Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1776 - Jens Jacob Eschels
Auf Walfang im Eis
Zwischen Grönland und Spitzbergen

Wir kamen Mitte Mai ins Eis und wurden durch die Menge desselben eingeschlossen oder besetzt. Eines Tages wurde »Überall« gerufen; (das heißt: Alle Mannschaft kommt aufs Deck). Ich sprang gleich aus der Koje und vergaß, was ich sonst nie tat, mein kurzes Gebet, wenn es Eile hatte, als: Dank lieber Gott für Deinen Schutz, bewahre mich ferner und nimm mich in deine Obhut etc. Ich wurde mit aufs Eis kommandiert und sollte ein Loch in dasselbe hauen, um einen Eishaken daran zu befestigen; denn wir sollten uns durch das Eis winden. Ich hatte das Loch noch nicht ganz fertig, als der Harpunier sagte: »Hake den Eishaken nur ein!« Ich antwortete: »Das Loch ist noch nicht fertig, es hält nicht!« Allein dieser Offizier wollte nicht warten, und so hakte ich den Eishaken ein. Er befahl nun den andern Leuten, dass sie auf die Pferdeleine, die an demselben befestigt war, treten sollten, um sie niedrig zu halten, weil vom Schiffe aus stark mit dem Spill an derselben gewunden wurde. Drei Matrosen traten auf das Tau; ich sagte zu ihnen: »Plagt Euch der Teufel? Wenn das Loch im Eise ausreißt, so sind alle Eure Beine entzwei!« Hierüber wurde der Offizier böse auf mich, und befahl mir, mich gleich zu den andern auf das Tau zu stellen. Da ich sah, dass das Tau schon so steif gewunden war, dass es nicht mehr halten konnte (dass der große Eishaken brechen würde, daran dachte ich nicht), so dachte ich, das Loch im Eise hält, stellte mich vorne auf dasselbe, und weil ich immer lustig war, so tanzte ich mit einem Fuß um den andern auf dem Tau. Als ich ungefähr eine halbe Minute darauf gestanden hatte, brach der Eishaken entzwei; die eine Hälfte blieb im Eise sitzen, und die andere Hälfte, woran das Tau befestigt war, schlug mir an den rechten Fuß (weil ich just beim Tanzen den linken in die Höhe gehoben hatte) und zersplitterte mir den Innenknöchel (die kleinen Knochen sind auch nie wieder zusammengewachsen). Ich wurde an Bord gebracht, und der Doktor, der mit dem Schiffe fuhr, verband mich; ich habe aber viele Schmerzen daran gehabt, und in einem Jahre keinen Stiefel über den Fuß ziehen können, denn der Fuß konnte vor Steifigkeit nicht ausgestreckt werden. Durch öfteres Schmieren mit dem Mark von geräucherten Schinkenknochen habe ich es aber so weit gebracht, dass er mich nachher am Gehen nicht gehindert hat, sondern eben so geschmeidig war wie der linke Fuß, nur das erste Jahr musste ich ein wenig hinken.
   Wir wurden aber von dem Eise noch fernerhin eingeschlossen, sodass wir zuletzt ganz fest saßen. Nach einigen Tagen kamen viele Walfische bei uns an, die zu den Löchern zwischen dem Eise fuhren, um zu blasen oder Atem zu holen; da es aber bei einer solchen Gelegenheit nicht für ratsam gehalten wird, mit der Harpune in einen Walfisch fest zu schießen, weil der Fisch wegläuft, und man ihn wegen des Eises mit den Schaluppen nicht verfolgen noch töten kann; auch eine Walfischleine den Fisch nicht gut halten kann, sondern gewöhnlich bricht, wenn sie nicht außerordentlich stark ist, und also die Leine mitsamt der Harpune verloren geht, so sahen wir den Fischen ruhig zu. Da es aber ein harter Anblick ist, die Fische so laufen zu lassen, so wurde ein Schiffsrat gehalten. Die alten Offiziere meinten, es wäre unnütz, festzuschießen, indem wir dabei nur Leinen verlieren würden; der Kommandeur aber, ein junger Mann, ward ungeduldig und sagte: so will ich doch ein Stell Leinen daran wagen. (Ein Stell Leinen ist in jeder Schaluppe; sechs Stück sind zusammengespleißt, und jede Leine ist 220 Meter lang.) Es wurde also ein Stell Leinen aus einer Schaluppe genommen, aufs Deck gebracht und um das Gangspill gelegt, um sie nachlassen oder einwinden zu können, je nachdem man es für gut fand. (Eine Schaluppe kann keinen Walfisch halten; denn wenn sie die Leinen nicht nachlässt, so zieht der Fisch sie unter Wasser. Auch können zwei Schaluppen, wenn der Fisch etwas groß ist, denselben nicht festhalten; sodass es schon oft passiert ist, dass, wenn die Leine in der Schaluppe unklar läuft und festhakt, dann der Fisch die Schaluppe mit den Leuten unters Eis zieht; auf welche Weise schon viele ihr Leben im Wasser verloren haben.)
   Fische waren genug da; ein Harpunier ging mit der Harpune aufs Eis und schoss in einen Walfisch fest. Wir ließen den Fisch mit zwei Leinen, mit drei Schlägen ums Gangspill, auslaufen, dann wurde die Leine so steif gehalten, wie sie vertragen konnte; wenn der Fisch von neuem anzog, gaben wir etwas nach, und wenn er nicht hart zog, wanden wir ihn mit dem Spill zurück. Durch dieses Steifhalten der Leine wurde der Fisch so müde, dass wir ihn zurückziehen konnten, und da er endlich, um zu atmen und Luft zu schöpfen, in einem Loche zwischen den Eisschollen aufkam, liefen die Offiziere, welche für diesen Fall schon alle mit Lensen [Lanzen] auf dem Eise bereit standen, hin, und stachen ihn in dem Loche tot. Nun war der Jubel auf dem Schiffe groß! Unsere Leinen waren außerordentlich stark; freilich waren sie nagelneu, allein selten findet sich ein Beispiel, dass eine Walfischleine einen Fisch von über 30 Quardeelen (denn so groß war er) halten kann, ohne zu brechen, oder dass die Harpune nicht aus dem Fische reißt. [Drei Quardeele entsprechen etwa einer Tonne.] Als dieser Fisch tot war, wurde gleich wieder in einem zweiten festgeschossen, welcher auch auf obige Art gefangen und getötet wurde, und so noch ein dritter. Wir fingen also in der Zeit von drei bis vier Stunden drei Walfische, die, nachdem sie im Schiffe in Fässer gemacht, über 90 Quardeelen Speck lieferten. Nun war aber der Lauf der Fische vorbei, und wir konnten keine mehr bekommen. Des Eises wegen konnten wir die drei toten Fische nicht an Bord bringen und flensen (in Stücke schneiden), sondern dies musste in den Löchern, worin sie totgestochen waren, geschehen, und der Speck dann in Stücken über das Eis an Bord gebracht werden, welches viele Mühe und Arbeit kostete.
   Nach Verlauf einiger Tage kamen wir, da das Eis sich öffnete und auseinander trieb, in offenes Wasser und suchten im Eise nach Walfischen. Wir kamen bei dem Kommandeur Christian Johannssen, welcher das Schiff Greve Thott führte; wir machten Mackerschaft mit ihm, um miteinander zu fischen und den Fang zu teilen; er hatte noch nichts gefangen. Wir kamen einige Tage danach zu Walfischen, und eine seiner Schaluppen schoss fest in einen großen Walfisch; dieser Fisch war ein böser Teufel; er schlug gleich, als er die Harpune empfing, die Schaluppe entzwei; wir alle eilten mit den Schaluppen herbei, die Leute zu retten. Wir kamen mit allen Schaluppen der beiden Schiffe, zwölf an der Zahl, herbei und umringten den Fisch, der fast beständig über dem Wasser blieb (das heißt mit dem halben Körper) und schossen drei Harpunen an ihn fest, konnten aber nicht gehörig an ihn kommen um ihn zu lensen oder totzustechen, denn er schlug mit dem Schwanz so unbändig, dass man sich ihm nicht nahen durfte. Wenn er einen Augenblick ausruhte und still lag, bekam er wohl einige Lensenstiche, allein er war so wütend, dass er noch zwei Schaluppen entzwei schlug. Endlich wurde er matt, fing an, Blut zu blasen und wir stachen den Fisch tot. Wir fingen gleich darauf noch zwei große Fische mit einander, und das Schiff Greve Thott nahm zwei und wir einen in unser Schiff, sodass wir nun vier und einen halben Walfisch hatten und 155 Quardeelen Speck davon angaben; wir hatten aber mehr. Weil ich mit meinem gebrochenen Fuß still liegen musste, so bekam ich den Skorbut; es war für mich ein Glück, dass wir nach Hause segelten, und eine geschwinde Hinreise hatten; schon Ende Juli kamen wir gottlob glücklich in Kopenhagen an; wo ich bald durch frische Speisen wie Kohl und Grünigkeiten etc. von meiner Skorbutkrankheit geheilt wurde, aber noch hinkend gehen musste, denn mein Fuß war noch nicht genesen.

Eschels, Jens Jacob
Lebensbeschreibung eines alten Seemannes
Altona 1835; Nachdruck Hamburg 1995

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende im Nordmeer seit dem Jahr 530
Wien 2009

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!