Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1857 - Alfred Russel Wallace
Paradiesvögel auf den Aru-Inseln

Die ersten zwei oder drei Tage unseres Aufenthaltes waren sehr feucht, und ich erhielt nur wenige Insekten oder Vögel; aber endlich, als ich schon zu verzweifeln begann, kehrte mein Bursche Baderoon eines Tages mit einer Beute zurück, welche mir für Monate des Aufschubes und der Erwartung Entgelt verschaffte. Es war ein kleiner Vogel, etwas größer als eine Drossel. Der größere Teil seines Gefieders war intensiv zinnoberrot mit einem Glanze wie von gesponnenem Glase. Auf dem Kopfe wurden die Federn kurz und samtartig und gingen in ein prächtiges Orange über. Darunter von der Brust abwärts war er reinweiß von Seidenweiche und Glanz, und quer über der Brust trennte ein Band von tiefem metallischem Grün diese Farbe von dem Rot der Kehle. Über jedem Auge befand sich ein Fleck von demselben metallischen Grün. Der Schnabel war gelb, und die Füße und Beine, von einem schönen Kobaltblau. kontrastierten auffallend mit allen anderen Teilen des Körpers. Schon die Anordnung der Farben und die Textur des Gefieders allein stempelte diesen kleinen Vogel zu einem Edelstein vom reinsten Wasser, und doch war damit nur halb seine merkwürdige Schönheit gegeben. Von jeder Seite der Brust ausgehend und ganz unter den Flügeln verborgen befanden sich kleine Büschel von ins Graue spielenden, zwei Zoll langen Federn, und jede endete in einem breiten Bande von intensivem Smaragdgrün. Diese Federn können willkürlich von dem Vogel gehoben und in ein Paar eleganter Fächer ausgebreitet werden, wenn sich die Flügel entfalten. Aber dies ist nicht die einzige Zier. Die zwei Mittelfedern des Schwanzes sind in der Form dünner Federstrahlen fünf Zoll lang und gehen in einer schönen doppelten Biegung auseinander. Dieser Federstrahl ist oben ein halb Zoll von seinem Ende und nah an seiner Außenseite mit einem Fahnenbart versehen, der schön metallisch grün gefärbt und spiralig aufgerollt ist und auf diese Weise ein Paar eleganter, glitzernder Plättchen bildet, welche fünf Zoll herabhängen und ebensoweit nach der Seite abstehen. Diese zwei Zierate, der Brustfächer und die am Ende spiralig aufgerollten Federstrahlen des Schwanzes, sind durchaus einzig und kommen bei keiner anderen Art von den achttausend verschiedenen Vögeln, die man auf der Erde kennt, vor, und zusammen mit der höchst exquisiten Schönheit des Gefieders machen sie diesen Vogel zu dem lieblichsten aller lieblichen Naturprodukte. Mein Entzücken und meine Bewundern ergötzte meine Aru-Wirte sehr, welche in dem Buron raja weiter nichts sahen als wir in einem Rotkehlchen oder in einer Goldamsel.
   So war denn einer der Zwecke, um die ich in den fernen Osten gereist, erreicht. Ich hatte ein Exemplar des Königs-Paradiesvogels Paradisea regia (Heute wird er in der Systematik als Cincinnurus regius bezeichnet. (Bölsche)) bekommen, welcher von Linné nach von den Eingeborenen in einem verstümmelten Zustande überbrachten Bälgen beschrieben worden war. Ich wußte, wie wenige Europäer jemals den vollkommenen kleinen Organismus, auf den ich jetzt schaute, besessen und wie sehr unvollkommen er bis jetzt in Europa überhaupt bekannt war. Die Empfindungen eines Naturforschers, welcher lange gewünscht hat, das Ding in Wirklichkeit zu sehen, das er bis jetzt nur nach einer Beschreibung, nach Zeichnungen und nach schlecht erhaltenen äußeren Körperdecken kannte - speziell wenn dieses Ding von außerordentlicher Schönheit und Seltenheit ist, bedürften einer poetischen Ader, wenn sie vollkommen zum Ausdruck gelangen sollten. Die entfernte Insel, auf welcher ich mich befand, in einem fast unbesuchten Meere weitab von den Straßen der Kaufmannsflotten, die wilden, üppigen tropischen Wälder, die sich weit nach allen Seiten hin ausbreiten, die rohen, unkultivierten Wilden, welche mich anstarrten - alles das hatte seinen Einfluß auf die Empfindungen, mit denen ich auf diesen "Inbegriff von Schönheit" schaute. Ich dachte an die lange vergangenen Zeiten, während welcher die aufeinander folgenden Generationen dieses kleinen Geschöpfes ihre Entwicklung durchliefen - Jahr auf Jahr zur Welt gebracht wurden, lebten und starben, und alles in diesen dunklen düstern Wäldern, ohne daß ein intelligentes Auge ihre Lieblichkeit erspähte - eine üppige Verschwendung von Schönheit.

Wallace, Alfred Russel
In der Heimat des Orang-Utan und des Paradiesvogels
in: Neue Welten - die Eroberung der Erde in Darstellungen großer Naturforscher
herausgegeben und eingeleitet von Wilhelm Bölsche
Berlin 1917

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