1768 - Louis Antoine de Bougainville
Ankunft auf Tahiti
Französisch-Polynesien
Je näher wir dem Lande kamen, desto zahlreicher umgaben die Einwohner unsere Schiffe. Ihre Anzahl war so groß, dass wir viel Mühe hatten, unsere Schiffe inmitten der Menschenmenge und des Lärms zu befestigen. Alle schrieen: »Tayo«, welches soviel heißt wie »Freund«, und gaben uns auf mancherlei Art ihre Freundschaft zu erkennen. Alle verlangten Nägel und Ohrringe. In den Pirogen fanden sich viele Weiber, die den Europäerinnen in Ansehung ihres schönen Wuchses den Vorzug streitig machen konnten und auch eben nicht hässlich waren. Die meisten dieser Nymphen waren nackt, weil die Männer und alten Weiber, die sich bei ihnen befanden, ihnen ihre Bedeckung, die sie gemeiniglich tragen, weggenommen hatten; sie machten allerlei freundliche Mienen gegen uns, beobachteten aber doch bei aller Naivität eine gewisse Art von Schamhaftigkeit, die die Natur dem anderen Geschlecht allezeit eingeprägt hat, und vermöge derer sie das, was sie oft am meisten wünschen, auch in einem Lande, in dem noch das Goldene Zeitalter herrscht, zu verhehlen wussten. Die Männer handelten freier und unverstellter; sie suchten uns zu bewegen, eine Frau zu wählen, mit ihr an Land zu gehen, und sie gaben uns zu verstehen, auf welche Art wir uns mit ihr beschäftigen sollten. Man kann sich vorstellen, wie schwer es hielt, 400 junge französische Seeleute, die sechs Monate lang keine Frauensperson mehr gesehen hatten, zu bändigen. Aller Vorsicht ungeachtet kam ein junges Mädchen auf das Verdeck und stellte sich an das Ankerspill, wo sie ihre Bedeckung fallen ließ und wie Venus da stand, als sie sich dem phrygischen Hirten zeigte. Matrosen und Soldaten, alle liefen zum Spill, und vielleicht ist niemals so fleißig an einem Ankertau gearbeitet worden.
Durch unsere Sorgfalt hielten wir doch das verzauberte Schiffsvolk im Zaume, ob wir gleich nicht wenig mit uns selbst zu kämpfen hatten. Mein Koch war entwischt, kam aber bald mehr tot als lebendig wieder. Kaum hatte er mit seiner Schönen das Land betreten, umgab ihn eine Menge Insulaner; sie zogen ihn ganz nackt aus, betrachteten ihn von oben bis unten und erhoben ein großes Geschrei. Er wusste nicht, was daraus werden sollte, und war vor Furcht ganz außer sich. Nachdem sie ihn genug betrachtet hatten, gaben sie ihm seine Kleider wieder, ließen seine Schöne zu ihm und drangen sehr eifrig in ihn, seinen Begierden mit ihr nachzuhängen. Er war aber dergestalt außer sich, dass sie ihn wieder an Bord schleppen mussten; und versicherte mir, wenn ich ihn auch noch so sehr beschimpfte, würde ich ihm doch nie eine solche Furcht einjagen, wie er jetzt ausgestanden hätte.
Nachdem die Schiffe sicher vor Anker lagen, ging ich mit einigen Offizieren an Land, um einen Ort zum Wasserfassen ausfindig zu machen. Wir wurden von einer Menge Menschen beiderlei Geschlechts empfangen, die sich nicht satt an uns sehen konnten. Die Dreistesten fassten uns an, hoben unsere Kleider auf, um zu sehen, ob wir ebenso wie sie gestaltet wären. Keiner hatte ein Gewehr, nicht einmal einen Stab. Sie wussten nicht, wie sie ihre Freude, uns zu sehen, ausdrücken sollten. Das Haupt oder der Regent dieser Gegend führte uns in sein Haus, wo wir fünf bis sechs Frauen und einen ehrwürdigen Alten antrafen. Die Frauen grüßten uns, indem sie die Hand auf die Brust legten, und einige Male »Tayo« ausriefen. Der Alte war der Vater des Regenten. Er hatte nichts vom Alter als das ehrwürdige Ansehen, welches die Jahre einem wohl gebildeten Menschen geben, einen grauen Bart und graue Haare; sein Leib war voll und muskulös; man sah weder Runzeln noch andere Zeichen der Schwachheit an ihm. Dieser ehrwürdige Alte schien unsere Ankunft kaum zu bemerken, er begab sich weg, ohne auf unsere Bewillkommnung zu achten, und ohne Furcht, Bewunderung oder Neugier zu bezeigen. Er nahm an dem Erstaunen der andern über uns keinen Anteil. Seine ernsthafte Miene schien gleichsam eine Furcht anzudeuten, dass die glücklichen Tage, die er so ruhig zugebracht, durch die Ankunft der Fremdlinge gestört werden könnten.
Man ließ uns die Freiheit, das Haus von innen zu besehen, das von den anderen Wohnungen weder in der Verzierung noch im Gerät, sondern nur in der Größe verschieden war. Die Breite betrug etwa 80 und die Tiefe 20 Fuß. Wir bemerkten einen hölzernen Zylinder, der vier Fuß lang und mit schwarzen Federn verziert war und unter dem Dach hing. Ein paar hölzerne Figuren hielten wir für ihre Götzen. Die Figur des Gottes stand an einem Pfeiler; die Göttin war gegenüber an die Wand gelehnt, und an dem Rohr, aus dem die Wand gemacht war, befestigt. Diese Figuren waren schlecht gearbeitet und ohne Proportionen, drei Fuß hoch, und standen auf einem zylindrischen Gestell, das hohl und durchbrochen geschnitzt war. Es hatte die Form eines runden Turmes, sechs bis sieben Fuß Höhe, und bestand aus einem schwarzen, sehr harten Holze.
Der Regent nötigte uns, auf dem Grase vor seinem Haus Platz zu nehmen, und ließ Früchte, geröstete Fische und Wasser bringen. Während der Mahlzeit ließ er einige Stücke Zeug und zwei große Halsbänder, die aus Weide geflochten und mit schwarzen Federn und Haifischzähnen verziert waren, herbeibringen. Sie sahen etwa so aus wie die großen Kragen, die man zu Königs Franz I. Zeiten in Frankreich trug. Den einen hing er mir und den andern dem Ritter Oraison um. Als wir aufbrechen wollten, merkte einer von uns, dass ihm ein Sackpuffer [eine Pistole] aus der Tasche gestohlen worden war. Wir gaben das dem Regenten zu verstehen, der gleich alle, die um uns waren, visitieren wollte, und einigen übel begegnete. Wir verhinderten solches, und suchten ihm nur begreiflich zu machen, dass der Täter sich leicht damit töten könnte.
Der Regent und das ganze Volk begleiteten uns bis zu unseren Booten. Als wir fast am Ufer waren, blieben wir bei einem Einwohner stehen, der sehr wohl gebildet war. Er lag unter einem Baume und bat, dass wir uns auch auf dem Rasen niederlassen sollten. Wir taten es; er wandte sich darauf uns zu, und sang ganz langsam nach dem Ton einer Flöte, in die ein Indianer mit der Nase blies. Vier Insulaner aßen und schliefen ganz ruhig mit uns an Bord. Wir machten für sie Musik mit unseren Instrumenten, und ließen sie ein kleines Feuerwerk von Raketen und Schwärmern sehen, das sie in Furcht und Erstaunen setzte.
Am siebten früh kam der Regent, der Ereti heißt, an Bord. Er brachte uns ein Schwein, junge Hühner, und die uns gestern entwendete Pistole. Diese ehrliche Handlung gab uns von ihm eine sehr gute Meinung. Wir machten nunmehr Anstalten, die Kranken und unsere Wasserfässer an Land zu schaffen und eine Wache zu ihrer Sicherheit aufzustellen. Nachmittags landete ich mit Waffen und Gepäck, und wir fingen an, am Ufer des kleinen Flusses, aus dem wir Wasser schöpfen wollten, ein Lager aufzuschlagen. Ereti sah anfangs die Soldaten unter den Waffen und die Zurüstungen zum Lager, ohne darüber missvergnügt zu sein. Einige Stunden später kam er in Begleitung seines Vaters und der Vornehmsten, die ihm deswegen Vorhaltungen gemacht hatten, zu mir, und gab nicht undeutlich zu verstehen, dass ihnen unser Aufenthalt an Land missfiel, dass wir uns den Tag über, so lange es uns beliebte, auf der Insel aufhalten könnten, aber des Nachts uns wieder auf unsere Schiffe begeben müssten. Ich bestand auf Anlegung des Lagers, und zeigte ihm, dass es unumgänglich nötig wäre, um Holz und Wasser an Bord zu bringen und mit den Einwohnern zu handeln. Sie hielten miteinander Rat, und dann fragte Ereti mich, ob wir für immer hier bleiben oder ob und wann wir wieder abreisen wollten? Ich bedeutete ihm, dass wir längstens in 18 Tagen unter Segel gehen würden und gab ihm zum Zeichen 18 Steine. Man beratschlagte von neuem und berief mich dazu. Ein ernsthafter Mann, der viel zu gelten schien, schlug mir nur neun Tage vor, ich bestand aber auf 18; welches sie sich endlich gefallen ließen.
Von Stund an war das Vergnügen unter ihnen wieder hergestellt. Ereti bot uns einen großen Platz am Fluss an, wo einige Pirogen lagen, die er wegnehmen ließ. Wir schlugen hier Zelte für unsere mit dem Scharbock behafteten Matrosen auf; von der Etoile waren es 22, und von der Boudeuse 12, nebst einigen Gesunden zu ihrer Bedienung. Die Wache bestand aus 30 Soldaten, und die anderen Arbeiter und Kranken erhielten auch Flinten. Ich blieb die erste Nacht an Land, und Ereti wollte sie in unseren Zelten zubringen. Er ließ seine Abendmahlzeit holen und aß mit uns. Vorher jagte er den Haufen Indianer, die unser Lager umgaben, fort, und behielt nur fünf bis sechs von seinen Freunden bei sich. Nach der Mahlzeit wollte er einige Raketen steigen sehen, wobei er eben so viel Furcht wie Vergnügen zeigte.
Den folgenden Tag verbrachten wir damit, unser Lager in Ordnung zu bringen. Der Platz war gut gesichert und mit einer Art Matten bedeckt. Er hatte nur einen Ausgang, und dieser war mit einem Tor versehen und mit Wachen besetzt. Nur Ereti, seine Frauen und Freunde hatten Zutritt, die anderen mussten alle draußen bleiben. Ein Mann mit einer Spitzrute war hinreichend, um sie abzuwehren. Die Einwohner brachten uns von allen Seiten Früchte, Hühner, Schweine, Fische und Leinwand hierher und tauschten diese Sachen gegen Nägel, Werkzeug, falsche Perlen, Knöpfe und dergleichen Kleinigkeiten, die in ihren Augen Kostbarkeiten waren. Sie gaben auf alles, was uns gefiel, genau Acht. Sie merkten, dass wir Pflanzen gegen den Skorbut und Muscheln sammelten. Es währte nicht lange, so brachten uns Frauen und Kinder um die Wette ganze Körbe solcher Pflanzen und Muscheln, und waren mit einer Kleinigkeit zufrieden.
Am gleichen Tage ersuchte ich den Regenten, mir einen Ort zum Holzfällen anzuweisen. Auf dem niedrigen Lande, wo wir uns aufhielten, wuchsen nur Fruchtbäume, und eine Art von weichem Holze, das viel Gummi gab. Das harte Holz steht auf den Gebirgen. Ereti wies mir solches an, und zeigte mir, auf welcher Seite die Bäume fallen müssten. Die Einwohner halfen uns bei dieser Arbeit. Unsere Leute fällten das Holz und trugen die in Klafter gesetzten Scheite zu den Booten. Sie halfen auch, die Fässer mit Wasser zu füllen und brachten sie an die Schaluppen. Wir bezahlten sie mit Nägeln, deren Anzahl sich nach ihrem Fleiß richtete. Das einzige Übel dabei war, dass man alles, was an Land gebracht worden war, und sogar seine Taschen ungemein hüten musste, weil es in ganz Europa keine so geschickten Hände zum Stehlen gibt wie hier.
Aber der Diebstahl scheint unter ihnen selbst nicht sehr gewöhnlich zu sein. In ihren Häusern ist nichts verschlossen, alles liegt und hängt umher, ohne Schloss, oder ohne dass jemand darauf Acht gibt. Die Neugierde reizte ihre Begierden, weil ihnen alles fremde Gegenstände waren; und es gibt überall Menschen von schlechtem Charakter. In den beiden ersten Nächten war, der Schildwachen und Patrouillen ungeachtet, gestohlen worden. Die Diebe versteckten sich in dem Schilf hinter unserem Lager. Es wurde zum Teil weggeräumt, und ich befahl, künftig auf die Diebe Feuer zu geben. Ereti selbst gab mir diesen Rat, aber zeigte erst etliche Male sehr sorgfältig seine Wohnung, und bat sich aus, ja auf die andere Seite zu schießen. Ich schickte auch alle Abende drei mit kleinen Kanonen besetzte Fahrzeuge ab, die in der Nähe des Lagers liegen mussten.
Diese kleinen Diebereien beiseite gesetzt, ging alles sehr freundschaftlich zu. Unsere Leute gingen täglich, entweder einzeln oder einige zusammen, in kleinen Gruppen unbewaffnet umher. Die Wilden nötigten sie in ihre Wohnungen und gaben ihnen zu essen. Es blieb nicht bei der Bewirtung allein, sondern man bot ihnen auch junge Mädchen an. Die Wohnung war gleich voll von Männern und Frauen, die die Neugier herbeilockte. Man streute ein Lager von Laub und Blumen und blies ein Lied auf der Flöte dazu. Die Göttin der Liebe ist hier zugleich die Göttin der Gastfreiheit; sie hat hier keine Geheimnisse. Die Wilden wunderten sich, wenn unsere Leute Bedenken trugen, ihr öffentlich zu opfern, welches den europäischen Sitten so sehr zuwider ist. Indessen zweifle ich nicht, dass mancher Matrose sich nach dem Landesbrauche bequemt hat.
Bougainville, Louis-Antoine de
Reise um die Welt, welche mit der Fregatte Boudeuse in den Jahren 1766-69 gemacht worden
2. Auflage, Berlin 1783