Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Juli 1767 - Samuel Wallis
Die Königin, die Kranken und die Perücke des Chirurgus
Tahiti

Am Sonnabend, den 11ten des Nachmittags, kam der Constabel mit einem Frauenzimmer an Bord; sie war von großer Statur, mochte ungefähr 45 Jahre alt sein, und hatte nebst einer angenehmen Gesichtsbildung einen wirklich majestätischen Anstand. Er sagte mir, sie sei erst kürzlich in diese Gegend des Landes gekommen, und da er beobachtet hätte, dass die anderen Einwohner viel Ehrfurcht vor ihr bezeugten, so habe er ihr einige Geschenke gemacht; um diese zu erwidern, habe sie ihn in ihre Wohnung eingeladen, welche ungefähr zwei Meilen weit ins Tal hinauf läge, und allda habe sie ihm einige recht große Schweine geschenkt. Nachher sei sie mit ihm nach der Wasserstelle zurückgekehrt und habe Verlangen bezeugt, an Bord des Schiffes zu gehen; er habe es auch in aller Absicht für ratsam gehalten, in dieses Verlagen einzuwilligen, und sie dahin begleitet.
   Sie schien gleich bei dem ersten Eintritt in das Schiff ganz ohne Misstrauen und Furcht, überhaupt aber ganz ungezwungen zu sein, und die ganze Zeit über, da sie bei uns an Bord war, betrug sie sich mit einer ungekünstelten Freimütigkeit, die man bei allen Personen zu bemerken pflegt, welche sich ihrer Vorzüge bewusst und ihre Herrschaft gewohnt sind. Ich gab ihr einen großen blauen Mantel, der ihr von den Schultern bis auf die Füße herabreichte, hing ihr den um und band ihn mit Bändern fest; auch gab ich ihr einen Spiegel, allerlei Glaskorallen, und viele andere Sachen mehr; alles dieses nahm sie auf die anständigste Art an, und bezeugte ihr Wohlgefallen darüber.
   Sie bemerkte, dass ich krank gewesen war und wies aufs Land. Ich deutete mir dies dergestalt aus, als ob sie meinte, ich sollte dahin gehen, um meine Gesundheit wieder vollkommen herzustellen; ich gab ihr also durch Zeichen zu verstehen, dass ich mich den andern Morgen dahin begeben wollte. Als sie endlich Lust bezeigte, wieder zurückzukehren, befahl ich dem Constabel, dass er ihr das Geleit geben möchte. Nachdem er sie ans Land gesetzt hatte, begleitete er sie vollends nach ihrer Wohnung, und beschrieb mir solche nachher als sehr groß und wohl gebaut. Er sagte, sie habe viele Leibwachen und Bediente in diesem Hause, und in einer kleinen Entfernung noch ein anderes Gebäude, welches mit einer Art von Gitterwerk umgeben sei.
   Den folgenden Morgen ging ich also zum ersten Mal an Land, und meine Fürstin oder vielmehr Königin (denn ihrem Ansehen nach schien sie einen dergleichen Rang zu haben), kam bald nachher mit einer zahlreichen Begleitung zu mir. Da sie bemerkte, dass ich von meiner Krankheit noch sehr schwächlich war, so befahl sie ihren Leuten, dass sie mich auf die Arme nähmen, und nicht nur über den Fluss, sondern auch den ganzen Weg bis an ihr Haus hintragen sollten. Weil sie auch beobachtete, dass einige von den Personen, die bei ihr waren, insbesondere der erste Leutnant und der Schiffszahlmeister, ebenfalls krank gewesen waren, so ließ sie dieselben gleichfalls auf die nämliche Art tragen.
   Ich hatte, als ich Land ging, eine Leibwache mit mir genommen, und diese folgte uns bei diesem Aufzuge nach. Unterwegs drängte sich eine sehr große Menge Volk um uns herum, sobald sie aber, ohne ein Wort zu sprechen, bloß mit der Hand winkte, wichen sie zurück und machten uns Platz. Als wir uns ihrem Hause näherten, kam ihr eine große Anzahl von Personen beiderlei Geschlechts entgegen, sie stellt mir alle diese Leute vor, und gab mir durch Zeichen zu verstehen, dass es lauter Anverwandte von ihr wären; hierauf fasste sie meine Hand und reichte sie der ganzen Verwandtschaft zum Küssen dar.
   Endlich traten wir in das Haus hinein, dieses nahm der Länge nach 327 Fuß (ca. 100 m) ein und war 42 Fuß (13 m) breit. Es bestand aus einem mit Palmzweigen gedeckten Dach und ruhte auf Pfosten, deren auf jeder Seite 39 und in der Mitte 14 befindlich waren. Bis an die oberste Dachspitze gerechnet, war das Gebäude inwendig 30 Fuß (10 m) hoch, die Pfosten aber, auf welchen das Dach ruhte, waren bis an den Rand desselben 12 Fuß (10.6 m) hoch; unterhalb des Daches war an den Seiten alles frei und offen. Sobald wir in dieses Haus hinein getreten waren, nötigte sie uns, nieder zu sitzen und rief gleich vier junge Mädchen; als diese herbei kamen, ließ sie sich von ihnen helfen, um mir Schuhe, Strümpfe und den Rock auszuziehen, sodann befahl sie ihnen, dass sie mir die Haut abwärts streicheln, und mit ihren Händen ganz sanft reiben sollten. Eben dieses ließ sie mit dem ersten Leutnant und dem Schiffszahlmeister auch vornehmen, die übrigen aber, welche alle gesund zu sein schienen, mussten sich mit Zusehen begnügen.
   Während diese Operation mit uns vorgenommen wurde, suchte sich der Schiffsarzt, der sich auf dem Gang hierher sehr erhitzt hatte, ein wenig abzukühlen und nahm in dieser Absicht seine Perücke vom Kopfe. Einer von den Indianern bemerkte solches und rief überlaut aus; dieses zog die Aufmerksamkeit aller übrigen dergestalt auf den guten Chirurgus, dass in einem Augenblick alle Augen auf das Wunderding geheftet und alle anderen Verrichtungen mit einem Male unterbrochen waren. Die ganze Versammlung stand eine Zeitlang in stillem Erstaunen ganz unbeweglich da; sie hätten sich wahrhaftig nicht erstaunter stellen können, wenn sie auch wirklich gesehen hätten, dass unser Landsmann sich alle Glieder vom Leibe geschraubt hätte.
   Endlich gingen die jungen Mädchen, welche uns streichelten und rieben, wiederum an diese Arbeit, und als sie solche ungefähr eine halbe Stunde lang fortgesetzt hatten, kleideten sie uns wieder an; man kann sich indessen leicht vorstellen, wie ungeschickt sie sich dabei angestellt haben müssen. Indessen bekam sowohl mir als auch dem Leutnant und dem Zahlmeister dieses Reiben sehr wohl.
   Bald darauf ließ unsere gütige Wohltäterin einige Ballen von hiesigem Tuch herbeibringen und kleidete mich nebst meiner ganzen Gesellschaft mit diesem Zeuge nach der Mode ihres Landes. Anfangs verbat ich diese Gunstbezeugung; weil ich indessen nicht gerne das Ansehen haben wollte, als ob mir nicht gefiele, was man mir doch in der Absicht bezeigte, dass es mir gefallen sollte, so ließ ich mich endlich nach ihrem Sinne kleiden. Als wir weggingen, befahl sie, dass ein sehr großes und trächtiges Mutterschwein an das Boot hinab gebracht werden sollte und sie selbst begleitete uns in Person dahin. Sie hatte ihren Leuten befohlen, dass sie mich, wie auf dem Hinweg geschehen war, auf den Händen tragen sollten, da ich aber jetzt lieber gehen wollte, so nahm sie mich am Arm, und so oft wir an eine Wasserpfütze oder an eine morastige Stelle kamen, hob sie selbst mich hinüber und das dem Anschein nach mit ebenso geringer Mühe als ich in gesunden Tagen würde gebraucht haben, um ein Kind hinüber zu heben.

Des Esquire S. Wallis Reise um die Welt
in: Geschichte der Seereisen und Entdeckungen im Südmeer …
Erster Band, Berlin 1774

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