte. Nie verging dieser Glanz und unbewußt begann die heimliche Lockung ihren Zauber zu weben.
Als wir am nächsten Morgen an Deck kamen, lief der Schoner ostwärts durch eine schwere See. Die stufenförmigen Klippen von Disko waren verschönt von frischgefallenem Schnee und nur noch wenige Meilen entfernt. Von Fels zu Fels hallte das Geschrei der Möwen und Lummen. Alles war durch die Pracht des vergangenen Tages verändert und zwischen hellgrauen Wolken stieg die Sonne empor. Die Berge zeigten ein häßliches Blau und das Meer rollte in trüben, gelblichen Wogenbergen. Obgleich die See hoch lief, herrschte nur eine leichte Brise, doch spürten wir das Herannahen des Sturmes und eilten, um in Godhaven Schutz zu suchen. Der Name "Gotteshafen" besagt genug von dieser gefährlichen Küste und dem außerordentlichen Wert eines solchen Nothafens.
Als wir in den engen Meeresarm, der zwischen niedrigen, glatten Felsen zu dem weiten Hafen führt, einsteuerten, kamen uns zwei Eskimos in Kajaks entgegen, um Lotsendienste zu leisten. Als wir sie an Bord genommen hatten, fanden wir bald einen günstigen, vor Wind und See geschützten Ankerplatz. Ein Boot wurde zu Wasser gebracht, in dem wir unsere Jacht verließen, um dem Gouverneur unsern Besuch abzustatten.
Als wir an dem kleinen Pier anlegten, wurden wir von Gouverneur Fenker herzlich begrüßt. Er führte uns in sein Haus, wo seine Gattin, eine junge gebildete Dänin, uns aufrichtige Gastfreundschaft bot. Der kleine Ort zeigte reiches Leben. Alle Bewohner und Hunde kletterten auf den Felsen herum, um unsere Jacht zu sehen. Das Haus des Gouverneurs und das des Zollbeamten waren von Holz gebaut, das man von Dänemark importiert hatte, und mit gutgeteerter Dachpappe gedeckt. Obgleich von bescheidener Dimension, schienen diese Häuser für den zwischen eispolierten Felsen eingeschachtelten Ort viel zu groß zu sein. Dahinter lagen in der Form eines Vierecks etwa zwanzig Eskimohütten, aus Holz und Steinen erbaut, deren Ritzen und Fugen sorgfältig mit Moos verstopft waren.
Wir verschoben unseren Besuch der Eingeborenenhütten und luden Gouverneur Fenker und seine Frau ein, mit uns an Bord der Jacht zu speisen. Die Überraschung des Abends für unsere beiden Gäste war, daß wir den Phonograph spielen ließen, bei dessen Tönen sich die Augen der braven Gouverneursgattin mit Tränen des Heimwehs füllten.
Überall an der grönländischen Küste ist die Ankunft eines Schiffes das größte Ereignis der Saison und ruft, da in diesen weltfernen Orten das Dasein so ereignislos verläuft, eine begreifliche Aufregung hervor. In dem Augenblick, als man unsere Jacht sichtete, beschlossen die Eskimomädchen - drollige kleine Mädel in komischen kleinen Beinkleidern -, einen Tanz zu veranstalten, und man brachte uns die Nachricht, daß wir alle eingeladen seien. Unsere Matrosen gingen erfreut darauf ein und stürzten an Land, sobald es ihnen gestattet war, das Schiff für die Dauer einer Wache zu verlassen. Es wurde bei den Klängen einer wüsten Musik bis lange nach Mitternacht getanzt. Es war ein seltsames, mitternächtliches Vergnügen bei hellem Sonnenschein, in einer Nacht voll Glanz und Farbenpracht. Die Seeleute fanden entschieden Vergnügen an dem Herumwirbeln, bei dem sie ihre Arme fest um die derben, fetten Hüften der Mädchen legten. Als sie aber wieder an Bord waren, gaben sie doch zu, daß der Geruch der Pelze, die die Mädchen den ganzen Winter über getragen hatten, weniger angenehm als der von Fischen sei. Die Benennung Godhaven für diese Ansiedlung verstreuter Hütten kommt, ganz erklärlich, daher, daß der Hafen eine sichere Zuflucht vor den arktischen Stürmen bietet und wenn der Ort ein "lebhafter" genannt wurde, so ist dies kein Wunder, nachdem man einem Mitternachtstanz der geringen Bevölkerung mit ihren Gästen zugeschaut hatte.
Bevor wir in Godhaven wieder die Anker lichteten, nahmen wir einige notwendige Reparaturen an dem Schoner vor und füllten unsere Tanks mit frischem Wasser. Früh am nächsten Morgen segelten wir bei frischer Brise westwärts, durch die enge, als das Vaigat bekannte Straße, auf Disco zu. Als ich an Deck stand und die vorübertreibenden Eisberge sah, die in dem klaren, silbernen Morgenlicht riesigen Diamanten glichen, da klopften meine Pulse höher, je weiter das Schiff vordrang, und ich hatte das Gefühl, daß jede Minute, jeder Knoten ein Näherkommen zu jenem sagenhaften Punkte bedeute, an dessen Erreichen mein Herz hing und das mir gerade jetzt ungewiß und unwahrscheinlich erschien. Doch der Gedanke ließ mich erschauern.
Cook, Frederick A.
Meine Eroberung des Nordpols
Hamburg/Berlin 1912