Um 1802 - John Turnbull
Auf Huahine
Gesellschaftsinseln, Französisch-Polynesien
Am Tage nachdem wir Tahiti verlassen hatten, erreichten wir die Inseln Huahine. Als wir an der Einfahrt des Hafens lagen, wurden wir sehr angenehm überrascht, da uns ein Doppelkanu entgegen kam, das eine rote Flagge wehen ließ. Wir schlossen daraus, dass der König oder der Admiral oder ein anderer Vornehmer der Insel an Bord desselben wäre. Aber als er zu uns an Bord kam, fanden wir, daß der Mann, der darin war, kein anderer als ein vormaliger britischer Seemann war, ein alberner, aufrührerischer Kerl, der schon vor einiger Zeit auf dieser Insel zurückblieb.
Wirklich haben europäische Schiffe in der Südsee keine größere Sorge als die, wie sie ihre Schiffsmannschaft beisammen behalten können, so reizend und verführerisch ist den Seeleuten das untätige, sorgenlose Leben, das die Südsee-Inseln anbieten. Die Schönheit des Landes, besonders auf Tahiti, und was noch mehr ist, die Leichtigkeit, mit welcher man sich hier seinen Lebensunterhalt verschaffen kann, sind zu starke Versuchungen, als daß Seeleute, die von so einer weiten Fahrt erschöpft sind, ihnen so leicht widerstehen können. Wenn man nun noch den Reiz des weiblichen Geschlechts hinzufügt, so wird man die Mühe, die man hat, seinen Mannschaft vor so vielen Verführungen zu bewahren, leicht einsehen.
In Hinsicht auf Kleidung und äußeres Aussehen war es schwer, den vormaligen britischen Seemann von den Eingeborenen zu unterscheiden. Unsere Matrosen unterließen nicht, sich auf mancherlei Art über ihn lustig zu machen. Dies machte aber alles keinen Eindruck auf ihn; auch schien er mit seiner Lage vollkommen zufrieden zu sein. Wahrscheinlich hatte sich der Bursche ein gewisses Ansehen von Wichtigkeit zu geben gewusst, als man unser Schiff erblickte, und ohne Zweifel die Häuptlinge dazu beredet, ihn so glänzend ausstaffiert an uns abzusenden, indem er ihnen dabei vorstellte, daß die von uns zu erhoffenden Geschenke, die unter sie verteilt werden sollten, nur desto beträchtlicher ausfallen würden, wenn wir ihn für einen Mann hielten, der in dem Lande in Ansehen stünde. Aber die lustige Art, mit welcher ihn seine alten Schiffskameraden behandelten, war nicht so beschaffen, daß sie die Achtung für ihn bei den Eingeborenen, die im Kanu waren, vermehren konnte. Wir machten ihm nichtsdestoweniger ein Geschenk mit einigen Kleinigkeiten, damit er doch nicht ganz mit leeren Händen zurückkehrte. Unsere Matrosen konnten wenig mehr entbehren; denn sie waren von den tahitischen Tayos rein ausgezogen worden.
Dieser Mann erteilte uns den Rat, nicht bei dieser Insel zu verweilen, sondern nach Ulietea [Raiatea] zu segeln. Da wir aber dem Hafen so nahe waren und überdies kein großes Vertrauen in die Wahrheitsliebe unseres Berichtgebers setzten, so beschlossen wir dennoch, in denselben einzulaufen. Wir wurden artig und höflich von den Häuptlingen empfangen, welche sich mit größter Bereitwilligkeit alle Mühe gaben, uns die fehlenden Bedürfnisse zu verschaffen, wogegen wir ihnen ein ansehnliches Geschenk machten. Einer von den Häuptlingen trug einen alten Hut auf dem Kopf und eine abgenähte Decke von britischer Arbeit statt eines Marra um den Leib gewickelt. Ein anderer trug einen alten blauen Rock mit großen gelben Knöpfen, den er mit einem hierzulande verfertigen Strick um den Leib gebunden hatte; dieser Rock war aber für den Mann so klein, daß mehrere Zoll dazu fehlten, um ihn zuknöpfen zu können, und die Ärmel waren für ihn so kurz, daß sie ihm kaum die Ellenbogen bedeckten. Diese beiden waren zwei der angesehensten Männer der Insel nebst dem König. Sie hatten sich auf die beschriebene Weise herausgeputzt in der Hoffnung, sich uns dadurch desto gefälliger zu machen.
Sobald wir vor Anker gegangen waren, ließen wir unsere Schmiedewerkstatt aufschlagen, um unsere nötigen Reparaturen fortzusetzen. Aber auch hier wurden wir wie auf Tahiti von den häufigen Besuchen der Eingeborenen belästigt, die teils herbeikamen, um ihre Werkzeuge wiederherstellen zu lassen, teils aus einer ebenso beschwerlichen Neugierde, da sie vorher noch keine solche Werkstatt gesehen hatten. Da aber unser Schmied die auf Tahiti beobachtete Weise auch hier befolgte und streng darauf beharrte, daß man ihm die bestimmte Gebühr abtragen müsse, so verlor er bald die gute Meinung der Eingeborenen, und wir blieben nun von ihren Zudringlichkeiten unbelästigt.
Wir wurden mit einem Besuch der vornehmsten Dame auf dieser Insel beehrt, sie war nämlich, wie man uns berichtete, die Regentin, welche als Vormund während der Minderjährigkeit ihres Enkels, des Königs, die Regierung führte. Sie war so wohlbeleibt, daß man sie nur mit Mühe auf das Deck bringen konnte. Ihr Enkel, der junge König, begleitete sie, er war aber noch zu klein, als daß er an Bord steigen konnte. Er war in eine Art langen Rock von rotem Boy gekleidet, der sein Staatskleid war und von unserm alten Seekameraden Joe mit grobem weißem Zwirn, der nicht viel feiner war als unser gewöhnlicher Bindfaden, zusammengenäht war. Eine andere Auszeichnung hatte er nicht, außer daß er, wie es uns schien, von seinen Untertanen mit Ehrerbietung behandelt und von Männern auf der Achsel getragen wurde. Zwei Schwestern des Königs kamen zu gleicher Zeit auch herbei, blieben aber in einiger Entfernung vom Schiff und kamen nicht an Bord. Sie mochten etwa neun bis zehn Jahre alt sein, und der König war ein oder zwei Jahre jünger. Die alte Dame war von mehreren hübschen Weibern, die ihre Zofen darstellten, begleitet, welche von dem Anblick der britischen Manufakturwaren ganz entzückt schienen. Wir unterhielten unseren vornehmen Gast mit Geigenspiel, welches der Dame ein außerordentliches Vergnügen zu machen schien. Als der Abend herbei kam, nahmen die Frauenzimmer, dem Anschein nach mit uns sehr zufrieden, Abschied, sie dankten uns mit vieler natürlicher Höflichkeit für die gute Aufnahme und wünschten uns eine glückliche Reise, indem sie in der Landessprache sagten: Jur Anna ti Eatua, das heißt: Gott erhalte Euch!
Am folgenden Tage wurden wir von den Insulanern mit einem feierlichen Tanz beehrt. Die Tänzerinnen und ihre Aufwärter kamen im festlichen Zuge in einem großen Doppelkanu herbei, auf dessen Vorderteil ein Gerüst errichtet war, auf welchem die Tänzerinnen und Musikanten saßen. Eine Menge kleinerer Kanus begleiteten es, angefüllt mit Eingeborenen, welche dem Fest, das für uns Fremdlinge veranstaltet war, als Zuschauer beiwohnen wollten. Die Weibspersonen waren in eine Art von glockenförmigen Reifröcken gekleidet, die von Landeszeug gemacht und mit einem purpurnen Saum eingefasst waren. Um diese Röcke gleich den Reifröcken auszuspannen und sie zu tragen, hatten sie ein Paar ausgestopfte Wülste um den Bauch gebunden; um den Oberleib war eine große Menge von Zeug gewickelt, das mit Bändern festgebunden war; auf jeder Brust trugen sie ein Büschel schwarzer Federn. Ihr Kopfputz bestand aus einer Art von Turban, der mit mancherlei Blumen geschmückt war. Ein Zeremonienmeister war der Vorsteher des Tanzes und dirigierte alle Bewegungen, die eben nicht sehr züchtig waren. Die Musik bestand aus zwei Trommeln, die aus einem walzenförmigen ausgehöhlten Stück Holz gemacht waren, das an dem einen Ende mit einer stark angespannten Seehundshaut bedeckt war. Die Musikanten bedienten sich dabei keiner Klöpfel, sondern bloß ihrer Finger und zuweilen auch ihrer Hände, womit sie so darauf los trommeln, daß man sie auch in einiger Entfernung hören kann. Anfangs trommeln sie ganz sacht, um dadurch die Tänzerinnen aufzufordern, sich zum Tanz vorzubereiten. So wie nun aber die Musik lebhafter wird, so werden auch die Bewegungen der Tänzerinnen rascher. Auch wird bei solchen Gelegenheiten eine Art Flöte gespielt, die aber nur drei Löcher hat, wovon eines so groß ist, daß der Spieler mit den Nasenlöchern hinein blasen kann. Der Tanz erfordert wirklich viele Anstrengungen; denn die Tänzerinnen müssen den Takt mit dem Atem durch Ein- und Aushauchen und mit Verziehung des Mundes halten, wobei sie ihre Arme und Finger nach bestimmten Regeln in einer gewissen Ordnung umdrehen. Die, welche sich bei diesen Verdrehungen und Gestikulationen am meisten hervortaten, wurden beklatscht. Diese Tänzerinnen gaben sich die äußerste Mühe, den Beifall der Zuschauer zu ernten, und ihre Anstrengungen dabei, da sie noch überdies mit Kleidern überladen und mit Bändern fest geschnürt sind, waren so heftig, daß manche am Ende so entkräftet erschienen, daß man glaubte sie würden darunter erliegen. Der Tanzaufseher strengte sich selbst dabei an, um sie zur Fortsetzung dieser ermüdenden Belustigung aufzumuntern, was wir für sehr grausam hielten und daher ein Fürwort für sie einlegten, um ihnen die weiteren Anstrengungen zu ersparen; womit die Tänzerinnen auch sehr zufrieden zu sein schienen. Unsere Leute hatten so viel Gefallen an diesem Schauspiel gefunden, daß sie mich um einige Warenartikel baten, um sie unter die Frauenzimmer zu verteilen, die sich so viele Mühe gegen hatten, sie zu belustigen. Ich willfahrte ihnen und gab für ungefähr drei Pfund Sterling verschiedene Sorten Waren heraus, die sogleich unter die Tänzerinnen verteilt wurden. Dadurch wurde dann auch eine nähere Bekanntschaft mit ihnen gestiftet, die zum Teil am Ende auch in die engste Vertraulichkeit überging,
Während des Tanzes machten sich einige Männer eine Belustigung auf eigene Manier. Nämlich drei nahmen sich ein großes hölzernes Gefäß in Gestalt einer Schüssel, das bei großen Schmausereien gebraucht wird, stellten sich auf dem Wasser da rein, so daß es von ihrer Schwere bis ungefähr einen Zoll vom Rande einsank, und in dieser Stellung drehten sie das Gefäß mittelst ihrer Ruder mit ungemeiner Schnelligkeit im Kreise herum, bis alle ins Wasser fielen, worauf sie dann den Spaß zu nicht geringer Belustigung der Zuschauer von neuem begannen.
Der Hafen von Hauhine, in welchem wir lagen, ist im Inneren sehr groß, geräumig und vor allen Winden gesichert. Das niedrige Land nächst dem Ufer gewährt einen schönen Anblick und hat einen Überfluß an Brotfruchtbäumen, Kokospalmen und anderen Bäumen. Die Inseln Huahine schien uns im Verhältnis zu ihrer Größe reicher an Produkten zu sein als Tahiti; obgleich beide Inseln gemeinsam haben, daß ihr Reichtum bloß auf der Fruchtbarkeit des schmalen Randes längs dem Meer um die Inseln herum beruht. Diese Beschaffenheit haben die meisten Inseln der Südsee. Die Insel Huahine gewährt jedoch, so weit wir sie von unseren Schiffen aus sehen konnten, keinen so schönen Anblick wie Tahiti, was wir trotz des Reizes der Neuheit, den sie für uns hatte, eingestehen mussten.
Sprache, Sitten und Gebräuche scheinen sich auf beiden Inseln ziemlich gleich zu sein, doch dünkte es uns, die Männer von Huahine wären von stärkerem Gliederbau und die Weiber hübscher und von besseren Gesichtszügen als die auf Tahiti.
Turnbull, John
Reise um die Welt oder eigentlich nach Australien 1800-1804
Weimar 1806