1842 - Herman Melville
Über Poi-Poi und den Brotfruchtbaum
Nuku Hiva, Marquesas
Wir [Melville und sein Freund Toby] machten verständlich, dass wir hungrig und müde waren. Sofort gab der Häuptling Befehl an sein Gefolge, und einer verschwand und kam nach ein paar Minuten mit einer Kalebasse »Poi-poi«und zwei oder drei in Stücke gebrochenen jungen Kokosnüssen zurück, deren Bast entfernt war. Wir beide führten eins dieser natürlichen Trinkgefäße an die Lippen, und tranken die erfrischende Flüssigkeit in einem Zug aus. Dann wurde das Poi-poi vor uns hingesetzt, und wenn ich auch sehr hungrig war, hielt ich doch inne, um mir zu überlegen, wie man es wohl zum Munde führte.
Dieses Grundnahrungsmittel der Marquesaner wird aus der Brotfrucht hergestellt. Es erinnert ein bisschen an weichen Buchbinderleim, ist gelb und säuerlich im Geschmack. So ist das Gericht, an das ich mich nun halten wollte. Ich sah es einen Moment sehnsüchtig an und steckte dann einfach, ohne mich um Form und Anstand zu kümmern, eine Hand in die weiche Masse, und zum lauten Vergnügen der Eingeborenen zog ich sie mit Poi-poi beladen wieder heraus, das lange Fäden an jedem Finger zog. Die Masse war so zäh, dass diese Verbindungsfäden fast die Kalebasse von der Matte hoben, als ich die volle Hand zum Mund führte. Diese unbeholfene Vorführung – wobei Toby genau so vorging – ließ die Umstehenden sich vor Lachen biegen.
Sobald sich die Heiterkeit etwas gelegt hatte, bedeutete uns Mehevi, genau hinzusehen, und tauchte den Zeigefinger der rechten Hand in die Masse; mit einem gekonnten und schnellen Dreh zog er ihn mit dem Brei glatt überzogen wieder heraus. Durch eine weitere besondere Drehung verhinderte er, dass das Poi-poi auf dem Weg zum Mund heruntertropfte, aus dem der Finger dann vollständig sauber, ohne alles Klebrige, wieder hervorkam. Diese Vorstellung war offensichtlich zur Nachahmung gedacht; ich versuchte es also nach der vorgeführten Methode, hatte aber überhaupt keinen Erfolg.
Einem hungrigen Mensch sind aber gute Manieren ziemlich gleichgültig, besonders auf einer Südseeinsel; also gingen Toby und ich dieses Gericht nach unserer eigenen, tollpatschigen Methode an, bekleckerten uns die Gesichter über und über mit dem klebrigen Brei und beschmierten die Hände bis zum Gelenk damit. Dieses Gericht ist für europäische Zungen ganz bestimmt nicht unangenehm, wenn auch vielleicht zunächst die Art und Weise, wie man es isst. Nach ein paar Tagen hatte ich mich an den einzigartigen Geschmack gewöhnt und lernte es sehr zu schätzen.
Der voll ausgewachsene Brotfruchtbaum ist ein prachtvolles hohes Gewächs und für die Landschaft der Marquesas so bezeichnend wie die altehrwürdige Ulme für Neuengland. Der Ulme ähnelt er in der Größe, mit den weit ausladenden, starken Ästen und in seinem ehrwürdigen und beeindruckenden Anblick.
Die Blätter des Brotfruchtbaumes sind sehr groß und deren Ränder so phantasievoll und gezackt geschnitten wie der Spitzenkragen einer Dame. Wenn sie alljährlich dahinwelken, gleichen an Reichtum ihrer farbenprächtigen Schattierungen fast den flüchtigen Farbtönen des sterbenden Delphins. Die herbstliche Färbung unserer amerikanischen Wälder, so großartig sie auch ist, ist gar nichts im Vergleich zu diesem Baum.
Das Blatt wird in einem bestimmten Stadium, wenn sich fast alle Farben des Spektrums auf seiner Oberfläche vermischen, von den Eingeborenen zu einem außerordentlich beeindruckenden Kopfputz verwendet. Die längs verlaufende Hauptader wird auf die benötigte Länge aufgeschlitzt, die elastischen Seiten dieser Öffnung aufgespreizt und der Kopf hindurch gesteckt; die vordere Hälfte wird keck über den Augenbrauen aufgestülpt und der Rest steht seitwärts hinter den Ohren ab.
Die Frucht ähnelt in Umfang und Aussehen fast einer Zitronenmelone von normaler Größe, hat aber nicht wie die Melone Rippen auf der Außenseite. Ihre Oberfläche ist über und über mit kleinen kegelförmigen Auswüchsen bedeckt, die ein bisschen wie die Türknöpfe einer altmodischen Kirche aussehen. Die Schale ist etwa 3 Millimeter dick; und wenn man sie entfernt, zeigt sich, wenn die Frucht vollkommen reif ist, eine wunderschöne Kugel weißer Masse, die ganz gegessen werden kann, mit Ausnahme eines kleinen Kerns, der leicht entfernt werden kann.
Die Brotfrucht wird aber niemals ungekocht verwendet und ist auch roh für den Verzehr nicht geeignet; sie muss in der einen oder anderen Weise mit Feuer in Berührung kommen.
Die einfachste Art, in der das geschieht, und meiner Meinung nach die beste, besteht darin, dass man eine beliebige Anzahl Früchte, frisch gepflückt in einen bestimmten, noch grünen Stadium, in die Glut des Feuers legt, genau so, wie wenn man eine Kartoffel rösten wollte. Nach 10 bis 15 Minuten wird die grüne Schale braun und platzt; dabei zeigt sich durch die Risse das Innere, weiß wie Milch. Sobald die Frucht abkühlt, fällt die Schale ab, und man hat die weiche, runde Masse in ihrer reinsten und köstlichsten Form. Wenn sie so gegessen wird, hat sie ein mildes und angenehmes Aroma.
Manchmal reißen die Eingeborenen eine geröstete Frucht aus der heißen Glut und lassen das Fruchtfleisch aus der nachgebenden Schale in ein Gefäß mit kaltem Wasser gleiten und rühren um; sie nennen diese Mischung »Bo-a-sho«. Mir war sie zuwider, und diese Zubereitungsart ist auch bei den geschliffeneren Insulanern nicht besonders groß in Mode.
Eine Zubereitungsart aber, die hin und wieder serviert wird, ergibt ein königliches Mahl: Gleich, nachdem die Frucht aus dem Feuer gekommen ist, wird die äußere Hülle entfernt, der Kern entfernt, und das verbleibende Fleisch wird in eine Art flachen Steinmörser gegeben und mit einem Stößel aus dem gleichen Material bearbeitet. Während das eine Person tut, nimmt einen andere eine reife Kokosnuss, bricht sie entzwei, was sehr geschickt gemacht wird, und reibt das saftige Fleisch in kleine Stücke. Dazu wird ein Stück Perlmutter genommen, das fest am äußeren Ende eines schweren Stockes befestigt ist und an der geraden Seite wie eine Säge gezähnt ist. Als Stock dient manchmal ein grotesk geformter Baumast, von dem drei oder vier Zweige wie formlose Beine abstehen und den Ast einen halben oder einen Meter über der Erde halten.
Ein Eingeborener stellt zunächst eine Kalebasse unter die Nase dieses merkwürdigen Holzpferdes, um die herunter fallenden Stücke aufzufangen; dann reitet er auf ihm wie auf einem Steckenpferd und reibt dabei die Innenseite einer Kokosnusshälfte an den scharfen Zähnen der Muschelschale, so dass das leuchtend weiße Fleisch wie Schneeflocken in das Gefäß fällt. Wenn er genug gerieben hat, gibt er es in einen Sack aus netzartigen Fasern, der an allen Kokospalmen hängt, drückt diesen Sack über der Brotfrucht aus, die inzwischen, hinreichend bearbeitet, in eine Holzschüssel gefüllt worden ist, und drückt dicke sahnige Milch aus dem Sack heraus. Die köstliche Flüssigkeit schäumt um die Frucht herum und bedeckt sie schließlich nahezu.
Diese Zubereitungsart heißt »Koku« und ist in der Tat köstlich. Steckenpferd, Mörser und Stößel waren in häufigem Gebrauch so lange ich in Marheyos Haus lebte, und Kory Kory hatte oft Gelegenheit, seinen geschickten Umgang mit diesen Geräten unter Beweis zu stellen.
Aber die am häufigsten Nahrungsmittel, in die die Brotfrucht von den Eingeborenen verwandelt wird, werden »Amar« und Poi-poi genannt.
Zu einer bestimmten Jahreszeit, wenn die Früchte in den hundert Hainen des Tales reif geworden sind und als goldene Kugeln von jedem Zweig hängen, schließen sich die Insulaner zu Gruppen für die Ernte zusammen und bringen den Überfluss ein, der sie umgibt. Den Bäumen werden von ihren schwankenden Lasten befreit, die, einfach von Kern und Rinde befreit, in weitbauchigen Gefäßen gesammelt werden, in denen die weiche Fruchtmasse bald darauf mit dem Steinstößel kräftig bearbeitet und zu einer Masse von teigiger Beschaffenheit wird, die die Eingeborenen »Tutao« nennen. Diese Masse wird in verschiedene Pakete getrennt, die, sicher verpackt in mehrere Lagen Blätter und mit Baststricken zusammengebunden, in großen Hohlräumen in der Erde gelagert werden, aus denen sie nach Bedarf wieder hervorgeholt werden.
Auf diese Weise hält sich das Tutao manchmal jahrelang, und es heißt sogar, dass es mit zunehmendem Alter immer besser wird. Bevor man es aber essen kann, muss man es noch weiter behandeln. Der Boden wird für einen einfachen Ofen ausgehöhlt und locker mit Steinen belegt, und darauf wird ein großes Feuer angefacht. Sobald die Hitze groß genug ist, wird die Glut entfernt und auf die Steine werden dicke Lagen von Blättern gelegt, eines der großen Tutao-Pakete wird darauf gepackt und mit einer weiteren Lage Blätter bedeckt. Dann wird schnell auf das Ganze Erde geworfen, bis ein kleiner Hügel entsteht.
Das so gebackene Tutao nennt sich Amar; die Hitze des Ofens macht es zu einer bernsteinfarbenen kuchenartigen Substanz, die ein bisschen säuerlich schmeckt, aber gar nicht schlecht.
In einem weiteren und letzten Arbeitsgang wird Amar zu Poi-poi. Das geht schnell. Das Amar wird in ein Gefäß gegeben und mit Wasser vermischt, bis es eine puddingartige Konsistenz bekommt – schon ist es ohne weiteres Zutun fertig. So wird Tutao üblicherweise gegessen. Die denkwürdige Art, wir man es zu sich nimmt, habe ich schon beschrieben.
Könnte man die Brotfrucht nicht über längere Zeit frisch halten, müssten die Eingeborenen Hunger leiden. Denn aus unbekannten Gründen tragen die Bäume manchmal keine Früchte; und wenn das geschieht, leben die Insulaner hauptsächlich von den Vorräten, die sie anlegen konnten.
Dieser stattliche Baum, den es auf Hawaii nur selten und auch nur in verkümmerter Form gibt und der auf Tahiti nicht so häufig vorkommt, dass er das Hauptnahrungsmittel liefert, erreicht seine höchste Vollkommenheit im milden Klima der Marquesas-Gruppe; dort wächst er zu enormer Höhe und gedeiht in größter Üppigkeit.
Melville, Herman
Taypee
London 1922
Übersetzung: U. Keller