1778 - James Cook
Bei den Pelzjägern von Unalaska
Aleuten
Endlich erblickten wir am 2. Oktober mit anbrechendem Tage die Insel Unalaska südwärts vor uns. Weil wir sie aber aus einer neuen Richtung sahen und das Land überdies in Nebel gehüllt war, konnten wir unsere Lage erst um Mittag durch Beobachtung der Polhöhe bestimmen. Zehn Meilen westwärts von Samganudha liegt eine Bay, die (bei den Eingeborenen) Egutschak heißt. Mir war ein jeder Hafen gleich, sobald er sicher und bequem für unsere Absicht war; wir steuerten also in die Bucht hinein, fanden aber sehr tiefes Wasser, und waren im Grunde froh, wieder hinaus zu kommen. In dieser Gegend wohnen viele Eingeborene; sie besuchten uns verschiedentlich, um getrockneten Lachs und andere Fische gegen Tabak einzutauschen. Aller Tabak, den wir an Bord hatten, war nur wenige Tage zuvor unter unsere Mannschaft ausgeteilt worden. Er reichte aber nicht zur Hälfte, um alle zu befriedigen. Allein Sorglosigkeit ist dem englischen Matrosen eigen; daher ging es auch bei diesem Tauschhandel so wenig sparsam zu, als ob wir im Begriff wären, in Virginia zu landen. Die natürliche Folge dieser Unvorsichtigkeit war die, dass binnen zweimal vierundzwanzig Stunden der Tabak im Tauschhandel mit den Einwohnern gegen tausend Prozent an Wert verlor.
Am 3. um ein Uhr nachmittags landeten wir im Hafen Samganudha. Am folgenden Morgen mussten die Zimmerleute eine beschädigte Stelle am Schiff ausbessern, und zu gleicher Zeit richteten wir alles Gepäck in den Vorratskammern so ein, dass bei künftigem Leckwerden das Wasser sogleich zu den Pumpen hinunterlaufen konnte. Neben dieser Arbeit ergänzten wir unsern Vorrat an frischem Wasser und luden eine Menge Ballast ein.
Die Pflanzen, die wir hier bei unserem vorigen Aufenthalt bemerkt hatten, waren großenteils schon abgestorben. Wir hielten uns also an die Beeren, die überall in großer Menge vorhanden waren. Um uns diese heilsame Erfrischung so weit wie möglich zunutze zu machen, hatte ein Drittel unserer Mannschaft Erlaubnis, an Land zu gehen, um Beeren zu sammeln, und bei ihrer Rückkehr wurden sie von einem anderen Drittel abgelöst. Auch von den Eingeborenen erhielten wir Beeren in beträchtlicher Menge. Wenn auch schon in dem einen oder anderen Schiff ein Keim von Skorbut vorhanden gewesen wäre, so musste der Genuss dieser Beeren und das Sprossenbier [ein Sud aus Tannensprossen], das die Leute einen Tag um den anderen zu trinken bekamen, hinreichend sein, ihn gänzlich auszurotten.
Die Einwohner brachten uns auch einen reichlichen Vorrat an Fischen, teils frisch, teils getrocknet, und zwar anfangs meist Lachse. Der frische Lachs war zum Teil sehr wohlschmeckend; doch eine Art, die wir wegen der Gestalt des Kopfes krummnasig nannten, war es weniger. Wir zogen in der Bucht einige Male das Netz und fingen eine Menge Lachsforellen und ein Mal einen Heilbutt, der zweihundertvierundfünfzig Pfund wog. Da uns diese Methode aber nicht mehr glücken wollte, versuchten wir, was mit Angeln zu tun wäre, und schickten alle Morgen ein Boot aus, das selten ohne acht oder zehn Heilbutts zurückkehrte. Diese waren wegen ihrer Größe hinreichend, das ganze Schiffsvolk mit einer Mahlzeit zu bewirten, und von so trefflichem Geschmack, dass die meisten sie den Lachsen vorzogen. Auf die Art erhielten wir nicht nur Fische genug für unsere gegenwärtigen Bedürfnisse, sondern auch noch Vorrat mit in See, und genossen also den wichtigen Vorteil, unseren Schiffsproviant zu sparen.
Am 8. erhielt ich von einem Einwohner von Unalaska namens Derramuschk ein für hiesige Gegend seltenes Geschenk. Es war ein Roggenbrot oder vielmehr eine Pastete in Form eines Brotes, denn wir fanden einen stark gepfefferten Lachs darin. Der Mann hatte ein ähnliches Geschenk für Kapitän Clerke und ein Billet an jeden von uns, das wir aber nicht lesen konnten, weil es in einer uns unbekannten Sprache geschrieben war. Wir mussten natürlicherweise auf die Vermutung geraten, dass diese Geschenke von Russen kämen, die sich etwa in der Nachbarschaft befänden. Diesen uns unbekannten Freunden schickten wir daher durch denselben Boten einige Flaschen Rum, Wein und Porterbier, weil wir glaubten, dass diese ihnen willkommen sein würden, worin wir uns auch nicht irrten, wie wir bald nachher erfuhren. Ich schickte ferner den Korporal der Seesoldaten, Lediard, einen verständigen Mann, mit Derramuschk ab, um nähere Erkundigung einzuziehen und befahl ihm für den Fall, dass er Russen anträfe, ihnen begreiflich zu machen, dass wir Engländer, die Freunde und Alliierten ihrer Nation, wären.
Am 10. kam Lediard mit drei russischen Seeleuten oder Pelzhändlern zurück. Sie wohnten mit einigen anderen in Egutschak, wo sie ein Wohnhaus, einige Vorratshäuser und eine Schaluppe von etwa dreißig Tonnen hatten. Einer von diesen war entweder der Kapitän oder der Steuermann des Fahrzeuges; ein anderer konnte eine gute Hand schreiben und verstand die Arithmetik. Alle drei aber waren verständige, artige Leute, und sie zeigten sich sehr bereitwillig, mir über alles, was ich von ihnen wissen wollte, Auskunft zu geben. Es war indessen sehr schwer, einander zu verstehen, da wir keinen Dolmetscher hatten. Die Versuche ihrer Landsleute, das Eismeer zu befahren, und die Entdeckungen, die Bering, Tschirikew und Spanberg von Kamtschatka aus gemacht hatten, waren ihnen wohl bekannt; den Leutnant Sindo [leitete eine russische Expedition von 1764 bis 1767] hingegen kannten sie nur dem Namen nach. Als ich ihnen des Herrn von Stählins Karte vorzeigte [die in St. Petersburg erstellt worden war], konnten sie nicht erraten, welche Weltgegend darin dargestellt wäre. Ich zeigte ihnen endlich Kamtschatka und einige andere bekannte Orte auf dieser Karte; hierauf fragten sie mich, ob ich die darauf gezeichneten Inseln gesehen hätte? Da ich dies verneinte, legte einer den Finger auf die Stelle der Karte, wo eine Menge Inseln liegen, und sagte dabei, er sei in dieser Gegend lange umhergekreuzt, ohne je Land zu finden. Nun legte ich ihnen meine eigene Karte vor und fand, dass sie von der amerikanischen Küste weiter nichts kannten als den Teil, der der Insel Unalaska gegenüber liegt. Einer von ihnen sagte, er habe Bering auf seiner amerikanischen Reise begeleitet. Er musste aber damals sehr jung gewesen sein, denn er sah noch jetzt, siebenunddreißig Jahre nach jener Reise, nicht alt aus. Nie ist wohl das Andenken eines großen Mannes mehr geehrt worden als Berings von diesen Leuten. Da der Handel, den sie treiben, überaus vorteilhaft und die unmittelbare Folge der zweiten Seereise dieses geschickten Befehlshabers ist, dessen Unglücksfälle vielen Privatpersonen eine Quelle des Reichtums wurden und dem Russischen Reich zum Besten gereichten, so ist diese Verehrung seines Andenkens in der Tat sehr natürlich und angemessen. Dennoch würden es die Russen vielleicht nie gewagt haben, weitere Reisen zu unternehmen und nach Amerika hin Entdeckungen zu machen, wenn Berings Schicksal es nicht gewollt hätte, dass er auf jene Insel, die seinen Namen führt, geworfen wurde und dort sterben musste; denn der elende Rest seiner Mannschaft brachte von hier aus eine hinlängliche Menge kostbaren Pelzwerks zur Probe mit. Nach seiner Zeit scheint die Fortsetzung der Entdeckungen weniger eine Staatsangelegenheit als ein Unternehmen von Privatkaufleuten gewesen zu sein, die vom Hofe nur Aufmunterung erhielten.
Die drei Russen blieben über Nacht bei mir, besuchten am folgenden Tage Kapitän Clerke und verließen uns sehr vergnügt über ihre Aufnahme bei uns mit dem Versprechen, in wenigen Tagen wieder zu kommen.
Nachdem wir nun mit den Russen bekannt geworden waren, hatten einige von unseren Offizieren verschiedentlich ihre Niederlassung auf der Insel besucht, wo man sie jederzeit mit treuherziger Gastfreundschaft empfangen hatte. Diese russische Niederlassung bestand aus einem Wohnhaus und zwei Warenlagern. Außer den Russen sah man eine Anzahl Kamtschadalen und Eingeborene, die jenen als Bediente oder Leibeigene aufwarteten. Indes hielten sich an demselben Ort Eingeborene auf, die von den Russen unabhängig zu sein schienen. Diejenigen, die den Russen gehörten, waren lauter Mannspersonen. Vermutlich hatte man sie als Knaben von ihren Eltern genommen oder gekauft. Alle wohnten in einem Haus beisammen, die Russen am oberen, inneren Ende, die Kamtschadalen in der Mitte, und die Eingeborenen unten beim Eingang, wo ein großer Kessel stand, in dem ihr Essen zubereitet wurde. Das besteht hauptsächlich aus Seetieren und Fischen mit einigen Wurzeln und Beeren. Zwischen dem vornehmsten und dem geringsten Tisch ist fast gar kein Unterschied, ausgenommen, dass die Russen die Kochkunst etwas besser verstehen und auch schlechte Speisen dem Gaumen angenehm zu machen wissen. Ich habe von einem Walfisch gegessen, der mir, wie sie ihn zubereiteten, sehr gut schmeckte; auch backen sie in der Pfanne eine Art Pudding aus fein zerriebenem Lachsrogen, der füglich die Stelle des Brotes vertreten kann. Dann und wann mögen sie wohl eigentliches Brot kosten oder ein Gericht essen, in das Mehl gemischt wurde; doch sind das bloß seltene Leckerbissen. Außer dem Saft der Beeren, den sie während der Mahlzeit genießen, ist Wasser ihr einziges Getränk; dass sie kein stärkeres haben, mag aber wohl zu ihrem größten Glück gereichen.
Die Insel liefert nicht nur Lebensmittel, sondern auch Kleidung, die hauptsächlich aus Fellen besteht und nicht leicht schicklicher gewählt werden könnte. Den Kopf bedecken sie mit einer Pelzmütze. Ihr Oberkleid sieht aus wie bei uns ein Fuhrmannshemd und geht bis an die Knie. Darunter tragen sie ein, wohl auch zwei Hemden und ein Paar Beinkleider und Stiefel. Deren Sohlen und Oberleder sind aus russischem Leder, die Schäfte hingegen von einer Art starker Darmhaut gemacht. Die beiden Befehlshaber, Ismailow und Soposnikow, trugen einen kattunenen Rock und hatten, wie auch einige andere, Hemden aus Seidenzeug, die wahrscheinlich ihre einzigen Kleidungsstücke von fremder Arbeit waren.
Auf allen größeren Inseln zwischen Unalaska und Kamtschatka wohnen Russen in der Absicht, Pelzwerk einzusammeln, worunter hauptsächlich die Seeotter ihr eigentliches Augenmerk sind. Sie fragten nie nach irgendeinem anderen Tier, obwohl sie Felle von geringerem Wert ebenfalls mitnahmen. Es ist mir nicht eingefallen, sie zu befragen, wie lange die Posten auf Unalaska und den benachbarten Posten existieren, allein schon nach der Unterwürfigkeit der Eingeborenen zu urteilen, kann das nicht erst kürzlich geschehen sein (Cox gibt in seinen »Russian Discoveries« das Jahr 1762 an). Von Zeit zu Zeit werden die Pelzhändler durch andere abgelöst. Die, die wir hier antrafen, waren im Jahr 1776 von Ochotsk hierher gekommen und kehren im Jahr 1781 zurück; folglich wird ihr Aufenthalt wenigstens vier Jahre dauern.
Forster, Georg
Des Capitain Jacob Cooks dritte Entdeckungsreise …
Berlin 1787
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende im Nordmeer seit dem Jahr 530
Wien 2009