Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1897 - Mark Twain
Wieder auf Hawaii

[Schiff kommt vor Honululu an, Landung jedoch wegen Cholera auf der Insel verweigert.]

Wir hatten einen wundervollen Sonnenuntergang. Die weite Oberfläche des Meeres teilte sich in Farbenstreifen, welche scharf voneinander abstachen. Einige Strecken waren dunkelblau, andere purpurrot oder von glänzender Bronzefarbe; über die wellenförmige Bergkette breiteten sich die zartesten braunen, grünen, blauen und roten Schattierungen; mache der runden schwarzen Kuppen sahen so sammetweich aus wie ein glänzender Katzenbuckel; man bekam ordentlich Lust zu streicheln.
   Das allmählich abfallende Vorgebirge, das im Westen weit ins Meer hinausragt, hatte zuerst ein bleifarbenes, gespenstisches Aussehen, dann wurde es von einem roten Hauch übergossen, es zerfloß sozusagen in ein rosenfarbenes Traumgebilde und schien nicht der Wirklichkeit anzugehören. Urplötzlich aber sah man diesen Wolkenfels in eine wahre Feuersglut getaucht, die sich in den Wellen widerspiegelte; es war ein Anblick, bei dem man hätte trunken werden können vor Entzücken.
   Zufolge meiner Gespräche mit den Passagieren, die in Honolulu zu Hause waren und mit Hilfe einer Skizze von Frau Mary Krout war ich imstande, das heutige Honululu mit dem damaligen [1866] zu vergleichen. Zu meiner Zeit war es ein schönes Städtchen, da aus schneeweißen, hölzernen Landhäusern bestand, die über und über mit tropischen Schlingpflanzen bedeckt und rings von Blumen, Bäumen und Sträuchern umgeben waren; Straßen und Wege, auf Korallengrund erbaut, waren steinhart, glatt und eben und so weiß wie die Häuser selbst. Schon der äußere Anblick verriet einen zwar bescheidenen, aber behaglichen Wohlstand, der sich, das ist nicht zu viel gesagt, auf alle Bewohner erstreckte. Kostbare Häuser, Möbel und Zierrate gab es nicht. In den Schlafzimmern brannte man Talglichter und im Salon eine Tranlampe. Matten aus einheimischem Fabrikat dienten statt der Teppiche, zwei oder drei Lithographien schmückten die Wände; meist waren es Bilder von Kamehameha IV, Ludwig Kossuth, Jenny Lind, oder auch ein paar Kupferstiche, z.B. Rebekka am Brunnen, Moses schlägt Wasser aus dem Felsen, Joseph's Diener finden den Becher in Benjamin's Sack u.dgl. Auf dem Mitteltisch lagen Bücher friedlichen Inhalts, wie "Menschenpflichten", Baxter's "Ruhe der Heiligen", "Die Märtyrer“ von Fox und Tupper's "Philosophie in Sprichwörtern"; auch der "Missionsherold" und Pater Damon's "Freund des Seemanns" in gebundenen Exemplaren.
   Der Notenständer neben dem Harmonium enthielt gefühlvolle Liebeslieder, wie "Willie, wo weilst Du nur?", "Lieblicher Abendstern", "Wandle doch, Silbermond", "Sind wir jetzt beinah dort?" und ähnliches, nebst einer Sammlung ausgewählter Hymnen. Auch ein Nipptischchen war vorhanden mit halbkugelförmigen gläsernen Briefbeschwerern, in denen Miniaturbilder von Schiffen, Seestürmen und Staffage und dergleichen zu sehen waren; ferne Seemuscheln mit Bibeltexten in erhabener Arbeit, Walfischzähne, in die aufgetakelte Schiffe eingeschnitten waren und allerlei einheimische Seltenheiten. Erzeugnisse fremder Weltteile fehlten ganz, denn niemand war auf Reisen gewesen. Man machte wohl Ausflüge nach San Francisco, aber die wurden nicht mitgerechnet; im allgemeinen blieb man ruhig im Lande.
   Seitdem ist Honululu jedoch reich geworden, dadurch hat sich vieles geändert und die alte Einfachheit ist zum Teil verschwunden. Frau Krout beschreibt die moderne Wohnung wie folgt:
   Fast jedes Haus liegt inmitten ausgedehnter Rasenplätze und Gartenanlagen, die mit einer Mauer aus vulkanischem Gestein oder dichten Hecken von glänzendem Hibiskus umgeben sind.
   Im Innern sind die Häuser aufs geschmackvollste und behaglichste eingerichtet; der Fußboden aus hartem Holz ist mit Teppichen oder feinen indianischen Matten belegt, die Möbel, wie man es in warmen Ländern liebt, aus Rotang oder Bambusrohr gefertigt. Auch das gewöhnliche Beiwerk von Raritäten, Büchern und Kuriositäten aus allen Teilen der Welt ist vorhanden und dient zum Schmuck sämtlicher Räume, denn die Bewohner der Sandwichinseln sind unermüdliche Reisende.
   Die meisten Häuser besitzen eine sogenanntes "Lanai". Das ist ein großes, an drei Seiten offenes Gemach, von dem eine Tür oder ein gewölbter, mit Draperien geschmückter Eingang in das Empfangszimmer führt. Häufig wölben sich die verschlungenen Zweige des Stechpalmenbaumes darüber zu einem dichten Dach, das weder die Sonne hindurchläßt noch den Regen, außer bei sehr heftigen Gewittern. An den Seiten werden Schlingpflanzen gezogen - Stephanotis oder irgendeine andere der zahllosen wohlriechenden und blühenden Arten, welche auf den Inseln wuchern. Gegen Sonne und Regen kann man sich auch durch herabzulassende Matten schützen.
   Der Fußboden ist meist, der Kühle wegen, ganz unbedeckt oder nur zum Teil mit Teppichen belegt, auch enthält das Lanai bequeme Stühle und Sofas, und auf den Tischen prangen wundervolle Farnkräuter in Töpfen oder die schönsten Blumensträuße.
   Das Lanai ist das beliebteste Gesellschaftszimmer; hier wird Musik gemacht, man reicht Eis und Kuchen herum, nimmt Morgenbesuche an und versammelt sich zum gemeinschaftlichen Ausritt, die Damen in hübschen geteilten Röcken, die sie der Bequemlichkeit wegen tragen, denn hier reiten alle auf die gleiche Weise, Europäer und Amerikaner beiderlei Geschlechts sowohl wie die Eingeborenen.
   Man kann sich kaum vorstellen, wie köstlich bequem und behaglich ein solcher Raum ist, besonders in einer Villa am Seestrande. Sanfte Lüfte, von Jasmin und Gardenien durchduftet, wehen darin; man blickt durch schwankende Zweige von Palmen und Mimosen bald auf die zackigen Berge, deren Gipfel in Wolken gehüllt sind, bald auf das violettfarbene Meer mit der weißschäumenden Brandung, die sich fort und fort an den Klippen bricht und im gelben Sonnenschein oder beim zauberischen Mondesglanz der Tropen ein noch blendenderes Weiß annimmt."
   Da habt ihr den Unterschied: Teppiche, Eis und Kuchen, Bilder, Lanais, weltliche Bücher, sündhafte Raritäten aus aller Herren Ländern, und die Damen sitzen rittlings zu Pferd. Zu meiner Zeit taten das nur die eingeborenen Weiber, die weißen Damen hatten nicht den Mut, diese vernünftige Sitte mitzumachen. Damals bekam man auch in Honululu nur selten Eis zu sehen. Segelschiffe brachten es zuweilen als Ballast aus Neuengland, und wenn dann zufällig ein Kriegsdampfer im Hafen lag, so daß Bälle und Abendgesellschaften sich drängten, wurde der Ballast oft, nach glaubwürdiger Überlieferung, zu sechshundert Dollar die Tonne verkauft. Jetzt ist die Eismaschine in der ganzen Welt herumgekommen, und wer will, kann sich die Erquickung bereiten. Selbst in Lappland und Spitzbergen braucht heutzutage niemand mehr Natureis, ausgenommen die Bären und Walrosse.

Mark Twain
Meine Reise um die Welt
Stuttgart 1898

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!