1520-21 - Antonio Pigafetta
Mit Magellan durch die Südsee nach Guam
Mittwochs, den 28. November [1520] verließen wir die Meerenge [die Magellanstraße am südlichen Ende Amerikas] und liefen in das große Meer ein, das wir das wir in der Folge das »Stille« nannten. Auf diesem fuhren wir drei Monate und zwanzig Tage, ohne die mindeste frische Nahrung zu genießen. Der Zwieback, den wir aßen, war kein Brot mehr, sondern bloß Staub, der mit Würmern, die die Substanz des Zwiebacks aufgezehrt hatten, vermischt, und überdies durch den Urin von Mäusen mit einem unerträglichen Gestank durchdrungen war. Das Wasser, das zu trinken wir uns genötigt sahen, war ebenfalls faul und stinkend. Um nicht Hungers zu sterben, waren wir sogar gezwungen, Stücke von Rindsleder zu essen, mit denen man die große Rah bedeckt hatte, um zu verhindern, dass das Holz die Taue zerreibe. Diese Lederstücke, die sich beständig dem Wasser, der Sonne und den Winden ausgesetzt fanden, waren so hart, dass wir sie vier bis fünf Tage lang in Meerwasser einweichen mussten, um sie ein wenig zarter zu machen. Dann brieten wir sie auf Kohlen, um sie zu essen. Oft wurden wir auch dahin gebracht, Sägespäne zu essen, und selbst Mäuse, so zuwider sie den Menschen sind, waren eine so gesuchte Speise geworden, dass man bis zu einem halben Dukaten für das Stück bezahlte.
Das war aber noch nicht alles. Ein größeres Unglück, das uns traf, war eine Art Krankheit [Skorbut], die uns überfiel, und durch die das Zahnfleisch sowohl im oberen als im unteren Kinnbacken so schwoll, dass es die Zähne bedeckte und der Kranke keine Nahrung zu sich nehmen konnte. Neunzehn von uns starben an diesem Übel, und unter ihnen war der patagonische Riese und ein Brasilianer [entführte Einheimische], die wir bei uns hatten. Darüber hinaus waren 25 bis 30 Matrosen an Schmerzen in den Armen, Beinen und anderen Teilen des Körpers krank. Sie wurden aber wiederhergestellt. Was mich betrifft, so kann ich Gott nicht genug danken, dass ich in dieser Zeit und mitten unter den Kranken nicht den mindesten Anfall von Krankheit gehabt habe.
In dem Zeitraum von drei Monaten und zwanzig Tagen durchschnitten wir beinahe 4.000 Meilen auf diesem Meer, das wir das »Stille« nannten, weil wir während der ganzen Zeit unserer Fahrt darauf nicht den geringsten Sturm gehabt haben. Wir entdeckten aber auch während dieser Zeit kein Land, zwei unbewohnte Inseln ausgenommen, auf denen wir nichts als Bäume und Vögel fanden, und denen wir daher den Namen »Unglückliche Inseln« gaben. Wir fanden längs ihrer Küsten keinen Ankergrund und sahen nur einige Haifische. Die Inseln [vermutlich zu den Gesellschaftsinseln nordöstlich von Tahiti gehörend] liegen 200 Meilen voneinander, die erste unter dem 15., die zweite unter dem 9. Grad südlicher Breite.
Infolge der Geschwindigkeit unseres Schiffes, die wir mittelst einer am Heck des Schiffes befestigten Kette (des Logs) maßen, legten wir täglich 60 bis 70 Meilen zurück. Hätte Gott und seine heilige Mutter uns nicht eine glückliche Schifffahrt geschenkt, wir alle auf diesem weiten Meer wegen Hungers umgekommen. Ich glaube nicht, dass in Zukunft jemand eine ähnliche Reise unternehmen wird. [56 Jahre später überquerte Francis Drake den nördlichen Pazifik.]
Wenn wir beim Auslaufen aus der Meerenge unseren Weg westwärts unter demselben Grad der Breite fortgesetzt hätten, hätten wir die Erde umsegelt und wären, ohne Land anzutreffen, bei Kap Desiré oder dem Kap der Elftausend Jungfrauen, die beide unter dem 52. Grad mittäglicher Breite liegen, wieder angekommen.
Der südliche Pol hat nicht dieselben Sterne wie der nördliche. Aber man findet da zwei Haufen kleiner nebliger Sterne, die Wölkchen ähnlich und in geringer Entfernung voneinander sind [die Magellanschen Wolken]. Mitten in diesem Haufen kleiner Sterne entdeckt man zwei sehr große und glänzende, deren Bewegung kaum merklich ist: sie zeigen den Südpol an. Obwohl die Magnetnadel ein wenig vom wahren Norden abwich, so suchte sie doch beständig den Nordpol; aber sie bewegte sich nicht so viel, wie wenn sie ihrem eigentlichen Pol näher ist. Als wir auf der offenen See waren, gab der Oberbefehlshaber [Magellan] allen Steuerleuten den Punkt an, auf welchen sie zusegeln sollten, und fragte sie, was sie dem Kompass nach ihren Karten für eine Richtung gäben. Sie antworteten ihm, dass sie diese Richtung, so wie er es befohlen habe, nähmen. Er erwiderte ihnen, dass sie die Richtung falsch nähmen, und dass sie die Nadel berichtigen müssten, weil sie hier, wo wir uns in der Nähe des Südpols befänden, nicht mehr so viel Kraft habe, den wahren Norden zu suchen, wie sie auf der Nordseite besitze.
Mitten auf dem Meer entdeckten wir im Westen fünf glänzende Sterne, die genau in Gestalt eines Kreuzes standen.
Wir fuhren zwischen Nordwest und Nordwest zu West, bis wir zum Äquator kamen, unter dem 122. Grad Länge von der Demarkationslinie gerechnet [die die spanische und die portugiesische Hälfte der Welt trennte]. Diese Teilungslinie läuft 30 Grad westlich vom ersten Meridian und 3 Grad westlich vom Grünen Vorgebirge [den Kapverden, und damit auf 29°W].
Auf unserem Weg segelten wir an zwei sehr hoch liegenden Inseln vorüber, wovon eine unter 20 Grad, die andere unter 15 Grad südlicher Breite liegt. Die erste heißt Cipangu, die andere Sumbdit Pradit [mit Cipangu ist Japan gemeint, Sumbdit Pradit ist nicht identifizierbar – in jedem Fall sind diese Angaben sind nicht korrekt – aber Pigafetta hat ja auch nicht gesagt, sie hätten die Inseln tatsächlich gesichtet.]
Nachdem wir den Äquator durchschnitten hatten, fuhren wir zwischen West und Nordwest zu West. Dann nahmen wir unsere Richtung 200 Meilen lang gen Westen; hierauf aber änderten wir aufs Neue unseren Lauf und segelten gen Südwest, bis wir auf 13 Grad nördlicher Breite waren. Wir hofften, auf diesem Wege an das Cap Gatticara zu gelangen, das die Kosmographen unter diese Breite gesetzt haben. Aber sie haben sich geirrt, da dieses Kap um 12 Grad weiter nach Norden liegt. Man muss ihnen indessen diesen Irrtum verzeihen, da sie nicht wie wir selbst diese Gegenden des Meeres besucht haben. [Welches Kap Pigafetta gemeint hat, ist nicht bekannt.]
Als wir 70 Meilen in diese Richtung durchsegelt hatten und uns unter 12 Grad nördlicher Breite und 146 Grad Länge befanden, entdeckten wir am 6. März, der ein Mittwoch war, in Nordwest eine kleine Insel, und dann zwei andere in Südwest. Die erste war größer und höher als die beiden anderen. Der Oberbefehlshaber wollte an der größten landen, um Erfrischungen und Nahrungsmittel zu erhalten, aber dies war nicht möglich. Die Bewohner dieser Insel [Guam] kamen auf unsere Schiffe und entwendeten bald dies, bald jenes, ohne dass es uns möglich war, sie davon abzuhalten. Sie suchten uns zu veranlassen, die Segel einzuziehen und an Land zu gehen; ja, sie waren sogar geschickt genug, uns das Boot zu entwenden, das am Heck des Schiffes festgemacht war. Der Oberbefehlshaber, darüber erzürnt, ging hierauf mit 40 bewaffneten Männern an Land, verbrannte 40 bis 50 ihrer Häuser und mehrere ihrer Kanus, und tötete sieben Mann. Auf diese Weise erhielt er das Boot wieder. Aber er hielt es nicht für ratsam, sich nach diesen Feindseligkeiten noch auf der Insel aufzuhalten. Wir setzten daher unseren Weg in derselben Richtung fort.
Als wir an Land gingen, um die Insulaner zu strafen, baten uns unsere Kranken, wir möchten ihnen, wenn einer der Einwohner getötet würde, dessen Eingeweide bringen. Sie waren überzeugt, dass sie davon in kurzer Zeit genesen würden.
Wenn unsere Leute die Insulaner mit unseren Pfeilen, die diese nicht kannten, so verwundeten, dass sie ihren Körper durchbohrten, so suchten diese unglücklichen den Pfeil bald an dem einen, bald an dem anderen Ende herauszuziehen; dann betrachteten sie ihn mit Erstaunen. Oft starben sie an der Wunde. Dies weckte unser Mitleid.
Als sie uns abreisen sahen, folgten sie uns mit mehr als hundert Kanus, zeigten uns Fische, als ob sie uns solche verkaufen wollten; sobald sie uns aber nah waren, schleuderten sie Steine auf uns und ergriffen die Flucht. Wir fuhren mit vollen Segeln mitten durch sie hin; sie wussten aber unseren Schiffen mit viel Geschicklichkeit auszuweichen. In ihren Kanus sahen wir auch Frauen, die weinten und sich die Haare ausrissen, wahrscheinlich, weil wir ihre Männer getötet hatten.
Diese Völker kennen kein Gesetz und folgen ganz allein ihrer Willkür. Sie haben weder einen König noch ein anderes Oberhaupt, beten nichts an und gehen ganz nackt. Einige von ihnen haben einen langen Bart, schwarze auf der Stirn in einen Knoten geknüpfte Haare, die ihnen bis an die Hüften gehen. Auch tragen sie kleine Hüte aus Palmenblättern. Sie sind groß und gut gebaut. Ihre Gesichtsfarbe fällt ins Olivgrün; aber man sagt uns, dass sie weiß geboren und mit dem Alter erst braun würden. Sie besitzen die Kunst, die Zähne rot und schwarz zu färben, was bei ihnen für schön gilt. Die Frauen sind hübsch, von einem schönen Wuchs und weniger braun als die Männer. Sie haben sehr schwarze und schlichte Haare, die herabhängen, und gehen nackt wie die Männer, nur die Geschlechtsteile bedecken sie mit einer kleinen Schürze von leinenem Zeug, oder vielmehr mit einer Rinde von dem Splint des Palmenbaums, die so dünn wie Papier ist. Sie arbeiten bloß in ihren Häusern und machen Decken und Körbe aus Palmblättern, sowie andere ähnliche Arbeiten zum häuslichen Gebrauch. Männer und Frauen salben sich die Haare und den ganzen Leib mit Kokosöl und mit Öl von Seseli (Raphanus sativus chinensis L.).
Die Nahrungsmittel dieses Volkes sind Vögel, fliegende Fische, Bataten [Süßkartoffeln], eine Art Feigen, die einen halben Fuß lang sind [Pisangfrüchte, eine Bananart], Zuckerrohr und ähnliche Früchte. Ihre Häuser sind aus Holz und mit Brettern bedeckt, auf denen man die vier Fuß langen Blätter des Bananenbaumes ausbreitet. Im Innern sind reinliche Gemächer mit Balken und Fenstern. Ihre Betten sind sehr weich, aus den feinsten Decken von Palmblättern gemacht, die über weichem Stroh ausgebreitet werden. Die einzigen Waffen, die sie haben, sind Lanzen mit einer Spitze von einer geschärften Fischgräte. Die Einwohner dieser Inseln sind arm, aber sehr gewandt und besonders geschickte Diebe. Wir gaben den Inseln daher den Namen Diebsinseln [Ladronen, später umbenannt in Marianen].
Ihre Vergnügungen bestehen darin, dass sie mit ihren Frauen in Kanus spazieren fahren, die den Gondeln von Fusine bei Venedig ähnlich sehen. Aber sie sind enger und alle schwarz, weiß oder rot bemalt. Das Segel ist aus zusammengenähten Palmblättern in Form eines lateinischen Segels gemacht. Es ist fest an einer Seite angebracht und an der entgegen gesetzten Seite wird, um dem Segel ein Gleichgewicht zu geben und um das Kanu zu stützten, ein großer zugespitzter Balken, von quer liegenden Stangen gehalten, befestigt. Auf diese Weise fahren sie ohne Gefahr. Ihr Steuerruder gleicht der Rührschaufel der Bäcker, das heißt, es besteht aus einer Stange, an deren Ende ein Brett quer befestigt ist. Zwischen Vorder- und Hinterteil ihrer Boote machen sie keinen Unterschied, und daher haben sie an jedem Ende ihres Fahrzeugs ein Steuerruder. Sie sind gute Schwimmer und wagen sich wie die Delphine auf das hohe Meer.
Bei unserem Anblick waren diese Menschen so voll Erstaunen und Verwunderung, dass wir Ursache hatten zu glauben, dass sie bis dahin keine anderen Menschen als die Einwohner dieser Insel gesehen hatten.
Pigafetta, Antonio
Beschreibung der von Magellan unternommenen ersten Reise um die Welt
Aus dem Französischen
Gotha 1801