1907 - Jack London
Ein königlicher Sport - Das Surfen
Waikiki Beach, Oahu, Hawaii
Genau das ist es: Ein königlicher Sport für die von der Natur bestimmten Könige der Erde. Das Gras wächst direkt bis an das Wasser von Waikiki Beach, keine 50 Fuß vom ewigen Meer entfernt. Die Bäume wachsen auch bis an das salzige Ufer, und man sitzt in ihrem Schatten und blickt hinaus auf die See und auf eine majestätische Brandung, die einem direkt vor die Füsse donnert. Eine halbe Meile weiter draußen am Riff stürmen die weißhäuptigen Brecher mit plötzlicher Gewalt aus dem ruhigen Türkisblau gen Himmel und rollen gegen den Strand. Einer nach dem anderen kommen sie herein, eine Meile breit, mit gischtsprühendem Kamm, die weißen Bataillone der unerschöpflichen Streitmacht der See. Und man sitzt und horcht auf das immer währende Brüllen, beobachtet die niemals endende Abfolge, und fühlt sich winzig und verletzlich vor dieser mächtigen Gewalt, die sich in Aufruhr, Schaum und Gebrause ausdrückt. Ja, man fühlt sich mikroskopisch klein, und der Gedanke daran, dass man es mit dieser See aufnehmen könnte, weckt eine erwartungsvolle Spannung, fast Furcht. Denn sie sind eine Meile breit, diese alles verschlingenden Monster, und sie wiegen tausend Tonnen, und sie kommen schneller an den Strand gestürmt, als ein Mensch rennen kann. Wie kann das gut gehen? Gar nicht, entscheidet das mutlose Ich. Und man sitzt und schaut und horcht und denkt, dass Gras und Schatten doch einen guten Platz zum Bleiben bieten.
Aber auf einmal erscheint dort hinten, wo sich eine Gischtsäule aus dem weißen Wellengetobe gen Himmel erhebt, wie ein Meeresgott, auf dem bebenden, stürzenden, überhängenden und niederdonnernden, sich dauernd veränderndem Kamm der dunkle Kopf eines Mannes. Flink und geschickt erhebt er sich aus dem schäumenden Weiß. Seine schwarzen Schultern, seine Brust, seine Flanken, seine Arme und Beine – alles kommt urplötzlich in das Gesichtsfeld. Wo vor einem Moment nur die weiße Einöde und das unbesiegbare Brüllen herrschte, ist nun ein Mann, aufrecht, in voller Statur, nicht in wilder Bewegung kämpfend, nicht begraben und zerschlagen und geschüttelt von den mächtigen Monstern, sondern darüber erhoben, ruhig und überlegen, auf dem wackligen Gipfel stehend, die Füsse im Schaumgewirbel versteckt, im Gischt bis zu den Knien, und sein Körper an der freien Luft und im funkelnden Sonnenschein, und er fliegt durch die Luft, fliegt vorwärts, fliegt so schnell wie die Brandung, in der er steht. Er ist Merkur, der Götterbote, ein brauner Merkur. Seine Fersen sind geflügelt und in ihnen ist die rasche Bewegung der See. Es ist wahr, aus der See ist er der See auf den Rücken gesprungen, und er reitet diese See, die brüllt und lärmt und ihn nicht abschütteln kann. Er muss nicht einmal das Gleichgewicht zu halten versuchen. Er ist untätig und bewegungslos wie eine Statue, die sich plötzlich aus den Tiefen der See erhebt. Und direkt auf den Strand fliegt er zu auf seinen geflügelten Fersen und auf den Gischtkämmen der Brecher. In einem wilden Schaumwirbel und einem Rauschen läuft der Brecher am Strand vor deinen Füßen aus: Und da, vor deinen Füßen, schreitet ruhig ein Kanake an Land, golden und braun gebrannt von der tropischen Sonne. Vor ein paar Minuten war er nur ein kleiner Fleck, eine Viertelmeile weit weg. Er hat das Wogenmonster bezwungen und ist auf ihm hereingeritten, und der Stolz darüber zeigt sich in seiner Haltung seines prachtvollen Körpers, als er einen Moment lang achtlos zu dir herüber sieht, der du im Schatten am Strand sitzt. Er ist ein Kanake, und mehr noch, er ist ein Mensch, ein Mitglied der königlichen Art, die sich die belebte und unbelebte Welt untertan gemacht hat.
Und man sitzt da und denkt an Tristrans letzten Kampf mit der See an jenem unglückseligen Morgen. Und man denkt weiter, dass der Kanake geschaftt hat, was Tristran nie geschafft hat, und dass er Freuden der See kennt, die Tristan nie erlebt hat. Und man denkt weiter und weiter. Es ist ja gut und schön, hier im Schatten am Strand zu sitzen, aber du bist ein Mann, ein Exemplar der königlichen Spezies Mensch, und was der Kanake kann, kannst du auch. Tu es! Zieh deine Kleider aus, die in diesem milden Klima sowieso lästig sind. Tauch ein und mess dich mit der See; beflügle deine Fersen mit der Geschicklichkeit und Kraft, die du in dir hast. Geh die Brecher an, bezwing sie, reite auf ihrem Rücken, wie es einem König zukommt.
Und so kam ich zum Wellenreiten. Und nun, da ich es versucht habe, bin ich mehr denn je der Meinung, dass es ein königlicher Sport ist. Aber erst möchte ich die entsprechenden Naturgesetze erklären: Eine Welle ist Bewegung, die sich fortpflanzt. Das Wasser, aus dem die Welle besteht, bewegt sich nicht vorwärts. Täte es das, würde ein immer größer werdendes Loch entstehen, wenn ein Stein in einen Teich geworfen wird und sich die Wasserringe nach außen bewegen. Also, das Wasser in einer Welle bleibt an Ort und Stelle. Deshalb kannst du eine bestimmte Stelle der Meeresoberfläche beobachten und das immer gleiche Wasser tausend Mal fallen und steigen sehen in der Abfolge von tausend Wellen. Nun stell dir vor, diese Bewegung nähert sich dem Strand. Wenn das Meer flacher wird, kommt die unterste Lage Wasser zuerst mit Land in Berührung und wird angehalten. Aber Wasser ist flüssig, und die obere Lage ist noch auf nichts getroffen, und deshalb setzt sie die Bewegung fort und geht weiter. Und wenn der obere Teil der Welle weiterläuft, während der untere Teil zurückbleibt, muss etwas passieren. Der Boden der Welle drängt nach oben, der obere Teil der Welle überschlägt und kräuselt sich, bildet Brecher und macht dabei ein donnerndes Geräusch. Es ist der Boden der Welle, der auf den Meeresboden schlägt und die Brandung verursacht.
Aber der Übergang von sanfter Dünung zu Brechern passiert nicht plötzlich, nur dort, wo der Meeresgrund schnell flacher wird. Wenn zum Beispiel der Grund über eine Strecke von einer Viertelmeile bis zu einer Meile flacher wird, erstreckt sich dieser Übergang über die gleiche Distanz. So ist auch der Meeresboden vor Waikiki beschaffen, und das gibt eine phantastische Brandung für das Wellenreiten. Man erklimmt den Kamm eines Brechers, wenn er gerade beginnt, sich zu überschlagen, und bleibt den ganzen Weg darauf bis zum Ufer.
Und nun zu den besonderen Gesetzmäßigkeiten des Wellenreitens. Nimm ein flaches Brett, zwei Meter lang, einen halben Meter breit, und ungefähr oval in der Form. Leg dich drauf wie ein kleiner Junge auf einen Schlitten und paddle mit den Händen hinaus ins tiefe Wasser, wo die Wellen anfangen, sich zu brechen. Liege ruhig auf deinem Brett da draußen. Vor, hinter, neben und unter dir bricht sich Welle auf Welle und rauscht in Richtung Strand, während du zurück bleibst. Die Welle wird steiler, wenn sich der Brecher aufbaut. Stell dir das vor, du auf deinem Brett an diesem steilen Hang. Wenn er still stände, würdest du wie ein Junge auf dem Schlitten diesenn Abhang hinunterrutschen. Aber, wirst du einwenden, die Welle steht ja nicht still. Richtig, aber das Wasser, aus dem die Welle besteht, steht still, und das ist das Geheimnis. Wenn du den Abhang dieser Welle hinunter gleitest, gleitest du immer weiter, ohne je unten anzukommen.
Lach nicht! Dies Welle mag nur zwei Meter hoch sein, aber du kannst für eine Viertelmeile oder eine halbe gleiten, ohne im Wellental anzukommen! Denn da ja eine Welle nur fortgepflanzte Bewegung ist und das Wasser, das die Welle bildet, immerzu wechselt, steigt neues Wasser in der Welle mit der gleichen Geschwindigkeit, wie die Welle sich vorwärts bewegt. Dieses neue Wasser gleitest du hinunter, und bleibst doch in der alten Position auf der Welle, indem du auf dem noch neueren Wasser gleitest, das hochsteigt und die Welle bildet. Du gleitest mit genau der gleichen Geschwindigkeit, mit der die Welle sich vorwärts bewegt. Wenn die Welle 25 Stundenkilometer schnell ist, surfst du mit 25 Stundenkilometern. Zwischen dir und dem Strand erstreckt sich eine Viertelmeile Wasser. Mit der Fortbewegung der Welle hebt sich das Wasser netterweise in die Welle hinein, die Schwerkraft erledigt den Rest, und es geht los und du surfst die Welle entlang. Wenn du immer noch daran glaubst, dass sich das Wasser mit dir bewegt, steck die Arme hinein und versuche zu paddeln. Du wirst feststellen, dass du sehr fix sein musst, wenn du einen Schlag machen willst, denn das Wasser rauscht genau so schnell nach achtern wie du nach vorn.
Und nun zu einem anderen Aspekt der Physik des Surfens. Keine Regel ohne Ausnahme. Es stimmt, dass das Wasser in einer Welle sich nicht vorwärts bewegt. Aber es gibt etwas, was man Impuls nennen könnte. Das Wasser des sich überstürzenden Wellenkammes bewegt sich vorwärts, wie man unschwer merkt, wenn man es ins Gesicht bekommt, oder wenn man darin gefangen wird und von einem mächtigen Schlag unter die Wasseroberfläche gedrückt wird und sich dagegen wehren und nach Luft schnappen muss. Aber wenn der untere Teil einer Welle auf Land trifft, stoppt sie, während der obere Teil weiter wandert. Aber der untere Teil ist nicht mehr da, um sie in Gang zu halten. Wo gerade noch ein Wasserkörper war, ist jetzt Luft, und zum ersten Mal kommt die Schwerkarft ins Spiel, und die Welle fällt und wird dabei auseinander gerissen, weil ja unten etwas fehlt, und nach vorn geschleudert. Und deshalb ist ist das Surfen mehr als nur das ruhige Gleiten einen Hügel hinunter. In der Tat wird man gefangen und und wie von Titanenhand gegen die Küste geschleudert.
Ich verließ den kühlen Schatten, zog eine Badehose an und griff mir ein Surfbrett. Es war zu klein für mich. Aber das wusste ich nicht, und niemand sagte es mir. Ich gesellte mich zu ein paar Kanakenjungen im flachen Wasser, wo die Brecher klein waren und sich schon weitgehend verlaufen hatten – ein richtiger Kindergarten. Ich beobachtete die kleinen Kanakenjungen. Wenn ein passender Brecher daher kam, warfen sie sich auf dem Bauch auf das Brett, strampelten wie irre mit den Füssen und ritten auf dem Brecher an den Strand zurück. Ich versuchte, es ihnen nachzumachen und machte alles genau wie sie. Und es ging völlig daneben. Der Brecher rauschte vorbei, und ich war nicht darauf. Ich versuchte es wieder und wieder. Ich strampelte zweimal so verrückt wie sie, aber es klappte nicht. Etwa ein halbes Dutzend Jungs waren da. Wir alle sprangen vor einem guten Brecher auf unsere Bretter, um unsere Füße schäumte das Wasser wie bei einem Schaufelraddampfer, und los surften die kleinen Racker, während ich schmachvoll zurück blieb.
Eine ganze Stunde mühte ich mich ab, und nicht eine Welle konnte ich dazu bringen, mich an den Strand zu tragen. Und dann kam ein Freund, Alexander Hume Ford, von Beruf Globetrotter auf der Suche nach Sensationen. Hier am Waikiki Beach hatte er eine gefunden. Eigentlich auf dem Weg nach Australien, wollte er für eine Woche bleiben, um heraus zu finden, ob das Wellenreiten etwas Besonderes wäre, und kam nun nicht mehr davon los. Einen Monat lang hatte er es nun jeden Tag betrieben und es gab keine Anzeichen, dass die Faszination nachließ. Er wusste, wovon er sprach.
»Runter vom Brett«, sagte er, »bloß weg damit. Sieh doch bloß, wie du versuchst, damit fertig zu werden. Wenn jemals die Spitze des Brettes auf Grund trifft, reißt es dich in Stücke. Hier, nimm mein Brett. Es hat die richtige Größe für einen Mann.«
Gegenüber wahrem Wissen bin ich immer ergeben und bescheiden. Ford wusste Bescheid. Er zeigte mir, wie man das Brett richtig besteigt. Dann wartete er auf einen passenden Brecher, gab mir im richtigen Moment einen Schubs und los gings. Ah, was für ein Moment, als ich fühlte, wie der Brecher mich annahm und mit sich riss. Ich spritzte los, 150 Fuß weit, und landete mit dem Brecher auf dem Sand. Nun war es um mich geschehen. Ich watete mit dem Brett zurück zu Ford. Es war groß, viele Zentimeter dick, und wog solide siebzig Pfund. Er gab mir jede Menge gute Ratschläge. Er hatte niemanden gehabt, der es ihm beibrachte, und alles, was er mühsam in mehreren Wochen herausgefunden hatte, gab er nun in einer halben Stunde an mich weiter. Er hatte für mich mit gelernt. Innerhalb einer halben Stunde war ich in der Lage, in die richtige Position zu kommen und an den Strand zu surfen. Ich tat es wieder und wieder, von Ford kamen Applaus und guter Rat. Zum Beispiel machte er mir klar, mich gerade so und so weit vorn auf das Brett zu stellen, aber nicht weiter. Ich muss aber zu weit vorn gestanden haben, denn als ich auf das Land zu stürmte, rammte das elende Brett sich selbst in den Grund, stoppte abrupt und machte einen Purzelbaum und stellte damit unsere Beziehung ernsthaft in Frage. Ich wurde wie ein Papierschnipsel durch die Luft geschleudert und mit Schimpf und Schande unter dem sich überschlagenden Brecher begraben. Und mir wurde klar, dass ich ohne Ford und seine Lehren tatsächlich in Stücke gerissen worden wäre. Das Risiko gehört aber dazu, meinte Ford. Vielleicht passiert es ihm, bevor er Waikik verläßt, und das wird seine Sensationslust für eine Weile befriedigen.
Ich glaube felsenfest, dass Mord schlimmer ist als Selbstmord, besonders wenn es sich um eine Frau als Opfer handelt. Ford bewahrte mich davor, zum Mörder zu werden. »Stell Dir vor, deine Beine sind ein Ruder«, sagte er. »Halte sie zusammen und steuere damit.« Ein paar Minuten später kam ich auf einer Welle herein gestürmt. Als ich mich dem Stand näherte, erschien direkt vor mir, bis zur Taille im Wasser, eine Frau. Wie konnte ich bloß den Brecher stoppen, auf dem ich ritt? Sie war schon fast tot. Das Brett wog siebzig Pfund, ich hundertfünfzig. Dies ganze Gewicht hatte eine Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern. Das Brett und ich bildeten ein Geschoss. Ich überlasse es Physikern, die Wucht des Aufpralls auf diese arme, zarte Frau auszurechnen. Und dann fiel mir mein Schutzengel ein, Ford. »Steuere mit den Beinen!« klang es in meinem Kopf. Ich steuerte mit den Beinen, hart und scharf, mit beiden Beinen und mit aller Kraft. Das Brett drehte sich quer zur Woge. Viele Dinge passierten gleichzeitig. Die Welle gab mir im Vorbeifließen einen leichten Schlag, wie es Wellen so tun, schwer genug, dass ich vom Brett durch das rauschende Wasser nach unten geschleudert wurde und einen heftigen Zusammenstoß mit dem Grund hatte und dann um und um gerollt wurde. Ich bekam meinen Kopf über Wasser und schnappte nach Luft und kam dann auf die Füsse. Vor mir stand die Frau. Ich kam mir heldenhaft vor – ich hatte ihr Leben gerettet. Und sie lachte mich an. Es war kein hysterisches Lachen aus Angst. Sie war sich keiner Gefahr bewusst gewesen. Im Übrigen, sagte ich zu mir selbst, nicht ich, sondern Ford verdanke sie ihre Rettung, und ich brauchte mich gar nicht als Held zu fühlen. Aber das Steuern mit den Beinen war großartig. Ein paar Minuten mehr an Übung, und ich konnte meinen Weg hinaus wie hinein an mehreren Badenden vorbei nehmen und auf der Welle bleiben statt in sie hinein zu fallen.
»Morgen«, sagte Ford, »gehen wir ins tiefe Wasser«.
Ich blickte auf See hinaus, dahin, wohin er zeigte, und sah die großen gischtenden Wogen, die die Brecher, auf denen ich bis jetzt geritten war, wie kleines Gekräusel aussehen ließ. Ich weiß nicht, was ich gesagt hätte, wenn mir nicht rechtzeitig eingefallen wäre, dass ich ja zur königlichen Spezies gehöre. So sagte ich nur: »In Ordnung, morgen gehe ich es an.«
Das Wasser, das gegen den Strand von Waikiki Beach rollt, ist genau das gleiche wie das an allen Stränden Hawaiis. Und in mancher Hinsicht, insbesondere aus Sicht des Schiwmmers, ist es wunderbares Wasser. Es ist kühl genug, dass man sich wohl fühlt, es ist aber auch so warm, dass ein Schwimmer den ganzen Tag darin bleiben kann, ohne sich zu verkühlen. Ob Sonne oder Sterne, Mittag oder Mitternacht, Sommer oder Winter, es macht keinen Unterschied, das Wasser hat immer die gleiche Temperatur – nicht zu warm, nicht zu kalt, gerade richtig. Es ist wunderbares Wasser, salzig wie der Ozean ist, rein und kristallklar. Wenn man also die Beschaffenheit des Wassers bedenkt, ist es nicht weiter erstaunlich, dass die Kanaken zu den besten Schwimmern gehören.
Und so kam es, dass ich, als Ford am nächsten Morgen auftauchte für einen Ritt von unbekannter Länge, in dieses wunderbare Wasser eintauchte. Im Reitersitz oder eigentlich platt auf dem Bauch paddelten wir mit unseren Surfbrettern durch den Kindergarten, wo die Kanakenjungen spielten. Schnell waren wir im tiefen Wasser, wo die großen Dampfrösser angebrüllt kamen. Schon allein der Kampf mit ihnen, sie anzufahren, Richtung See über und durch sie durch zu fahren, war schon ein Sport für sich. Man musste schon seinen Verstand zusammen nehmen, denn es war eine Schlacht, in der große Angriffe von einer Seite geführt wurden, und die andere benutzte ihre Schläue – ein Kampf zwischen hirnloser Gewalt und Intelligenz. Ich lernte schnell dazu. Wenn ein Brecher sich über meinen Kopf rollte, konnte ich für einen kurzen Augenblick das Tageslicht durch seinen smaragdenen Körper sehen. Dann beugte ich meinen Kopf nach unten und hielt mich mit aller Kraft am Brett fest. Dann kam der Schlag, und für den Zuschauer am Strand war ich verschwunden. Tatsächlich sind aber das Brett und ich durch die Welle hindurch gegangen und auf der anderen Seite zum Vorschein gekommen. Jemandem, der gebrechlich oder empfindlich ist, würde ich diese Schläge nicht empfehlen. In ihnen steckt viel Kraft, und der Anprall des vorwärts gepeitschten Wassers wirkt wie ein Sandstrahlgebläse. Manchmal muss man schnell nacheinander durch ein halbes Dutzend Brecher hindurch, und das ist der Zeitpunkt, wo man aufs Neue die Vorteile des festen Landes erkennt und neue Gründe findet, warum man dort besser aufgehoben wäre.
Da draußen, in einer Prozession von großen, dampfenden Wellen, stieß ein dritter Mann zu uns, ein gewisser Freeth. Als ich aus einer Welle auftauchte und mir das Wasser vom Gesicht schüttelte, um festzustellen, wie denn die nächste wohl beschaffen wäre, sah ich ihn auf deren Rücken herankommen, aufrecht und lässig auf seinem Brett stehend, wie ein junger Gott mit goldbronzener Haut. Wir gingen durch die Welle, auf der er surfte. Ford rief ihn an. Er machte einen Satz von seiner Welle, rettete sein Brett vor deren Abgründen, paddelte zu uns und brachte mir dann mit Ford zusammen das Surfen weiter bei. Besonders eine Sache lernte ich von ihm, nämlich wie man mit den besonders großen Brechern fertg wird, die ab und zu anrollen. Diese Brecher waren wirklich brutal, und sie auf dem Brett stehend anzugehen war nicht ratsam. Aber Freeth zeigte mir, dass man vom Brett rutschen musste, wenn so ein Riese daher kam, und unter der Oberfläche das Brett mit den Armen über dem Kopf halten. Wenn dann die Welle mir das Brett aus der Hand schlug, um mich damit zu treffen (ein gewöhnlicher Wellentrick), war da ein Wasserpolster von einem Fuß oder mehr Dicke zwischen mir und der rohen Gewalt. War die Welle vorbei, kletterte ich wieder aufs Brett und paddelte los. Viele Leute, habe ich gehört, sind schon so von ihren Brettern schwer verletzt worden.
Die ganze Kunst des Wellenreitens besteht im Wesentlichen darin, so lernte ich, keinen Widerstand zu leisten. Weich dem Schlag aus, der auf dich gezielt ist. Tauch durch die Welle, die dir ins Gesicht schlagen will. Lass dich sinken, mit den Füssen zuerst, bis weit unter die Oberfläche, und lass die große Woge, die dich zerschlagen will, weit über dir vorbei. Sei nicht steif. Gib nach. Überlass dich dem Wasser, das an dir herumzerrt. Wenn die Unterströmung dich ergreift und seewärts über den Boden schleift, kämpf nicht gegen sie an. Gib der Strömung nach. Wenn du es tust, ertrinkst du vielleicht, denn sie ist stärker als du. Überlass dich der Strömung, schwimm mit ihr, nicht gegen sie, und du wirst merken, wie der Druck nachläßt. Und während du mit ihr schwimmst, übertölpelst du sie, so dass sie dich nicht fest hält, und gleichzeitig schwimmst du aufwärts. Völlig problemlos gelangst du an die Oberfläche.
Wer surfen lernen will, muss ein guter Schwimmer und gewöhnt sein, sich unter Wasser zu bewegen. Sonst braucht man nur einige Kraft und gesunden Menschenverstand. Die Gewalt einer großen Woge ist unerwartet groß, manchmal gibt es ein Durcheinander, in dem Brett und Surfer mehrere hundert Fuß weit auseinander gerissen werden. Der Surfer kann sich nur auf sich selbst verlassen. Egal, mit wie vielen anderen Surfern er zusammen ist – er kann nicht damit rechnen, dass sie zu Hilfe kommen können. Die falsche Sicherheit, in der ich mich wiegte, weil Ford und Freeth bei mir waren, ließ mich vergessen, dass es das erste Mal war, dass ich mit den großen Brechern in tiefem Wasser schwamm. Ich merkte es aber bald, denn eine Riesenwelle kam herein, und auf und davon mit ihr surften die Beiden, den ganzen langen Weg zum Strand. Ich hätte auf ein Dutzend verschiedene Weisen ertrinken können, bevor sie zurück hätten sein können.
Man gleitet an dem Brecher hinunter, aber erstmal muss man ins Gleiten kommen. Brett und Surfer müssen sich mit guter Geschwindigkeit auf das Land zu bewegen, bevor die Welle sie einholt. Wenn du die Welle siehst, auf der du surfen willst, wendest du dich von ihr ab, paddelst mit aller Kraft in Richtung Strand und benutzt dabei den sogenannten Windmühlenschlag [Kraulen]. Das ist der Spurt unmittelbar vor der Welle. Wenn das Brett schnell genug ist, beschleunigt es die Welle noch, und das Brett beginnt seinen Surf über eine Viertelmeile.
Die erste Welle, auf die ich dort draußen im tiefen Wasser traf, werde ich nie vergessen. Ich sah sie kommen, drehte ihr den Rücken zu und paddelte ums liebe Leben. Das Brett wurde schneller und schneller, bis ich dachte, mir fielen die Arme ab. Was hinter mir passierte, wußte ich nicht. Man kann nicht nach hinten sehen und wie eine Windmühle paddeln. Ich hörte den Gischtkamm zischen und brausen, und dann wurde mein Brett hoch gehoben und schoss nach vorn. Zuerst wußte ich kaum, wie mir geschah. Obwohl ich meine Augen offen hielt, konnte ich überhaupt nichts sehen, denn ich war in dem rollenden Schaum des Wellenkammes gefangen. Aber das machte mir nichts aus. Ich war überwältigt von dem erhebenden Gefühl, die Welle gemeistert zu haben. Aber schnell konnte ich wieder etwas sehen und begann auch wieder zu atmen. Ich sah, dass drei Fuß meines Brettes aus dem Wasser ragten und in die Luft stachen. Ich verlegte mein Gewicht nach vorn, so dass die Spitze sich nach unten neigte. Dann surfte ich, selbst ganz ruhig, inmitten des wilden Tumults und sah, wie das Ufer und die Badenden am Strand immer deutlicher wurden. Ich kam nicht ganz eine Viertelmeile weit, weil ich, damit das Brett nicht die Welle unterschnitt, mein Gewicht nach hinten verlagert hatte, aber zu weit, so dass ich auf der Rückseite der Welle hinunter glitt.
Das war mein zweiter Surf-Tag, und ich war ganz stolz auf mich. Ich blieb vier Stunden draußen, und als ich aufhörte, war ich wild entschlossen, am nächsten Tag richtig bis an den Strand zu surfen. Aber diese Entschlossenheit löste sich in nichts auf, denn am nächsten Tag lag ich im Bett. Nicht krank, aber sehr unwirsch, und im Bett. Bei der Beschreibung des wunderbaren Wassers von Hawaii habe ich die Beschreibung der wunderbaren Sonne von Hawaii vergessen. Es ist eine Tropensonne, und darüberhinaus ist es Anfang Juni eine senkrecht stehende Sonne. Und eine trügerische und boshafte Sonne. Zum ersten Mal in meinem Leben hat mich ein Sonnenbrand erwischt, ohne dass ich es merkte. Meine Arme, Schultern und Rücken sind früher schon oft verbrannt gewesen und dort ist die Haut abgehärtet – meine Beine aber nicht. Und vier Stunden lang hatte ich die empfindlichen Rückseiten meiner Beine im rechten Winkel der senkrecht stehenden Sonne Hawaiis ausgesetzt. Erst zurück am Strand entdeckte ich, dass die Sonne mich erwischt hatte. Ein Sonnenbrand fühlt sich zuerst nur warm an; dann wird er stärker und Blasen bilden sich. Und die Gelenke verweigern das Beugen an Stellen, an denen es Hautfalten gibt. Deshalb blieb ich am nächsten Tag im Bett. Ich konnte nicht laufen. Und deshalb schreibe ich dies im Bett. Das ist einfacher als es ganz zu lassen. Aber morgen, oh, morgen, werde ich wieder in diesem wunderbaren Wasser sein, und ich werde auf dem Brett stehend den Strand erreichen, genau wie Ford und Freeth. Und wenn ich es morgen wieder nicht schaffe, dann den Tag darauf oder noch einen später. Die Snark wird Honululu nicht verlassen, bevor auch ich meine Fersen mit dem Atem des Meeres beflügelt habe und zu einem sonnenverbrannten Merkur mit abschälender Haut geworden bin.
London, Jack
The Cruise of the Snark
Nachdruck New York 1949
Übersetzung: U. Keller