Um 1770 - Sir Joseph Banks
Über Bootsbau und Navigation in Polynesien
Die Boote, zumindest alle die, die ich gesehen habe, lassen sich in zwei Klassen einteilen. Die eine ist die der Ivahahs, der einzige Bootstyp, der auf Tahiti gebräuchlich ist. Ivahas dienen zum Fischfang und zu kurzen Törns und scheinen nicht für lange Reisen gedacht zu sein. Die andere, die der Pahies, werden von den Bewohnern der Gesellschaftsinseln, also Ulietea [Raiatea], Bora Bora, Huahine und so weiter, benutzt. Diese sind zu plump zum Fischfang und deshalb haben die Einwohner dort auch Ivahahs. Die Pahies sind viel besser für lange Reisen geeignet.
Zunächst also zu den Ivahahs. Sie sind in der Länge sehr unterschiedlich: Nach meinen Messungen von etwa 3 bis 22 m, in der Breite aber nehmen sie überhaupt nicht proportional zu, denn während das 3 m lange Boot etwa 30 cm breit war, war das 22 m lange Boot nur knapp 30 cm breit; auch die Höhe ändert sich in der Proportion nicht wesentlich. Man kann sie in drei Arten einteilen: Die Kampf-Ivahah, die normale Segel- oder Fischer-Ivahah und die Reise-Ivahah. Die Kampf-Ivahah ist bei weitem die größte. Bug und Heck stehen halbkreisförmig über dem Bootskörper, etwa 5 bis 5,5 m in der Höhe, während das Boot in der Mitte nur etwa 1 m hoch ist. Diese Boote gehen nie einzeln in See; zwei werden Seite an Seite im Abstand von etwa einem halben Meter mit Hilfe zweier starker Stangen zusammengelascht, die über beide Boote führen; im Vorderteil wird auf den Stangen eine Plattform gebaut, die drei bis 3,5 m lang und ein bisschen breiter als die beiden Bootskörper ist. Die Plattform wird von etwa 2 m hohen Pfosten getragen; auf ihr stehen die Krieger, die mit Schleudern, Speeren und ähnlichem kämpfen. Unter der Plattform befinden sich die Ruderer, die aufgrund ihrer beengten Situation wenig in den Kampf eingreifen können, aber die Verwundeten aufnehmen und frische Männer hinauf schicken, die den Platz der Verwundeten aufnehmen. (Das weiß ich nur aus Erzählungen, denn ich habe keinem Kampf beigewohnt.)
Die Segel- oder Fischer-Ivahahs sind bis zu 7,5 m lang bis hinunter zu der schon erwähnten Länge von etwa 3 m; die mit einer Länge von weniger als 7,5 m tragen nur selten, wenn überhaupt, Segel. Nur ihr Heck ist erhöht, und zwar nicht mehr als 1,2 bis 1,5 m. Das Vorderteil dieser Boote ist ziemlich flach und trägt ein waagerechtes Brett, das etwa 1,2 m über den Bug ragt.
Die Reise-Ivahahs sind nicht anders, sie unterscheiden sich nur dadurch, dass zwei Bootskörper dauerhaft miteinander verbunden sind wie bei den Kriegs-Ivahahs, und dass sie eine kleine, gut gearbeitete Hütte auf dem Vorderteil tragen, etwa 1,5 bis 1,8 m breit und etwa 2 bis 2,5 m lang. Die vornehmen Leute, die diese Boote häufig benutzen, sitzen darin, während sie von Ort zu Ort gefahren werden. Die Segel-Ivahahs haben auch so eine Hütte, wenn zwei miteinander verbunden sind, aber das kommt nur selten vor. Der Hauptunterschied zwischen Segel- und Reise-Ivahahs besteht hauptsächlich in der Takelung, und da unterscheide ich wiederum zwei Gruppen, denn sie werden in der Regel anders genutzt, obwohl ihre Bauweise nicht so sehr unterschiedlich ist.
Alle Ivahahs haben gerade Seitenwände und einen flachen Boden. Das unterscheidet sie von den Pahies, deren Seiten nach außen gewölbt sind und die einen spitzen Boden haben, der gewissermaßen wie ein Kiel wirkt. Die Pahies sind von sehr unterschiedlicher Größe: Ich habe welche von 3 bis 6 m Länge gesehen; wie die Ivahahs sind sie in der Breite im Verhältnis sehr schmal. Eines, das ich vermessen habe, war 15,5 m lang, aber weniger als 50 cm breit am oberen Rand und 1 m an der breitesten Stelle. Das ist das übliche Verhältnis. Die gebogenen Seiten erlauben das Mitführen viel größerer Lasten und erhöhen die Sicherheit, deshalb werden sie nur für Kämpfe und lange Reisen eingesetzt. Zum Fischen und für küstennahe Reisen benutzen die Eingeborenen die Ivahahs. Die Kampf-Pahies sind die längsten Boote und in der gleichen Weise ausgestattet wie die Kampf-Ivahahs, aber da sie größere Lasten tragen, sind auch die Plattformen entsprechend größer. Zwei Bootskörper werden in der Regel zu diesem Zweck zusammengelascht; die von der mittlerer Größe sollen die besten sein, weil sie in stürmischem Wetter sicherer sind. Wenn man den Berichten der Einheimischen Glauben schenkt, unternehmen sie damit sehr lange Reisen, sind häufig mehrere Monate unterwegs und besuchen viele verschiedene Inseln; annähernd hundert Namen von Inseln haben sie uns genannt. Sie können jedoch nicht länger als 14 bis 20 Tage auf See bleiben, selbst unter großen Einschränkungen nicht, weil sie dafür nicht genügend Vorräte mitführen können, auch Wasser nur in leidlichen Mengen; das in Bambusröhren aufbewahrt wird.
Da die Boote im Vergleich zu ihrer Länge sehr schmal sind, kentern sie sehr leicht. Die Insulaner wagen sich nicht damit hinaus, ohne ein besonderes Mittel einzusetzen, das zu verhindern; das ist entweder, zwei Bootskörper zu miteinander verbinden, wie schon beschrieben; in diesem Fall stabilisieren sie sich gegenseitig und werden zu einem Fahrzeug, das so ruhig liegt, wie man es sich nur vorstellen kann. Oder an einen einzelnen Bootskörper wird mit Querstangen ein Stück Holz befestigt; dadurch wird das Boot um einiges stabiler, aber nicht so sicher, dass das Kentern ganz verhindert wird. Ich habe die Einheimischen oft kentern sehen. Das ist das gleiche Prinzip wie bei den Praus der Ladronen, die Lord Anson beschrieben und Auslegerboote genannt hat. In der Tat sind sie einander so ähnlich, dass es zumindest möglich erscheint, dass die Praus eine sehr kunstvolle Verfeinerung der Pahies sind, oder die Pahies eine sehr grobe Nachahmung der Praus.
Diese Boote werden mit großen Paddeln vorwärts bewegt, die einen langen Stiel und ein flaches Blatt haben und fast wie unsere flachen Bäckerschaufeln aussehen. Jedes Mitglied der Bootsbesatzung führt normalerweise eines, außer denen, die unter der Hütte sitzen; und damit schieben sie sich recht schnell durch das Wasser. Die Boote sind so wasserdurchlässig, dass zumindest eine Person fast die ganze Zeit damit beschäftigt ist, das Wasser auszuschöpfen. Das einzige, worin sie ausgezeichnet sind, ist die Landung in der Brandung, denn wegen ihrer großen Länge und des hohen Hecks bleiben sie trocken, wenn unsere Boote kaum noch landen können, und genauso ist es beim In-See-Stechen. Wenn sie segeln, tragen sie ein oder zwei Maste an einem Rahmen oberhalb des Kanus; die Maste sind aus einem Stück gemacht. Ein Boot habe ich ausgemessen: Bei knapp 10 m Länge war der Mast etwa 7,5 m hoch; das scheint dem üblichen Verhältnis zu entsprechen. An dem Mast wird ein Segel befestigt, das etwa um ein Drittel höher ist; es ist schmal und dreieckig, mit einer Spitze am oberen Ende und nach außen gebogen. Die Kanten sind mit Holz besetzt; es kann weder gerefft noch eingerollt werden, so dass es bei schlechtem Wetter ganz eingeholt werden muss. Ich denke mir aber, dass das in diesem angenehmen Klima selten nötig ist.
Die Segel bestehen immer aus Matten. Mit solchen Segeln erreichen die Kanus eine sehr hohe Geschwindigkeit und können hoch am Wind liegen, wahrscheinlich, weil die Segelkanten mit Holz versteift sind, was sie besser stehen lässt als die Versteifung mit einer Leine. Am oberen Ende des Segels wird ein Schmuck befestigt, der einem Wimpel sehr ähnlich sieht; er ist aus Federn gemacht und reicht bis auf das Wasser hinunter; wenn der Wind ihn ausweht, macht es keinen geringen Eindruck. Ornamente an allen Bootsteilen mögen sie Eingeborenen sehr; in den guten Booten gibt es üblicherweise eine Figur am Heck, und die Pahies tragen eine an beiden Enden; die Ivahahs tragen meistens ein kleine geschnitzte Säule am Heck.
In Anbetracht dessen, dass den Leuten das Eisen völlig fehlt, bauen sie ihre Kanus sehr geschickt. Die Ivahahs haben als Grundelement den ausgehöhlten Stamm eines oder mehrerer Bäume. Die Enden werden abgeschrägt und mit den Fasern der Kokosnuss zusammengenäht. Die Seiten werden durch Planken erhöht, die auf dieselbe Art angenäht werden.
Die Pahies als die besseren Wasserfahrzeuge sind komplizierter gebaut. Wie die anderen Boote auch entstehen sie auf einem langen Kiel, der aber nicht mehr als 10 oder 12 cm stark ist. Darüber kommen zwei Reihen Planken, jede Planke etwa 45 cm hoch und 1,2 bis 1,5 m lang; eine so große Anzahl von Einzelstücken muss notwendigerweise geformt und in einen Rahmen eingepasst werden, bevor man sie zusammennähen kann. Das wird sehr geschickt gemacht, indem der Kiel mit Seilen vom Dach des Hauses, in dem das Boot gebaut wird, gehalten wird, und die einzelnen Planken durch Stützen; so steht das Kanu komplett da, wenn die Teile zusammengefügt werden, und es bleibt so stehen, bis alles zusammengenäht ist. Die Nähte verrotten schnell im Salzwasser; mindestens einmal im Jahr müssen sie deshalb erneuert werden. Dabei wird das Kanu ganz auseinander genommen und jede Planke wird untersucht. So sind die Boote immer in gutem Zustand. Aber auch die besten lecken stark, denn da sie nicht kalfatert werden, läuft das Wasser durch jedes Loch, das durch das Nähen entsteht. Das ist aber nicht weiter unangenehm für Leute, die in einem Klima mit immer warmem Wasser leben und barfuß gehen.
Um die Pahies trocken zu halten, haben wir auf den Inseln, wo sie in Gebrauch sind, eine spezielle Art von Häusern für ihre Lagerung gesehen, die nur diesem Zweck dienen. So ein Haus wird aus Stangen gebaut, die senkrecht in den Boden gesteckt und oben zusammengebunden werden; auf diese Art entsteht so etwas ähnliches wie ein gotischer Spitzbogen; die Seiten werden bis hinunter auf den Boden gedeckt, die Schmalseiten des Hauses aber bleiben offen. Ich habe eines ausgemessen, es war 50 Schritte lang, 10 breit und 24 hoch, und das war die Durchschnittsgröße.
Die Leute können ausgezeichnet das Wetter voraussagen, ein Umstand, der ihnen bei ihren kurzen Reisen von Insel zu Insel sehr zustatten kommt. Sie tun das auf unterschiedliche Weise, aber die einzige, die mir bis als bisher in Europa nicht praktizierte Art bekannt wurde, ist die, die Windrichtung vorherzusagen anhand der Stellung der Milchstraße, die sich in einem Bogen so oder so herum spannt; dieser Bogen, so nehmen sie an, wird durch den Wind verursacht, und sie sagen, dass, wenn der Bogen eine ganze Nacht gleich bleibt, der Wind, den dieser Bogen ankündigt, mit großer Sicherheit im Laufe des nächsten Tages einsetzen wird; mit dieser Art der Voraussage wie auch mit anderen Methoden hatten die Leute zwar nicht immer recht, aber sie waren entschieden besser als Europäer.
Auf ihren langen Reisen steuern sie bei Tag nach der Sonne, bei Nacht nach den Sternen, von denen sie eine große Zahl mit Namen kennen, und die Klügsten können angeben, in welchem Teil des Himmels sie in den Monaten zu beobachten sind, in denen sie über dem Horizont stehen. Sie wissen auch, zu welcher Jahreszeit sie erscheinen und wieder verschwinden, und zwar weit genauer, als ein europäischer Astronom glauben möchte.
Banks, Sir Joseph
Journal during Captain Cook’s First Voyage in H. M. S. Endevour in 1766-71, edited by Sir Joseph D. Hooker
London 1896
Übersetzung: U. Keller