Winter 1895-96 - Hjalmar Johansen
Überwinterung in der Hütte
Franz-Joseph-Land
Wir hielten endlich Einzug in unsern neuen Palast.
Eines der letzten Dinge, die wir in Stand setzten, waren die Steinbänke, auf denen wir zu liegen gedachten. Es schien uns angenehm, jeder sein Bett zu haben, sodaß wir uns nach Belieben umdrehen könnten, ohne uns beide gleichzeitig umdrehen zu müssen. Wir trennten also den wollenen Sack auseinander, damit jeder eine wollene Decke zum Zudecken bekäme. Die Felle, die das Dach der Höhle gebildet hatten, und einige von denen, welche noch nicht vom Speck befreit worden waren, benutzen wir zu Betten. Es gelang uns schließlich auch, drinnen ein paar Tranlampen anzuzünden. Doch in jener Nacht froren wir auf den steifgefrorenen, bereiften Fellen gehörig und waren froh, als die Nacht ein Ende nahm. Am Morgen machten wir mehr Feuer und kochten uns eine ordentliche Portion Fleisch. Es war uns, als könnten wir von der fetten, brühwarmen Bärenbouillon gar nicht genug trinken, denn seit den kältesten Tagen im Treibeis hatten wie die Kälte nicht so empfunden.
Das Erste, was wir taten, war, daß wir die wollenen Decken wieder zu einem Sack zusammennähten, d.h. sie nur hier und da mit einem Stiche zusammennestelten; wir mußten ja jetzt mit dem Zwirn sparsam umgehen. Vermittelst der Schneestöcke und einigen Treibholzes brachten wir quer über den Einzelbetten eine Bettstelle zu Stande und freuten uns, als wir die nächste Nacht wieder in dem gemeinsamen Sack zueinander kriechen konnten, obwohl wir sehr schlecht lagen. Die Unterlage von Stöcken verbesserten wir zunächst, bauten dann aber statt ihrer eine von Steinen auf.
Unsere Tranlampen erzeugten keine große Hitze, aber es wurde unter dem Dache doch so warm, daß die Walroßhäute auftauten und wie große Beutel herabhingen. Dabei glitten sie an den Kanten auseinander, sodaß es, wenn der auf ihnen liegende Schnee schmolz und die Beuel voller Wasser waren, beständig zu uns herabtropfte. Wir spannten die Häute aufs neue und legten Haut- und Treibholzstücke in die Zwischenräume; das half für eine Weile, doch bald war es wieder ebenso schlimm.
Nun mußten wir uns daran machen, das Dach mit Bärenfellen zu verkleiden. Die steifgefrorenen Felle, die draußen vor der Hütte lagen, wurden zum Auftauen hereingeholt und dienten uns dann als Lager, während wir diejenigen, auf welchen wir bisher gelegen hatten, über einem Schneeschuh [Ski] abspeckten und darauf vermittelst kleiner Nägel und einiger Zeltüberreste oben an der Decke befestigten. Diese wertvollen Bärenfelle wurden schändlich behandelt. Wir brauchten lange Zeit zu unserer Arbeit, und eine elende Plackerei war es obendrein.
An jeder Längswand der Hütte hatten wir einen Schneeschuh, der in Schleifen gesteckt war, die zwischen der Mauer und der Dachhaut quer durch die erstere gingen. Zwischen diesen Schneeschuhen pflegten wir die Felle zum Trocknen auszuspannen. Wochenlang mußten sie dort hängen, bis wir sie abnehmen konnten und für neue Platz erhielten.
Außer dem eigentlichen großen Firstbalken mußten wir das Dach an den Seiten mit Schneeschuhen, Bambusstöcken und unsern beiden Rudern, so gut es sich machen ließ, verstärken. Als erst richtige Kälte eintrat, gefror das ganze Dach zu einer steifen Masse mit einer dicken Schneeschicht oben darauf.
In der Südostecke wurde ein Herd mit einem Rauchfange aus Bärenhaut errichtet; der Rauch entwich durch ein Loch in der Walroßhaut und durch einen Schornstein, den wir aus Schnee, Bärenknochen und Walroßfleisch erbauten. Wenn das Herdfeuer erloschen war, stopften wir ein Stückchen Fell in das Loch, um es zu schließen. Es kam allerdings vor, daß unser Schneeschornstein zu schmelzen begann. Besonders wenn es weniger kalt war und wir starkes Feuer anmachten, um uns Beefsteaks ersten Ranges zu braten, tropfte uns das rußige Wasser ins Gesicht, doch wir nahmen es nicht so genau.
In der Südwestecke hing ein Fell von der Decke herab, das die Öffnung des Hausganges verdeckte. Durch diesen krochen wir ins Freie und stiegen aus einem Loche auf, über dem ein Bärenfell lag, das die Haustür bildete. Oft war das Hinausgelangen morgens recht schwierig, wenn der Wind den Schnee im Laufe der Nacht zu einer festen Wehe zusammengewirbelt hatte, die schwer auf dem Türfell lag. Am schlimmsten war es für Nansen, denn er war so groß, daß er sich in dem engen Gang nicht genug zusammenkauern vermochte, um die Tür, den Rücken ordentlich gegen das Fell gestemmt, mit einem Ruck öffnen zu können. Er mußte die Schneeklumpen an den Rändern des Felles mit dem Messer oder dem Schneeschuhstock losmachen, ehe er es zurückschlagen konnte.
Jetzt begann für uns ein einförmiges, trauriges Leben während unserer dritten, der schlimmsten Polarnacht. Aber verhältnismäßig hatten wir es wirklich gut, hätte es doch schlimmer kommen können! Vor allem lag ein beruhigendes Gefühl darin, daß wir uns bewußt waren, auf alle Fälle Lebensmittel genug vor der Tür zu haben: unsere Speisekammer war hinreichend mit Bärenfleisch versehen; Schinken und ganze Tiere waren rund um die Hütte herum im Schnee aufgepflanzt. Dort hatten wir auch das Wenige, was uns vom Schlittenproviant geblieben war, tief im Schnee vergraben und sicher vor den Füchsen versteckt. Diesen Proviant wagten wir nicht eher anzurühren, als bis wieder an den Aufbruch gegangen werden mußte. Vielleicht würde er uns auch als eine Art Arznei dienen können, wenn unser Magen infolge der einförmigen Fleischdiät leiden sollte, doch ist uns diese bisher stets gut bekommen.
Die ganze Zeit über lagen wir meistens, bei Tag und Nacht, im Schlafsack und schliefen so viel, wie wir in vierundzwanzig Stunden fertigbrachten. Jeden Morgen kochten wir Fleisch und Bouillon, und abends brieten wir uns ein Beefsteak zu Bärenfleisch; zu Mittag aßen wir nicht. Wir wechselten jede Woche mit dem Amte des Kochs ab.
Neben unserm Kopfende standen die Tranlampen, die Tag und Nacht hindurch brannten; es waren aus Neusilber zurechtgebogene Schalen. Dochte lieferte uns der Inhalt des Doktorsackes: Pflaster und Binden. Der Tran für die Lampen wurde in einem Topfe geschmolzen, der aus einem Petroleumfäßchen gemacht worden war.
Wer gerade Koch war, lag vorn im Sacke, und sein Amt war es, die Lampen beständig in Ordnung zu halten; Streichhölzer brauchten wir also nicht. Er mußte auch darauf bedacht sein, rechtzeitig einen Schinken oder ein Bruststück, ja manchmal einen ganzen Bären, wenn er klein war, hereinzuholen und zum Herde zu legen, damit das Fleisch auftauen konnte, ehe es gebraucht wurde. Schwarz und häßlich wurde es natürlich von dem Ruße, doch für uns hatte so etwas nichts zu bedeuten.
Der andere, der frei vom Küchendienst war, sorgte für Süßwassereis und salziges Eis für die Wirtschaft, oder noch besser für Salzwasser, falls solches zu bekommen war. Salz hatten wir nicht mehr; das wenige, was wir von der „Fram“ mitgenommen hatten (es war ein wenig Tafelsalz in einer Senfkruke), war schon lange, bevor aus dem Treibeise kamen, verbraucht worden. Manchmal hatten wir wochenlang keine Spur von Salz, weder in Gestalt von Eis, noch von Wasser; das im Fleische befindliche Salz muß also für den menschlichen Körper hinreichend sein, wenn er ausschließlich von Fleisch lebt. Beständig hing ein halbes, mit Eis gefülltes Paraffintöpfchen über den Tranlampen, um jederzeit Trinkwasser zu haben.
Mehr als durchaus notwendig gingen wir den Winter über nicht aus der Tür, denn es fror uns in unseren durchfetteten, abgetragenen Kleidern, und der Wind ging uns durch Mark und Bein. War aber das Wetter gut und Nordlicht oder Mondschein am Himmel, so boten wir der Kälte Trotz und gingen vor der Hütte auf und ab.
Die Füchse liefen wie Haustiere um die Hütte herum und benagten unsere Bären. Wir ließen sie nagen; hatten wir doch Fleisch genug. Zu Zweien und Dreien trampelten sie auf dem Dache herum. Anfangs behagte es uns nicht, denn in der strengen Kälte klang alles so laut; dann klopften wir an den Firstbalken, aber vergebens.
Sie gingen auch kaum fort, wenn wir durch den Gang hinauskrochen, das Türfell zurückschlugen und aus dem Erdboden aufstiegen. Dann schrien sie nur vor Verwunderung und Bosheit lauf auf; in der Winternacht klag es geradezu abscheulich. Es muß auch für die Füchse seltsam genug sein, ein zweibeiniges Geschöpf aus der Erde auftauchen zu sehen. Was hatte der Mensch hier in den Einöden zu tun, die bisher Jahrtausende hindurch ihnen und den Bären ungestört zu eigen gewesen? Mußten sie nicht alle, die blauen wie die weißen, ihrem Zorne darüber Luft machen?
Was die Füchse erwischen konnten, schleppten sie uns fort, Dinge, die für sie auch nicht den geringsten Nutzen hatte, für uns jedoch von Wichtigkeit waren. In das seidene Netz, mit dem wir kleine Wassertiere fangen wollten, hatte Nansen allerlei gelegt und es bei einem großen Steine versteckt. Aus diesem Netze hatten die Füchse alles Mögliche gestohlen: eine Harpunenleine, einen kleinen Beutel mit Steinproben von dem ersten schneefreien Boden, den wir angetroffen hatten, und, was das Allerschlimmste war, einen Knäuel Angelschnur, aus der wir hatten Nähgarn fabrizieren wollen.
Für das Thermometer hatten sie eine besondere Zuneigung; zweimal schleppten sie es fort, aber wir fanden es wieder. Das drittemal hatten sie es sicher mit in ihre Höhle genommen, denn wir sahen es niemals wieder. Wir besaßen nun nur noch ein Minimumthermometer, das wir an einem Schlitten, der als Thermometerhaus diente, festbanden. Es war ein großes, deutlich und einfach eingeteiltes Thermometer mit roter Metaxylolsäure, sodaß es uns möglich wurde, es selbst in der Dunkelheit einigermaßen genau abzulesen, denn eine Lampe oder Fackel zum Leuchten hatten wir nicht zu Stande gebracht; es wurde nur immer davon gesprochen.
Es war schade, daß wir uns nicht erlauben konnten, diese Tiere, die uns wie Haustiere umgaben, zu schießen. Der Pelz des Blaufuches ist doch so kostbar! Für uns aber hatte er keinen Wert; Wert hatte nur das eßbare Fleisch, und der Leib eines Fuches war zu klein, um eine Patrone dafür zu opfern. Nansen erlegte allerdings einmal zwei auf einen Schuß und ein andermal sah er sich genötigt, einen zu schießen, der nicht fortgehen wollte.
Wir fanden die weißen Füchse hübscher als die blauen; sie waren so schneeweiß, daß wir uns fast scheuten, sie anzufassen, und sie hatten ein gar feines, weiches Fell. Wir verwandten die Felle schließlich doch, aber erst dann, als wir die Hütte verließen; da zerschnitten wir sie und benutzten sie zum Zubinden der Öffnung unserer Tranbeutel, damit uns nicht unterwegs der Tran ausliefe.
Am Sylvesterabend war ich bei hellem Mondschein oben auf dem Trümmerfeld unterhalb des Gletschers und suchte nach einem flachen Stein, der zu einer Fuchsfalle paßte. Ich fand einen, der gar nicht so übel war, und rollte ihn nach der Hütte hinunter. Dann stellte ich auf dem Dache mit Stellhölzern, zu denen wir ein Stück Eschenholz nahmen, eine Falle auf. Ich erfor beinahe die Finger, bis ich damit fertig war, aber endlich stand sie doch da mit einem köstlichen Köder von angebranntem Speck, und Nansen und ich legten uns lauschend in den Sack, fest überzeugt, die Füchse sofort kommen zu hören.
Richtig, da war einer! Bums! machte aus auf dem Dache, der Stein fiel, aber der Fuchs war mit dem Leben davongekommen. Ich eilte hinaus, um nachzusehen. Die Falle war zugefallen, der Fuchs war aber fort: der Stein war wohl zu kurz, und der Fuchs hatte sich rechtzeitig zurückziehen können, ehe der Stein auf ihn fiel.
Darauf versuchte ich es mit einer steifgefrorenen Walroßhaut. Groß war sie, und schwer genug mußte sie auch sein, wenn ich Steine oben drauf legte. Aber die Füchse machten sich nur einen Spaß mit der ganzen Bescherung. Die Stellhölzer fand ich unten auf dem Eise am Strand wieder. Die Füchse hatten an dem Speck nicht genug gehabt und geglaubt, auch die Hölzchen mitnehmen zu müssen. Da gab ich es auf.
Nansen hatte Fuchsfleisch sehr gern; ich erinnere mich, daß ich ihm einmal einen ganzen Rücken briet. Ich aß es auch, aber nicht so gern wie Bärenfleisch; letzteres war natürlich auch verschieden.
Bis zu unserem Aufbruch aus der Hütte hatten wir im ganzen 19 Bären erlegt, und davon war gar nicht so sehr viel mehr Fleisch übrig. An Bord der „Fram“ hatten wir 13 Stück verzehrt, und im „Sehnsuchtslager“ und ehe wir in die Hütte zogen, waren auf einige daraufgegangen.
Wenn wir im Laufe des Winters einen neuen Bären hereingeholt hatten, gaben wir unser Urteil über die Güte des Fleisches ab und glaubten, die verschiedenen Tiere genau zu kennen. Der „Wasserbär“ war delikat, ebenso der, den wir den „Fettbären“ nannten. Am besten aber waren die beiden „Kajakbären“; von dem einen speisten wir an Weihnachten. Der Schinken des „mageren Bären“ war gar nicht so schlecht, wie wir geglaubt hatten. Die Cotelettes von den jungen Bären schmeckten, besonders gekocht, ausgezeichnet.
Einigen Bären hatten wir beim Abhäuten den Magen herausgenommen, ihn umgedreht und mit Blut gefüllt, das zu einer festen Masse gefror; diese brieten wir später in der Pfanne. Am liebsten vom ganzen Bären war uns das Gehirn geröstet, es war geradezu delikat.
Der Koch mußte dem anderen auch servieren. War das Essen fertig, so krochen wir beide in den Sack, der Topf wurde am Bettrande auf die Steinbank gestellt, die Blechtassen kamen zum Vorschein, und der Koch fischte im Topfe nach den Fleischstücken. Dann gebrauchten wir unsere fünf Finger und ließen uns Zeit beim Essen. Schließlich genossen wir die Bouillon in vollen Zügen; waren wir fertig, so schlossen wir die Augen, um weiter zu schlafen, dem Lichte und dem Frühling entgegen.
Ab und zu wurde ich durch einen Puff in den Rücken aufgeweckt. Ich schnarchte, sagte Nansen; ich brachte mich dann in eine andere Lage, worauf ich still weiter schlief.
Im Innern der Hütte war die Temperatur nicht gerade schlimm. Ich legte das Thermometer einmal unter unser Kopfkissen, es zeigte -7 °C. An den Wänden war es jedoch kalt, besonders wenn draußen ein Wind ging; die ganze Hütte war weiß bereift. Bei Witterungsumschlag taute es auf dem Dache und tropfte so in unsere Koje hinein, daß die Felle an den Steinen festfroren. Von der Mitte der Wand bis auf den Fußboden hinunter bildete sich ein dicker Eiswall.
Die durchfetteten Kleider klebten uns am Leibe fest. Wir hatten gehofft, uns neue aus Bärenfell schneidern zu können, mußten es aber aufgeben, da die Bereitung der Felle zu langsam ging. Wir bekamen nur so viele fertig, daß es zu einem Schlafsacke, Fausthandschuhen und einigen Flicken reichte. Aus unsern beiden wollenen Decken machten wir uns aber, als der Frühling kam, jeder einen vortrefflichen Anzug.
Haare und Bart wuchsen wild. Schwarz und fettig waren Gesicht und Hände; wir waren vollständige Wilde geworden. Es war uns eine Qual, mit all dem Speck hantieren zu müssen und nichts zu haben, woran wir uns gelegentlich einmal hätten ordentlich die Hände abtrocknen können. Nur wenn wir einen Bären geschossen hatten, ließ sich dies einigermaßen bewerkstelligen. Dann wuschen wir unsere Hände in Blut, worauf sie leuchtend weiß und rein wurden. In der Hütte benutzten wir die Reste des Zeltes als Handtücher; als diese verbraucht waren, mußten wir uns mit Moos begnügen, das mit unserer kleinen Axt unter dem Schnee losgehauen und über dem Herde aufgebaut wurde. Am besten half jedoch das Schrapen mit dem Messer.
Nansen’s Schenkel wurden von all diesem Schmutze wund. Er mußte dann und wann Wasser in einer Tasse schmelzen, einen Lappen aus dem Doktorsack nehmen und sich damit waschen. O, wie sehnten wir uns nach Reinlichkeit, nach weichen, anschmiegenden wollenen Anzügen statt unserer durchfetteten! Von Seife und warmem Wasser oder einem Dampfbade gar nicht zu reden!
Johansen, Hjalmar
Nansen und ich auf 86° 14‘
In: Nansen, Fridtjof
In Nacht und Eis
Band 3, revidierte Ausgabe, Leipzig 1898