Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1827 - Peter Dillon
Die Überreste von Laperouses Expedition (2)
Tikopia und Vanikoro, Santa-Cruz-Inseln
Salomonen

[Auf Tukopia]
Rathea hatte etwa fünf Jahre auf Vanikoro gelebt und konnte sich sehr gut in der dortigen Sprache unterhalten. Von ihm hörte ich die folgenden Einzelheiten über den Untergang der zwei Schiffe; zu der Zeit war er acht oder zehn Jahre alt: Die Einheimischen hatten ihm erzählt, dass die zwei Schiffe, um die es hier geht, eines Nachts auf Riffe gelaufen wären, die ziemlich weit draußen lagen. Das eines lief auf den Strand bei Wannow, war ein Totalverlust, und wer es von der Mannschaft an Land schaffte, wurde von den Insulanern umgebracht. Ihre Schädel wurden einer Gottheit in einem Tempel dargebracht, wo sie lange Jahre blieben und von vielen Tukopianern gesehen worden waren. Der Berichterstatter hatte sie nicht selbst gesehen und glaubte, sie seien nun verrottet.
    Das Schiff, das bei Paiow havarierte, war nach dem Zusammenstoß mit dem Riff in einer günstigeren Lage. Die Mannschaft beider Schiffe bestand aus mehreren hundert Mann. Das bei Paiow gestrandete Schiff wurde auseinandergenommen, um einen Zweimaster daraus zu bauen. Die Leute, die daran arbeiten, hatten eine hölzerne Palisade darum herum gebaut, innerhalb deren sie sich aufhielten. Einige Insulaner verhielten sich freundlich, andere waren sehr feindlich und bekämpften die Schiffsbauer die ganze Zeit. Als das neue Schiff fertig war, stiegen alle bis auf zwei Mann ein und segelten davon in ihre Heimat und kehrten nie zurück.
    Für die Leute von Vanikoro waren auf diesen Schiffen keine Menschen, sondern Geister. Sie sagen, ihnen hätte etwas an der Stirn oder der Nase vorgestanden, ungefähr einen Fuß lang (vielleicht handelt es sich um Zweispitze, die nach vorn vorstanden). Sie hätten nicht wie Menschen gegessen: Ein Stückchen, nicht größer als ein Finger, hätte ihnen genügt, und wenn sie es gegessen hatten, gingen sie wieder an die Arbeit und bauten ihr Schiff weiter.
    Rathea war oft an der Stelle, wo das Schiff gebaut worden war, und hatte große Eisenstücke dort liegen sehen, die zu schwer waren, um sie zu bewegen. Mehrere Leute wurden durch Verrat umgebracht. Die Vanikorer machte sie zu Freuden oder tihowas, lockten sie aus dem Lager und töteten sie dann.
    …
    Rathea sagte, Paiow und Wannow seien nicht zwei getrennte Inseln, wie ich angenommen hatte, sondern zwei Gebiete auf Vanikoro; von einem zum andern käme man einem Tag. Er sagte weiter, seit dem Schiffbruch seien keine weiteren Schiffe nach Vanikoro gekommen, aber die Insulaner hätten mehrere weit draußen vorbeiziehen gesehen.
    Rathea erklärte sich bereit, mich auf meiner Expedition als Lotse und Übersetzer zu begleiten, und erfreut nahm ich seine Dienste in dieser doppelten und wichtigen Funktion in Anspruch.
    …
    Es kamen folgende Artikel an Bord, gekauft von Tikopinaern, die sie von den Vanikorern eingehandelt hatten, nämlich.
* 14 flache Eisenstücke, von den Insulanern mit Steinen grob als Zimmermannswerkzeug zurechtgehauen
* Die Schneide eines Schwertes, sehr rostig und krümelig; sie sah aus, als sei sie einige Jahre unter Wasser gewesen
* Ein kleines Stück von einem Schabeeisen, jetzt ganz glatt
* Ein Latthammer europäischen Fabrikats
* Ein glatter Eisenbolzen mit Kopf
* Eine Schraube
* Ein langer Nagel
* Ein sehr altes Rasiermesser und ein Porzellanteller
* Ein Stück Kupfer mit drei Löchern
* Die Hälfte einer Messingkugel
* Vier Glöckchen oder eher Klappern aus verschiedenem Material, wie Maultiertreiber in Spanien sie benutzen
* Zwei kleine Glöckchen wie in christlichen Kirchen in Gebrauch, jede mit der Zahl 2 eingraviert oder gepunzt
* Ein silberner Degengriff mit einem großen und einem kleinen Zeichen auf einer Seite, auf der anderen ein Zeichen, ähnlich einem P mit einer Krone darüber.
    
    Als der Degengriff zum Vorschein kam, stellten Mr. Chaigneau und ich sofort fest, dass es zu dem Glockenstück gehörte, dass ich schon nach Kalkutta gebracht hatte, da die Zeichen genau übereinstimmten.
     
[Auf Vanikoro]
Frage [an einen Häuptling]: Hast Du schon jemals Weiße gesehen?
Antwort: Nein.
Frage: Hast Du die weißen Männer gesehen, die das Schiff in Paiow gebaut haben?
Antwort: Nein. Ich lebe auf dieser Seite der Insel, und wir sind dauernd im Krieg mit den Leuten von Paiow und Wannow. Der Häuptling, der das Schiff bauen ließ, trug Kleider wie du [Kapitän Dillon].
Frage: Wie gingen die Schiffe zugrunde?
Antwort: In einiger Entfernung vor der Küste liegen Riffe. Sie gerieten bei Nacht auf die Felsen; das Schiff bei Wannow ging sofort unter.
Frage: Wurde von diesem Schiff keiner gerettet?
Antwort: Die, die das Wrack verlassen konnten, landeten in Wannow und wurden von den Insulanern ungebracht. Mehrere wurden von Haien gefressen, als sie vom Wrack wegschwammen.
Frage: Wie viele Leute wurden in Wannow getötet?
Antwort: Zwei in Wannow, zwei in Amma, und noch zwei in Paiow. Das sind alle Weißen, die umgebracht worden sind.
Frage: Wenn nur sechs weiße Männer an Land getötet worden sind, wie oder woher kommen dann die sechzig Schädel in das Geisterhaus, wie es Ta Fow, der bucklige Tikopier, und andere erzählt haben?
Antwort: Das waren die Köpfe von Leuten, die die Haie gefressen hatten.
Frage: Aber würden die Haie nicht die Köpfe ebenso wie die Leiber fressen?
Antwort: Keine
Frage: Wie ging das Schiff bei Paiow unter?
Antwort: Es geriet bei Nacht auf das Riff und trieb darüber hin auf eine gute Stelle. Es brach nicht gleich auseinander, denn die Leute hatten Zeit, Sachen an Land zu bringen, mit denen sie dann ein zweimastiges Schiff bauten.  
Frage: Wie viele Monde haben sie daran gebaut?
Antwort: Viele
Frage: Wie bekamen sie etwas zu essen?
Antwort: Sie gingen immer in die Tarafelder, gruben die Wurzeln aus und pflanzten die Spitzen für eine neue Ernte ein. Nachdem sie weggesegelt waren, brachten die Insulaner ihre Felder wieder in Ordnung.
Frage: Hatten diese Leute keine Freunde unter den Insulanern?
Antwort: Nein. Es waren Schiffsgeister. Ihre Nasen streckten sich zwei Handbreit weit aus dem Gesicht vor. Ihr Häuptling sah immer auf die Sonne und die Sterne und winkte ihnen zu. Einer stand mit einer Eisenstange als Wache am Zaun; damit drehte er seinen Kopf. Er stand nur auf einem Bein.
    Ich ließ den Häuptling fragen, was aus den zwei Franzosen geworden war, die die Schiffbrüchigen auf der Insel zurückgelassen hatten, wie mir auf der vorherigen Reise auf Tikopia berichtet worden war. Nach einigem Zögern kam er mit der gleichen Geschichte heraus, wie sie schon gestern am Strand erzählt worden war: Einer sei gestorben und einer habe mit der Gruppe, in der er lebte, in Kanus die Insel verlassen, weil sie dauernd im Krieg mit einem anderen Stamm lebte und verfolgt wurde. Ich wollte keine Mühe scheuen, das Schicksal dieser beiden Männer aufzuklären und sie womöglich zu befreien.

Ich forschte nach, ob es Tukopier gäbe, die zur Zeit des Schiffbruchs auf Vanikoro gewesen seien. Ja, hieß es, es gäbe einen Mann namens Tafow, ein Buckliger, der immer noch auf Tukopia lebe. Während seines Aufenthaltes auf Vanikoro hätte er mit dem alten Häuptling gelebt, der mich am letzten Montag mit einem kurzen Besuch beehrt habe. Thamaca [ein anderer Häuptling] kam kurz nach dem Schiffbruch der Franzosen an und sah ihre verstümmelten Körper auf dem Strand umherliegen.

Ich hatte nicht viel Zeit für Nachforschungen, fragte Nero [den Häuptling des Teil der Insel, wo Dillon sich aufhielt] aber, ob er die Leute gesehen habe, die das Schiff in Paiow gebaut hätten. Er antwortete mit Nein, er ginge nicht oft auf die Seite der Insel, denn dort lebten böse Leute, die immerzu Krieg mit seinen Freuden führen würden, und die die Weißen umgebracht hätten, die an ihrer Küste schiffbrüchig geworden wären. Ich zeigte ihm die Gegenstände, die wir in Tikopia gekauft hatten und die von Vanikoro stammten, und wollte wissen, ob er so etwas besäße. Nein, antwortete er, aber er hätte Eisenstücke, die er mir morgen zeigen würde.

Gegen neun Uhr kam ein Kanu längsseits, das einen Zimmermannsschlegel und einen silbernen Saucenlöffel französischen Fabrikats mitbrachte, der vier Gravuren auf dem Griff trug. Fünf bis sieben Zentimeter des Griffes schienen abgebrochen zu sein, und der Löffel selbst war eingebeult. Die Gravur, die der Spitze am nächsten war, war ein P, die nächste eine Krone mit einer Blume darunter, die dritte schien mir eine Krone mit einer Figur daneben zu sein, die ich aber nicht erkennen konnte. Und die vierte konnte ich auch nicht erkennen. Monsieur Chaigneau entdeckte unter den Gravuren eine fleur de lis und war eindeutig der Meinung, dass Form und Machart des Löffels französisch waren.
    Kurz darauf kaufte einer meiner Offiziere aus einem Kanu heraus den Messingzirkel eines Globus, von dem etwa ein Drittel abgebrochen war. Er war schon sehr korrodiert, aber die Einteilung in Grade und Viertelgrade war noch klar zu erkennen.

In jedem Haus und jedem Kanu, das wir zu Gesicht bekamen, fand sich Eisen in irgendeiner Form. Die Wracks mussten deshalb eine große Menge diesen Metalls an Bord gehabt haben, denn trotz all dessen, was verloren gegangen war, was zum Bau der Brigg verwendet worden war und was auf andere Inseln exportiert worden war, gab es auf Vanikoro doch noch so viel, dass es für die Insulaner für die nächsten dreißig Jahre reichte, wenn sie das Wissen und die Mittel hätten, es schmieden zu können.

Da wir Wasser brauchten, landeten zwei Mann aus jedem Boot mit Wasserfässern und gingen zu dem Haus, das am nächsten lag. Einer von unserer Mannschaft lief daran vorbei und rief auf spanisch: „Hier ist eine fleur-de-lis!“ Mr. Chaigneau und ich, die ihm folgten, ließen sie uns zeigen: An der Tür des Hauses sahen wir an der Schwelle ein verwittertes Tannen- oder Kiefernbrett mit einer fleur-de-lis und anderen Ornamenten darauf. Es war wahrscheinlich ein Stück vom Heck und, wenn ganz, das französische Wappen. Es war 1,25 m lang und 35 cm breit und stand hochkant, um den Eingang zu versperren, um erstens die Schweine draußen und zweitens die Kinder drin zu halten.

Dillon, Peter
Narrative and successful result of a voyage in the South Seas …
Vol 2, London 1829
Übersetzung: U. Keller

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