Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1891-94 - W. von Hanneken
Eine Kolonie in der Wirklichkeit
Astrolabe Bay und Bismarck-Archipel, Papua-Neuguinea

   Im November 1891 hatte ich mit dem Vertreter der Neu-Guinea-Compagnie in Sumatra einen Kontrakt geschlossen, wonach ich für die Dauer von fünf Jahren als Pflanzungsaufseher im Gebiet der Compagnie engagiert war.
   Mir fiel die Aufgabe zu, die bereits bestehende Tabakpflanzung Erima in der Astrolabe Bay nach Art der Sumatrapflanzungen einzurichten und zu bewirtschaften. Ich machte zunächst in Singapur größere Materialeinkäufe und warb Arbeiter an. Da Neu-Guinea damals noch keine regelmäßige Verbindung mit der übrigen Welt hatte, wurde durch die Agenten der Compagnie ein 2.700 Tonnen großer englischer Dampfer gechartert, der den durch mich zusammengestellten Transport nach Neu-Guinea zu überführen hatte. Die Vertreter der Compagnie in Singapur gaben mir die Versicherung, dass in Neu-Guinea alles für die Unterbringung meines Transportes Notwendige vorhanden sei. Ich unterließ daher eine reichliche Anschaffung von Zelten und begnügte mich mit dem Kauf eines einzigen, welches ich nur auf Expeditionen zu verwenden gedachte.
   Nach allen Berichten, die über Neu-Guinea zur Kenntnis gekommen waren, musste ich annehmen, dass dort vollkommen geordnete Verhältnisse herrschten - soweit dies eben bei einer Kolonie, die seit etwa fünf Jahren bestand, möglich ist. Ich hatte schon zwei Mal in meinem Leben Gelegenheit, tätigen Anteil an der Eröffnung einer wilden Gegend zu nehmen und konnte mir daher wohl ein Urteil erlauben über das, was binnen fünf Jahren in dieser Beziehung geleistet werden kann.
   Mein Transport zählte vier Europäer und ungefähr 300 Chinesen, Javaner und so weiter. Lebensmittel hatte ich etwa für 1.000 Mann auf vier Monate an Bord; ferner eine Unmenge Baumaterial, Schafe, Schweine, Hühner, Enten und anders.
   Am 4. Dezember 1891 verließ ich Singapur und kam nach einer recht unangenehmen und zum Teil auch stürmischen Fahrt am 23. Dezember nachmittags im ersten Hafen des deutschen Schutzgebiets an.
   Meine europäischen Begleiter und ich hatten Jahre lang in einer holländischen Kolonie gelebt und hegten alle mehr oder weniger die Hoffnung, in unserer neuen Heimat - einer deutschen Kolonie - ein Stück Heimat wieder zu finden. Diese Illusion schwand rasch.
   Der Hafen, den wir angelaufen hatten, Friedrich-Wilhelmshafen [Astrolabe Bay], ist wohl der beste Hafen des Schutzgebietes und wird von allen Seeleuten sehr gelobt. Bei der Einfahrt zeigten sich uns am Strande einzelne, im Bau befindliche so genannte schwedische Häuser, die einer meiner Assistenten sehr treffend als »Kleiderschrank mit Fenstern« bezeichnete. Vereinzelt standen einige mit Schilf gedeckte Hütten umher, die uns später als Arbeiterwohnungen bezeichnet wurden. Eine kleine, im Hafen befindliche Insel trug ein nach Sumatraart erbautes Haus, ein Kulihospital, dem man den flüchtigen Bau recht deutlich ansah.
   Es dauerte geraume Zeit, ehe sich am Lande ein Europäer blicken ließ. Man sah wohl einige Gestalten am Ufer herumlaufen – wir lagen höchstens 50 m vom Strand entfernt –, doch ließ sich unter diesen kein Europäer erkennen. Endlich löste sich ein Boot vom Ufer, das vier Eingeborene als Ruderer und eine Person als Steuerer trug, der das Aussehen eines Cowboys hatte. Unter viel Gepolter und Gefluche kam das Boot längsseits, der saloppe Europäer entstieg ihm und stellt sich mir als Stationsvorsteher der Station Friedrich-Wilhelmshafen [in der Astrolabe Bay] vor. Es war mir meinen Kulis gegenüber, die in Sumatra gewöhnt waren, in jedem Europäer ein höheres Wesen zu sehen, recht peinlich, die Autorität der Station so repräsentiert zu sehen. Zum Unglück kam auch noch ein schon längere Zeit im Schutzgebiet anwesender Chinese an Bord, der den betreffenden Herrn als »Tuan besar«, als großen Herrn der Station, bezeichnete. Selten habe ich im Malaiischen so viele faule Witze gehört, wie sie jetzt von meinen Kulis über die deutschen Tuan besars gemacht wurden.
   Um den Gegenstand der Spottlust den Kulis zu entziehen, nahm ich meinen Kollegen in den Esssalon mit. Hier erfuhr ich denn, dass der Reichskommissar, der auch zur gleichen Zeit Generaldirektor der Compagnie war, augenblicklich im Bismarck-Archipel weilte und dass sein Vertreter in Stephansort stationiert sei.
   Da Stephansort vor Dunkelwerden nicht mehr erreicht werden konnte, verabredete ich mit dem Kapitän, bis zum nächsten Morgen in Hafen zu bleiben.
   Da wir alle nach der langen Seereise das Bedürfnis fühlten, uns an Land etwas die Beine zu vertreten, so bestiegen wir das Stationsboot und fuhren in Gemeinschaft des Stationsvorstehers an Land. Was sich hier unseren Augen bot, war mehr als schlimm. Hart an der Landungsstelle befand sich das so genannte Kohlenlager – doch schien dasselbe auch als Lagerplatz für alle möglichen Geräte gebraucht zu werden. Zwischen den Kohlen sah man Möbel, Konservenbüchsen, Feldmessinstrumente, chirurgische Instrumente, Feld- und Gartengerätschaften, Maschinenteile, usw., usw.
   Die schon genannten Arbeiterwohnungen verdienten eher den Namen Schweinestall. Der geringste Papua hätte sich eine bessere Hütte gebaut, als sie hier unter Leitung von so und so vielen Europäern aufgeführt wurden.
   Aus dem Innern der Hütten erscholl uns Gekrächze und Gestöhn entgegen. Auf Befragen hieß es, die Influenza herrsche im Lande und fast alle Arbeiter und Europäer seien daran erkrankt.
   Die Krankheit forderte sehr viele Opfer; eines sollte ich auch bald zu Gesicht bekommen.
   Ich war damals schon neun Jahre in Ostasien und hatte so manches erlebt, was sonst ein Europäer – bleibt er in seiner Heimat –  nicht leicht zu Gesicht bekommt. Ich war gegen rohe Gebräuche der unzivilisierten Völker ziemlich abgehärtet. Dennoch war ich betroffen über die Rohheit, mit der hier der Leichentransport vonstatten ging. Die Hände und Füße der Leiche waren einfach zusammengebunden und ein dicker Stock durch Arme und Beine gesteckt, der als Handhabe diente [das war das bei den Einheimischen übliche Verfahren zum Transport von Leichen oder Gefangenen].
   So wurden die Leichen fortgeschafft unter den Augen der Europäer von Leuten, die als Arbeiter in deutschen Diensten standen. Ich habe diese scheußliche Sitte später noch öfter auf anderen Stationen beobachten können.
   Doch nun zu den Lebenden. Das einzige von Stationsbeamten bewohnte Haus, das drei oder vier Zimmer enthielt, beherbergte wohl sieben Europäer. Die meisten Hausbewohner waren an Influenza erkrankt. Von einem einigermaßen geordneten Hauswesen konnte selbst ich, der ich seit langem schon an ein Nomadenleben gewöhnt war, nichts entdecken. Kein gemachtes Bett im Hause. Die Lagerstellen dienten offenbar allen möglichen Zwecken, als Kleiderschrank, Bücherregal u. s. w. Ein Besen war anscheinend ein unbekanntes Ding in diesem Haus. Durch eine üble Gewohnheit eines der Hausbewohner war der Fußboden an mehreren Stellen verschmutzt; der Schmutz war nicht entfernt worden. Einer der Hausinsassen musste mal den Versuch gemacht haben, seinen Kollegen Reinlichkeit beizubringen, denn er ließ eine Badezelle bauen, doch wurde diese zur Unterbringung der Haushälterinnen benutzt.
   Mit Lebensmitteln sah es auch sehr traurig aus. Einige von mir abgegebene Konserven und Weine wurden mit wahrer Inbrunst entgegengenommen.
   Auf der Station befand sich noch ein mit Schilf gedeckter Schuppen, der zur Aufnahme des im August gekommenen ersten Transportes, ähnlich zusammengestellt wie der meine, diente. Ein kleines, aus Waldholz gebautes, aber recht gemütliches Hüttchen diente den mit dem ersten Transport gekommenen Europäern als Wohnung. Obwohl es nur ein flüchtig gezimmertes Hüttchen war, kaum ein Viertel so groß wie das oben erwähnte Haus, und von drei Europäern bewohnt wurde, war es doch wohnlicher als das Stationshaus. Die Hüttenbewohner waren ehemalige Sumatrapflanzer, die auch aus wenigem etwas zu machen verstanden. Hier verbrachten wir einige recht angenehme Stunden. Einer der in diesem Häuschen unterbrachten Sumatrapflanzer, der einzige, der gerade in der ganzen Gegend anwesend war, kam nämlich gegen Abend von der Arbeit im Walde zurück und war hoch erfreut, alte Sumatrabekannte, wieder einmal Menschen, wie er sich ausdrückte, zu sehen. Natürlich war er der vernünftigen Tropenkleidung treu geblieben und war nicht als Cowboy maskiert. Trotz der räumlichen Beschränktheit fand man bei ihm eine Badekammer mit wirklicher Badeeinrichtung, von der wir der Reihe nach Gebrauch machten. Ich erwähne diese Badekammer nicht nur, weil sie uns nach langer Seereise wieder ein erfrischenden Süßwasserbad gewährte, sondern auch, weil sie neben der im Hause des Reichskommissars befindlichen die einzige auf dem Festland von Neu-Guinea war, die wenigstens ihrem Zweck entsprechend benutzt wurde.
   Die übrigen Stunden bis zum Schlafengehen verbrachten wir gemeinsam mit unserem Sumatrafreund an Bord.
   Am kommenden Morgen lichteten wir den Anker, um unsere Reise nach Stephansort fortzusetzen. Beim Verlassen des Hafens bot sich unseren Augen ein prachtvolles Bild. Die ganze Astrolabe-Bay lag in ihrer mächtigen Ausdehnung und reizvollen Schönheit vor uns. Das Schlimme, was uns der vorige Tag von Neu-Guinea gezeigt hatte, war bei diesem Anblick vergessen.
   Selbst die sonst gegen Naturschönheit recht stumpfen Kulis bequemten sich zu einem »Ah-bakus skali (sehr schön)«. Das seit gestern schon sehr gesunkene Gefühl des Stolzes, an der Kultivierung dieser deutschen Kolonie teilnehmen zu dürfen, hob sich wieder.
   Die offene Reede von Stephansort [auch in der Astrolabe Bay] war erreicht. Auch hier sah man an Land, halb durch Buschwerk versteckt, die Kleiderschränke mit Fenstern. Bald kam eine flott geruderte Gig längsseits, die den Reichskommissar, den Postbeamten und Polizeiunteroffizier brachte. Glücklicherweise war der Reichskommissar nicht nach dem Bismarck-Archipel gefahren, sondern hatte einen Vertreter dorthin gesandt.
   Es war Weihnachtsmorgen, wir hatten die Weihnachtsgeschenke an Bord, auch war seit zirka acht Wochen kein Schiff von außerhalb mehr eingelaufen, ferner war der Kuliproviant sehr zusammengeschmolzen – alles gewichtige Gründe, um uns freudig zu begrüßen.
   Bald hatte sich im Salon eine Tafelrunde gebildet und Frage und Gegenfrage wurde ausgetauscht. Auf Deck wurde durch Segeltuch ein Raum abgegrenzt und dort das kaiserliche Postbüro eingerichtet, da an Land kein passendes Areal vorhanden war – recht bezeichnend für eine seit fünf Jahren bestehende Kolonie.
   Wohl mit Rücksicht auf den Reichskommissar hatten sich die an Bord Kommenden etwas anständiger gekleidet, auch die Beamten von Friedrich-Wilhelmshafen – doch konnte ein geübtes Auge sehen, dass den meisten Trägern eines Tropenanzuges diese Kleidung ungewohnt war. Wie ich mich später überzeugte, hatten viele Beamte nur einen weißen Anzug, den sie nur bei besonderen Gelegenheiten trugen; sonst wandelten sie in allen möglichen und unmöglichen Kostümen einher.
   Da das Wetter für die damalige Jahreszeit sehr gut, und vor allem die Brandung, die an der Küste von Neu-Guinea sehr stark ist, fast geschwunden war, dampften wir nach der Reede von Erima weiter, die wir nach einer halben Stunde erreichten.
   Am Strand erhob sich ein den Sumatrapflanzerhäusern ähnliches Gebäude und daneben fünf oder sechs Hütten in der Art der Arbeiterhäuser von Friedrich-Wilhelmshafen. Das Gebäude diente drei Europäern als Wohnung, die Hütten sollten 200 Melanesier fassen.
   Der Reichskommissar, der von Stephansort mitgekommen war, ging, während meine Assistenten die Vorbereitungen zum Löschen trafen, mit mir an Land, um sich dem dortigen Personal als Vorgesetzten vorzustellen und die Pflanzung zu zeigen.
   Im Europäerhaus fand ich fast genau dieselben Zustände wir in Friedrich-Wilhelmshafen. Wo man hinsah, starrte einem Schmutz entgegen. Im Haus lagen die schwarzen Diener mit brennender Pfeife im Mund herum, räkelten sich auf den Stühlen, legten sich im Zimmer ihres Herrn zum Schlafen nieder und dergleichen mehr. Kurz, eine liederliche Wirtschaft.
   Das mir als Store bezeichnete Gebäude enthielt wenige Säcke halb verdorbenen Reis, einige stark angerostete Konservenbüchsen und ein Häufchen Trade-Waren [Handelswaren für die Einheimischen] (Perlen, Lendentücher, Pfeifen, Tabak usw.). Unter dem Wohnhaus, wo sich der Geräteschuppen befand, lagen zwischen Feldgeräten Mausergewehre, Revolver und alle mögliche umher. Später entdeckte ich, dass die Schusswaffen geladen und, wie ich erfuhr, schon seit mehreren Monaten in diesem Zustand da lagen.
   Die Arbeiterhütten waren älter und deshalb noch schlechter als die in Friedrich-Wilhelmshafen. Etwas weiter nach dem Inneren zu fand sich an einem Sumpftümpel ein auf mehreren Pfählen ruhendes Schilfdach, das als Hospital bezeichnet wurde. Wände konnte ich an dem Hause nicht entdecken. Nach viertelstündigem Gehen landeinwärts erreichten wir die eigentliche Pflanzung. Der Tabak war bereits abgeerntet, die früheren Tabakfelder trugen einige kümmerliche Reishalme. Als Aussaat war der so genannte Savareis, der nur auf sumpfigem Terrain gedeiht, benutzt worden, der hier natürlich nicht fortkommen konnte. An Gebäuden waren vorhanden: Eine Fermentierscheune, zwei Trockenscheunen, ein winziges Malaien-Arbeiterhaus und zwei chinesische Kulihäuser. Das Malaienhaus konnte höchstens zehn Mann beherbergen, während die zwei chinesischen Kulihäuser zusammen dreißig Mann fassen konnten. Sämtliche Gebäude waren in äußerst baufälligem Zustand. Das Malaienhaus und eine Trockenscheune fielen schon in den ersten Tagen meines Dortseins um. Da die Fermentierscheune noch nicht fertig war, war der Tabak in einer der Trockenscheunen untergebracht, das heißt auf Haufen geworfen; von einem regelrechten Stapeln war keine Rede. In derselben Scheune wohnten etwa 30 Javaner mit ihren Frauen. Auch diese Leute lagen meist krank danieder und waren durch viele Entbehrungen sehr herunter gekommen. Nach Aussage der Leute hatten sie, so lange sie auf Neu-Guinea waren (circa 1 3/4 Jahr) niemals ihre von Java her gewohnte Kost bekommen; sie freuten sich daher kindlich, als ich ihnen erzählte, dass ich alles mit gebrächt hätte, was zur Bereitung ihrer heimatlichen Gerichte notwendig wäre. In den übrigen Scheunen hatten sich verschiedenen Melanesier auf eigene Faust einquartiert, da die am Strande für sie bestimmten Arbeiterhütten zu schlecht und zu klein waren.
   Sehr wenig erbaut von dem Gesehenen begab ich mich an Bord zurück. Auch hier empfingen mich nur ungünstige Nachrichten. Kurz vor meiner Abreise von Singapur gelangte ich - mehr zufällig als absichtlich - in den Besitz zweier chinesischer Sampans (Boote). Diese sollten meine Helfer in der Not werden. Bei sämtlichen Stationen in der Astrolabe Bay befand sich kein Boot, das den Anforderungen eines Ladebootes entsprach. Sämtliche vorhandenen Ruderboote waren undicht. Einige Boote lagen am Strand und wohl schon lange Zeit, denn sie waren vollkommen von Schlinggewächsen überwuchert und so morsch, dass man mit einem Stück Holz ohne viel Mühe hindurch stechen konnte. Es blieb mir unter diesen Umständen nichts anderes übrig, als das Löschen mit den beiden chinesischen Booten zu bewerkstelligen. Hätte ich diese Boote nicht mitgebracht, so wäre an ein Löschen der Ladung in Erima gar nicht zu denken gewesen. Das Schiff hätte in Friedrich-Wilhelmshafen entladen werden müssen, von woher dann die Ladung wieder in kleinen Fahrzeugen nach Erima zu transportieren gewesen wäre. Die Sache hätte somit Tausende von Mark kosten können.
   Um das Leben an Bord möglichst abzukürzen, bezog ich noch am selben Abend (Weihnachtsabend) mit einem meiner Assistenten und dem größten Teil der Kulis die vorerwähnte Fermentierscheune. Kaum waren wir unter Dach, da öffnete der Himmel seine Schleusen und schickte uns einen tüchtigen Regenguss, der die ganze Nacht anhielt.
   Die kommenden sechs Tage verstrichen mit Löschen des Dampfers. Leider regnete es währen dieser Zeit fast beständig, was umso unangenehmer war, da fast gar keine Räumlichkeiten vorhanden waren, die das mitgebrachte Material aufnehmen konnten. Reis, Salz, Petroleum etc. mussten am freien Meeresstrand niedergelegt werden.
   In der Fermentierscheune hatte sich inzwischen ein merkwürdiges Bild gestaltet. Der Raum (60 m lang und 15 Meter breit) barg 3 Europäer, 150 Inder, 50 Chinesen, 2 Pferde, mehrere hundert Stück Geflügel, 20 Schweine, 20 Schafe, Hunde usw. Da gleich am ersten Tag eine Menge schriftlicher Arbeiten an mich herantraten, musste die Einrichtung eines Büros bedacht werden. Auch dieses fand seinen Platz in der bewussten Scheune.
   Wie schon gesagt, musste ich auch meinen ganzen Viehbestand in der Scheune unterbringen, denn auf der Station war kein einziger Stall vorhanden. Schweine und Pferde liefen bis dahin frei im Walde herum. Die in aller Eile aufgeführten Schweineställe widerstanden der Kraft ihrer Insassen nicht immer und so geschah es oft, dass einige Borstentiere ausbrachen. Um der abscheulichen Hitze zu entgehen, suchten sie natürlich die kühlsten Plätze auf. Besonders hielten sie den Raum unter den Betten für einen sehr geeigneten Ruheplatz. Ein Schwein hatte es sich unter meinem Pult bequem gemacht und ließ sich durch keine Gewalt von diesem Platz entfernen. Dem Sprichwort eingedenk »der Klügere gibt nach« benutzte ich das Tierchen dann öfters als Fußbank. Ich habe oft in späteren Zeiten an dieses Schwein zurückdenken müssen, wenn ich bei einer Temperatur von 30° ellenlange Berichte für den Berliner grünen Tisch verfassen musste. Das Tier zeigte eine Missachtung des überflüssigen bürokratischen Schreibwesens, wie man sie von einem unvernünftigen Tier kaum erwarten sollte.
   Es folgten schwere, sehr schwere Zeiten. Unter den Arbeitern herrschte, wie schon erwähnt, die Influenza. Besonders wurden die melanesischen Arbeiter von der Krankheit überwältigt. Es war ordentlich erschreckend zu beobachten, wie rasch oft die kräftigsten Arbeiter von der Influenza dahingerafft wurden. Sowie der Mann einen für einen Dritten kaum sichtbare Krankheit in sich fühlte, überkam ihn eine Mutlosigkeit, wie ich sie bei den sonst so tüchtigen, kriegerischen Männern nie erwartet hätte. Ein Kranker, dem ich ein Glas Rotwein eingeflößt hatte, schüttelte den Kopf und sagte mir: »Herr, ich hab’s getrunken, weil Sie es mir geben, aber helfen tut es doch nicht – morgen bin ich tot!« Und der arme Kerl hatte nur zu Recht, er starb am folgenden Tage. Ein gut Teil der Mutlosigkeit mag auch daher gekommen sein, dass keine geeigneten Hospitaleinrichtungen vorhanden waren. Der Kranke merkte nicht, dass man sich um ihn bekümmerte. Weder auf der Hauptstation Stephansort noch sonst in der Umgegend befand sich ein Hospital, das auch nur annähernd diesen Namen verdient hätte. Unvergesslich wird mir ein Besuch im Hospital von Stephansort sein. Arbeiterwohnungen und Hospital waren ein Gebäude, und zwar lagen meist die armen Kranken, die zu schwach waren, die Hühnerleiter zum eigentlichen Wohnraum zu erklimmen, einfach unter dem Haus auf der blanken Erde (die Häuser sind Pfahlbauten mit 2,5 m hohen Pfählen). Schweine, die auch hier frei herumliefen, hatten sich oft neben den Kanaken häuslich niedergelassen. Oft konnte man unter den vermeintlich Kranken auch Tote finden, die schon vor geraumer Zeit gestorben waren. Es passierte auch nicht selten, dass Schwerkranke sich unter einem Haufen Schilf, Laub oder ähnlichem verkrochen und dort ihr Ende erwarteten. Ich selbst fand eine solche Leiche.
   Auch die Hospitaleinrichtungen für Europäer hatte ich Gelegenheit kennen zu lernen.
   Zwei Schwestern des deutschen Frauenvereins waren mit der Pflege der Erkrankten betraut. So großartig aufopfernd das Bestreben der Schwestern war, den Kranken alle nur erdenkliche Fürsorge angedeihen zu lassen, so ungenügend waren die Mittel, um den Kranken das gewähren zu können, dessen sie bedurften.
   Das so genannte Hospital war ein kleine Bude (6 x 7,5 m), mit Wellblech gedeckt. Sie hatte eine schmale Vorder- und Hinterveranda und zwei Zimmer. Das eine Zimmer diente als Krankenzimmer und das andere war das Wohn- Ess- und Schlafzimmer der Schwestern. Man muss selbst gesehen haben, wie in diesem engen Raum zwei Kranke, zwei Schwestern, ein Doktor und ein Heilgehilfe hausten, um sich von diesem Zustand ein richtiges Bild machen zu können. Passierte es nun doch, dass einer der Patienten gestorben war, so blieb die Leiche bis zu Beerdigung in demselben Haus bei den Bewohnern liegen.
   All das Gesehene und manches mehr brachte mich zu dem Entschluss, auf meiner Station die inzwischen begonnenen Feldarbeiten vorläufig aufzugeben und an die Errichtung eines Hospitals, guter Arbeiterwohnungen und die Anlage eines großes Gemüsegartens zu gehen. Nach kaum zweimonatiger Tätigkeit standen ein gut gebautes Europäerhaus, mehrere Arbeiterhäuser und ein Hospital da. Der Gemüsebestand war derart, dass jeden Tag genügend frisches Gemüse für die Bewohner der Station vorhanden war. Auch hatte sich inzwischen der von mir aus Singapur mitgebrachte chinesische Kaufmann auf der Station etabliert, bei dem Inder und Chinesen all die kleinen Sächelchen kaufen konnten, ohne die sie nun einmal nicht bestehen können. Auch der Europäer fand manches, wie Bier, Konserven und dergleichen, was für ihn nützlich und angenehm war.
   Es dauerte auch gar nicht lange, so pilgerten an Ruhetagen die Bewohner der Nachbarstationen auf meine Station und kauften tüchtig ein. Selbst meine europäischen Nachbarn kauften gern auf Erima, da sie dort die Sachen oft viel besser und billiger erhielten als in den Läden der Neu-Guinea-Compagnie. Auch zu den Eingeborenen war der Ruf des großen Kaufladens auf Erima gedrungen, und so gab mir dies bald gute Gelegenheit, mit den Leuten Freundschaft zu schließen, die aber leider nur von kurzer Dauer war.
   Da ich gerade die Läden der Neu-Guinea-Compagnie erwähnte, möchte ich noch einiges Nähere über diese Einrichtung sagen.
   Ursprünglich wurden diese Läden wohl in der wirklich guten Absicht errichtet, den Angestellten den Kauf diverser Bedürfnisse zu erleichtern. Auf ganz Deutsch-Neu-Guinea existierte nämlich bei der Eröffnung des neuen Landes kein derartiges Geschäft, wie überhaupt kein Geschäft. Mit der Zeit knüpfte aber Neu-Guinea mehr Beziehungen zum Ausland an, und so kam es auch, dass besonders von Singapur aus mancher Europäer und Chinese daran dachte, ein den Läden der Neu-Guinea-Compagnie ähnliches Geschäft zu gründen, doch wurden diese unternehmenden Leute immer rasch durch die oft horrenden Anforderungen der Neu-Guinea-Compagnie abgeschreckt. Nur auf den Pflanzungen der Astrolabe-Compagnie wurden chinesische Kaufläden zugelassen. Die früher wirklich nützliche Einrichtung der Compagnie ist jetzt direkt zum Schaden des Landes geworden, und auch zum Schaden der Angestellten der Neu-Guinea-Compagnie selbst. Man kann getrost behaupten, dass der Angestellte wenigstens 75 Prozent seines Gehaltes in den Läden der Compagnie lässt. Ich kenne viele, die ihr Gehalt fast nie aufnehmen, sondern es mit betrübtem Herzen gleich auf das Konto des Ladens überschreiben lassen. Eine Vorschrift der Compagnie zwingt den Beamten, geistige Getränke nur von der Compagnie zu kaufen. Diese Getränke sind aber meist nicht so gut und preiswert wie die, die dank der regelmäßigen achtwöchentlichen Postverbindung von Singapur bezogen werden können. Mit den Konserven steht es ähnlich. Eine ganz merkwürdige Bestimmung gilt andererseits für den Verkauf von Trade-Waren. Der Handel mit den Einheimischen besteht im Tauschgeschäft. Besonders spielt der australische und amerikanische Stangentabak hierbei eine Hauptrolle. Alle Lebensmittel wie Hühner, einheimische Früchte etc. werden meist mit Tabak bezahlt.
   Will nun ein Beamter z.B. als Handelsartikel Tabak kaufen, so heißt es im Laden, der Buchungspreis des Tabaks ist per Pfund 1,60 Mark, da Du aber das Glück hast, unser Angestellter zu sein, so bezahlst Du 50 Prozent mehr, das heißt 2,40 Mark.
   Dass von Fremden ein erhöhter Preis gefordert wird, dagegen ist vom kaufmännischen Standpunkt wenig zu sagen; dass aber von den eigenen Angestellten eine größere Bezahlung verlangt wird, entspricht wohl kaum der Billigkeit. Der Beamte, dessen Gehalt wahrlich nicht zu hoch bemessen ist, muss genug an die Compagnie zurück geben in Form von Steuern, Zöllen und ähnlichem; man sollte ihm nicht auf solche Weise den sauer verdienten Lohn noch mehr schmälern.
   So viel über das, was ich in den ersten Wochen meines dreijährigen Aufenthaltes in Neu-Guinea erlebt habe.
   Ich will nunmehr versuchen, ein Bild des Schutzgebiets zu entwerfen, wie es sich in den nächsten Jahren entwickelte.
   Die nach und nach entstandenen Tabakpflanzungen Yomba, Maraga, Erima und Stephansort gingen bald an die Astrolabe-Compagnie über, ein Zweigunternehmen der Neu-Guinea-Compagnie, die unter dem gleichen Direktorat steht. Ich blieb auf Erima.
   Für das erste Erntejahr kamen nur Yomba und Stephansort in Betracht, denn Erima (wie schon früher geschildert) und Maraga mussten des schlechten Gesundheitszustandes halber aufs Pflanzen verzichten. Yomba pflanzte mit circa 60 Feldern und Stephansort mit deren 80. Die Bewohner des Schilfhüttchens in Friedrich-Wilhelmshafen waren inzwischen nach Yomba übergesiedelt, wo zwei sehr gute Europäerwohnungen, Kuliwohnungen usw. entstanden waren. Eine zirka 5 Kilometer lange Straße verband die Pflanzung mit Friedrich-Wilhelmshafen.
   In Maraga sah es weniger angenehm aus. Diese Station war von Beginn an unser Unglückskind. Das Erima am Strande verschwand und hatte seinen Platz weiter im Innern gefunden. Mehrere angenehme Wohnungen boten Europäern wie Arbeitern eine gute Unterkunft. Auch in Stephansort wurden Anstalten getroffen, um die Pflanzung allmählich von der Küste nach dem Innern zu verlegen. Erima und Stephansort verband ein bequemer Fahrweg. Es entstand ein tüchtiger Wettstreit unter den Pflanzern. Jeder war bestrebt, möglichst bald seine Pflanzung so zu gestalten, wie er es von Sumatra her gewohnt war. Nette Gartenanlagen waren trotz des Verbots der Compagnie entstanden. Für gute Beköstigung der Arbeiter wurde nach Möglichkeit gesorgt. Die Hospitaleinrichtungen besserten sich ebenfalls, doch leider forderte das Klima immer noch viele Opfer. Wenn auch die trockenen Monate weniger ungesund waren, die feuchten (Dezember bis März) waren es desto mehr. Trotz dieses ungünstigen Gesundheitszustandes konnte man aber doch die Wahrnehmung machen, dass ein freudiger Schaffensdrang in dem Ganzen steckte. Ich für meine Person kann mir getrost sagen, das ich noch nie in meinem Leben so voller Lust und Liebe gearbeitet habe wie damals, und ich glaube, dass es meinen Kollegen ebenso ging.
   Das dauerte aber gar nicht lange.
   Will ich ehrlich sein, so muss ich allerdings bekennen, dass wir uns damals sehr wenig um gewisse Vorschriften der Compagnie kümmerten. Wir waren von Sumatra her gewohnt, in der praktischen Plantagenbewirtschaftung fast ganz selbstständig zu sein, und da verliert man leicht den Respekt vor bürokratischer Pedanterie.
   Schon von Afrika her waren zu uns nach Sumatra Klagelieder über den »grünen Tisch« gedrungen.
   Jetzt sollten wir dies Ungeheuer durch persönliche Erfahrung kennen lernen.
   Ganze Tage musste ich im Büro zubringen, obwohl meine Anwesenheit in der Pflanzung sehr notwendig war. Über das Kassenwesen wurden von der Berliner Direktion lange Episteln verfasst. An Stelle unserer drei bis vier Geschäftsbücher traten eine unglaubliche Menge Formulare und dergleichen mehr. Adieu, fröhliches Schaffen in Gottes freier Natur, nun hieß es, Federfuchser zu werden. Wie oft habe ich den Berliner Herren des Büros gewünscht, sie möchten doch mal ein Jahr lang dort draußen bei einer Hitze von 30° und mehr dieselben Arbeiten verrichten, die sie uns aufbürdeten. Einer dieser Herren machte allerdings mal den Versuch, das Leben in den Tropen kennen zu lernen, aber nach acht Wochen, von denen er nur einige Tage Dienst getan, reiste er nach Europa zurück.
   Während wir früher mit Ungeduld den alle acht Wochen fälligen Postdampfer erwarteten, sahen wir diesem Ereignis jetzt mit einem gewissen Grauen entgegen, wussten wir doch, dass er nichts als Unangenehmes brachte. Viele Beamte der beiden Compagnien hatten während der so genannten Posttage (5-10 Tage) kaum so viel Zeit, ihre Privatkorrespondenz durchzusehen, geschweige denn zu beantworten. In meiner späteren Stellung als Stationsvorsteher der Neu-Guinea-Compagnie machte ich mir mal den Spaß und wog die von mir erledigte Post, die binnen vier Tagen von mir bearbeitet worden war, und kam auf das nette Sümmchen von 6 ½ Kilo Papier.
   Schließlich zeigten sich auch an meinem Körper die bösen Einflüsse des Klimas und die endliche Folge davon war, dass ich im November 1893 den Dienst der Compagnie verließ und Europa, das ich seit 11 Jahren nicht mehr gesehen hatte, aufsuchte.
   Wie es den meisten sonst gesunden Naturen oft ergeht, so erholte auch ich mich bald und konnte schon nach achtwöchigem Aufenthalt in Europa wiederum die Reise nach Neu-Guinea antreten. Mir war die Stellung eines Stationsvorstehers der Station Herbertshöhe [Kokopo] im Bismarck-Archipel eingeräumt. Während der kurzen Dauer meiner Abwesenheit hatte sich einiges geändert.
   Die Pflanzung Yomba, die allerdings auf wenig günstigem Terrain stand, war nach dreijährigem Bestehen aufgegeben worden. Maraga war schon als Tabakpflanzung längere Zeit geschlossen. Erima sollte das Schicksal von Yomba und Maraga teilen und nur Stephansort weiter pflanzen. Auch an eine Schließung Konstantinhafens wurde gedacht.
   Im Mai 1894 traf ich auf der mir überwiesenen Station Herbertshöhe in Neu-Pommern ein. Herbertshöhe ist die einzige Niederlassung der Neu-Guinea-Compagnie im Bismarck-Archipel und demnach Sitz der Verwaltung mit Einschluss des kaiserlichen Gerichtes erster Instanz.
   Auch hier sah es ähnlich aus, wie bei meiner ersten Ankunft auf den Stationen in Neu-Guinea. Insbesondere die Häuser waren in äußerst baufälligem Zustand. Die zur Station gehörige Baumwoll- und Kokos-Pflanzung bot dagegen ein erfreuliches Bild.
   Etwa 200 Hektar Land waren mit Baumwolle und Kokospflanzen bestellt. Der Ertrag der 1893er Baumwollernte betrug circa 60 Ballen zu je 400 Pfund. Die Kokosanpflanzung stand sehr gut und verspricht in späteren Jahren – die Pflanze trägt erst im 6. oder 7. Jahr) ein gutes Resultat.
   Einen großen Vorteil hat die Baumwollkultur vor anderen voraus, nämlich, dass man in ihr jeden Arbeiter, auch den ungeübtesten, verwenden kann.
   Wie rentabel ein solches Unternehmen werden kann, sollte ich bald bei meinen Nachbarn sehen. Gegen Norden grenzte unmittelbar an Herbertshöhe die Pflanzung Ralum der unter dem Namen Königin Emma wohl manchem Leser bekannten Frau Kolbe, verwitwete Forsayth. Diese Dame begann ihr Plantagenunternehmen schon lange bevor man deutscherseits daran dachte, dort im Lande Fuß zu fassen. Es ist bewunderungswürdig, mit welcher Energie und Umsicht hier die Wirtschaft betrieben wird. Ordentlich wohltuend für mein Pflanzerherz war die Beobachtung des Unternehmungsgeistes, der, wo man auch hinsah, zu Tage trat. Wenn ich mich recht entsinne, sind jetzt circa 1.000 Hektar mit Bauwolle und Kokos bepflanzt. Nebenbei kauft die Firma noch von den Eingeborenen allerlei Produkte wie Kopra, Trepang, Schildpatt und vieles mehr. Wie gern die Eingeborenen mit dieser Firma in Handelsbeziehung treten, zeigte mir ein Bild vor dem Haus der verheirateten Schwester der Firmeninhaberin, einer Frau Parkinson. Wohl hundert Frauen hatten sich vor dem Haus mit ihren mitgebrachten Produkten niedergelassen und warteten geduldig, bis die weiße Herren erschien, um ihnen ihre Last gegen Tabakstückchen oder bunte Tücher abzunehmen. Kein Feilschen, nichts von anwidernden Marktszenen war zu beobachten. Mit wahrer Ehrfurcht richteten die dunklen Frauen ihre Augen auf die Käuferin. Fast jede wurde von Frau Parkinson, die der Sprache vollkommen mächtig ist, einer Ansprache gewürdigt. Hier lobte sie, dort tadelte sie in strengem Ton. Die Unterhaltung drehte sich nicht nur um Kauf und Verkauf, nein auch andere Angelegenheiten wurden besprochen. Der Rat und die Hilfe der weißen Frau wurden vielfältig angerufen.
   Hier, ihr Herren vom grünen Tisch, könnt ihr Kolonisation lernen! Was wird hier geleistet und mit welch geringem Apparat! Die Firma beschäftigt ungefähr acht Europäer oder Samoahalbblut und etwa 800 Eingeborene; ferner lässt sie drei Schoner mit je einem europäischen Kapitän von 10 bis 20 Mann fahren. Die Angestellten verteilen sich auf die Pflanzung Ralum und fünf oder sechs Handelsstationen auf den verschiedenen Inseln. Wer macht aber die bei jedem kaufmännischen Unternehmen notwenigen schriftlichen Arbeiten? Eine einzige Person, die Frau Kolbe, alle anderen versehen den so genannten Außendienst.
   Wie ganz anders sah es dagegen auf den Stationen der Neu-Guinea und der Astrolabe-Compagnie aus. Herbertshöhe zählt bei einem Drittel Terrainumfang circa 8 Europäer und 250 Arbeiter; außerdem noch 1 Richter und 24 Polizisten. Stephansort beschäftigt bei 600 Arbeitern einige 20 Europäer. In Friedrich-Wilhelmshafen, wo gar nicht gepflanzt wird, sind wohl acht Europäer zu finden. Man geht nicht sehr fehl, wenn man behauptet, dass von 60 Angestellten der Neu-Guinea- respektive Astrolabe-Compagnie 50 im inneren Verwaltungsdienst der Kompagnien beschäftigt werden.
   Bald hatte ich auch Gelegenheit, rein kaufmännische Unternehmungen im Archipel kennen zu lernen. Es gibt deren zwei, welche beide ebenso wie die Firma Forsayth schon lange Jahre vor der deutschen Besitzergreifung im Lande ansässig waren. In erster Linie ist die Firma Hernsheim & Co. zu nennen, die ihre Faktorei auf der Insel Matupi [Duke of York Inseln] aufgeschlagen hat. Auch diese Firma hat auf den verschiedenen Inseln des Archipels so genannte Handelsstationen, die von Europäern, Chinesen oder Manila-Leuten bewirtschaftet werden. Die Haupthandelsartikel bilden auch hier Kopra, Trepang, Schildpatt. Ferner unterhält sie ein so genanntes Marinedepot, wo Kriegs- und Handelsschiffe Kohlen beziehen und sonstige Bedürfnisse decken können.
   Auf einer anderen Insel, Mioko [ebenfalls in der Duke of York Gruppe], befindet sich eine Zweigniederlassung der deutschen Handels- und Plantagengesellschaft der Südsee (Hamburger Jaluit-Gesellschaft), die in ähnlicher Weise wie die Firma Hernsheim Handel treibt und nebenbei die Arbeiteranwerbung für ihre auf Samoa liegenden Plantagen besorgt. Als letzter selbstständiger Handeltreibender wäre noch der Belgier O. Mouton zu nennen, der mein Nachbar gegen Süden war. Der Herr ist das einzige im Lande noch anwesende Mitglied der Expedition des Marquis de Ray [eine fehlgeschlagene französische Siedlungsunternehmung]. Als 13jähriger Junge begleitete er seinen Vater auf diesem abenteuerlichen Zuge und ist seitdem im Archipel geblieben. Eine wenn auch kleine, doch gut bestellte Baumwoll- und Kokospflanzung verschafft ihm ein gutes Auskommen.
   Da ich gerade bei der Aufzählung der verschiedenen Handelsunternehmungen bin, so möchte ich auch die Wesleyanische Missionsgesellschaft nicht unerwähnt lassen, denn dieses Institut treibt besonders den Koprahandel ebenfalls in rein kaufmännischer Weise.
   Während alle vorgenannten Handelsfirmen aber verhältnismäßig hohe Abgaben in Gestalt von Steuern, Zöllen und Lizenzen an die Neu-Guinea-Compagnie zahlen müssen, ist die Missionsgesellschaft von solchen Abgaben befreit. Obwohl hierüber schon oft bittere Klage geführt wurde, war bis zur Zeit meines Weggangs noch kein Wandel geschaffen.
   So viele Erfolge diese Mission auf dem Gebiet des Handels auch zu verzeichnen hat, so wenig Erfolge vermag sie im eigentlichen Missionswesen aufzuweisen. Die wenigen so genannten protestantischen Christen spielen in den Gerichtsverhandlungen über Streitigkeiten unter den Eingeborenen nicht immer die beste Rolle. Entschieden besser sieht es im Gebiet der katholischen Mission aus. Auch der größte Feind des gesamten Missionswesens wird hier manches finden, was ihm der Anerkennung wert erscheint.
   Während meines langen Aufenthaltes in Ostasien bin ich mit Missionaren der verschiedensten Konfessionen vielfach zusammengekommen und immer musste ich die für mich als Protestant nicht angenehme Beobachtung machen, dass die Wirksamkeit der katholischen Missionare eine erfolgreichere ist als die der anderen Bekenntnisse. Der Hauptgrund liegt wohl in der Wahl des Personals. Das katholische Missionspersonal setzt sich meistens aus wirklich gebildeten Geistlichen zusammen, während man unter den protestantischen Missionaren sehr viele ungebildete Elemente findet.
   Gerne gedenke ich denn auch meiner Besuche in der katholischen Missionsstation Kinigunan. In einer Mädchen- und Knabenschule von je circa 60 Köpfen wurden die Zöglinge in allen Fächern unserer unteren Schulen unterrichtet, und mit gutem Erfolg. Junge Schulbesucher machten vor meinen Augen Rechenexempel mit drei- und mehrstelligen Zahlen. Die Schreibhefte bewiesen, dass auch in dieser Richtung Gutes geleistet werden kann. Frisch und gut vorgetragene deutsche Volkslieder weckten in mir alte Erinnerungen aus meiner Jugendzeit. In der Mädchenabteilung, die unter der Leitung einiger Schwestern steht, sah ich Handarbeiten, an denen sich manche unserer Modedämchen ein Beispiel nehmen könnten.
   Ganz im Gegensatz zu Neu-Guinea hat der Bismarck-Archipel auch durchweg ein so gesundes Klima, wie man es für ein tropisches Land nur immer wünschen kann. Dessen ungeachtet sollte ich gar bald die unangenehme Beobachtung machen, dass mein Körper den Tropeneinflüssen nicht mehr gewachsen war (ich war bereits 12 Jahre draußen), und so musste ich wiederum an das Verlassen meines Postens denken. Nach Aussage des Compagniearztes war an eine Heilung meines Leidens im heißen Klima nicht zu denken, und so schlug ich denn abermals den Weg nach Europa ein.
   Auf meiner Rückreise berührte ich wie auf der Hinreise Neu-Guinea und hatte während meines mehrtägigen Aufenthalts somit erneut Gelegenheit, die Plätze zu besuchen, die ich vor nunmehr drei Jahren zuerst gesehen hatte. Sämtliche Pflanzungen, auch Konstantinhafen, waren aufgegeben worden bis auf die Tabakspflanzung Stephansort. Stephansort machte jetzt einen sehr stattlichen Eindruck; Schöne praktische Tropenhäuser sind entstanden; gut gepflegte Landstraßen sind innerhalb der Pflanzung angelegt. Nur stehen diese kostspieligen Anlagen meines Erachtens in keinem Verhältnis zum Ertrag der Pflanzung. Wären die Anlagen für eine lange Spanne Zeit zu verwenden, so möchten sich dieselben mit der Zeit vielleicht bezahlt machen; da aber die Tabakkultur alljährlich frischen Boden verlangt, so müssen dementsprechend auch immer neue Anlagen wie Wege, Häuser, Scheunen etc. geschaffen werden. Mit Ausnahme weniger Häuser verändern die übrigen alle zwei bis drei Jahre ihren Standort.
   Friedrich-Wilhelmshafen, das der inzwischen verstorbene Landeshauptmann Schmiele vor einiger Zeit verlassen hatte, war etwas freundlicher geworden. Der stellvertretende Landeshauptmann, ein früherer Seeoffizier, war im Begriff, den Beamten bessere Wohnungen zu schaffen; gut gepflegte Grasplätze und Blumenbeete umgaben die bewohnten Plätze. Auf einer Insel des Hafens steht ein recht gut eingerichtetes Europäerhospital, in dem eine Schwester des Frauenvereins ihres oft schweren Amtes waltet, denn leider ist der Gesundheitszustand noch immer kein befriedigender.
   Ich habe danach Gelegenheit gehabt, alle europäischen Einrichtungen des gesamten Schutzgebietes kennen zu lernen. Auf Grund dieser persönlichen Erfahrungen bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass der Bismarck-Archipel unstrittig der beste Teil desselben ist.
   Wenn auch auf dem Festland Neu-Guinea dort, wo überhaupt die Pflanzungen fortgesetzt sind, in den letzten Jahren manches besser geworden ist, so sind die klimatischen Verhältnisse doch derart ungesund, dass meines Erachtens auch bei der besten Bewirtschaftung an einen rentablen Betrieb wenn jemals, doch gewiss auf eine lange Reihe von Jahren hinaus noch nicht zu denken ist.
   Würde sich die Neu-Guinea-Compagnie dazu entschließen können, den jede gesunde Entwicklung hemmenden Bürokratismus resolut über Bord zu werfen, den großen komplizierten Landesverwaltungsapparat auf das geringste Maß zu reduzieren und den Schwerpunkt nach dem Bismarck-Archipel zu verlegen, so kann aus der Kolonie noch etwas werden.
   Ein Kommissar mit dem Sitz in Herbertshöhe mit zwei oder drei Unterbeamten würde vollkommen genügen, die Landesverwaltung zu führen. Bei der Wahl eines Kommissars müsste aber darauf Bedacht genommen werden, dass derselbe nicht nur administrativ, sondern auch kaufmännisch gebildet ist. Wie schädlich eine Verwaltung für das Land werden kann, die ausschließlich nach dem System der preußischen Bürokratie betrieben wird, haben wir in Neu-Guinea zur Genüge gesehen.
   Wenn man es nicht selbst erlebt hat, so macht man sich kaum eine Vorstellung von den zum grimmigsten Spott herausfordernden Gegensatz zwischen den in Berlin fein säuberlich ausgearbeiteten Verordnungen und den primitiven Verhältnissen des Landes, wo sie zur Anwendung kommen sollen. Da fehlt es nicht an einem sorgfältig ausgebildeten Steuersystem, an einem Gerichtswesen mit mehreren Instanzen, an einem Einwohnermeldeamt, an minutiösen Polizeivorschriften und tausenderlei ähnlichen Herrlichkeiten einer entwickelten Kultur. Man hat »Allgemeine Bedingungen für die Überlassung von Grundstücken an Ansiedler« ausgearbeitet, in denen die Voraussicht so weit getrieben ist, dass es in § 1 heißt: »Die zu überlassenden Grundstücke teilen sich a) in städtische, b) in ländliche«, und so geht es mit §§ 1,2,3 und a), b), c) durch alle Zweige der Verwaltung. Die bürokratische Vorsorge entwarf in Berlin einen ausführlichen Stadtplan von Finschhafen, inzwischen längst aufgegeben [den Ort gibt es unter diesem Namen heute noch], mit den prächtigsten Straßennamen, ja sie erstreckt sich sogar auf die Mußestunden der Angestellten. Hat man doch für den geselligen Klub, der sich auf der Station Stephansort bildete, in Berlin Statuten angefertigt. Das alles macht in der Praxis einen so imposanten Eindruck wie etwa der Zylinder, den ein Papua auf seinem Haupte trägt. Eine derartige bürokratische Verwaltung, zu deren Handhabung natürlich auch die erforderlichen Kräfte weder der Zahl noch der Qualität nach in genügendem Maß angestellt werden können, wird notwendigerweise allmählich zur Karikatur, aber zu einer kostspieligen und lästigen, über die man erst lacht, um später über sie zu fluchen. Jeder Anteilhaber der Neu-Guinea-Compagnie, der seinen Verlust nicht vergrößern will, sollte mit allen Kräften zur Entbürokratisierung der Kolonie beitragen.
   An dem langen Bestehen der Firmen Forsayth, Hernsheim etc. ist leicht zu sehen, dass auch ohne einen großartigen Verwaltungsapparat Ersprießliches zu leisten ist. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich behaupte, dass vor der Landbesitzergreifung durch die Neu-Guinea-Compagnie alle diese Unternehmen besser und leichter wirtschaften konnten als jetzt. Für all die vielen Leistungen and die Neu-Guinea-Compagnie erhalten sie nur verschwindend wenige Gegenleistungen. Nach wie vor müssen sich z.B. die Ansiedler vor eventuellen Angriffen der Eingeborenen durch eigene Kraft schützen. Die 24 Polizisten, die im Archipel von der Compagnie unterhalten werden, reichen kaum aus, die eine Station der Compagnie zu sichern. Obendrein ist es Tatsache, dass Streitigkeiten zwischen Ansiedlern und Eingeborenen vor Einsetzung der Verwaltung weit seltener waren als jetzt.
   Ob es ein Fehler war oder nicht, Neu-Guinea unter deutschen Schutz zu stellen, will ich hier nicht weiter behandeln. Wir müssen mit der Tatsache rechnen, dass das Land deutsch ist, und versuchen, es unter der schwarz-weiß-roten Flagge zu einem nutzbringenden Objekt zu machen.
   Folgen wir dem Beispiel der Holländer, die beizeiten aus Neu-Guinea zurückzogen und ihre ganzen Kräfte zur Kultivierung der gesünderen Teile ihrer Besitzungen einzusetzen.
   Verlegen wir den Schwerpunkt auf den Bismarck-Archipel. Erst wenn hier eine blühende Kolonie entstanden ist, wenn hier zahlreiche Deutsche festen Fuß gefasst haben, kann man nach und nach mit der Kultivierung Neu-Guineas beginnen.

Hanneken, W. Von
Eine Kolonie in der Wirklichkeit
In: Die Nation Nr. 9, 1895

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