Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 825 - Dicuil
Irische Mönche auf Island und den Färöern

Es ist nun dreißig Jahre her, dass mir Geistliche erzählt haben, sie seien von Anfang Februar bis Anfang August auf der Insel Ultima Thule [Island] gewesen. Dort sei nicht nur zur Sommersonnenwende, sondern auch in den Tagen davor und danach die Sonne in der Nacht wie hinter einem kleinen Hügel versteckt, sodass es nicht einmal für kurze Zeit ganz dunkel würde. Was auch immer man tun wolle, und sei es das Suchen von Läusen im Hemd, könne man so tun, als ob die Sonne schiene. Und wenn sie auf Bergeshöhen gewesen wären, wäre die Sonne vielleicht gar nicht verschwunden gewesen. In der Mitte dieser kurzen Zeitspanne ist es im mittleren Erdkreis Mitternacht, und deshalb glaube ich, dass zur Wintersonnenwende auf Ultima Thule an wenigen Tagen nur ein bisschen Morgenröte zu sehen ist, wenn es im mittleren Erdkreis Mittag ist.
   Es haben diejenigen Unrecht, die schreiben, dass es um diese Insel ein erstarrtes Meer gäbe und von den Äquinoktien des Frühjahrs bis zu denen des Herbstes einen einzigen durchgehenden Tag und umgekehrt vom Herbst bis zum Frühjahr eine einzige ununterbrochene Nacht, weil die geistlichen Seefahrer zur Zeit großer Kälte und vor der Sonnenwende auf die Insel kamen. Aber eine Tagesreise von dieser Insel nach Norden entfernt fanden sie das Meer gefroren.
   Es gibt noch viele andere Inseln im nördlichen britannischen Ozean, die von den nördlichen Inseln Britanniens bei richtigem Kurs, unter allen Segeln und bei günstigem Wind innerhalb von zwei Tagen und Nächten erreichbar sind. [Gemeint sind die Färöer.]
   Ein Priester hat mir erzählt, dass er eines Sommers nach zwei Tagen und einer Nacht mit einem Schiff mit zwei Ruderbänken zu einer dieser Inseln gelangt sei.
   Von diesen Inseln sind einige klein. Fast alle haben enge, aber lange Sunde, an denen fast hundert Jahre lang Einsiedler aus Schottland gelebt haben, aber nach der Erschaffung der Welt sind sie zunächst unbewohnt gewesen. Nun sind sie wegen der räuberischen Normannen von den Eremiten verlassen; bevölkert nur noch von unzähligen Schafen und überaus vielen Seevögeln verschiedener Arten.

Dicuil
Mensura orbis terrae
Berlin 1870; Nachdruck 1967
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende im Nordmeer seit dem Jahr 530
Wien 2009

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!