m 1805 - John Tanner
Mit den Ottawas unterwegs
Westlich von Edmonton
Schon am Abend des zweiten Tages nach unserem Aufbruch waren uns die Lebensmittel ausgegangen, und der Hunger machte sich fühlbar. Als wir uns nachts auf unserer Lagerstätte zum Schlafen niederlegten und die Ohren dicht an die Erde hielten, hörten wir ein dumpfes Geräusch, das unserer Meinung nach von einer Bisonherde herrührte; wenn man aufstand, hörte man aber nichts mehr. Am anderen Morgen war kein Bison zu sehen, obwohl wir von unserem Lagerplatz aus die Prärie sehr weit überblicken konnten. Wenn wir aber die Ohren wieder dicht auf die Erde legten, hörten wir immer noch dasselbe Getöse und in gleicher Entfernung wie am Abend.
Nun wurden acht Mann, unter denen ich mich befand, nach der Gegend abgeschickt, in der wir Bisons vermuteten, und ein Versammlungsort bezeichnet, wo wir am Abend wieder zusammentreffen und wohin wir das Fleisch der erlegten Tiere schaffen sollten. Also machten wir uns frühmorgens auf den Weg und gingen mehrere Stunden vorwärts, ohne etwas Auffallendes zu bemerken. Endlich aber sahen wir einen langen schwarzen Streifen, der sich am Horizont erstreckte, etwa wie ein niedriges Ufer eines Sees, das man aus weiter Ferne erblickt. Es war eine Herde Bisons, die noch etwa eine Strecke von zehn Meilen weit weg sein mochte.
Eben damals hatte die Zeit der Begattung angefangen; die ganze Herde trieb sich wirr durcheinander herum, und die Männchen kämpften miteinander auf Leben und Tod. Sie stampften mit aller Gewalt auf die Erde, brüllten in ihrer Wut ununterbrochen und so laut, dass wir es meilenweit hören konnten, und rannten mit unbeschreiblicher Heftigkeit gegeneinander an. Wir wussten recht gut, dass unter diesen Umständen unser Näherkommen die Tiere weit weniger kümmern würde als zu jeder anderen Zeit; wir gingen daher geradewegs auf die Herde zu und schossen zuerst einen verwundeten Bullen, der gar keine Miene machte, uns zu entrinnen. Er hatte aber auch in den Seiten so tiefe Wunden, dass ich bequem die ganze Faust hineinlegen konnte.
Da wir wussten, dass in dieser Jahreszeit das Fleisch der Männchen sehr schlecht schmeckt, so wollten wir nicht viele davon schießen, obwohl wir mit leichter Mühe eine große Menge hätten erlegen können. Nun stiegen wir von unseren Pferden, bei denen ein paar Mann zur Bewachung blieben, während sich die übrigen mitten in die Herde schlichen, um den Weibchen nahe zu kommen. Ich hatte mich von meinen Gefährten getrennt, war dabei aber etwas zu weit vorgejagt und sah mich jetzt auf einmal rings von Bisons umgeben. Noch immer war mir kein Weibchen in den Schuss gekommen, als auf einmal mehrere Männchen wütend miteinander kämpften und bis dicht in meine Nähe kamen. In ihrer Hitze achteten sie entweder gar nicht auf meine Gegenwart oder bemerkten sie nicht; kurz, sie wirtschafteten in meiner Nähe dermaßen herum, dass ich für meine Sicherheit besorgt wurde und in einem der tief ausgehöhlten Löcher Schutz suchte, die man überall in Gegenden findet, wo sich die Bisons häufig aufhalten und die sie selbst aufwühlen, um sich darin herumzuwälzen. Aber auch da war ich noch nicht sicher und musste Feuer geben, um sie von mir fernzuhalten; selbst das gelang mir indessen erst, als ich vier Stück niedergeschossen hatte. Der wiederholte Knall versetzte die Weibchen in großen Schrecken, und ich kam zu der Überzeugung, dass ich von meinem Standpunkt aus auch nicht eines erlegen können würde. Deshalb eilte ich zu der Stelle, wo mein Pferd stand, um zu den Indianern zu kommen, die ziemlich weit entfernt waren und glücklicherweise ein Weibchen erlegt hatten, das recht fett war. Aber auch diesmal war, wie es gewöhnlich bei Jagden dieser Art der Fall zu sein pflegt, die ganze übrige Herde davongerannt; nur ein Männchen hatte den Indianern gegenüber standgehalten und tat es noch, als ich ankam.
»Ihr seid Krieger«, sagte ich zu ihnen; »ihr geht in weite Ferne, um gegen einen Feind zu kämpfen, und könnt diesem alten Bison da, der nichts in den Händen hat, nicht einmal sein Weibchen abnehmen.« Darauf ging ich geradezu auf den Bullen los, der sein totes Weibchen bewachte und von uns etwa zweihundert Yards entfernt sein mochte; kaum hatte er bemerkt, dass ich mich ihm näherte, da rannte er auch schon auf mich zu, und zwar so furchtbar stürmisch, dass ich für meine und meines Pferdes Sicherheit fürchtete und in schleuniger Hast umwandte.
Nun lachten die Indianer herzhaft über mein Missgeschick, gaben aber ihre Hoffnung noch nicht auf, das Weibchen in ihre Hände zu bekommen. Endlich lenkten sie die Aufmerksamkeit des Bullen ab, näherten sich ihm und schossen ihn tot.
Während wir das Weibchen in Stücke schnitten, bemerkten wir, dass die Herde nicht weit entfernt war und ein anderes, älteres Weibchen, das die Indianer für die Mutter des erlegten Tieres hielten, den Blutspuren folgte und wütend gegen uns anrannte. Die Indianer flohen vor Schreck weit weg, weil die wenigsten ihre Waffen zur Hand hatten, während ich mich schnell zusammennahm, mein Gewehr in aller Eile lud und bereit war zu seinem Empfang. Vorsichtig legte ich mich hinter die Reste des zerschnittenen Weibchens, ließ die Alte nahe kommen und drückte ab. Sie stutzte, überschlug sich ein paarmal und sank tot zu Boden. Nun hatten wir also das Fleisch von zwei fetten Weibchen; mehr brauchten wir nicht und eilten daher zu dem verabredeten Sammelplatz, wo wir unsere Gefährten trafen. Sie hatten unterwegs einen Damhirsch erlegt und sich also satt essen können.
Damals nahm ich das erste Mal an den Feierlichkeiten teil, die man die Weihe eines Kriegers nennen könnte. Die drei ersten Male, wenn ein junger Mann in den Krieg zieht, muss er dem indianischen Brauch zufolge mancherlei Vorschriften und Gebote befolgen, von denen die älteren Krieger befreit sind. Der junge Krieger muss sich nämlich stets sein Gesicht schwarz anmalen, einen Hut oder sonst einen Kopfputz tragen und den alten Kriegern auf dem Fuß folgen. Nie darf er vor ihnen hergehen; auch ist ihm verboten, sich mit den Fingern den Kopf oder irgendeinen anderen Teil des Körpers zu kratzen. Hält er das für nötig, so muss er es mit einem Stückchen Holz tun. Das Gefäß, aus dem er isst oder trinkt, das Messer, dessen er sich bedient, darf außer ihm selbst niemand anrühren.
Bei einigen Stämmen sind auch die Weiber in der ersten Zeit ihrer monatlichen Reinigung den beiden letzteren Geboten ebensowohl unterworfen wie die jungen Krieger. Diese letzteren dürfen ferner, wie lang und ermüdend auch der Zug ist, am Tag weder essen noch trinken noch sich setzen; macht einer von ihnen einen Augenblick halt, so wendet er sein Antlitz seinem Geburtsland zu, damit der Große Geist sehen kann, dass es sein Wunsch ist, wieder in seine Hütte zurückzukehren.
Auch bei Nachtlagern wird eine bestimmte Ordnung beachtet; sind an der Stelle, die ausgewählt wird, genug Baumzweige vorhanden, so steckt man sie in die Erde und umgibt mit ihnen den Lagerplatz, der in der Regel viereckig oder länglich viereckig ist und auf der Seite, die dem feindlichen Land zu liegt, eine Öffnung oder eine Art von Tor hat. Sind aber keine Baumzweige vorhanden, so nimmt man kleine Stäbe oder Stängel von Kräutern, die auf der Prärie wachsen, und stellt diese ganz so wie die Zweige um den Lagerplatz herum. Unfern vom Eingang hat der oberste Häuptling seinen Platz, und die alten Krieger halten sich dicht in seiner Nähe. Auf diese folgen die übrigen Krieger nach ihrem Rang und Ansehen; endlich liegen im Hintergrund des Lagers die Männer mit den geschwärzten Gesichtern, die ihren ersten Kriegszug machen.
Alle Krieger ohne Ausnahme, junge sowohl wie alte, schlafen in einer solchen Lage, dass ihr Gesicht der Heimat zugewandt ist; wie unbequem das auch sein mag und wie viele Anstrengungen sie auch schon ertragen haben mögen, so dürfen sie doch unter keinerlei Umständen oder Verhältnissen eine andere Lage wählen, auch niemals zu zweit beisammen auf oder unter derselben Decke liegen. Unterwegs setzen sich die Krieger niemals auf die bloße, nackte Erde; sie müssen zumindest ein Stück Rasen oder einige Zweige unterlegen, auch soviel als möglich sehen, dass ihnen die Füße nie nass werden. Können sie nicht umhin, durch einen Morast zu waten oder über ein fließendes Wasser zu setzen, so ist es notwendig, dass die Kleider wenigstens so trocken wie möglich bleiben, und sie umwickeln die Beine mit Blättern oder Gras, sobald sie aus dem Wasser kommen. Nie gehen sie auf einem schon betretenen Pfad, wenn sie es auf irgendeine Art vermeiden können; ist dies nicht möglich, so reiben sie Füße und Beine mit einer Masse ein, die sie zu diesem Zweck bei sich tragen.
Niemand darf über irgendeinen Gegenstand hinwegschreiten, der einem Krieger gehört, z. B. über ein Gewehr, seine Decke, eine Streitaxt, ein Messer oder eine Kriegskeule; auch nicht über die Beine, Hände oder den Körper eines Mannes, der sitzt oder liegt. Wird dieses Gebot unvorsichtigerweise übertreten, so muss der, dessen Glieder, Waffen oder Geräte entweiht worden sind, den Mann, der sich ein solches Vergehen zuschulden kommen lassen hat, packen und zu Boden werfen, und dieser lässt sich das immer gefallen, wenn er auch der Stärkere sein sollte.
Die Gefäße, aus denen sie essen und trinken, sind gewöhnlich eine kleine Art Tassen, aus Holz oder Birkenrinde verfertigt und in der Mitte des Randes mit einem Zeichen versehen. Die Indianer achten genau auf beide Seiten; auf dem Hinzug trinken sie stets so, dass sie immer nur die eine Seite an den Mund setzen, und auf dem Heimzug geschieht dasselbe mit der anderen. Wenn sie nur noch eine Tagereise von ihrem Dorf entfernt sind, dann hängen sie alle diese Gefäße entweder an Bäumen auf oder werfen sie in der Prärie weg.
Ich hätte anführen sollen, daß von ihren Biwaks aus der Anführer zuweilen einige junge Krieger voraussendet, damit sie das Puschkwawgumme-genahgun bereiten, d. h. einen Fleck Landes freimachen von Gestrüpp oder Gras, auf dem das Ko-zau-bun-zichegun vollzogen wird, das heißt, man nimmt dort die Zauberoperationen vor, mittels deren man die Stellung und den Ort, wo sich der Feind befindet, ermitteln zu können glaubt. An jener Stelle wird nämlich auf einer beträchtlichen Strecke der Rasen abgestochen und die Erde mit den Händen durchgewühlt, damit sie feiner wird. Darauf umgibt man sie mit Ruten oder kleinen Stangen, und niemand darf hineingehen.
Wenn der Häuptling oder Anführer benachrichtigt wird, dass alles in Bereitschaft ist, dann setzt er sich an das Ende, das dem Land des Feindes gegenüberliegt. Nachdem er gesungen und gebetet hat, legt er vor sich an den Rand des Fleckens Erde, den man mit einem Gartenbeet vergleichen kann, zwei kleine, runde Steine. Wenn er eine Weile allein geblieben ist, um den Großen Geist anzuflehen, dass er ihm den Pfad zeigen möge, auf dem er seine jungen Leute führen solle, kommt ein Ausrufer aus dem Lager auf ihn zu, kehrt auf halbem Weg wieder um, ruft die bedeutendsten Krieger beim Namen und sagt: »Kommt und raucht!«
Nun können außer diesem auch noch andere dem Häuptling nahe kommen und das Ergebnis des Ko-zau-bun-zichegun aus der Nähe betrachten. Die beiden Steine, die der Häuptling oben auf das Beet gelegt hat, sind nun von diesem herabgefallen, und von der Beschaffenheit des Eindrucks, den sie in der weichen Erde zurückgelassen haben, hängt es ab, welche Richtung eingeschlagen werden soll.
Auf dieser geweihten Stätte werden die Opfer an Kleidern, Getreide oder worin sie sonst bestehen mögen, allnächtlich an einem Pfahl aufgehängt, zusammen mit den Jebi-ugs oder den Andenken, die man von verstorbenen Freunden hat. Diese letzteren müssen auf das Schlachtfeld geworfen oder - wenn irgend möglich - in den zerrissenen Eingeweiden der im Kampf erschlagenen Feinde verborgen werden. Wenn einem Krieger ein Kind gestorben ist, das er sehr lieb hatte, dann trägt er, wenn es irgend angeht, ein Kleidungsstück oder ein Spielzeug, dessen es sich bediente - am häufigsten aber eine Haarlocke -, bei sich und wirft sie hin aufs Schlachtfeld.
Die Späher, die im Feindesland stets dem Zug vorausgeschickt werden, vergessen nie, die verlassenen Hütten zu durchsuchen und sorgfältig alles Kinderspielzeug, dessen sie ansichtig werden, mitzunehmen; z. B. kleine Bogen oder ein Stück von einem zerbrochenen Pfeil. Kennen sie einen Mann, dessen Kind gestorben ist, so zeigen sie ihm dieses und sagen dabei: »Dein kleiner Knabe ist da und da; wir sahen ihn mit den Kindern unserer Feinde spielen. « Der betrübte Vater nimmt fast immer jenes Spielzeug, sieht es eine Zeitlang an, fängt an zu schreien und will ins Gefecht stürzen.
Ein Indianerhäuptling hat auf einem solchen Kriegszug keine andere Gewalt als die, die ihm sein persönlicher Einfluss verschafft; er muss daher zu Mitteln aller Art seine Zuflucht nehmen, um die Hitze und den Eifer seiner Krieger rege zu erhalten.
Tanner, John
Des Kentuckier's John Tanner Denkwürdigkeiten über seinen dreißigjährigen Aufenthalt unter den Indianern Nord-Amerikas
Leipzig 1840