Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1876 - Constance Gordon Cumming
Das Leben auf Fidschi
Nananu, vor Viti Levu

Endlich bin ich doch bei dem Robinson-Crusoe-Haus angekommen, über das wir uns so romantische Vorstellungen zusammengereimt hatten, wenn ein Brief von den weit entfernten Fidschi-Inseln im alten Pfarrhaus in Northumberland eintraf. Am letzten Dienstag bin ich mit Baron von Hügel [englischer Naturwissenschaftler österreichischer Abstammung] hierher gekommen. Kapitän Knollys hat uns sein wunderschönes Boot mitsamt einer Besatzung von einheimischen Polizisten zur Verfügung gestellt. Wir hatten Glück mit dem Wind und machten die Strecke in acht Stunden, was besonders schnell ist. Du, die Du nie viel mit Schiffs- und Bootsreisen zu tun gehabt hast, kannst Dir kaum vorstellen, wie quälend die dauernden Verzögerungen durch Wind und Wetter sind.
    Man sollte denken, dass ein Haus, das nicht weiter als acht Stunden von der Hauptstadt entfernt ist, nicht sehr abgelegen ist. Das Reisen ist aber so umständlich, dass seit dem Tag, als Mr Leefe seine junge Frau hierher brachte - und es ist nun zehn Jahre her, dass sie als kluges und hübsches Mädchen mit ihrer kleinen Tochter ankam - sie nur einmal für drei Monate wegen schwerer Krankheit nach Australien gereist ist, und einmal sechs Wochen lang auf Levuka eine Freundin aufgesucht hat. Deren zwei Kinder starben während ihres Aufenthaltes, so dass das kein erfreulicher Besuch war. Und obwohl ab und zu ein Schiff vorbei kommt, ist nur ein einziges Mal eine Dame für drei Stunden zu Gast gewesen; und vor einigen Jahren kam ein benachbarter Plantagenbesitzer mit seiner Familie auf der Flucht vor Kannibalen zu ihnen. Da mussten sich zwei Familien so gut es ging in dem einen Haus und seinen zwei Räumen einrichten.
    Zum Glück gibt es nun ein weiteres Gebäude, oder eher eine ganze Gruppe von einem halben Dutzend kleiner Häuser, halb im Fidschi-Stil; sie dienen als Futterhaus, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Lager und Schuppen für die Seidenraupen. Sie liegen eng zusammen im kühlen Schatten einiger großer Bäume; ein Baum streckt seine großen Äste in Richtung Küche und dient als Speisekammer: An den Zweigen hängt Ziegenfleisch als Vorrat. Da gibt es noch eine bescheidene Frischluftwerkstatt für Zimmerarbeiten, und unter dem zentralen Baum steht eine kleine Mattenumzäunung als Badezimmer; die Arbeiter bringen Süßwasser in Eimern dorthin und füllen damit eine große hölzerne Wanne. Aber unendlich angenehmer ist ein köstliches Bad im Meer, dem wir uns uneingeschränkt hingeben können, ohne Haie fürchten zu müssen. Stell dir vor, wie schön es ist, direkt aus dem Schlafzimmer auf den schneeweißen Sand zu treten und sich nach Belieben in das absolut klare Wasser fallen zu lassen, das warm genug ist, um es schon früh am Morgen und auch bei Sonnenuntergang zu genießen. Manchmal begleiten uns zwei braune Mädchen, um auch im Wasser ihren Spaß zu haben; die beiden und auch Ethel schwimmen und tauchen wie die Fische – sie können es unter Wasser lange aushalten und kommen wieder hoch, wenn man sie am wenigsten erwartet, um einen zu necken und so zu tun, als ob ein Hai käme.
    Ethel, das kleine Baby von vor 10 Jahren, ist nun ein großes, ansehnliches Mädchen von elf, eine reizendes, aufgewecktes Kind und eine richtige kleine Dame, aber ein richtige Frau der Wildnis, vertraut mit allen Künsten der Nahrungssuche und des Kochens, und hilft ihrer Mutter bei vielen Pflichten.
    Meine Ankunft hier war ein lustiges Beispiel, wie das Leben in Fidschi abläuft. Mein Besuch wurde ein ganzes Jahr lang diskutiert; einmal kam sogar Mr Leefe infolge verloren gegangener Briefe nach Levuka [auf Ovakau], um mich abzuholen; ich war aber den Rewa [Fluß auf Viti Levu] hinauf unterwegs. Dieses Mal hatte ich eine Woche vor der Abfahrt geschrieben, um mein Kommen anzukündigen. Dieser Brief kam eine Woche später an als ich selbst! Also wurde ich natürlich nicht erwartet, und Sowohl Mrs Leefe wie auch Ethel waren krank und hatten eine schlimme Erkältung und Kopfweh. Sie begrüßten mich aber herzlichst und führten mich herum, um mir alles Interessante zu zeigen. Es gab aber kein Anzeichen, das ein Platz zum Schlafen für mich vorhanden war. Als es Zeit war ins Bett zu gehen, wurde ich gastfreundlich eingeladen, ein Bett mit meiner Gastgeberin und ihrer Tochter zu teilen; ich zog es aber vor, auf einem provisorischen Lager im Wohnzimmer zu schlafen. Ich wachte morgens rechtzeitig auf, um Mrs Leefe und Ethel zu begleiten, die die Ziegen melken gingen. Das klingt so hingeschrieben ganz nett, was es bei schönem Wetter auch ist. Aber wenn die Wirklichkeit darin besteht, jeden Tag deines Lebens um fünf Uhr aufzustehen, sei das Wetter gut oder schlecht, ob du selber gesund oder krank bist, um mehr als zwei Kilometer die sehr steilen und bei Regen sehr rutschigen Pfade hügelauf und hügelab zu marschieren, bevor die eigentliche Tagesarbeit überhaupt begonnen hat, dann kannst du dir vorstellen, dass diese romantische Schäferszene eine ziemlich ermüdender Bestandteil des Tagesablaufs ist.
    Für mich hatte es natürlich den Reiz des Neuen – ein früher Morgen in herrlichem Sonnenschein, das blaue Meer und Kokospalmen am Wegesrand, und die malerische Ziegenherde. Eins von Mr. Leefes risikoreichsten Experimenten war die Einführung von Angora-Ziegen, hübschen weißen Kreaturen mit langem, seidigem Fell. Mit großen Kosten beschaffte er zwei Paare, und nachdem er alle wilden Ziegenböcke auf der Insel erlegt hatte, wurden diese Fremdlinge als Könige der Insel eingesetzt. Die Herde hat sich prächtig entwickelt. Es gibt nun 230 Muttertiere in allen Farbschattierungen, und jede hat eine oder zwei Zicklein in reinem Weiß, genau wie der Vater. Wie traurig, dass viele von ihnen zu Waisen geworden sind, denn einer der prächtigen Böcke hat ein sehr vorzeitiges Ende genommen. Sein langes Fell verhakte sich in einem Dornbusch, und der hielt ihn gefangen. Er wurde erst gefunden, als er tot war. Der zweite entkam knapp dem gleichen Schicksal. Er war entlaufen, mit den Hörnern in einem Dickicht hängen geblieben, und wurde erst am nächsten Tag entdeckt. Man hatte ihn aber schon gegen Abend als vermisst gemeldet. Alle Leute suchten nach dem verschwundenen Vater der Herde. Fackeln wurden angezündet und die Nachforschungen noch einige Stunden fortgesetzt. Schließlich gab man auf, und alle gingen zu Bett; da gab es plötzlich Feueralarm: Der ganze Hügel schien in Flammen zu stehen. Eine Fackel, die unvorsichtigerweise im trockenen Gras fallen gelassen worden war, hatte ein Feuer entzündet, das sich rasend schnell verbreitete und eine Reihe viel versprechender junger Palmen zerstörte, die erst kürzlich gesetzt worden waren.
    Das feine, seidige Haar ist nicht der einzige Vorteil der Angora-Ziege. Ihr Fleisch soll auch zarter als Hammelfleisch sein und ein bisschen wie Wild schmecken. Darüber hinaus kann so eine Herde noch dort gut leben, wo Schafe kein Auskommen mehr finden.
    Es war fast acht Uhr, bevor wir mit dem Melken und dem Füttern des Geflügels und der Schweine fertig waren; und du kannst es mir glauben, wir genossen unseren guten heißen Tee. Aber Mrs. Leefe war so krank, dass sie wieder zu Bett gehen musste. Normalerweise ist sie sehr kräftig, und ein Marsch von 15 oder 20 Kilometern macht ihr nichts aus.
    Nun, dachte ich, war es an der Zeit, mir einen richtigen Schlafplatz einzurichten. Mein Gastgeber bot mir in seiner Großzügigkeit seine eigene kleine Grashütte an. Aber als ich mich umsah, entdeckte ich einen kleinen Holzschuppen, der am Esszimmer, einem eigenen Häuschen, lehnte. Der was so nah am Wasser, dass ich fast von der Tür ins Wasser steigen konnte. Ich bat darum, diesen kleinen Raum benutzen zu dürfen, und mit tatkräftiger Hilfe von Ethel und einem gewitzten Mädchen von den Salomonen räumte ich viele Säcke mit Überresten von Tintenfischen, Mais und allen möglichen anderen Sachen aus, fegte, legte Matten hinein, baute eine winzige Bettstelle, schlug Nägel in die Wand, um Kleider aufzuhängen, spannte eine meiner wasserdichten Planen als Tür auf, und machte mir so ein ganz nettes gemütliches Kämmerchen, in dem ich nun bequem untergebracht bin. Eine Bettstelle wäre in einem Fidschi-Haus eigentlich überflüssig, weil der Fußboden mit weichem Gras und Matten ausgelegt ist; hier aber gibt es einen hölzernen Fußboden, der zu hart und unbequem wäre. Außerdem versammeln sich gern Ratten dort, wo Mais gelagert ist oder war. Mein kleines Zimmerchen hat einen einzigen Nachteil, nämlich dass direkt am Fenster eine unverrückbare Hinterlassenschaft seiner vorherigen Bestimmung steht, ein Stein, auf dem die Tagesrationen für die Arbeiter gemahlen werden; das macht so einen unerträglichen Lärm, dass ich davor bis auf die Hügel fliehe. Was muss darüber erst die arme Eingeborene denken, die das Mahlen besorgen und sich die ganze Zeit wegen des Krachs beschimpfen lassen muss, den sie doch nicht vermeiden kann.
    Ich glaube, dass alle Arbeiter auf der Plantage von anderen Inseln kommen; alle Fidschi-Insulaner wurden ausgesiedelt, als Leefe die komplette Insel kaufte. Er hat auch Landbesitz auf Viti Levu, wo sein Neffe Harry als Aufseher lebt und einen Laden für Stoffe, Lampen, Sardinen, Werkzeug und andere Lebensnotwendigkeiten unterhält – das macht das Leben and diesem abgeschiedenen Ort sehr viel bequemer. Die meisten seiner Kunden sind Eingeborene.
    Man kann sich kaum etwas Schwierigeres vorstellen als die derzeitige Situation der Pflanzergemeinschaft auf diesen Inseln. Viele, Gentlemen von Geburt und Erziehung, sind vor vielen Jahren gekommen und haben all ihr Geld in den Kauf von Land und die damit verbundenen Ausgaben gesteckt. Oder, und das war noch häufiger, sie begannen mit dem schlimmen Nachteil, Geld zu hohen Zinsen leihen zu müssen – ein Joch, das, einmal aufgenommen, schwer wieder abzuschütteln war. Es folgten lange, einsame Jahre schwerster Mühsal, die nur zu oft in bitterer Enttäuschung infolge von Missernten endeten oder weil ein alles zerstörender Hurrikan in ein paar Stunden das Werk arbeitsreicher Monate davonfegte. Auch wenn solche Katastrophen nicht eintrafen, haben niedrige Preise und hohe Kosten für die Fracht in die Kolonien, wie Australien und Neuseeland hier genannt werden, für die Zwischenlagerung dort und endlich den Transport nach England die Gewinne auf ein Nichts reduziert. Und so kommt es, dass ein großer Teil der Pflanzer, vollständig ruiniert und überschuldet, mit von Entbehrungen zerstörter Gesundheit und ohne das, was wir für Grundbedürfnisse des Lebens halten, strandet – buchstäblich ohne die Möglichkeit, sich abzusetzen, hilflos und fast hoffnungslos; dann leben sie wie die Eingeborenen von Yams und wilden Schweinen, und ihr größter Luxus ist eine Schüssel Yangona [Kava]. Rein aus Armut sind für sie die einfachsten Annehmlichkeiten des zivilisierten Lebens unerreichbar. Es gibt viele Häuser, in denen Rind- und Hammelfleisch, Reis, Getreide oder Mehl, Wein oder Branntwein, sogar Tee, Kaffee und Zucker fast vergessene Luxusgüter sind.
    Man hat mir erzählt, dass bei der Ankunft von Sir Arthur, als sich ungefähr 200 Pflanzer in Levuka zu seiner Begrüßung versammelten, viele nicht dabei sein konnten, weil sie einfach nicht in der Lage waren, die wenn auch geringen Ausgaben für die Reise und das Quartier im Hotel zu tragen.
    Andere konnten nur dabei sein, indem sie Vorräte an Geflügel und Gemüse mitbrachten, die sie in Levuka verkauften. Aus bitterer Armut sind viele nicht imstande, eine ausreichende Anzahl Arbeiter für ihre Plantagen einzustellen, die sie aber im Moment auch nicht verkaufen können, denn die Besitztitel sind so unsicher, dass kein Investor sich mit einer möglicherweise wertlosen Spekulation befasst, solange die Titel nicht von der Landkommission der britischen Regierung geprüft und anerkannt worden sind. Und obwohl die Kommission ihr Bestes tut, um schnell voran zu kommen, ist es doch eine schwierige und langwierige Aufgabe, zu der eingehende Untersuchungen und das Abwägen sich widersprechender Aussagen gehören.
    Deshalb sind zur Zeit viele Leute schlechter dran als vor der Annexion – eine traurige Erkenntnis für diejenigen, die dieses Ereignis als das Zaubermittel angesehen hatten, das alle Verwirrung beenden würde. Und jetzt sind sie deprimierte als jemals zuvor.
    Wenn ihre Besitztitel einmal bestätigt sind und sie ihre Ländereien an Neuankömmlinge verkaufen können, die volle Börsen und frische Energie mitbringen, werden die Zeiten zweifellos wieder besser, und es wird sich zeigen, was diese Inseln wirklich wert sind. Bisher ist das goldene Zeitalter noch nicht hereingebrochen, und die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Inseln sind noch nicht ausgelotet. Der Handel mit Baumwolle, der eine Zeit lang [während des amerikanischen Bürgerkrieges] sehr florierte, liegt total danieder, weil die seidige Sorte, die hier angebaut wird, von den Fabriken nicht mehr gewünscht wird. Kaffee, Zucker und Tabak werden bisher nicht gepflanzt. Im Moment ist der Haupthandelsartikel getrocknete Kokosnuss, Kopra genannt, aus der später Öl gewonnen wird, und Bêche-de-mer [Trepang], eine Art von hässlicher, großer, schwarzer Meeresschnecke, die getrocknet wie ein Stück Gummi aussieht, und aus der die Chinesen eine reichhaltige Suppe machen, die im Geschmack so gut sein soll wie die aus den weit gerühmten gelatinösen Vogelnestern. Diese und die Perlmutterschalen einer großen Austernart bieten als natürliche Erzeugnisse vielen Beschäftigung, die mit sesshafter Arbeit kein Glück gehabt haben. Infolgedessen sind viele der Weißen, für die das Leben auf Fidschi ein harter Kampf ist, direkt oder indirekt mit Trepang und Perlmutt beschäftigt. Und es fehlt nicht an Schwarzsehern, die die Bestände für bald erschöpft halten.
    Ich glaube, die einzigen Neuankömmlinge, die sich seit der Annexion hier niedergelassen haben, sind zwei Chinesen. Wie üblich, immer unternehmungslustig und Schwierigkeiten mit einem Lächeln begegnend, verdienen sie Geld auch da, wo es sonst niemand schafft. Sie haben gerade 4 Hektar Land gepachtet und legen einen Gemüsegarten an; also können wir eine reichliche Versorgung der Stadt und Wohlstand für die verdienten Gärtner erwarten. Merkwürdig, dass kein Europäer auf diese Idee gekommen ist. Ich glaube aber nicht, dass es eine gute Idee wäre, wenn arme Arbeiter hierher kämen – sicherlich nicht als einfache Arbeiter –, denn natürlich würde es niemandem auch nur im Traum einfallen, Löhne wie in Europa oder auch nur in den Kolonien zu bezahlen, wenn es schwarze Arbeiter für weniger Geld gibt.
    Der Betrag, für den man einen Fremdarbeiter bekommt, ist normalerweise ungefähr 10 Pfund für Reisekosten und 9 Pfund für drei Jahre Arbeit. Üblicherweise wird Letzteres in Form von Waren ausgezahlt, die auf die entlegenen Inseln mitgenommen werden; dies Verfahren bedarf der besonderen Aufsicht der Regierung, denn Art und Menge der Waren, die die so unverbildeten Eingeborenen von allen möglichen Händlern nach Anweisung des Pflanzers für 9 Pfund pro Kopf bekommen, sind nicht gerade dazu geeignet, dem Zuschauer einen hohen Begriff von der Kaufmannsmoral der Weißen zu vermitteln. Der Import von Fremdarbeitern liegt nun ganz in den Händen eines Regierungsbeamten, dem gegenüber die Eigner und Kapitäne aller Schiffe, die im Arbeiterhandel tätig sind, für strikte Einhaltung sanitärer und anderer Regeln verantwortlich sind, und über den die Leute angeheuert und alle Zahlungen geleistet werden müssen. An ihn müssen die Arbeiter bei Vertragsende abgeliefert werden, damit sie zur vereinbarten Zeit wieder nach Hause kommen. Während der Vertragszeit stellt natürlich der Arbeitgeber Essen und Tabak, Unterkunft, welche auch immer, medizinische Versorgung und ein kleines bisschen Kleidung. Aber die bösen Geschichten über Entführung und brutale Missbehandlung an Bord oder auch auf den Plantagen sind nun zum Glück Vergangenheit.
    Die Versorgung mit Fremdarbeitern ist eins der aktuellen Probleme. Jedes Jahr kommen die Arbeiterschiffe mit weniger Freiwilligen von den anderen Inselgruppen zurück; und die Beschäftigung von Fidschi-Insulanern wird von der Regierung gar nicht gerne gesehen, weil sie die Wohlfahrt derer als ihre vorrangige Aufgabe sieht, denen das Land eigentlich gehört und auf deren Aufforderung und zu deren Nutzen England hier regiert. Angesichts dessen, dass ohne Ausnahme die dunklen Rassen mit der zunehmenden Verbreitung der weißen ausstarben, ist die Frage, ob dieses Übel heutzutage nicht abgewendet werden kann, von allergrößter Bedeutung. Es wird deshalb für ausgesprochen wichtig gehalten, dass die Eingeborenen in ihren Dörfern bleiben als Untertanen ihrer eigenen Häuptlinge und als Bebauer des eigenen Landes zu ihrem eigenen Nutzen und zur Bestreitung ihres Teils der Regierungssteuern. Die sind als Produkte aus den Gärten zu liefern, die speziell für diesen Zweck von jedem Dorf angelegt worden sind. Jetzt, wo die Bevölkerungszahl so schrecklich durch die Masern dezimiert ist, ist es umso wünschenswerter, dass die Überlebenden keinen Grund haben, ihr Heim zu verlassen. Deshalb sind nur eine vergleichsweise kleine Zahl von Fidschi-Insulanern bei Weißen beschäftigt; den Weißen ist in der Regel nicht daran gelegen, Arbeitskräfte aus den benachbarten Dörfern zu rekrutieren, sondern sie bemühen sich, welche von anderen Inseln zu bekommen, die also genauso Fremde in einem fremden Land sind wie die Arbeiter von anderen Inselgruppen. Es heißt, nur unter diesen Umständen wären die Fidschi-Insulaner  zu nützlicher Arbeit auf den Plantagen bereit – kein Wunder, wenn sie doch leicht ihre einfachen Bedürfnisse im eigenen Dorf stillen können.
    Wahrscheinlich werden demnächst Vorbereitungen getroffen, um eine große Anzahl von Hindu-Kulis aus Kalkutta zu importieren. Die Maßnahme trifft nicht auf ungeteilte Zustimmung, denn die Kosten, sie hin und zurück zu transportieren, werden die Ausgaben der Pflanzer, die sie beschäftigen, erheblich steigern. [Die ersten Inder kamen 1879.]
    Inzwischen gibt es auf allen großen Plantagen Vertreter aus halb Polynesien; jede Gruppe bleibt für sich und lebt in einiger Entfernung von den anderen in eigenen Quartieren. Alle haben ihre Besonderheiten, auf die man Rücksicht nehmen muss, und sie sind in ihrer jeweiligen Art genau so verschieden wie in Aussehen und Hautfarbe. Da gibt es Männer von Tanna [Neue Hebriden, heute Vanuatu], deren langes Haar in eine Vielzahl von kleinen Zöpfen geflochten ist. Männer von Tokelau [nördlich von Samoa], mit glattem Haar, gelblicher Haut und großen dunklen Augen; viele verschiedene Wollköpfige und Grauhaarige von den Banks Inseln und der Loyalty Gruppe [Neukaledonien] oder Erromango [Neue Hebriden].
    Als besonders hart arbeitende Leute gelten die aus Tanna von den Neuen Hebriden; sie sind deshalb die beliebtesten; manche ihrer unmittelbaren Nachbarn jedoch sind zu nichts nutze. Die am wenigsten geschätzten sind die von den Salomonen, denn die sind wirklich unzähmbar und leben noch mit den Instinkten ihrer Rasse, durchweg wüste Kannibalen und ziemlich hinterlistig. Manche kommen sogar von der Santa Cruz Gruppe [den östlichsten Inseln der Salomonen]; dieser Name weckt bittere Erinnerungen, denn zweimal, in 1871 und im letzten August, hat er die Welt in Schrecken versetzt, weil zwei der edelsten Männer, die je die Südsee befuhren, und die so voller Nächstenliebe überall Gutes tun wollten, Opfer der Pfeile betrügerischer Leute wurden, denen sie Beistand leisten wollten. Du weißt natürlich, dass es sich dabei um Bischof Patteson [erster anglikanische Bischof in Melanesien, 1871 von Eingeborenen getötet] und Kommodore Goodenough [Oberbefehlshaber der Britischen Marine im Pazifik, 1875 ebenfalls von Einheimischen umgebracht] handelt, die für immer würdig sind, Seite an Seite mit den hervorragendsten christlichen Märtyrern in unserer Erinnerung zu bleiben.
    Stell Dir nur vor, wie es dem frisch angekommenen Pflanzer zumute sein muss, wenn sein neues Leben damit beginnt, auf die Ankunft des Arbeiterschiffes zu warten, mit Gestalten so wild, wie man sie sich nur vorstellen kann. Und wenn man dann einige davon für drei Jahre engagiert hat, sie mit auf eine abgelegene Pflanzung irgendwo fern auf den Inseln mitzunehmen, eine Horde Wilde aus einem Dutzend verschiedner Gruppen, um die sich nie vorher ein Weißer gekümmert hat, alle mit verschiedenen Gebräuchen und Sprachen; gemeinsam ist ihnen nur ihre Unwissenheit, was die vor ihnen liegende Arbeit anbelangt; sie müssen einfach alles lernen. Stell sie Dir als Deine einzigen Gefährten vor, in dem Wissen, dass sie mit Ablauf der drei Jahre unweigerlich wieder verschwinden, gerade dann, wenn Du ihnen mit unerschöpflicher Geduld und viel Aufwand ihnen etwas beigebracht hast.
    Die mühselige Arbeit würde sich ja lohnen, wenn am Ende ein guter Verdienst dabei herauskäme, der die schnelle Rückkehr nach England erlaubt oder zumindest ein gemütliches Leben hier draußen sichert; aber der Weg zum Reichtum ist wie der Weg ins Himmelreich, mühsam und beschwerlich, und nur wenige erreichen ihr Ziel.
    Du siehst also, die Aussichten sind nicht unbedingt einladend. Und bei den derzeitigen Verhältnissen auf den Inseln würde ich jedem raten, sich nur dann hier anzusiedeln, wenn er einen soliden Batzen Geld in den Kauf von Land stecken kann – mindestens um die 2.000 Pfund – und genug Kapital zum wirtschaften hat. Alles ist hier sehr teuer, und für jeden, der mit seinem Verdienst auskommen muss, ruinös. Die Regierungsbeamten haben sehr niedrige Gehälter und tun sich schwer, davon zu leben. Und doch bewerben sich Dutzende von Weißen um alle Posten, weil sie jeden Pfennig brauchen.

Gordon Cumming, Constance F.
At Home in Fiji
Band 1, London 1881
Übersetzung: U. Keller

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